Demokratie braucht Vielfalt – Vielfalt ist Freiheit

Zur aktuellen politischen Situation

Seit dem Ende der Ampel-Koalition aus SPD-Grünen-FDP hat sich in der öffentlichen Diskussion unterschwellig eine Grundhaltung verbreitet, die suggeriert, die Demokratie sei nun in Gefahr. Diese Haltung basiert auf Meinungsumfragen, die ein Anwachsen der AfD und den spontanen Erfolg der vermeintlich russlandfreundlichen Absplitterung der LINKEN mit der unprogrammatischen Bezeichnung BSW (Bündnis Sarah Wagenknecht) erwarten ließen. Die Erfolge des BSW bei den Landtagswahlen in drei der fünf neuen Bundesländer belegen diesen Trend. Inzwischen stützt sich diese vermeintliche Gefahr auf die Ergebnisse von Meinungsumfragen zur AfD und die Reaktionen der CDU hierauf, die erstmalig eine informelle Zusammenarbeit mit ihr erkennen ließ und damit eine Protestwelle gegen eine – wie auch immer geartete – Zusammenarbeit „demokratischer“ Parteien mit der AfD als Bedrohung der politischen Ordnung auslöste.

Diese Diskussionen spitzten sich immer weiter zu auf die unausgesprochene Annahme, Demokratie sei nur – und ausschließlich – durch die im Bundestag koalitionserprobten Parteien definiert. Damit wird von der Haltung der politischen Meinungsmacher in diesen Parteien eine Entwicklung verdrängt, die seit dem Anschluss der fünf neuen Bundesländer an die alte Bundesrepublik virulent wurde und im Jahr 1992 zu der Schlagzeile in der Zeitung DIE WELT führte: „Staat als Beute der Parteien“ und in der ZEIT war aus einem Gespräch mit dem Bundespräsidenten Richard v. Weizsäcker folgendes  zu lesen: „Nach meiner Überzeugung ist unser Parteienstaat von beiden zugleich geprägt, nämlich machtversessen auf den Wahlsieg und machtvergessen bei der Wahrnehmung der inhaltlichen und konzeptionellen politischen Führungsaufgabe.“ Was der damalige Bundespräsident hier über den Parteienstaat sagte, bezieht sich nicht auf bestimmte Parteien, sondern auf das politische System als Ganzes und muss im Zusammenhang mit den fünf Verfassungsorganen des Grundgesetzes verstanden werden, zu denen weder Parteien noch die Presse zählen.

Dennoch stehen regelmäßig auf den Wahlzetteln zur Bundestagswahl – von der Europawahl ganz zu schweigen – eine Vielzahl kleiner und kleinster Parteien, die es immer wieder oder als Neugründungen versuchen, die 5%-Hürde zu überwinden. Sie geben dem deutschen Regierungssystem letztlich den Anschein, durch faire und demokratische Wahlen in das Amt gekommen zu sein. Tatsächlich wird aber von jeder vorherigen oder neuen Koalition aus maximal vier der als koalitionsfähig erachteten Parteien (CDU/CSU, SPD, GRÜNE, LINKE, FDP) weiter an den dicken Brettern gebohrt, die von der Vorgängerregierung hinterlassen wurden und trotzdem immer dicker werden.

Durch das Scheitern der Ampel-Koalition aus drei Parteien ist nun der Eindruck entstanden, die Weltbilder der Parteien seien doch sosehr verschieden, dass Kompromisse nicht mehr gelingen könnten. In Wirklichkeit handelt es sich jedoch mehr um die Interessen der Parteien mit Blick auf die sich nähernden Wahltermine, als um die staatstragende Verantwortung.

Ein Plädoyer für Vielfalt im Parlament

Grafik 1

Mit der folgenden Untersuchung möchte ich die groben Umrisse des gesamten Parteienangebots zur Bundestagswahl am 23. Februar 2025 skizzieren, um der Fairness gegenüber den kleinen und kleinsten Parteien etwas näher zu kommen und die Chance zu verbessern, das parlamentarische Spektrum aus der Umklammerung durch vampiristische Parteien wie die AfD zu befreien. Gleichzeitig verbinde ich damit den Appell an die im Bundestag vertretenen Parteien, die 5%-Hürde auf 3% abzusenken und sich damit durch die Ermöglichung von Vielfalt aus der Umklammerung durch die AfD und noch weiterer möglicher Nachahmer zu befreien. Den Weg dazu hat das Bundesverfassungsgericht im letzten Jahr geebnet und aus Sicht der politischen Wissenschaft gibt es gute Gründe dafür.

In Grafik 1 ist der Zusammenhang zwischen Wahlbeteiligung und 5%-Hürde gut abzulesen. Der ab dem Jahr 2005 zu sehende Anstieg der Nichtwähler wird begleitet durch einen Anstieg der auf kleine Parteien entfallenden Stimmen, die keine parlamentarische Wirkung entfalten. Ab der Wahl 2013 setzt deine Frustration ein, die zur Abnahme des Anteils sonstiger Parteien geführt hat und den Anteil der Nichtwähler bemerkenswert verringert hat. Das läßt sich damit erklären, dass es sich bei den Wählern kleiner Parteien um gut informierte Wähler handelt, die auf ihr demokratisches Recht nicht verzichten wollten und notgedrungen ein kleineres Übel gewählt haben. Umso stärker viel die Reaktion darauf ab 2017 mit dem erstmaligen Antritt der AfD aus, die zum Sammelbecken für verprellte Wähler vergeblicher Versuche zur Teilhabe an der Politik geworden ist. Wer wirklich am Verschwinden dieses Sammelbeckens unterschiedlichster Zielsetzungen interessiert ist, sollte der Auflösung in viele Gruppeninteressen – trotz schwieriger werdenden Regierungsbildungen – eine Chance geben. Aus solch einem mutigen Schritt könnte auch eine neue und bessere politische Kultur entstehen.

Mit Blick auf die anstehende Bundestagswahl gebe ich nachfolgend einen Überblick über die Parteien nach Kriterien der Integralen Theorie und den in diesem Projekt angewandten Kriterien. Dabei schließe ich die in Nordrhein-Westfalen zugelassenen kleinen Parteien ein, um ihnen in dem o. g. Sinn eine etwas bessere Chance zu geben.

Wegen des großen Umfangs der Daten kann ich hier keine detaillierte Auswertung vornehmen. Ich beschränke mich deshalb auf die stärksten Abweichungen von einem theoretischen Durchschnitt, der bezüglich der Quadranten bei gleicher Verteilung vorliegt und in den Grafiken durch eine Null und die Farbe Beige gekennzeichnet ist. Abweichungen davon sind nach ihrer Stärke durch eine Ziffer und als positiv (grün) oder negativ (rot) gekennzeichnet. Zu den rechten Quadranten ist zu bemerken, dass im allgemeinen ein Wert von minus zwei als normal anzusehen ist. Der Grund hierfür liegt in der Sprech- und Schreibkulturobjektiver“ Aussagen, die durch das Pronomen „Es“ zum Ausdruck gebracht werden und für wissenschaftliche und bürokratische Inhalte typisch sind. In der Alltagssprache tritt dieser Zusammenhang regelmäßig als Defizit auf und zeigt sich auch in Internetabfragen, sofern diese sich nicht auf spezielle Gegenstände beziehen.

Die im 20. Deutschen Bundestag vertretenen Parteien CDU/CSU, SPD, FDP und Linke weisen das Muster eines ausgeglichenen oberen linken Quadranten (Ich, Psyche) bei etwas aktiveren WirBeziehungen (Kultur) und normal defizitären rechten Quadranten (Es, messbare Welt) auf. Lediglich Grüne, AfD und BSW weichen von diesem Muster ab. Die Grünen lassen ein stärkeres Defizit in den rechten Quadranten zu Gunsten des oberen linken Quadranten bei etwas überdurchschnittlichem unteren linken Quadranten erkennen. Beim Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) ist ebenfalls eine stärker defizitäre rechte Seite zu sehen, von der vor allem der untere linke Quadrant (Kultur), aber auch in schwächerem Maße der obere linke Quadrant profitiert. Dagegen stellen sich die Unterschiede bei der AfD zu dem dominierenden Muster der Bundestagsparteien schwächer dar und betreffen lediglich eine gleichmäßige Verteilung des normalen Defizits auf die beiden linken Quadranten.

Bei den kleinen Parteien kommen gehäuft etwas größere Defizite in den Quadranten der rechten Seite vor, die sich unterschiedlich auf die linken Quadranten verteilen. Hierzu gehören Freie Wähler, Gerechtigkeitspartei, Tierschutzpartei, Volt, und Werte-Union. Bei Freie Wähler und Gerechtigkeitspartei führt das zu starken unteren linken Quadranten (Kultur), bei Volt zu mäßiger Betonung des linken unteren Quadranten und leichter Stärkung des oberen linken Quadranten sowie bei der Werte-Union zu mäßiger Betonung des oberen linken Quadranten und leichter Betonung des unteren linken Quadranten. Das starke Defizit der rechten Quadranten bei der Tierschutzpartei ist auf Abrundungsfehler zurückzuführen, so dass beide linke Quadranten leicht erhöht erscheinen.

Die hier nicht erwähnten kleinen Parteien weisen Muster auf, die denen der dominierenden Bundestagsparteien gleichen.

Nachfolgend gebe ich einen Überblick über die Wertewelten (WMeme) der Parteien. Dabei gehe ich von zwei Hauptkriterien aus, die sich auf die drei Hauptsysteme Blau, Orange und Grün beziehen. Zwischen Blau und Grün besteht ein Antagonismus, der stark vereinfacht als Ordnungsfaktor und know how (Blau) versus Wohlfühlfaktor und kollektive Exklusivität (Grün) umschrieben werden kann. Dazwischen agiert Orange als individuelle Freiheit zur Selbstverwirklichung im Rahmen der verfügbaren Ressourcen. Alle drei Systeme zusammen ergeben eine demokratische Ordnung, wobei das in Orange wirkende Prinzip des Erfolgs der Maßstab für das Funktionieren der Entwicklungsspirale ist.

Darüber hinaus spielen die Wertesysteme Gelb und Türkis eine wichtige Rolle für den Ausgleich zwischen den einzelnen Systemen, wobei auch die Realitäten in Beige, Purpur und Rot zu beachten sind.

Die Daten beziehen sich auf die erste Februarwoche und basieren auf Abfragen mit Hilfe der Suchmaschine Google. Anders als im Quadrantenbild zeigen sich hier die Spuren der gereizten Stimmungen zwischen den Bundestagsparteien deutlich. Darum beginne ich in diesem Abschnitt mit einigen Bemerkungen zu Rot. Dieses WMem steht für autoritäre Führer, die unbedingten Gehorsam fordern und vor dem Einsatz von Gewalt nicht zurückschrecken. Im Zusammenhang mit politischen Parteien spielt die Gewaltfrage immer eine besondere Rolle und erfordert erhöhte Aufmerksamkeit. Starke Anteile von Rot zeigen bei FDP, LINKE und BSW Reaktionen an, die im Fall der FDP als Schuldzuweisungen bezüglich des Scheiterns der Ampelkoalition gelesen werden  können und bezüglich LINKE und BSW von dem Zerwürfnis der ehemals vereinten Parteien mitbeeinflusst sein können. Andere Lesarten sind im letzteren Fall ebenfalls möglich, soweit sie die unterschiedliche Haltung zum russischen Überfall auf die Ukraine betreffen oder den Kampf gegen Armut. Starkes Rot gibt es darüber hinaus auch bei DIE BASIS, Gerechtigkeitspartei und Bündnis Deutschland. Auch bei den nicht genannten Parteien sind Spuren von Rot sichtbar.

Das für Deutschland allgemein typische Muster aus deutlich ausgeprägtem Blau bei etwa gleichem oder etwas schwächerem Grün findet sich bei der seit dem zweiten Weltkrieg als staatstragend etablierten Union aus CDU und CSU. Dem hat sich die SPD seit ihrem Godesberger Programm weitgehend angenähert. Die ebenfalls seit dem zweiten Weltkrieg weitgehend in Regierungsverantwort eingebundene FDP befindet sich in einer programmatischen Neuformierung und zeigt deutlich neoliberale Züge, die sich in leicht dominantem Orange und nahezu gleich starkem Blau bei schwachem Grün und sehr starkem Rot zeigen.

Ein ähnliches Bild wie die Union zeigt sich bezüglich der AfD. Der Unterschied zur Union besteht hauptsächlich in einem deutlicher sichtbaren Rot und geringerem Abstand zu Orange. Weitere Parteien mit großen Ähnlichkeiten zu Union und SPD sind Die Partei, Freie Wähler, Volt, PdF und Die Basis.

Außerhalb der eingangs aufgestellten Kriterien befinden sich die Profile von Bündnis Deutschland, Mera25, MLPD, Tierschutzpartei, Gerechtigkeitspartei und Werte-Union.

Diese Übersicht lässt erkennen, dass es in dem Spektrum der kleinen Parteien durchaus politische Potentiale gibt, die unter den Kriterien einer verantwortungsvollen und werteorientierten Politik zur Belebung der Demokratie beitragen können.

In einem weiteren Schritt gebe ich einen Überblick über die Koalitionsmöglichkeiten, wie sie sich nach den Kriterien des von der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) betriebenen Wahl-O-Mat ergeben.

In den Grafiken 2 und 3 sind für die derzeit im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien Prozentwerte für die Übereinstimmung mit anderen Parteien angegeben. Die Prozentangaben sind einer Veröffentlichung der Wochenzeitung DIE ZEIT entnommen und basieren auf dem Wahl-O-Mat der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). Die Werte wurden nach schwachen Übereinstimmungen (<50% rot) und (>50% grün) differenziert. Nach dieser Bewertung wurden aus roten und grünen Feldern Summen für die Parteien gebildet, die unter dem Aspekt der Regierungsbildung einen Wert für die Gunst zur Zusammenarbeit bieten. Das sich daraus ergebende Muster ist in Grafik 2 abzulesen. Hier wird deutlich, dass sich die bürgerlich-konservative Programmatik von FDP, CDU/CSU und ihrer Nachahmerin AfD weitgehend gegenüber den übrigen Parteien abgekapselt hat und wenig anschlussfähig ist. In diesem Ergebnis drückt sich die seit der Gründung der Bundesrepublik bestehende Prägung als Beamtenstaat aus, der weit überwiegend durch die CDU/CSU repräsentiert wird. Im noch existenten 20. Bundestag sitzen 104 Beamte, die zusammen mit anderen im Öffentlichen Dienst Beschäftigten einen Anteil von 29% der Abgeordneten ausmachen. Hinzu kommen 115 Juristen, die teilweise auf diese Zahlen anrechenbar sind und nur nachrichtlich erwähnt werden. Mit dieser Zusammensetzung sind diese Berufsgruppen in einem Industrieland wie Deutschland weit überrepräsentiert.

Auf der Grundlage der Programmaussagen im Wahl-O-Mat der Bundeszentrale für Politische Bildung wurden die Schnittmengen der Parteien in der linken Matrix eingetragen. Die Übereinstimmungen mit anderen Parteien wurden in Prozentwerten ausgedrückt und als positiv (grün) oder negativ (rot) bewertet. Als Grenzwert wurde 50% angenommen. Aus der Addition der so ermittelten Werte für die einzelnen Parteien ergeben sich Gesamtwerte, die ein Maß für die Offenheit für andere Parteien ergeben. Aus der rechts stehenden Grafik ist ersichtlich, dass AfD, Union und FDP die geringste Offenheit zeigen und eine Wagenburgmentalität haben, die es erforderlich macht, das andere Parteien auf sie zugehen oder zum Scheitern der Verhandlungen führen. Dieser Situation wurde bereits in Äußerungen von dem CDU-Vorsitzenden Merz deutlicht, der betonte, er wolle aus einer starken Position heraus über die nächste Koalition verhandeln und die Verhandlungen könnten sich nach der Wahl lange hinziehen. Die Gemeinsamkeit der Demokraten sieht allerdings anders aus!

Über Fidelio

Ich bin 1949 geboren und war in meiner berufstätigen Zeit als Stadtplaner in einer mittelgroßen kommune tätig. Seit meiner Studienzeit habe ich mich für die Entwicklung eines erweiterten geistigen Horizonts interessiert und einige Anstrengungen unternommen, mich persönlich in diesem Sinne zu entwickeln. Aufgrund meiner katholischen Erziehung habe ich in den 1960-er Jahren begonnen, mich intensiver mit dem modernen Mystiker Teilhard de Chardin zu befassen und bin so zur Gedankenwelt von Ken Wilber gekommen, die ich in diesem Projekt nutzbar zu machen versuche.
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