Harris oder Trump? – Eine ganzheitliche Betrachtung des Präsidentschaftswahlkampfs in den USA 2024 (I)

Mit diesem Beitrag setze ich die Beobachtung des Wahlkampfes in den USA fort. Durch die Benennung von Kamala Harris als Kandidatin für die Demokraten ist eine neue Situation entstanden. Dieser Schritt ist in Deutschland überwiegend positiv aufgenommen worden und hat einen schwachen Lichtschein in der dunklen politischen Zukunftserwartung Europas erzeugt. Zwei Unterschiede der Kandidaten stehen dabei im Vordergrund: Das wesentlich geringere Alter der demokratischen Kandidatin gegenüber dem Republikaner Trump und die Tatsache, dass dem sexistischen Trump nun eine diffamierte Frau gegenübersteht, die eine glaubhafte Gegenwehr organisieren kann.

Schon diese augenfälligen Unterschiede haben zu einer Verunsicherung im republikanischen Lager geführt, da damit wesentliche Fixpunkte ihrer Wahlkampfstrategie entfallen sind. Dieses hat mit dazu beigetragen, dass Harris im ersten Fernsehduell der Kandidaten gut aussah. In der im Auftrag des Senders CNN unmittelbar an die TV-Übertragung des Duells durchgeführten Umfrage sahen 63 Prozent der Befragten Kamala Harris als Gewinnerin des Duells. Vor dem Duell waren dieselben Befragten der Umfrage zufolge noch unentschlossen und hatten die Chancen auf einen Sieg bei jeweils 50 Prozent für beide Kandidaten gesehen.

Wie in Fernsehduellen obligatorisch, kam es wesentlich auf die Ausstrahlung und Wirkung der diskutierenden PolitikerIn an – Körperhaltung und -bewegung, Redestil, Mimik, Interaktionsvermögen, Umgangsformen und Publikumsansprache. Ziel solcher Veranstaltungen ist es, möglichst große Resonanz beim Publikum zu erzeugen. Verglichen mit öffentlichen Wahlreden vor großem Publikum ist die Beeinflussung der Massen durch zwischengeschaltete Technik  nur ein kärglicher Ersatz – insbesondere dann, wenn es sich lediglich um die Zurschaustellung  der Person geht. Warum sonst boomt die Veranstaltungsbranche mit Stadionkonzerten, Open-Air-Festivals und Musical-Veranstaltungen? So erklärt sich auch das zurückhaltende Interesse des Fake-News-Produzenten Trump am Fernsehformat. Andererseits ist das im Studio befragte Publikum gerade bei einem Kopf-an-Kopf-Rennen zweier Diskursteilnehmer kein Garant für Repräsentativität.

Zu den politischen Entgleisungen und der Verbreitung von Langeweile vor Wahlen gehört die Anwendung des Standard-Repertoires der Werbebranche. Großformatige Portraits der Spitzenkandidaten säumen die Verkehrsadern der Städte und neben den Schnäppchen-Angeboten von Möbelhaus, Aldi und Co. und kostenlosen Werbezeitungen verstopfen nun auch Programmbroschüren der Parteien mit kurzem Verfallsdatum die Briefkästen. Die Wirkungslosigkeit dieser als Wahlkampf bezeichneten Papierverschwendung hat sich schon längst herumgesprochen, doch fehlt es offensichtlich an Mut und/oder Phantasie direktere Kommunikation mit dem Wahlvolk zu pflegen.

Anders – keineswegs besser – sieht die Situation im laufenden Wahlkampf der USA aus. Dort ist der Wahlkampf ganz auf die Bewerber der beiden großen Parteien – der Demokraten (den Blauen) und der Republikaner (den Roten) – zugeschnitten. Über deren Erfolg oder Misserfolg entscheiden die riesigen Ausgaben für die Wahlkampfführung, die nicht mit der beschriebenen Situation in Deutschland vergleichbar ist. Auch dort werden die traditionellen Werbebotschaften in Papierform und durch Rundfunk und Fernsehen eingesetzt, jedoch spielen auch die digitalen Plattformen wie Facebook, TikTok oder Google eine große Rolle. Dort werden Buttons platziert mit Aufrufen wie „hier spenden“ neben dem Hauptinhalt eingeblendet. Solche Kleinspenden machten im Wahlkampf 2020 zwar 40% für Biden und 50% für Trump aus und werden als politische Botschaften von den Parteien gern als bürgernahe Orientierung unter das Volk gebracht, sie sollen jedoch nur darüber hinweg täuschen, woher die restlichen Finanzmittel stammen. Da die staatliche Wahlkampffinanzierung – anders als in Deutschland – nur einen sehr geringen Anteil an den Kosten ausmacht, haben Großspender die Rolle als wichtigste Wahlkampf-Finanziers. Auf ihre Intervention ist zurückzuführen, dass der zur Wiederwahl bereite amtierende Präsident nach seinem desaströsen Abschneiden in einem Fernsehduell mit Donald Trump nach längerem Zögern schließlich auf seine Kandidatur verzichtete. Danach flossen der Kampagne der nun als Kandidatin ausgerufenen Vizepräsidentin Harris deutlich größere Zahlungen der Großspender zu.

Bereits hier wird der große Einfluss der Reichen und damit eine andere politische Kultur als in Deutschland deutlich. Die mit politischer Gerechtigkeit unvereinbare Schieflage der amerikanischen Demokratie ist schon länger auf der politischen Agenda und hat Präsident Obama zu einer Initiative veranlasst, Grenzen für Parteispenden zu setzen. Das wurde vom Obersten Gericht mit der Begründung zurückgewiesen, sie schränkten die Freiheit auf Meinungsäußerung ein und seien deshalb verfassungsfeindlich. In einer weiteren Entscheidung wurde sogar der Weg geebnet, die bereits bestehenden PACs (Political Action Committees) durch besondere Ausgestaltungen zu ergänzen, die sich Super-PACs nennen und in Vereinsform unbegrenzte Wahlhilfe durch eigene Kampagnen leisten dürfen. Solche Kampagnen heißen z. B. »Make America Great Again« (Republikaner) oder »Future Forward« (Demokraten) und werden nicht als reguläre Wahlkampfkosten ausgewiesen. Die Namen der Zuwender und die Höhe der Aufwendungen können bis nach der Wahl im Dunkel bleiben. Deshalb wird diese Hilfe als Dark Money bezeichnet.

Die beschriebenen Modalitäten der Wahlkampf-Finanzierung in den USA lassen erkennen, dass bereits im Wahlkampf verdeckte Vorentscheidungen im Interesse von Großorganisationen und superreichen Wahlhelfern üblich sind und deshalb den Wahlkampf zu einem Kampfplatz wirtschaftlicher und finanzieller Interessen werden lassen und die Kandidaten zu ihren Agenten machen. Forscher der Universitäten
Stanford und Berkeley kamen in einer Studie über die Wünsche von Großspendern zu dem Ergebnis, „dass die siegreiche Partei wahrscheinlich Entscheidungen treffen wird, die in vielen Fällen gegen die Wünsche ihrer Kernwählerschaft gehen.“ Es erscheint daher nicht unbegründet, hier von einer Plutokratie zu sprechen. Selbst wenn es bei der Polarisierung zwischen zwei Agenten einen Unterlegenen gibt, ist dieses keine Niederlage, da er nicht aus dem System herausfällt, anders aber die vielen Normalbürger – ganz zu schweigen von den Randgruppen der Gesellschaft – für die es in vielen Fällen um die nackte Existenz geht.

Über Fidelio

Ich bin 1949 geboren und war in meiner berufstätigen Zeit als Stadtplaner in einer mittelgroßen kommune tätig. Seit meiner Studienzeit habe ich mich für die Entwicklung eines erweiterten geistigen Horizonts interessiert und einige Anstrengungen unternommen, mich persönlich in diesem Sinne zu entwickeln. Aufgrund meiner katholischen Erziehung habe ich in den 1960-er Jahren begonnen, mich intensiver mit dem modernen Mystiker Teilhard de Chardin zu befassen und bin so zur Gedankenwelt von Ken Wilber gekommen, die ich in diesem Projekt nutzbar zu machen versuche.
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