Schlussbetrachtung
Gemessen am Ziel der Raumbeobachtung die Grundlage für politische Entscheidungen zur Raumentwicklung bilden, muss das Hauptaugenmerk auf den Diskrepanzen zwischen geographischen Raumeinheiten liegen. In diesem Sinne ist das eindrücklichste Ergebnis die deutliche Abgrenzung der ehemaligen DDR, die sich bereits durch die optische Wahrnehmung aufdrängt und keiner weiteren Nachweise bedarf. Dabei sind drei wesentliche Unterscheidungen zu treffen:
- Kriterien, deren Ausprägung eine Eigenart der ehemaligen DDR erkennen lassen. Dazu gehören die Lebenserwartung der Männer (Grafik 9) und der natürliche Bevölkerungssaldo (Grafik 10), die Einkommenssituation der Privathaushalte und der Gemeinden (Grafiken 16, 17, 39, 41), das Arbeitsvolumen (Grafik 36) und der Ausländeranteil (Grafik 31).
- Kriterien, deren Ausprägung weitgehend unabhängig von der Doppelgeschichtlichkeit der beiden deutschen Staaten bestehen, und eher auf natürliche Standortfaktoren zurückzuführen sind (Küsten, Ressourcen, Flüsse, Gebirge).
- Kriterien, deren Ausprägung weitgehend die auf regionalen Strukturwandel zurückzuführen sind (Ruhrgebiet, Saarland, Stahlstandorte).
Die große Homogenität der östlichen Bundesländer bei durchweg ungünstigeren Strukturdaten und Indikatoren kann nur als Ergebnis der Aufgabe traditioneller Industriekerne gedeutet werden, die keiner Erneuerung zugeführt werden konnten und keine Eigendynamik zeigen.
In der Kombination niedriger Arbeitseinkommen bei gleichzeitig überdurchschnittlichem Arbeitsvolumen zeigen sich Anzeichen des Konzepts der „verlängerten Werkbank“ und entspricht dem zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung präferierten Muster der Wirtschaftsentwicklung. Hierdurch wurde die Entwicklung einer komplexen Wirtschaft mit eigenen Marktzugängen und Produktentwicklungen stark behindert.
Aus der schlechten Wirtschaftsgrundlage der ehemaligen DDR resultieren schwache Einnahmesituationen der Privat- und öffentlichen Haushalte, so dass die Handlungsmöglichkeiten – insbesondere die der Politik – sehr begrenzt sind. Das gilt in besonderem Maße für das unerfahrene Personal populistischer Parteien, das bereits vereinzelt seine Ohnmacht öffentlich eingestehen musste (siehe Landrat im thüringischen Sonneberg).
Auch die in letzter Zeit als große Erfolge herausgestellten Ansiedlungen von Großunternehmen wie Tesla, Infineon und Intel in Brandenburg und Sachsen, die mit Milliardenbeträgen aus Steuermitteln subventioniert wurden, können nicht die Lösung sein, da auch sie keine autonomen Wirtschaftsbetriebe sind und sich innerhalb der Konzernpolitik verhalten müssen. Im Fall von Tesla kommt noch das eigensinnige Verhalten des Konzernchefs hinzu. Allerdings kann angesichts der wirtschaftlichen Situation der ehemaligen DDR durchaus von einer politischen Notsituation gesprochen werden, die außergewöhnliche Maßnahmen rechtfertigen soll. Verantwortungsvolle Politik sieht allerdings anders aus.
Die in der ehemaligen DDR herbeigeführte Situation – vor allem unter politischer Verantwortung der CDU – hat zu einer innenpolitischen Lage geführt, die das gesamte demokratische System des vereinigten Deutschland gefährdet. Diese Einsicht wird von den Spitzenpolitikern der daran beteiligten Parteien keineswegs geleugnet. Sie besitzen allerdings die Arroganz, die Verantwortung hierfür zu leugnen und versuchen eine neue Erzählung von Demokratie zu erfinden, in der Demokratie mit dem Parteiensystem der alten Bundesrepublik gleich gesetzt wird. Politisch hat unter diesen Vorzeichen noch keine Wiedervereinigung stattgefunden.