Die Projektgeschichte
Meine Kindheit habe ich auf dem Lande verbracht und wurde durch meine Berufswahl ab Mitte der 1960er Jahre mit der Lebensform des Stadtmenschen konfrontiert. In dieser Umbruchphase begann auch mein Interesse für das evolutionäre Denken Teilhard de Chardins, das sich in mir mit der anfänglich kritisch wahrgenommenen Lebenswelt der Großstadt zu einer Zukunftsperspektive verdichtete. Auf dieser Grundlage lernte ich später mit der Lektüre von Ken Wilbers „Eros, Kosmos, Logos“ die zeitgemäße Fassung einer Zukunftsvision im Teilhard’schen Sinn kennen. Am Ende der 1990er Jahre begann ich mit Überlegungen, wie man die durch das Internet entstandenen Möglichkeiten für eine leicht handhabbare und kostengünstige Stadtforschung einsetzen könnte – insbesondere für einzelne Stadtbezirke war dies von Interesse, da hierfür kaum statistische Daten vorliegen und nur mit großem Aufwand beschafft werden können. Zunächst benutzte ich Sozialindikatoren wie Arbeitslosigkeit, Kriminalität, Familie, Schule, Mobilität usw. um für bekannte Problemstadtteile verschiedener Großstädte nachvollziehbare Ergebnisse zu erzielen. Hierzu boten sich die in Förderprogramme der Städtebauförderung wie „Soziale Stadt“ aufgenommenen Städte an. Für diese Stadtteile liegen öffentlich zugängliche detaillierte Strukturuntersuchungen vor. Die für die Stadt Köln von mir nach der hier vorgestellten Methode durchgeführten Erhebungen im Internet führten zu den gleichen Ergebnissen für die Problemstadtteile, wie sie zur Aufnahme dieser Stadtteile in die besondere Städtebauförderung geführt hatten.
Nach diesen ersten vielversprechenden Ergebnissen baute ich das Indikatorenmodell weiter aus, so dass nicht nur die aus offiziellen Erhebungen vorliegenden Daten zu dem Bild des Stadtteils beitrugen, sondern auch solche, die komplexere Bedeutungen – vor allem psycho-sozial – haben, wie z. B. „Anerkennung„, „Armut“ oder „Gleichberechtigung“. Neue Sichtweisen kamen hinzu, nachdem das ebenfalls holonisch ausgerichtete Wertesystem der Spiral Dynamics von Don Beck und Christopher Cowen in Deutsch veröffentlicht wurde. Das Indikatorenmodell wurde nun um das für die Spiral Dynamics wichtige Kriterium „Offenheit“ erweitert und durch 8 Kriterien zur Beschreibung der Wertememe ergänzt. Die Ergebnisse dieser Erhebungen habe ich unter dem Namen „Stadtgeschichten“ in einem Wikia-Projekt veröffentlicht.
Mit der wachsenden Zahl kleinerer und mittlerer Städte und einiger Großstädte bis auf die Ebene der Stadtteile hinunter zeigte sich, dass von einer Vielfalt der Werthaltungen vorwiegend auf Stadtteilebene ausgegangen werden kann. Der Frage nach Entstehen von Vielfalt und Verortung von Vielfalt wollte ich weiter nachgehen, indem ich in die Untersuchung Einzelpersonen, Organisationen und Länder verschiedener Erdteile einbezog. Diese Ergebnisse wurden in einem größer angelegten Projekt unter der Bezeichnung „Entwicklungsspirale“ zunächst als selbst entwickelte Webseite, dann als Joomla-CMS veröffentlicht und schließlich für dieses WordPress-Projekt umgeschrieben und umgestaltet.
Die Methode
Vom Grundgedanken her wollte ich eine Methode entwickeln, die es ermöglichte, ohne zusätzliche Software mit den Mitteln, die einem Durchschnitts-Internetnutzer wie mir zur Verfügung stehen, Daten aus dem Internet zu generieren. Da es sich auf Grund der Untersuchungsgegenstände zunächst um Städte und Stadtteile handelte, die ein großes Datenreservoir darstellten, war ein manuelles oder auch halbmaschinelles „Durchforsten“ von Webseiten von vornherein auszuschließen. Es zeigte sich, dass ganz simple Suchmaschinen-Anfragen mit wenigen Booleschen Operatoren bereits passable Ergebnisse lieferten. Eine solche Anfrage hatte z. B. die Form „Köln UND Holweide UND Kriminalität“. Als Ergebnis dient die von der Suchmaschine angegebene Zahl der Suchergebnisse. Diese Adressierung lieferte im Sinne der Mengenlehre zwar keine eineindeutigen Ergebnisse, jedoch zeigte sich, dass die Schnittmenge bei hinreichend großen Gesamtheiten groß genug war, um eine sinnvolle Auswertung und eindeutige Kategorisierung vorzunehmen. Ein weiteres Problem ergab sich hinsichtlich der Konnotation des Qualitativ-Indikators, d. h. in welchem Zusammenhang wird der Begriff Kriminalität in dem genannten Beispiel erwähnt, es könnte ja z. B. in der Internetquelle heißen „….wenn Sie eine Wohnung in Holweide kaufen, brauchen Sie sich wegen Kriminalität keine Sorgen machen“, woraus sich bei einem eindeutig negativ konnotierten Begriff eine umgekehrte Bedeutung ergibt. Um diese Fehlerquelle zu minimieren, wurden die Booleschen Operatoren um die Bedingung „Problem“ erweitert. In der Regel wird es bei eindeutig konnotierten Begriffen wie Kriminalität auch ausreichend sein, auf diesen Zusatz zu verzichten, denn selbst wenn der Indikator in einem positiven Sinn benutzt wird, wie z. B. in einem Zeitungsbericht über die Entwicklung der Kriminalität, die gesunken ist, so ist das Thema in der Öffentlichkeit nach wie vor virulent und verschwindet erst durch Schweigen, da die „Normalität“ in der Informationsbranche und auch im Internet keine Nachricht wert ist.
Die erzielten Ergebnisse bedürfen in jedem Fall einer Plausibilitätskontrolle. Nur so lassen sich besondere Verhältnisse bezüglich des Indikators an einem bestimmten Ort berücksichtigen. So ergibt z. B. die Suche nach „Kriminalität“ im Stadtteil Düsseldorf Hamm eine erstaunlich hohe Zahl von Suchergebnissen. Das Rätsel löst sich auf, wenn man weiß, dass in diesem Stadtteil das Landeskriminalamt NRW ansässig ist. Quellen, die dieses enthalten, müssen also durch einen entsprechenden Booleschen Operator ausgeschlossen werden. Das Beispiel beinhaltet noch eine weitere Fehlerquelle, die in der Ortsbezeichnung Hamm liegt. Ohne einen speziellen Ausschluss der im östlichen Ruhrgebiet liegenden Großstadt Hamm würden sowohl Suchergebnisse zu Düsseldorf-Hamm als auch zu Hamm (Westf.) gezählt werden. Die eindeutige Adressierung kann in einem solchen Fall durch die Ersetzung des Stadtteilnahmens durch die Telefonvorwahl oder die Postleitzahl erfolgen. Eine weitere Möglichkeit besteht in der Festlegung auf den Begriff, im Beispiel „Düsseldorf-Hamm“, in Paranthese. Welche Lösung die bessere ist, kann nur durch Versuche festgestellt werden – auch hierfür gilt es, die Plausibilität im Auge zu behalten. Eine ähnliche Fehlerquelle besteht bei Namen von Personen, die von geografischen Begriffen, Berufsbezeichnungen usw. abgeleitet sind. Auch in diesen Fällen sind Zusatzoperatoren erforderlich.
Im Unterschied zu demoskopischen Verfahren, die in der Regel repräsentative Ergebnisse liefern, ermöglicht die Internetabfrage eine Totalerhebung, die allerdings eine Fehlerquote hat, die nicht genau ermittelt werden kann, da die Abfrage-Algorithmen der Suchmaschinen nicht bekannt sind und von den Suchmaschinenbetreibern auch nicht bekannt gegeben werden. Darüber hinaus treten auch durch unterschiedliche Pflege der Daten und technische Einflüsse bei den Suchmaschinenbetreibern Fehlerquellen auf. Aus diesen Gründen wird jede Abfrage bei fünf verschiedenen Suchmaschinen durchgeführt. Die sich daraus ergebenden Werte werden auf die drei mittleren Werte reduziert und gemittelt. Bis hierher ist das Verfahren mit Juryurteilen in verschiedenen Sportarten und Wettbewerben vergleichbar. Am Ende des Berechnungsverfahrens erfolgt eine Fehlerverteilung der Differenz, die sich zwischen der Summe aller WMeme und 100% ergibt. Hierdurch wird die Vergleichbarkeit der Ergebnisse gewährleistet. Die Annahme des Zielwertes mit 100% drückt aus, dass die Entwicklungsspirale von einem nahezu geschlossenen System ausgeht, das sich nur in größeren Zeiträumen durch neu hinzukommende Wertesysteme erweitert.
In vergleichbarer Weise erfolgt die Ermittlung der Affinitäten zu bestimmten Problemfeldern. Hierbei wird zur Herstellung der Vergleichbarkeit eine Bezugsgröße festgelegt, in der die zu vergleichenden Personen oder Orte als Teilmenge enthalten sind.
Die erhobenen Daten sind absolut anonym, da sie lediglich als aggregierte Daten aus den von den Suchmaschinen angegebenen Summen der zu der Suche gefundenen Seiten verwendet werden. Nach den oben beschriebenen Rechengängen werden die Ergebnisse zwar auch Personen des öffentlichen Interesses zugeschrieben, allerdings nicht als deren persönliche Daten, sondern als „Wertewelten„, hinsichtlich der Ergebnisse der Spiral Dynamics im wörtlichen Sinn und ansonsten im mathematisch abstrakten Sinn. Durch die zusammengestellten Daten werden virtuelle Welten definiert, die aus allen auf die benannte Person oder den genannten Ort, die Organisation usw. bezogenen Quellen des Internets generiert werden und sie in das Zentrum dieser Welten stellen. Es handelt sich dabei nicht um eine besondere Art virtueller Welten, die mit Elektronenwolken der Quantenphysik vergleichbar sind und auf Wahrscheinlichkeiten basieren.
Bei diesem Vorgang wird nicht nur die Freiheit der Person respektiert, sondern sie wird so erst erreicht, wie umgekehrt gleiches auch für alle anderen Individuen im Verhältnis zu solcherart beschriebenen Personen gilt.
Aus meiner persönlichen Sicht hat sich das beschriebene Verfahren innerhalb des deutschen Sprachraums als praktikabel erwiesen. Erste Versuche in anderen Sprachen habe ich ebenfalls durchgeführt, jedoch besteht hier als Nicht-Muttersprachler eine große Unsicherheit über den vertrauensbereich, den die verwendeten Indikatoren besitzen. Aus diesem Grund, aber auch wegen des großen Potentials, das ich in der Anwendung der Methode sehe, wünsche ich mir, dass auch andere Interessierte hieran mitwirken.