Biden oder Trump – Ein integraler Chancenvergleich (IV)

Stolz

Hier handelt es sich um die Wurzelsünde des Enneagramm-Typs Zwei, in dessen Zentrum das Charakterbild des Idols der Ordensschwester Mutter Teresa steht. Die Angehörigen dieser Gruppe setzen ihre Gaben für die Bedürfnisse anderer ein und sorgen sich um deren Gesundheit, Ernährung, Erziehung und Wohlergehen. Sie vermitteln ein Maß von Annahme und Wertschätzung, das anderen helfen kann, an den eigenen Wert zu glauben. Zweier können großzügig teilen und für andere ,,ihr Ietztes Hemd“ hergeben. Sie stehen anderen bei, wenn sie Leid, Schmerz oder Konflikte durchstehen müssen und vermitteln ihnen so das Gefühl, daß jemand für sie da ist und sie annimmt. Sie können dadurch in eine Abhängigkeit geraten, die durch die Dankbarkeit der Menschen entsteht, denen sie helfen und schließlich fordern sie diese auch ein. Oft haben sie dieses Verhalten bereits in ihrer eigenen Kindheit erlernt und sie können Liebe nur geben, wenn sie mit Wohlverhalten erkauft wird. Diese Prozesse laufen meistens sehr subtil ab und werden erst spät erkannt. Wenn ihre Hilfe von den vermeintlich Hilfsbedürftigen abgelehnt wird, empfinden Zweier dies als undankbar und fühlen sich ausgenutzt. Sie sind so in dem Spannungsfeld zwischen Sympathie und Ablehnung gefangen und haben ein feines Gespür dafür entwickelt, wie die soziale Situation für sie steht. Wenn die Menschen in ihrer Nähe diese Reaktionen erkennen, sind Zweier durch ihr Verhalten manipulierbar. In diesen Fällen kann von einem „Helfersyndrom“ gesprochen werden, wie es in medizinischen und sozialen Berufen häufig anzutreffen ist.

Menschen dieses Typs sind relativ leicht dadurch zu erkennen, dass sie einen großen Bekanntenkreis haben und diesen als ihre „Freunde“ bezeichnen – so wie es soziale Netzwerke im Internet für sich nutzen und so Zweier „trainieren„.

Ausgehend von diesen allgemeinen Charakterzügen kann die Sündhaftigkeit der Zwei als ,,aufgeblasenes Selbst„, oder ,,inflationäres Ego“ bezeichnet werden. Ihre Selbstwahr-nehmung ist durch ihre Stellung in ihrem sozialen Netzwerk bestimmt und spiegelt ihr Verhalten als ethischen Wert zurück: ,,Ich bin liebevoller als ihr alle und ich bin unverzichtbar für diese Welt“ (Ebert u. Rohr). Es entsteht so ein System der Selbstreferenzialität, in dem das Ich zu einem Objekt unter vielen anderen wird, „und alles verschwindet im schwindelerregenden Sog der Selbstreferenzialität, aus dem es kein Entrinnen gibt„. (Ken Wilber) Dieser Stolz versperrt den Blick auf das eigene Tun und macht es schwer, sich aus diesem Sog zu befreien.

In der Bilderserie wird Stolz in verschiedenen Erscheinungsformen dargestellt, die seine zeitlose Existenz als menschlichen Charakterzug innerhalb des geschichtlichen Horizonts belegen.

Der Maler Jan van Eyck hat das im Jahr 1437 gemalte Bild 25 dem vor der Madonna mit dem Kind knienden Kanzler des Fürstentums Burgund gewidmet.

Trotz seiner niederen Herkunft, brachte es Nicolas Rolin mit Schläue und Skrupellosigkeit zu einem der mächtigsten Männer seiner Zeit. Unter seinem harten Regiment gedieh das Fürstentum Burgund zur europäischen Großmacht. Sein Seelenheil suchte Nicolas Rolin durch Mildtätigkeit und demonstrative Marienverehrung zu sichern. Dass sich Demut und Stolz dabei die Waage hielten, beweist dieses Porträt. Hierzu ist die für diesen Typus des Stifterbildes übliche Bildsprache zu lesen, wie sie durch die wesentlichen Merkmale in einer Bildbeschreibung von Rose-Marie und Rainer Hagen gegeben wird: „Mit gefalteten Händen kniet ein älterer Mann im Gebetsstuhl vor der Jungfrau Maria. Ein schwebender Engel hält eine goldene Krone über das Haupt der Himmelskönigin, auf deren Schoß das Christkind thront. Es trägt als Zeichen seiner Herrschaft einen Reichsapfel aus Kristall in der einen Hand und erteilt mit der anderen dem Knieenden seinen Segen. Das Licht der untergehenden Sonne beleuchtet diese fromme, ans Jenseits gemahnende Szene.“ In dieser Szene ist die Verbindung zwischen Rolins irdischem Streben nach Macht und seinem erhofften Heil durch die Anbetung der Mutter Gottes hergestellt und stellt die Eckpfeiler der Persönlichkeit Rolins dar, zu denen auch die geübte Mildtätigkeit gehörte.

Das genannte Autorenpaar geht aber darüber hinaus und sieht in dem Bild den Anbruch
einer neuen Zeit dargestellt, da die in diesem Typ von Bildern sonst übliche Abbildung eines Heiligen als Verbindung zwischen irdischer und göttlicher Sphäre fehle. Darüber hinaus seien auch die Figuren der Muttergottes und Rolins in gleicher Größe und auf gleicher Ebene dargestellt.

In Bild 26 sind die von Albrecht Dürer geschaffenen Darstellungen der vier Apostel in einem Bild zusammengefasst. Es geht hier weniger um einen im Bild ablesbaren Stolz, sondern um die Geschichte der Bilder im Leben des Malers und die Rolle des Stolzes in dessen Leben. Dürer war schon zu Lebzeiten ein angesehener und wohlhabender Mann. Sein Vater besaß eine Goldschmiedewerkstatt und nahm seinen Sohn in die Lehre. Diesen zog es jedoch zur Malerei und grafischen Kunst hin.

Er berichtete gern in Briefen über seine Arbeiten und hielt dabei auch nicht mit Stolz zurück. Um so mehr muss es ihn getroffen haben, dass zu jener Zeit aus zahlreichen Städten Bilderverbote und Bilderstürme berichtet wurden. Als seinen Beitrag im Widerstand gegen diese Tendenzen schenkte Dürer dem Rat der Stadt Nürnberg sein Bild der vier Apostel, jedoch mit dem Wunsch, „die Tafeln sollten zu ’seinem Gedächtnis‘ im Rathaus aufgehängt werden. Während der nächsten 1oo Jahre erhielten sie einen Ehrenplatz in der oberen Regimentsstube, bevor sie 1627 auf Druck des bayerischen Kurfürsten MaximiIian I. nach München kamen. Sie waren Ausdruck eines in Deutschland neuartigen Künstlerstolzes – und, zur Zeit lhrer Entstehung, ein lautes Religionsfanal!“ (Zitat: Norbert Wolf: Albrecht Dürer – Das Genie der deutschen Renaissance. Taschen, Köln u. a. 2006)

Bei der in Bild 27 von dem spanischen Maler Francisco de Goya abgebildeten Frau in stolzer Körperhaltung handelt es sich um die Herzogin von Alba – der nach der Königin mächtigsten Frau Spaniens. Wie diese dominierte sie neben ihrem Mann in einer für Spanien untypischen Verbindung zwischen Männern und Frauen. Ihr wurden Schönheit, Volkstümlichkeit, Grazie, Reichtum und Adel zugeschrieben und machten sie in diesem positiven Sinn zu einer öffentlichen Person, über die man sprach. Dabei spielte auch ihre Verbindung zu dem Hofmaler Francisco Goya eine Rolle.

Durch die französische Revolution geriet Spanien in die Not, sich zu den außenpolitischen Konsquenzen neu zu positionieren. Gleichzeitig blieben auch die neuen Ideen aus Frankreich nicht ohne Folgen in Spanien, wo sich rasch eine frankreichfreundliche, aufklärerische Partei bildete, die einen modernen Staat zum Ziel hatte, jedoch einer starken Gegenbewegung gegenüberstand. Letztere wurde von der Herzogin von Alba angeführt, die den traditionellen Sitten des Volkes neue Bedeutung gab, indem sie statt der Salons die Stierkampfarena besuchte. Statt Pariser Garderobe zeigte sie sich nun in schwarzem Rock und Spitzenmantilla, den Arm herausfordernd in die Hüfte gestützt, wie in Goyas Portrait zu sehen ist. Goya folgte dabei ganz dem spanischen Stil, der ein unbewegtes Gesicht und eine stolze aufrechte Haltung forderte.

In den Motiven der Bilder 28 und 29 sind zwei Kinder porträtiert, die ebenfalls die Merkmale einer stolzen Haltung durch aufrechte Körperhaltung und in den Hüften abgestütztem Arm zeigen. Dabei sind große Unterschiede in der Motivwahl festzustellen. Das erste Bild wurde 1642 von dem in Neapel arbeitenden spanischen Maler Jusepe de Ribera im Stil des Barock gemalt, dagegen wurde das zweite Bild 1876 – also ca. 230 Jahre später – im impressionistischen Stil gemalt. Dieser Vergleich macht deutlich, dass die Malerei über die Jahrhunderte festen Regeln folgte, die selbst so gravierende Erschütterungen wie die französische Revolution und der Durchbruch des Impressionismus nicht gänzlich aufheben konnten. Es wird aber auch deutlich, dass der Blick des 17. Jh. den Menschen in seinem Leid und seiner Not nicht ignorierte, wie es in der stürmischen Entwicklung des 19. Jh. der Fall war, als sich das bürgerliche Ideal herausbildete. Trotz seiner unästhetischen Behinderung durch den Klumpfuß und der armseligen Habe, die Platz in dem kleinen Beutel hat sowie der verschlissenen Kleidung lässt der Maler die Würde des lächelnden Jungen erkennen.

In dem 1893 aufgenommenen Bild 30 kündigt sich mit den Grubenarbeitern und ihrem Pferd das aufkeimende Selbstbewusstsein des arbeitenden Menschen an, der mehr und mehr die neue Rolle der Arbeit als Teil der Würde des Menschen begriff und in diesem Bild die Pose des Stolzes einnimmt. Doch was macht diesen Stolz aus? Dafür kann es viele Gründe geben, angefangen bei der gelungenen Beherrschung der Natur – wie dem Pferd im Bild, die Bewegung und Gestaltung der Materie mittels Maschinen, wie auch die Herstellung der Maschinen selbst, die handwerkliche Fertigung von Gegenständen und nicht zuletzt die Hilfe für andere Menschen, wie eingangs beschrieben. Allgemein gesagt kann der Mensch auf alles stolz sein, was er erreichen will, egal ob andere das Ergebnis für wichtig halten oder nicht, – auch das entspricht der Selbstreferenzialität und stellt eine Falle dar, die auch als Hybris bezeichnet wird.

Zum Abschluss noch ein Hinweis zu diesem Aspekt aus dem historischen Lexikon des Fürstentums Liechtenstein: „In den hierarchisch aufgebauten Gesellschaften der Antike waren Arbeit und Arbeitende verachtet, vor allem körperliche Arbeit galt als Zeichen der Unfreiheit. In der nach Ständen gegliederten Gesellschaft des Hochmittelalters (10./13. Jahrhundert) galt Arbeit als die Aufgabe des untersten Stands, der Bauern (laboratores). Diese hatten die beiden höheren Stände, den Wehrstand (bellatores) und den Klerus (oratores), zu erhalten. Arbeit galt als minderwertig. Schon gemäss dem Alten Testament hatten Adam und Eva seit der Vertreibung aus dem Paradies arbeiten und ihr Brot im Schweisse ihres Angesichts mit Arbeit verdienen müssen. Auch sollte Arbeit für den Nächsten und um Gottes Lohn geleistet werden. Mönchen und Nonnen diente Arbeit als Demutsübung und zur Vermeidung des Müssiggangs. Der klösterliche Grundsatz ora et labora (bete und arbeite) weist darauf hin, dass der Weg zu Gott über Gebet und Arbeit führe.“

Der Burj Khalifa (Bild 31) steht in Dubai und ist seit 2008 das höchste Gebäude der Welt. Es ist Ausdruck des Reichtums in den ölexportierenden Staaten und Symbol menschlicher Hybris. Wie jeder Exzess von Hybris ist er an eine vorläufige Grenze gestoßen, die nicht im Objekt selbst liegt, sondern in den finanziellen Rahmenbedingungen unter denen solche Immobilien geplant werden. Zwar konnte der Burj Khalifa noch durch zusätzliche Finanzhilfen aus den arabischen Emiraten fertiggestellt werden, jedoch wurde das noch höhere Nachfolge-Projekt  Nakheel Tower wegen der internationalen Finanzkrise im Jahr 2008 auf unabsehbare Zeit verschoben. Damit ist der treibende Faktor der menschlichen Entwicklung benannt, der bereits von Goethe benannt wurde: „Nach Golde drängt, Am Golde hängt Doch alles. Ach wir Armen!“ (Goethe, Faust. Der Tragödie erster Teil, 1808. Abend, Margarete mit sich allein)

Eine fremde Welt erscheint am Schluss der Bilderserie als Bild 32 mit der amerikanischen Flagge und einem Rucksackträger in seltsamer Kleidung. Das Bild gibt keine Hinweise auf den Ort der Aufnahme, manche behaupten es sei in einer Wüste aufgenommen, die meisten Medien sagen, es sei auf dem Mond aufgenommen. Mir ist es egal, wo es ist. Ich weiß nur, dass zur Zeit sehr viel Geld dafür ausgegeben wird, wieder auf den Mond zu fliegen – obwohl 52 Jahre niemand von uns Erdenbürgern mehr dort war. Und jetzt hat man große Schwierigkeiten damit das zu wiederholen?

Worum es hier bei dem Bild geht ist der Stolz einer Nation, die es als erste geschafft hat, auf dem Mond zu landen. In Wirklichkeit ging es 1969 – also vor 55 Jahren – um den Beweis, gegenüber dem System-Rivalen Kommunismus russischer Prägung zu beweisen, dass das kapitalistische System leistungsfähiger ist. Das Bild zeigt die oben erläuterte Konsequenz der permanenten Selbstreferenzialität, die den Menschen den Objekten ausliefert. Nicht der respektvoll vor der Flagge stehende Astronaut ist nicht stolz auf seine Leistung als einer der ersten Menschen auf dem Mond zu sein, sondern auf die Nation, der er angehört und die durch die Flagge symbolisiert wird. Damit ist er stolz auf alles, was diese Nation ausmacht. Dazu gehören auch Todesstrafe, schamlose Ausbeutung natürlicher Ressourcen, Rassismus, MeToo und viele andere moralische Verfehlungen. Die Menschen sollten sich bewusst sein, dass im Nationalismus alles das unterstützt wird, was den Interessen kleiner Machteliten dient.

Wird fortgesetzt!

Über Fidelio

Ich bin 1949 geboren und war in meiner berufstätigen Zeit als Stadtplaner in einer mittelgroßen kommune tätig. Seit meiner Studienzeit habe ich mich für die Entwicklung eines erweiterten geistigen Horizonts interessiert und einige Anstrengungen unternommen, mich persönlich in diesem Sinne zu entwickeln. Aufgrund meiner katholischen Erziehung habe ich in den 1960-er Jahren begonnen, mich intensiver mit dem modernen Mystiker Teilhard de Chardin zu befassen und bin so zur Gedankenwelt von Ken Wilber gekommen, die ich in diesem Projekt nutzbar zu machen versuche.
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