Oligarchen der Demokratie – Ein notwendiger Blick auf die Demokratie

Wenn die Welt in Wehen liegt

Lange habe ich mit der Wahl der Überschrift für diesen Beitrag gehadert. Zunächst kam mir die anstehende Wahl in Deutschland so prägend für die öffentliche Berichterstattung und Diskussion vor, dass sie im Vordergrund stehen sollte. Dann verlagerte sich jedoch mit der Inauguration des neuen US-Präsidenten die Aufmerksamkeit auf die möglichen Folgen, die dieser Wechsel für Deutschland und Europa haben könnte und sicher haben wird. Unter den vielen Meinungsäußerungen und Berichten zum Politikwechsel in Amerika hat mich schließlich ein von der ZEIT dokumentiertes Gespräch mit dem 82 jährigen amerikanischen Gelehrten Richard Sennett von der historischen Tragweite der aktuellen Vorgänge in den USA überzeugt. Er nannte sie „just horror !“ (einfach nur Horror). Nach seinen Worten stehe Deutschland nun in der Mitte eines Konflikts zwischen Putins Russland und Trumps Amerika und er habe den Eindruck, dass die Konsequenzen, die sich daraus ergeben in Deutschland nicht richtig eingeschätzt werden. Trump würde  „nicht das Geringste ausmachen, sollte Deutschland den Bach runtergehen; das würde er als Gelegenheit, als wirtschaftliche Chance sehen.

Die Rückkehr Trumps in das Präsidentenamt sei der Wille des amerikanischen Volkes und sei auf keine Volksbewegung, die dem entgegen gestanden habe, verhindert worden. Daraus folge, dass das aufgeklärte Amerika die Idee der Gerechtigkeit nicht vermitteln konnte und Platon sei demgegenüber Realist gewesen. Daraus folgere jedoch nicht, das gute Führerschaft einen autoritären Charakter erfordere, vielmehr komme es auf Überzeugungskraft an, die dem deutschen Bundeskanzler in seiner Rolle offensichtlich gefehlt habe.

In Sennetts neuem Buch mit dem Titel „Der darstellende Mensch“ schreibt er eine Geschichte der Performance, die erkennen lässt, worauf es im Wettheater der Inszenierungen, körperlicher Gesten, Rollen und Rituale im täglichen Leben ankommt. Dabei bedient er sich u. a. einer Erzählung des deutschen Dichters Heinrich von Kleist mit dem Titel „Über das Marionettentheater„:

Der Erzähler gibt sein Zwiegespräch mit einem wegen seiner Anmut bewunderten Tänzer wieder, den er mehrere Male beim Besuch eines Marionettentheaters gesehen hat. Der Angesprochene schildert ihm, wie sehr er die „natürliche Grazie“ der Bewegungen der Puppen bewundert und welche Lehre er für sich daraus zieht: Es gebe eine natürliche Anmut, die sich in völliger Abwesenheit von Bewusstsein manifestiere.

Abb. 1: „Kapitolinischer Dornauszieher“ im Konservatorenpalast in Rom

Der Erzähler gibt nun seinerseits ein Beispiel: Ein ihm bekannter Knabe habe in einem Augenblick der Figur des Dornausziehers geglichen, aber unter der Kontrolle seines Verstandes die Bewegung in ihrer Schönheit nicht mehr nachahmen können. Der sechzehnjährige Knabe habe diese spontane Anmut vergeblich in seinem Spiegelbild wiederzuentdecken versucht und sie durch diese Bemühung gänzlich verloren. Der Tänzer schildert daraufhin einen Bären, der Fechtstöße sämtlich pariert, ohne wie ein menschlicher Fechter auf Finten zu reagieren.

Im Gespräch wird ausgehend von diesen drei Beispielen die These aufgestellt, dass entweder völlige Abwesenheit von Bewusstsein (wie der „Gliedermann“ des Marionettentheaters) oder ein absolutes, „unendliches“ Bewusstsein (wie ein Gott) das gewünschte „natürlicheVerhalten erzeuge. Vollendete Anmut und Natürlichkeit besitze demnach jemand, der sich entweder völlig unbefangen und unbewusst wie ein Kind verhalte oder aber in Aufhebung der Folgen des Sündenfalls dieses ideale Bewusstsein wiedererlangt habe:

„[…] so findet sich auch, wenn die Erkenntnis gleichsam durch ein Unendliches gegangen ist, die Grazie wieder ein; so, dass sie, zu gleicher Zeit, in demjenigen menschlichen Körperbau am reinsten erscheint, der entweder gar keins, oder ein unendliches Bewusstsein hat, d. h. in dem Gliedermann, oder in dem Gott.“

Der Erzähler zieht daraus die Schlussfolgerung: „Mithin […] müssten wir wieder vom Baum der Erkenntnis essen, um in den Stand der Unschuld zurückzufallen?“ (Zitat:WIKIPEDIA)

Nach Sennetts Auffassung ist das Ergebnis solcher Erkenntnis in dem italienischen Begriff „Sprezzatura“ genannt. Er bezeichnet die Fähigkeit, das Schwere mühelos und elegant aussehen zu lassen.

Die öffentliche Inszenierung Trumps entspricht diesem Bild ganz und garnicht. Sein Vokabular, seine Mimik und Gesten sind voller Gewalt und Hass, humanistischer Geist ist ihm fremd. In allegorischer Weise könnte er dem Bären aus Kleists Erzählung entsprechen. Doch Sennett kann sich mit einem solchen Vergleich nicht anfreunden, er hält Trump zwar für gefährlich aber schlagbar und rät dazu, nicht in seine emotionalen Fallen zu tappen. Er sei immer weggerannt, wenn es um die wirkliche Arbeit ging und habe nichts zu Ende gebracht. „Das Einzige, was er mit ganzem Herzen vorantreiben wird, ist das Projekt seiner Rache: „Seine alten Feinde will er wirklich zur Strecke bringen.“ So hat er seinem früheren Sicherheitsberater John Bolton wegen der Kritik an Trumps Regierungsstil den Schutz durch den Secret Service entzogen und ihn damit in mittelalterlicher Manier für vogelfrei erklärt. Seine Milliardärsfreunde würden sich zerstreiten, sie seien keine Populisten wie Trump, sondern Internationalisten und ständen damit den isolationistischen Tendenzen Trumps im Wege. Deshalb habe Amerika unter Trump keine stabile Regierung und es breche nun eine Zeit des Chaos an. Bereits nach zwei Jahren, wenn die Zwischenwahlen in Amerika stattfinden, sei der Präsident eine „lame duck“ (lahme Ente).

Nach Sennetts Worten ist die Antrittsrede eine Neuauflage seiner Rhetorik aus der ersten Amtszeit 2017 und sei im Stile Adolf Hitlers gehalten, der ebenfalls für sich in Anspruch nahm, ein von Gott gesandter Herrscher zu sein und einem Attentat mit Gottes Hilfe entronnen zu sein. Sehr glaubwürdig wirkt das nicht, wenn man seine Reaktionen auf die Predigt der anglikanischen Bischöfin bedenkt, die er am Tag nach seiner Amtseinführung in einem interreligiösen Gottesdienst hörte und mit einer missbilligenden Mimik während des Gottesdienstes begleitete und nun von der Bischöfin eine Entschuldigung für deren Standpauke verlangt.

Als Antwort auf die von Trump zum wiederholten mal an Europa gerichtete Forderung, für seine Verteidigung im Rahmen der NATO selbst aufzukommen und den hohen Exportüberschuss in die USA auszugleichen, trafen sich am Tag nach Trumps Amtseinführung der deutsche Bundeskanzler und der französische Präsident in Paris. Sie sandten damit ein Zeichen der Stärke nach Washington und betonten, Europa müsse seine eigenen Interessen verteidigen und bekräftigen. Wie beim russischen Präsidenten Putin ist auch bei Donald Trump nicht zu erwarten, dass er sich von solcher Symbolik beeindrucken lässt. Die Wirkung ist deshalb eher als Signal an die europäischen Staaten zu werten und als Aufforderung, mehr Selbstvertrauen in ihre eigene Stärke zu haben, die sich aus der wirtschaftlichen Bedeutung von 450 Mio. Menschen im Verbund der EU ergibt und den Zugang zu den Weltmärkten sichert.

Über Fidelio

Ich bin 1949 geboren und war in meiner berufstätigen Zeit als Stadtplaner in einer mittelgroßen kommune tätig. Seit meiner Studienzeit habe ich mich für die Entwicklung eines erweiterten geistigen Horizonts interessiert und einige Anstrengungen unternommen, mich persönlich in diesem Sinne zu entwickeln. Aufgrund meiner katholischen Erziehung habe ich in den 1960-er Jahren begonnen, mich intensiver mit dem modernen Mystiker Teilhard de Chardin zu befassen und bin so zur Gedankenwelt von Ken Wilber gekommen, die ich in diesem Projekt nutzbar zu machen versuche.
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