Sonne, Urlaub, Kaktus

Eine der verbreitetsten Wirkungen der Sonne, ob im Winter oder im Sommer, ist die Verlockung, die Wohnung zu verlassen und sich den Einflüssen des Wetters unmittelbar auszusetzen. Der Mensch scheint eine besonders enge Beziehung zum Zentralgestirn zu haben, die sich auch in der Sprache zur Geltung bringt, wenn wir etwa vom Sonnenanbeter sprechen. Anthropologen werden als rationale Gründe dafür anführen, dass der Mensch zur Bildung des lebenswichtigen Vitamins D viel Licht auf der Haut benötige und das in der Sonnenstrahlung enthaltene UV-Licht die Keime an der Oberfläche des Körpers reduziere. Weit verbreitet ist auch das Motiv der frischen Luft, in die der Mensch hinaus gelockt werde, doch davon kann wohl nur noch in selteneren Fällen die Rede sein. Da zieht wohl eher das Argument, dass Sonnenschein allgemein gutes Wetter signalisiert, geringe Neigung zu lästigem Regen, milde Temperatur und die Chance, eine kosmetisch erwünschte Hautbräune zu erhalten.

Das alles schließt sich in dem einen Gedanken zusammen: Eigentlich sollte ich mal wieder Urlaub machen. So ähnlich geht es mir in diesem Moment, wo ich mich schreibend in die Vergangenheit schöner, abwechslungsreicher und interessanter Urlaube zurückversetze. Dabei habe ich mir immerhin den Vorzug verschafft, dass ich dabei auf der Terrasse sitze und vom Lärm der Stadt gut abgeschirmt bin und mich meinen Tagträumen hingeben kann.

Meine Einstellung zu Urlaub hat sich erst sehr spät ergeben, denn meine Eltern – fernab von den Ferienangeboten der KdF (Kraft durch Freude) durch das Dritte Reich gekommen – kannten keinen Urlaub, und so geht es auch heute noch vielen Menschen auf dem Lande. Erst mit meiner Freundin, die im Urlaub zu meiner Verlobten wurde, verbrachten wir gemeinsam mit einem Studienfreund und seiner Freundin den ersten Urlaub. Die beiden hatten sich eine Reiterpension im Allgäu, nahe Oberstaufen, ausgesucht, da sie geübte Reiterin war und er das Reiten lernen wollte. Für uns bestand immerhin die Möglichkeit, auch einen diesbezüglichen Versuch zu starten.

Die Reiterpension war in einer Wassermühle und lag sehr idyllisch, genau nach unserem Geschmack. Das gesamte Ambiente entsprach den Erwartungen an einen ländlichen Wohn- und Lebensstil. Auf dem Hof trottete der Esel zwischen den Hühnern und die Pferde wieherten im Stall.

Mein Studienfreund begann schon in den ersten Tagen mit seinem Reitunterricht an der Longe. Die Übungen begannen ohne Sattel und Zaumzeug und er hielt sich wirklich gut, er fiel nur selten vom Pferd herab. Schon in der ersten Woche konnte er den ersten Ausritt mit seiner Freundin unternehmen. Das machte mir Mut und ich startete ebenfalls den Versuch, das Reiten zu lernen. Leider musste ich schnell feststellen, dass die anatomischen Voraussetzungen bei meinem Freund günstiger waren, denn meine Beine waren weit davon entfernt, dem Pferd auf diesem Weg irgend eine Art Gewalt anzutun. Meine Füße reichten gerade mal bis zum Scheitel der Bauchwölbung und gaben weder mir Halt, noch dem Pferd das Gefühl, gelenkt zu werden. Der Unterricht begann mit dem Trab und heftigen Stößen auf mein Gesäß, die ich durch „Ehestandsbewegungen„, wie mein Reitlehrer es nannte, abfangen sollte. Doch ich war voll darauf konzentriert, mich überhaupt auf dem Pferd zu halten. Dennoch fiel ich einige mal hinunter, verletzte mich jedoch nicht ernstlich. Es wurden noch Versuche mit Zaumzeug und Galopp unternommen, jedoch half alles nichts, ich bin nicht zum Reiter geboren. Fotoaufnahmen, die es von diesem Reitabenteuer gibt, zeigen mich mit nach hinten überstrecktem Kopf und geschlossenen Augen. Diese Seite im Album wird – wenn ich dabei bin – regelmäßig Gästen unterschlagen.

Auch ohne Reiten hatten wir einen schönen Urlaub im Allgäu, mit Wanderungen, Ausflügen ins Kleinwalsertal, zum Nebelhorn, zur Breitachklamm, zur Olympiabaustelle in München und Gesellschaftsspielen bei denen der Esel zuschaute.

Und dann war da noch dieser Urlaub in Kärnten, am Keutschacher See. Es war mein erster Urlaub in Österreich und ich war neugierig, ob und wie sich denn die Gepflogenheiten der einstmals von den Nazis „heim ins Reich“ geholten Alpenrepublik von denen der alten Bundesrepublik unterscheiden.

Wir waren mit unserem VW-Käfer zwischen 16 und 17 Uhr über die Grenze gefahren, als wir in eine Polizeikontrolle gerieten. Zwei wie Dorfsheriffs wirkende Polizisten winkten uns auf der Landstraße mit ihrer Kelle an den Straßenrand und kontrollierten die Papiere. Während diese durch einen der Beamten betrachtet wurden, ging der andere um das Auto herum und kam dann ebenfalls an das geöffnete Autofenster und erklärte, er könne uns nicht weiter fahren lassen, da die Reifen nicht mehr das notwendige Reifenprofil hätten. Das traf mich unvorbereitet, denn nach deutscher Ordnung reichte ein mm Profiltiefe aus, und die hatten unsere Reifen noch. Nun klärte man uns darüber auf, dass in Österreich zwei mm Profiltiefe als Mindestmaß gelte und deshalb müssten wir unverzüglich neue Reifen aufziehen lassen. Mitlerweile war es kurz vor 17 Uhr und wir waren ziemlich ratlos, was jetzt zu tun sei. Doch nun erwiesen sich die beiden Polizisten als das, was ihr Image in Werbekampagnen aufpoliert: Sie gaben uns den Tip, im nächsten Dorf gebe es eine Werkstatt, die sicher noch auf hätte und wir brauchten nur hinter ihnen herfahren. So erreichten wir dann auch die Werkstatt unter „Polizeischutz“ und rissen ein beträchtliches Loch in unsere Urlaubskasse.

Es war Ende September und die Stimmung war vom einsetzenden Herbstwetter mit Nebel am Morgen und kühlen Temperaturen am Tag und etwas später auch Nachtfrösten geprägt. In der Privatpension, die unser Urlaubsquartier war, genossen wir die volle Aufmerksamkeit der hier wohnenden Vermieter, die uns abends in ihre Wohnstube einluden. Tagsüber unternahmen wir Ausflüge in die Umgebung, erkundeten Villach, Velden und Klagenfurt. In einer dieser Städte probierten wir unsere ersten gerösteten Maronen, jedoch ohne damit in Begeisterung zu fallen. Auf diesen Ausflugstouren fiel uns bald auf, dass die Ortsschilder in vielen Orten zweisprachig, nämlich deutsch und slowenisch, sind. Auf Nachfrage bei unseren Wirtsleuten erfuhren wir schließlich, dass es eine slowenische Minderheit in Kärnten gibt, die diese Beschilderung durchgesetzt hat. Warum hatten wir von diesem Streit noch nie etwas gehört? Diese Erfahrung förderte die Überzeugung, dass an dem Spruch „Reisen bildet“ doch ein Funken Wahrheit haftet.

Wir machten von Kärnten aus zwei Tagestouren nach Slowenien, durch die imposanten Karawanken zur slowenischen Hauptstadt Ljubljana – zu deutsch Laibach – und zum italienischen Tarvisio. Tarvisio war in jener Zeit wegen seines Marktes auch für viele Kärntner ein beliebtes Ziel.

Die Rückreise über den Großglockener verlief entgegen unseren Befürchtungen, hier einen verschneiten Pass bewältigen zu müssen, ohne Probleme.

Als jung verheiratetes Paar fanden die ersten Urlaube auf Gran Canaria und in Bulgarien am Goldstrand statt. Von Gran Canaria hat sich mir der heiße Sand, der uns auf dem Weg zum Strand durch den starken Wind auf die Haut geblasen wurde, besonders eingeprägt. Davon abgesehen haben wir hier jedoch eine entspannte Zeit verbracht. Das gleiche kann ich auch vom Urlaub am Schwarzen Meer sagen, der noch zu Ostblockzeiten stattfand. Die An- und Abreise fand mit einem ziemlich alten Flugzeugmodell statt, das wenig Vertrauen erweckte. Doch bekanntlich muss der äußere Eindruck nichts über die Gesamtqualität aussagen (Wer würde sonst noch im Bioladen einkaufen?) und diese alte Weisheit bewies sich hier aufs neue. Jedoch will ich nicht verschweigen, dass jedes Durchsacken des Flugzeugs in der Luft mit gemischten Gefühlen wahrgenommen wurde. Eine bleibende Erinnerung an die heiße Sonne am Goldstrand hat nebenbei auch der heftige Sonnenbrand hinterlassen, den ich mir hier eingefangen hatte. Wir hatten irgendwo gelesen, dass man in Bulgarien den dort hergestellten Joghurt sehr wirkungsvoll zur Behandlung des Sonnenbrands anwende. Da Sonnenbaden am Strand für die nächsten Tage ausschied, nutzten wir die Gelegenheit, mit dem Bus nach Varna zu fahren und dort den bulgarischen Joghurt zu kaufen und eventuell einige Souvenirs zu kaufen. Anders als in Deutschland war der Bus bis auf den letzten Platz besetzt. Die Fahrgäste setzten sich überwiegend aus Urlaubern zusammen, die deutsch mit ostdeutschen Akzenten und russisch sprachen. Die Taktfrequenz der Buslinie war entsprechend benutzerfreundlich und der Preis gering. Bei dieser Gelegenheit stellte sich die Frage, ob wir den im real existierenden Sozialismus jener Zeit verbreiteten Mangel an Westdevisen für den Währungsumtausch in bulgarische Lewa auf dem Schwarzmarkt nutzen sollten. Die Schwarzmarkthändler standen zahlreich bereit, für einen um ein Mehrfaches günstigeren Kurs DM in Lewa zu wechseln. Die Angst vor Betrug und Polizei siegte und nicht zu leugnen war eine Regung unserer Gewissen, so dass wir zum offiziellen Kurs wechselten.

Der Service im Hotel und am Strand war gut, jedoch gab es einige kurzzeitige Stromausfälle, die wir von zu Hause nicht gewohnt waren und so zu einem besonderen Erlebnis wurden. In kultureller Hinsicht wurde viel Folklore geboten, die einen großen Anteil an den Urlaubsdias aus Bulgarien in unserer Bildersammlung ausmacht.

Mit der Geburt unserer Tochter kam die Zeit der urlaubslosen Jahre. Die Freude über den Nachwuchs und die Anteilnahme an seiner Entwicklung entschädigte für den Verzicht auf die Reise in die Ferne. Stattdessen wurde die nähere Umgebung neu entdeckt. Erst als das zweite Kind seine Notdurft kontrollieren konnte zog es uns wieder in die Ferne.

Die nun folgenden Urlaube fanden wieder mit dem Auto statt, die Unterbringungsart am Urlaubsort war nicht mehr das Hotel, sondern zunächst die Ferienwohnung und später auch das Zelt auf dem Campingplatz. Reiseziele waren die Niederlande, Dänemark, Spanien und Frankreich. Für die jeweiligen Autos bedeutete die Fahrt oft eine Belastungsprobe, da sie sonst kaum gefordert wurden und so kam es einige Male vor, dass wir am Urlaubsort eine Werkstatt aufsuchen mussten. Mit einer besonders tückischen Betriebsstörung hatten wir im holländischen Petten, wo wir ein Sommerhaus bewohnten, zu kämpfen. Wenn wir mit dem Auto losfahren wollten, sprang es oftmals nicht an. Es reichte dann aus, wenn das Auto von Hand geschüttelt und gerüttelt wurde, bis es sich wieder normal starten ließ. Eine Ursache hierfür konnte zunächst nicht gefunden werden, bis sich schließlich durch einen Kabelbrand die Ursache bemerkbar machte, die dann recht schnell in einer nahe gelegenen Werkstatt behoben wurde.

Die schönsten Strandurlaube haben wir in Dänemark verbracht. Unser Strand lag auf einem schmalen Landstreifen (Nehrung Holmsland Klit) in Årgab (Hvide Sande) zwischen Ringkøbing Fjord und der Nordsee. Hier fühlten sich die Kinder wegen der hohen Dünen, in denen sie herumlaufen konnten und aufgrund der offenen Grundstücke, die viel Bewegungsfreiheit um die Ferienhäuser herum gewährten, besonders wohl. Der letzte Urlaub in Dänemark fand allerdings an der Ostsee auf der Insel Sjælland statt. Der Sommer war verregnet, unsere Tochter fetzte sich ständig mit ihrer Schulfreundin und der etwa vier Jahre alte Sohn meiner Schwester testete ständig seine Grenzen aus. Hier wurde deshalb der sprechende Bauch erfunden, der zu einer Autoritätseinrichtung für Anes – so heißt er – wurde und Erfolg hatte. Der sprechende Bauch entstand aus meinen stümperhaften Anstrengungen als Bauchredner. Diese Rolle hat mein Neffe nicht vergessen und er erinnert mich scherzend nach 20 Jahren noch daran. Ein Trauma hat er offensichtlich davon nicht erlitten.

Die schwerste Autopanne erwischte uns auf dem Weg zur Costa Brava. Wir hatten die deutsch-französische Grenze in Mulhouse passiert und befanden uns auf der Autobahn kurz vor Besançon als Helga – meine Frau -, die gerade Dienst am Lenkrad hatte, mich fragte, was denn der Qualm zu bedeuten hätte, der aus dem Auspuff unseres Passat-Diesel quoll. Mir schwante schlimmes. Ich hatte vor der Fahrt die Werkstatt unseres Vertrauens gebeten, den schon hoch betagten Wagen auf seine Tauglichkeit für eine längere Fahrt zu prüfen. Vor einiger Zeit waren die Zylinderkopfdichtungen erneuert worden und die Werkstatt konnte nichts feststellen, was Grund zur Besorgnis gegeben hätte und nun das! Meine kurze knappe Antwort an meine Frau lautete: „Rechts heranfahren, Motor ausschalten.“ Nachdem ich ihr meinen Verdacht erläutert hatte, machte ich mich auf den Weg zur nächsten Notrufsäule. Mit einem Sprachgemisch aus wenigen Brocken Französisch und Englisch gelang es mir, meinem Gesprächspartner die Lage zu schildern. Nach einer kurzen Wartezeit erschien ein Abschleppwagen, der unseren Passat an den Haken seiner Seilwinde nahm und ihn auf die Ladefläche zog, wo er mit den Vorderrädern in der Luft himmelwärts zeigte – meine Frau und die Kinder im Innern des Autos blickten zwangsläufig in die selbe Richtung und waren ihrer Handlungsfähigkeit weitestgehend beraubt. Im Fahrerhaus war nur für zwei Personen Platz. Für den im Schlepptau mitfahrenden Kern der Familie war es wie Achterbahnfahren. Über schmale kurvenreiche Straßen mit vielen Steigungen und Abfahrten fuhren wir zu einer kleinen Ansammlung von Häusern, von denen eines die Werkstatt war. Der Werkstattinhaber bestätigte meinen Verdacht eines „Kolbenfressers“ und bedeutete mir, er könne in seiner Werkstatt nichts an dem Motor reparieren. Am nächsten Morgen werde er uns samt Auto weiter nach Besançon zu der dortigen VW-Werkstatt bringen. Einstweilen könnten wir im Dorf übernachten. Nun lernten wir auch das kleine Dorf selbst kennen und zogen in den Dorfgasthof ein, wo wir gemeinsam in einem Zimmer mit einem riesigen Bett, in dem mühelos drei Personen schlafen konnten, und einem Einzelbett übernachteten. Morgens ging es dann in der beschriebenen Weise weiter nach Besançon. Dort wurde der Motor in der VW-Werkstatt auseinander genommen, währenddessen wir uns nach einem Zimmer umsahen. Nachmittags fragten wir in der Werkstatt nach dem Ergebnis der Inspektion des Motors. Man erklärte uns, an dem sei nichts mehr zu retten und es empfehle sich, einen Austauschmotor einzubauen, den man uns für 18 Tsd. Franc einschließlich Arbeitslohn für den Einbau anbot. Der Preis entsprach etwa 6.000 DM und überschritt die Grenze dessen, was man vernünftiger Weise noch in das Auto investieren sollte. Wir beschlossen deshalb nach einer Lösung zu suchen, die kostengünstiger war. Dafür mussten wir einige Telefongespräche führen. Handys existierten noch nicht und deshalb suchten wir einen Ort, wo wir uns einerseits mit Franzosen einigermaßen gut verständlich machen konnten und evtl. Unterstützung erhalten konnten, andererseits auch ungestört telefonieren konnten. Hierzu bot sich das Tourismusbüro an, wo man uns denn auch sehr freundlich und hilfsbereit aufnahm. Zuvor hatten wir in der Mittagszeit noch versucht, uns an einem Bankautomaten mit Franc zu versorgen. Die Bedienung des Automaten führte ins finanztechnische Nirwana, indem ich meine Scheckkarte an den Automaten verlor. Da die Bank Mittagspause hatte, war die Karte erst einmal außer Reichweite. Nach der Mittagspause erhielt ich sie allerdings auf sehr unbürokratische Weise zurück.

Die nun zu führenden Telefonate betrafen zunächst die Anmeldung eines Schadensfalls bei der Versicherung, bei der wir einen Auslandsschutzbrief erworben hatten. Eine verständnisvolle Hilfestellung gab es hier nicht, die Dame am anderen Ende der Leitung versuchte, mich davon zu überzeugen, dass es doch für beide Seiten das Günstigste sei, das Auto in Frankreich zu verschrotten und baldigst in die deutsche Heimat zurückzukehren. Nach einigem Hin und Her gelang es, eine Kostenübernahme für den Aufenthalt in Besançon und den Rücktransport des Autos in eine deutsche Werkstatt zu erhalten. Unser Rettungsplan sah nun so aus, dass wir den Motor wieder notdürftig einbauen lassen und am nächsten Tag von Freiburg aus abholen lassen und dort in einer VW-Werkstatt einen Austauschmotor einbauen lassen wollten. Während ich mit dem kaputten Auto nach Freiburg und von dort mit dem wieder fahrtüchtigen Auto nach Besançon zurück fahren würde, könnte meine Frau mit den Kindern in Besançon zurückbleiben und mit den Kindern die Stadt erkunden. Es war schnell eine Werkstatt in Freiburg mit günstigen Konditionen gefunden, die sich bereit erklärte, einen Abschleppdienst zu organisieren und den Motor innerhalb eines Tages einzubauen, so dass der Wagen am nächsten Morgen abgeholt werden konnte und ich gegen Abend damit zurückfahren konnte. Die französische Werkstatt spielte mit und baute die Einzelteile notdürftig zusammen und um 7 Uhr am nächsten Tag erschien vor dem Werkstatttor tatsächlich ein Abschleppwagen der Fa. Hertz mit dem das Auto und ich nach Freiburg starteten. Auch der weitere Ablauf entsprach unserem Plan und wie ich bei meiner Rückkehr erfuhr, hatten sich Frau und Kinder gut die Zeit vertrieben, Hauptattraktion war der Tierpark auf der Zitadelle gewesen.

Nun stand die Frage im Raum, wann wir unsere Fahrt nach Spanien fortsetzen sollten. Da meine Frau und ich sich beim Fahren abwechseln entschieden wir uns, die Nacht über zu fahren und so kamen wir dann im Morgengrauen nach einer anstrengenden Überquerung der Pyrenäen an unserem Urlaubsort an. Der Werkstatt unseres Vertrauens haben wir übrigens das Vertrauen entzogen, indem wir dort weder getankt noch Werkstattdienste in Anspruch genommen haben. Ob diese „Sanktion“ wirklich gerechtfertigt war, weiß ich nicht, aber es half dabei, das „Urlaubstrauma“ zu bewältigen.

Auf dem Rückweg von einem der Spanien-Urlaube wollten wir Bekannte in Frankreich besuchen. Sie hatten einen aufgegebenen Bauernhof in der Nähe von Cahors gekauft und hatten damit begonnen, die Gemäuer wieder bewohnbar zu machen. Für den Anfang hatten sie in einem der Nachbardörfer eine Wohnung gemietet. Wir kannten nur den Namen des Dorfes und nahmen an, „den Deutschen“ würde man sicher in dem Dorf kennen und uns den Weg zu ihm hin beschreiben. Es zeigte sich jedoch, dass der Ort sehr ausgedehnt war und sich über mehrere Ortsteile erstreckte, und es gab auch mehr Deutsche in der Gegend als wir dachten. Auf der Suche nach einem Menschen, den wir ansprechen konnten, trafen wir auf eine Frau, die ihr Fahrrad schob. Es stellte sich bald heraus, dass sie gut Deutsch verstand und auch sprach. Untere Verwunderung darüber löste sich schnell auf als wir erfuhren, dass sie Elsässerin war. Sie beschrieb uns den Weg zu einer Familie aus Berlin, die hier ein Ferienhaus besaß und uns freundlich bewirtete. Es war sehr heiß an diesem Tag und wir kamen in dem Haus mit seinen schätzungsweise 60 bis 70 cm starken Natursteinwänden in eine angenehme Kühle, die wir erst einmal samt dem kühlen Wasser, mit dem wir bewirtet wurden, genossen. Unsere Bekannten kannte man hier allerdings nicht. Auch der Besuch bei einem in der Nachbarschaft wohnenden alten Bauern, der erst nach heftigem Klopfen an die Tür öffnete ergab keine weiteren Erkenntnisse. Enttäuscht von unserer vergeblichen Suche traten wir die Weiterfahrt in Richtung Heimat an.

Unseren im Jahr darauf stattfindenden Urlaub mit dem Zelt in Südfrankreich verknüpften wir dann nach gründlicherer Vorbereitung mit dem Besuch bei den Bekannten, die inzwischen einige provisorisch hergerichtete Räume bewohnten. Eine Spülmöglichkeit und eine Toilette gab es noch nicht, so dass der erste Eindruck von den Geschirrbergen vor der Haustür bestimmt war, die auf die Reinigung warteten. Das mehrere Hektar große Naturgrundstück bot zunächst Platz für die Erledigung der Nordurft.

Unsere folgenden Frankreichurlaube, zu denen wir mit Anhänger und Zelt ausschwärmten wurden in der Regel mit einem Abstecher zu unseren Bekannten verbunden. So erhielten wir ein gutes Bild von der Entwicklung des Wiederaufbauprojekts. Nach einigen Jahren konnten wir auch innerhalb des Hauses übernachten und hatten einen Komfort, wie er traditionell der bäuerlichen Kultur entspricht. Inzwischen hat sich das Projekt unseres Freundes soweit entwickelt, dass wir dort Urlaub machen. Es gibt dort einen Pool, Gemüse und Fleisch aus dem eigenen Garten und aus dem eigenen Stall und man lernt interessante Menschen kennen, die hier als WWoofer an der Erhaltung und dem Ausbau des Projekts mitarbeiten.

Die Urlaube mit Zelt brachten neben der gesteigerten Bedeutung des Wetters auch die Erfahrung mit sich, dass kleine Räder einem höheren Pannenrisiko unterliegen als große Räder. Unser Zeltanhänger war ziemlich klein und hatte auch kleine Räder, die nur etwas größer als Schubkarren-Räder waren. Es verging kaum eine Urlaubsfahrt, auf der nicht ein Radwechsel an dem Anhänger erforderlich war. Um den ausführen zu können, musste der Anhänger vollkommen geleert werden, damit der Anhänger mit Muskelkraft angehoben und auf die Seite gelegt werden konnte, da der Wagenheber nicht einsetzbar war.

Sehr abwechslungsreiche Urlaube erlebten wir als Familie in Portugal an der Algarve. Unsere Tochter war mit ihrem Mann, einem alten Wohnmobil und Surfbrettern dorthin aufgebrochen, um sich eine Existenz im Surfparadies aufzubauen. Sie wollte ihre Dienste als mobile Physiotherapeutin an den Surfstränden anbieten. Trotz guter Publicity mit Promotion-Artikeln in Zeitschriften und guten Kontakten zu Surfschulen und Hotels ließ sich in drei Jahren kein tragfähiges Einkommen erzielen. In dieser Zeit verbrachten wir einen gemeinsamen Urlaub an den Surfstränden, den unsere Tochter organisiert hatte. Nicht nur das, sie zeigte uns auch die schönsten Orte, die schönsten Strände und führte uns in ihren Bekanntenkreis ein. Wie in Südfrankreich bestand auch hier eine relativ große Community, die sich ein entspannteres Leben als es in Deutschland möglich ist, aufbauen wollte. Durch den unkomplizierten Umgang im Surfermilieu und die Vermittlung unserer Tochter entstand ein sorgloserer Aufenthalt als es sonst im Urlaub der Fall war und der Erholungseffekt war entsprechend lang anhaltend.

Rückblickend wird mir deutlich, dass der Urlaub in unserer Lebensgestaltung einen Platz eingenommen hat, der weit über den reinen Erholungswert im Sinne eines „Tapetenwechsels“ hinausgeht. Im Urlaub lassen sich Anregungen für einen anderen Lebensentwurf und Freundschaften für gemeinsame Projekte finden. Bereits die Abwechslung der Urlaubsmodelle von der Pauschalreise mit Flug zur Anreise mit eigenem Fahrzeug, der Wechsel von der Unterbringung im Hotel zur Ferienwohnung und zum Zelt bringt Erfahrungen in verschiedenen Milieus mit sich, die bis zur vorübergehenden Integration in die Lebenswelt anderer Menschen gesteigert werden kann. Diese Möglichkeiten spielen vermutlich eine Rolle für die wachsende Beliebtheit des Haustausches. Der vom Urlaub ausgehende innovative Impuls hat auch dazu geführt, dass der Urlaub heute als unverzichtbarer Bestandteil des Berufslebens angesehen wird und die Einrede der Arbeitgeber in die individuelle Urlaubsplanung als unzulässige Einmischung in die persönlichen Rechte angesehen wird. Urlaub ist damit nicht nur eine Flucht vor dem tristen Alltag sondern wird für viele auch ein vorübergehender Ausstieg aus dem getakteten Industriesystem, in dem der Mensch immer mehr zur anonymen Masse wird, obwohl ihm suggeriert wird, dass sein Konsum ganz individuell gestaltet wird oder doch zumindest die Möglichkeit bietet.

Über Fidelio

Ich bin 1949 geboren und war in meiner berufstätigen Zeit als Stadtplaner in einer mittelgroßen kommune tätig. Seit meiner Studienzeit habe ich mich für die Entwicklung eines erweiterten geistigen Horizonts interessiert und einige Anstrengungen unternommen, mich persönlich in diesem Sinne zu entwickeln. Aufgrund meiner katholischen Erziehung habe ich in den 1960-er Jahren begonnen, mich intensiver mit dem modernen Mystiker Teilhard de Chardin zu befassen und bin so zur Gedankenwelt von Ken Wilber gekommen, die ich in diesem Projekt nutzbar zu machen versuche.
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