Kaum eine ausländische Wahl ist schon im Vorfeld so beachtet worden, wie die am 07. Mai stattfindende Stichwahl der Präsidentschaftsbewerberin Marine Le Pen und des Senkrechtstarters Emmanuel Macron. Im Hintergrund steht die Frage, ob sich der in den westlichen Demokratien abzeichnende Trend zu populistischen Politikmachern – sie selbst verstehen sich nicht als Politiker alter Prägung – nun auch in Frankreich anhält. Die europakritische – besser EU-kritische – Haltung, die eine wesentliche Triebkraft des Populismus in Europa ist, hat auch bei mir zu Überlegungen geführt, die ich mit Hilfe einiger Kriterien nach der Methode der Spiral Dynamics näher prüfen möchte.
In einem ersten Schritt stellt sich die Frage, ob die beiden Kandidaten, die in der Stichwahl gegeneinander antreten, wirklich so verschieden sind, wie sie in den Medien dargestellt werden. Auf der einen Seite die Juristin Marine Le Pen, die an der renommierten Universität Pantheon-Assas in Paris studiert hat und auf der anderen Seite der an Eliteschulen und -hochschulen ausgebildete Emmanuel Macron, der sowohl eine Regierungstätigkeit wie auch eine Banktätigkeit aufweisen kann und damit zum Polit-Establishment Frankreichs gehört. In der ersten Grafik stelle ich die beiden Kandidaten in ihren Wertewelten nach der Methode der Spiral Dynamics dar. Diese Darstellung hat mich sehr überrascht. Die Wertewelten der beiden Kandidaten sind sich so ähnlich, dass man von einer Austauschbarkeit sprechen könnte. Eine zweite Überraschung besteht darin, dass sie sich grundlegend von der Wertewelt Gesamt-Frankreichs unterscheiden. Die größere Überraschung liegt allerdings in dem Wertebild von Frankreich als Ganzem mit der überragenden Dominanz von Grün und der Abstufung über Orange nach Blau. An diesem Bild wird deutlich, welches Problem Frankreich hat und welche Dimension es hat. Das relativistische Grün ist in der Entwicklungsspirale das Entwicklungs- und Durchgangsstadium zu den Entwicklungsstufen der zweiten Ordnung (Gelb und Türkis). Diese höheren Entwicklungsstufen sind zur Harmonisierung der Stufen in der ersten Ordnung erforderlich. Offensichtlich gibt es aber in Frankreich einen Entwicklungsstau, der durch die in Frankreich stark ausgeprägte Laizität mitverursacht ist. Unter diesen Bedingungen kann sich offensichtlich kein Ethos entwickeln, das den moralischen Ansprüchen der Demokratie gerecht wird. Zum Vergleich gebe ich das Bild für Deutschland wider, das immerhin Ansätze von Entwicklungen der zweiten Ordnung zeigt. Ein weiterer Grund für die vollkommen andere Gewichtung der Wertesysteme wie auch für die Laizität sind die Ergebnisse der französischen Revolution. An dieser Stelle kann das Resumee gezogen werden, dass weder Marine Le Pen noch Emmanuel Macron Zugänge zu Werten erwarten lassen, die für eine Entwicklung in der angesprochenen Richtung erforderlich sind.
In einem zweiten Schritt werde ich versuchen, auch in den Sachthemen Unterschiede bei den Kandidaten aufzuspüren und vielleicht Hinweise für die Wahlchancen zu finden. Hierzu habe ich die Affinitäten der Kandidaten zu den 8 Problemfeldern Angst, Anerkennung (Indikator für Migrationsprobleme), Gewalt, Arbeitslosigkeit, Terrorismus, Kriminalität, Europa und Armut an Hand von Internetabfragen bestimmt und den Ergebnissen für Frankreich als Ganzem gegenüber gestellt. Hier ist abzulesen, dass lediglich bei den Problemfeldern Terrorismus und Europa größere Differenzen sowie bei den Problemfeldern
Kriminalität und Armut kleinere Differenzen bestehen. Bei der Hälfte der Themen besteht also Gleichgewichtigkeit, allerdings sind hieraus keine Ansätze zur Lösung der Probleme abzuleiten. Es dürfte jedoch für die Wahlentscheidung von großer Bedeutung sein, ob ein Kandidat auf ein bestimmtes Problem antwortet oder ob er es aus seiner Wahrnehmung ausblendet.
Im Bezug auf die reale Problemlage, wie sie sich in dem Bild für Gesamtfrankreich darstellt, bleiben beide Kandidaten deutlich hinter der allgemein in der Öffentlichkeit ablesbaren Bedeutung des Themas Europa zurück. Dagegen wir das Thema Arbeitslosigkeit wesentlich stärker in den Vordergrund gestellt, als es in der öffentlichen Wahrnehmung ausmacht..
Ein genaueres Bild von den Abweichungen zum öffentlichen Bild der Problemfelder liefert die nebenstehende Grafik. Hier wird nochmals die Ignoranz gegenüber dem Thema Europa deutlich, die bei Marine Le Pen wesentlich größer ist, als bei ihrem Gegenkandidaten. Weitere Defizite bestehen bei den Problemfeldern Anerkennung und Gewalt sowie besonders bei Macron auch das Thema Kriminalität. Besonderes Gewicht wird seitens der Kandidaten offensichtlich auf die Themen Arbeitslosigkeit und Terrorismus gelegt.
Die Bedeutung der bevorstehenden Wahl kann man nach den vorgestellten Ergebnissen kurz auf den Nenner bringen: Frankreich wünsch eine Abstimmung über seine Rolle in Europa, doch es findet sich niemand, der das Volk erhört. Aber wer versteht das Volk am besten? Hierzu zum Schluss noch ein Bild, das aus der Summe aller Abweichungen von den Werten für ganz Frankreich resultiert (negative Abweichungen wurden hierbei als positive Werte behandelt). Hiernach ergeben sich klare Vorteile für Emmanuel Macron.