Lüge und Betrug
Mit dieser Wurzelsünde setze ich die Besprechung der wichtigsten Wurzelsünden des Enneagramms im Bezug auf den englischen Sprachraum fort. Lüge und Betrug rangieren in der Übersichtsgrafik der Wurzelsünden (Grafik 3) hinter Angst, Gier und Stolz auf dem vierten Platz, jedoch ist etwa seit dem Jahr 2020 eine deutliche Anstiegstendenz zu sehen, die als Bekräftigung der hervorgehobenen Rolle zu lesen ist, die diese Wurzelsünde für die USA als Führungsmacht des demokratischen Westens spielt.
Der Erfolgsdruck, unter dem die wirtschaftlichen und politischen Eliten der USA aufgrund des hohen Anspruchs und der militärischen Konkurrenz mit weiteren Atommächten – insbesondere Russland – steht, führt zu einem großzügigen Umgang mit der Wahrheit und subtilen Schönfärbereien. Dieses gelingt jedoch seit dem Irakkrieg 2003 immer weniger, da die Schattenseiten und Kriegsfolgen nicht in einem akzeptablen Verhältnis zu den Kriegszielen stehen. Dabei ist entscheidend, ob die übernommene Rolle als demokratische Führungsmacht von der internationalen Staatengemeinschaft bestätigt wird oder ob es konkurrierende Meinungsbilder gibt. Eine wichtige Rolle spielen dabei Abstimmungen zu Resolutionen in der UN-Vollversammlung, die seit einigen Jahren nach zustimmenden und ablehnenden oder enthaltenden Staaten ausgewertet werden. So wird die UN zu einem Stimmungsbarometer der Staatenwelt und gewinnt so mittelfristig an Bedeutung, obwohl diese in der Zeit des kalten Krieges verloren gegangen iat.
In der integralen Sichtweise von Ken Wilbers Schema geht es hier um den oberen linken Quadranten, der die individuelle Moral betrifft und mit den Begriffen Wahrhaftigkeit oder Aufrichtigkeit bezeichnet werden kann. Es geht hier nicht um die Feststellung objektiv-individueller Wahrnehmungen sondern um Fragen der Integrität von Personen, die Fragestellung lautet: Wenn ich dir sage, dass es draußen regnet, sage ich dann die Wahrheit oder lüge ich? Dabei bleibt zunächst offen, ob es in der Person Gründe gibt, die mich an der Urteilsfähigkeit dieser Person zweifeln lassen. Wer einen Blinden nach der Farbe eines Gegenstandes fragt, kann nicht erwarten, eine allgemein gültige Beschreibung hiervon zu erhalten. Dennoch kann die Wahrhaftigkeit des Blinden außer Zweifel stehen.
Es kann aufgrund der weitreichenden wissenschaftlichen Durchdringung der Lebenswelt unterstellt werden, dass die Lüge bezüglich objektiv überprüfbarer Tatsachen im Verhältnis zu dem oben beschriebenen moralischen Kern der Lüge nur noch eine geringe Bedeutung hat. Überwiegend wird es sich dabei um willentlich und gezielt vorgenommene Manipulationen handeln, die in den meisten Fällen als Betrug bezeichnet werden können. Wegen der fundamentalen Rolle der Lüge im gesellschaftlichen Verhalten der Menschen unterliegen viele Beziehungen zwischen Individuen und Organisationen Kodifizierungen und werden dadurch nicht durch den Begriff Lüge oder Betrug erfasst und können den im Vergleich zur Angst geringen Anteil am Gesamtbild der Wurzelsünden erklären. Darüber hinaus ist die Lüge stark tabuisiert, da sie als Werkzeug des Teufels gilt und in vielen Erscheinungsformen unter Strafandrohung steht.
Bezeichnenderweise fängt im christlichen Verständnis die Geschichte des Menschen mit einer Lüge an, die seitdem als Ursprung des Bösen gilt. Es war die Schlange – wie der Mensch ein gottgeschaffenes Wesen – , die gegen die göttliche Ordnung des Paradieses verstieß und Adams Alter Ego Eva dazu verführte, die verbotene Frucht vom Baum der Erkenntnis zu essen. Das gelang ihr durch das Argument, erst durch die Frucht des Baumes sei sie in der Lage, Gut und Böse – und damit den Sinn des göttlichen Verbots erkennend – zu unterscheiden. Dabei erdreistete sich die Schlange, die Strafandrohung Gottes im Falle der Mißachtung seines Verbots in Abrede zu stellen. Vereinfacht gesagt handelt es sich in dieser Geschichte um den Ungehorsam der Schlange und der Menschenkinder gegen ihren Schöpfer und das Grundproblem allen Glaubens – der Theodizee – und soll an dieser Stelle nicht vertieft werden.
Analog zur Wurzelsünde „Angst“ werden nachfolgend wichtige Aspekte der Lüge durch ein Tableau von 8 Bildern gegliedert und besprochen.
Die in den Bildern 9 bis 16 dargestellten Situationen belegen die vielfältigen und geschichtsprägenden Gesichter von „Lug und Trug„. In Bild 9 ist eine Geschichte aus der Mythologie aufgegriffen worden, die als Gründungsereignis des europäischen Kontinents erzählt wird. In dieser Geschichte geht es um eine Entführung durch den griechischen Göttervater Zeus. Um sich unbemerkt von seiner eifersüchtigen Frau der schönen Europa – einer Tochter des Königs Agenor – zu nähern, verwandelt er sich in einen Stier und nähert sich am Meeresufer der Prinzessin. Durch Schönheit und Sanftheit gewinnt er ihr Vertrauen. Europa lässt sich auf seinem Rücken nieder und Zeus bringt sie über das Meer nach Kreta.
In dieser Szene ist der oben herausgestellte Bedeutungsgehalt der Lüge als Mittel zur Verschleierung des persönlichen Charakters in seinem Kern getroffen. Es wird wohl nicht allein die eifersüchtige Frau des Zeus sein, die ihn zu der List bringt, auch der Ruf der Götter als unberechenbare Schicksalsbringer könnte ein Grund gewesen sein, die wahre Identität zu verschleiern.
Bild 10 führt in die Entstehungszeit der christlichen Kirche im 4. Jh. zurück. Das abgebildete Fresko in der Silvester-Kapelle der Basilika Santi Quattro Coronati stellt den gerade vom Aussatz geheilten römischen Kaiser Konstantin auf dem Thron sitzend dar. In der Szene überreicht er Silvester die Papstkrone (Phrygium als Vorgängerin der heutigen Tiara) und überträgt ihm weitreichende Rechte, die ihm großen Einfluss auf die politische Gestaltung der mittelalterlichen Welt gewährte (Konstantinische Schenkung). Laut des urkundlichen Nachweises wird dem Papst Silvester I. (Pontifex von 314–335) und seinen sämtlichen Nachfolgern eine auf geistliche Belange gerichtete, jedoch zugleich politisch wirksame Oberherrschaft über Rom, Italien, die gesamte Westhälfte des Römischen Reiches, aber auch das gesamte Erdenrund übertragen. Wie sich durch Forschungen von Lorenzo Valla und des Theologen und ersten deutschen Humanisten Nikolaus von Kues im 15. Jh. herausstellte, handelte es sich bei dieser Urkunde um eine Fälschung, die etwa im 8. Jh. erstellt worden war, um die politischen Verhältnisse in Westeuropa zu beeinflussen. Zu jener Zeit bedurften die römischen Päpste einer Schutzmacht, die sie sich in den aufsteigenden Franken erkoren indem sie ihnen den Königstitel übertrugen und mit der Krönung Kaiser Karls (dem Großen) sakral untermauerten. Im Gegenzug erhielten die Päpste das Territorium des Kirchenstaats zugewiesen. Durch die Verquickung weltlicher und geistlicher Macht wurde der Papst in politische Geschäfte verwickelt und in Konkurrenz zum Kaiser gesetzt. Durch diesen Konflikt wurde die mittelalterliche Kultur dauerhaft beeinflusst.
Dieses Beispiel zeigt, welchen Einfluss betrügerische Manipulationen auf den Lauf der Geschichte haben können und wie sich Gewichte zwischen Interessengruppen kurzfristig verschieben lassen. Als aktuelles Beispiel weise ich auf die Finanzindustrie hin, die sich weitgehend von anderen Wirtschaftsbereichen abgekapselt hat und betrügerische Dimensionen entwickelt hat, die bis vor kurzem kaum vorstellbar waren (siehe Wirecard und Dividendenstripping).
Die in Religionsgemeinschaften praktizierte Lossprechung von der Schuld der Ursünde (Erbsünde) hat zu Nachahmung in anderen Gemeinschaften geführt, die auf einer spezifischen Urlüge basieren, deren Akzeptanz als Wahrheit es bedarf, um dazuzugehören oder aufgenommen zu werden. Solche Urlügen können kriminelle Aktivitäten oder moralisch verwerfliches Verhalten sein, wie es von Jugendgangs bekannt ist.
Eine lange Tradition hat auch das in Bild 11 zu sehende Falschspiel mit gezinkten Karten, wie aus diesem Bild hervorgeht. Es ist dem Maler Caravaggio zu verdanken, dass er auch die über die Leidenschaft des Kartenspielers hinausgehende moralische Verfehlung beim Kartenspiel sichtbar werden lässt und die hiermit im Zusammenhang stehende Situation genau analysiert. Sebastian Schütze, der Autor der Caravaggio-Werkausgabe aus dem Verlag Taschen beschreibt, wie der konzentriert auf sein Blatt schauende Spieler links von seinem im rechten vorderen Bildgrund stehenden Gegenüber und dessen Komplizen betrogen wird: Die beiden Falschspieler, durch ihre auffallend farbenprächtige Gewandung als bravi – den Zeitgenossen wohlvertraute, für ihren skrupellosen, wenig moralischen Lebenswandel bekannte Glücksritter – charakterisiert, nutzen Naivität und Unerfahrenheit ihres Mitspielers. Das dunkelrote Samtgewand und die feinen Züge des Gesichtes machen deutlich, dass dieser einer höheren sozialen Schicht angehört. Besonders auffällig ist der Kontrast zu dem dunkleren Inkarnat und der karikaturhaft übersteigerten Mimik des seitlich hinter ihm stehenden älteren Mannes. Der Handschuh der erhobenen rechten Hand weist auffallende Löcher auf, die es dem Falschspieler ermöglichen, markierte Karten mit den Fingerspitzen zu erkennen. Caravaggios Protagonisten weisen deutlich Porträtzüge auf und verkörpern doch exemplarisch Typen des Guten und Bösen. Sie agieren wie Schauspieler auf einer Bühne und beziehen in diese Inszenierung den Betrachter unmittelbar ein, der alleine gewahr wird, wie der Falschspieler im Vordergrund mit seiner rechten Hand zusätzliche Karten aus dem Gewand zieht. Schütze weist auf die Impulse hin, die der Maler aus der Lombardei erhalten hat und diese zur Steigerung seines künstlerischen Ausdrucks nutzen konnte. Nicht nur die beeindruckende Wirkung auf den Betrachter war neu in dieser Malerei des frühen Barock, sondern Caravaggio schuf mit den Bildern der „Kartenspieler“ und „Wahrsagerin“ eine völlig neue Art von Genrebildern die den Anschluss der Malerei an das zeitgenössische Theater der Commedia dell’Arte suchte.
Die enorme Wirkung der von Caravaggio geschaffenen Bildkompositionen ist an zahlreichen zeitgenössischen Bildkopien – vor allem der „Kartenspieler“ – nachgewiesen. Das von Caravaggio eingeführte Genre wurde von französischen und niederländischen Malern aufgegriffen und zu einer eigenständigen Bildgattung weiterentwickelt.
Das Bild „Die Kartenspieler“ zeigt den niederschwelligen Zugang zu Räumen, in denen sich auf dem Boden der Täuschung und der Lüge unterschiedliche soziale Schichten begegnen konnten, ohne äußerliche Erkennungszeichen des Standes abzulegen und damit ein Einverständnis mit den verführerischen Gepflogenheiten der Lokalität zu erklären.
Die Fälscherwerkstatt in Bild 12 weist auf eine spezielle Form des Betrugs hin, die gegen den Staat gerichtet ist, ohne dieses offen zum Ausdruck zu bringen. Sie bedient sich dabei einer Vielzahl – meist ahnungsloser – Besitzer des Geldes, die auf die gesetzlich festgelegte Funktion als Zahlungsmittel vertrauen. Diese Garantie gilt jedoch nur für echtes Papiergeld und echte Münzen. Die wissentliche Weiternutzung von Falschgeld ist strafbar und führt ab der Inbesitznahme zum Verlust des aufgedruckten oder aufgeprägten Geldbetrags.
Das Risiko, die Herstellung oder Verbreitung von Falschgeld unentdeckt betreiben zu können, ist durch umfangreiche Sicherungsmaßnahmen im EURO-Raum sehr gering. Der Anteil von Falschgeld an der umlaufenden Geldmenge ist daher auf einen geringen Prozentsatz geschrumpft. Geldfälschung ist wegen hohen technischen Aufwands nur noch mit professioneller Werkstatteinrichtung möglich oder auf ausländische Währungen beschränkt, die geringere technische Anforderungen mit sich bringen. Überraschend ist in diesem Zusammenhang die hohe Falschgeldrate von Dollarnoten, die außerhalb der USA im Umlauf sind und einen Falschgeldanteil von ca. 60% haben sollen.
Eine besondere Bedeutung kommt der Geldfälschung als Mittel der Kriegführung zu. Als bisher best dokumentiertes Beispiel ist die Aktion Bernhard zu nennen, die das Ziel verfolgte, die Wirtschaft Englands erheblich zu stören und dem Nazi-Regime Zugang zum internationalen Finanzmarkt zu sichern.
Auf die aktuelle Situation bezogen kann die Fälscherwerkstatt als Symbol für die Kriegführung mit Mitteln der Volkswirtschaft und der Finanzwirtschaft in umfassenden Sinn gelesen werden. Hierzu gehören Embargos, Kontosperren, Sperrung des Luftraums und der Häfen und Beschlagnahme von Privatvermögen gegnerischer Politiker und Wirtschaftsführer. Dabei sind auch Währungsmanipulationen nicht ausgeschlossen. Letztere sind heute jedoch wahrscheinlich wegen der Deregulierung der Finanzmärkte wesentlich schwieriger durchzuführen. Ein Beispiel hierfür sind die vermutlich von Nordkorea in Umlauf gebrachten Superdollar.
Einen direkten Zusammenhang zwischen Kunst und Fälschung gibt es auf dem Gebiet der Kunst– und Dokumentenfälschung, ebenso bei der Herstellung von Druckvorlagen für Falschgeld. Der Fall des Geldfälschers Hans-Jürgen Kuhl zeigt, dass auch heute noch mit Geldfälschungen zu rechnen ist. Die vielseitige Kenntnis und die Präzision mit der Künstler Kunst- und/oder Geldfälschungen durchführen können nötigen selbst spezialisierten Ermittlern Achtung vor der Qualität der Fälschungen ab. Der Fall des Kunstfälschers und Künstlers Wolfgang Beltracchi zeigt, dass Fälscher nicht nur fähig sind, reproduktiv großes zu schaffen, sondern auch in der Lage sind, künstlerisch zu arbeiten. Das führt zu der Frage, was überhaupt Kunst und Künstler ausmacht. Diese Fragen müssen unter verschiedenen Gesichtspunkten geklärt werden und sollen hier nur soweit angesprochen werden, wie sie sich an das Bild des Geldfälschers anknüpfen lassen.
Das Bild ist in einer Zeit entstanden, als die herrschenden Beziehungen zwischen Staat, Künstler und Kunstwerk ausgehend von Frankreich durch die Maler infrage gestellt wurden. Maßgebend war – offiziell verkündet durch Ludwig XIV. -, was dem höfischen Kunstgeschmack entsprach und in der regelmäßig stattfindenden Kunstausstellung – dem Pariser Salon – ausgestellt werden durfte. Daraus ergab sich, wer als Künstler gesellschaftlich anerkannt war und Zugang zum europäischen Kunstmarkt hatte. Während des Salons im Jahr 1855 wurden nahezu 900.000 Besucher gezählt und 1880 stellten 5184 Künstler 7289 Exponate aus. Danach gab es keinen Pariser Salon mehr, da neben dem Salon eine Künstlerbewegung entstanden und erstarkt war, die sich auch in die europäischen Nachbarländer und überseeische Gebiete ausbreitete. Damit wurde die seit der Antike festgeschriebene Rolle der Kunst als Dienerin des Herrschaftssystems abgelöst durch das Genie des Künstlers, dessen höchstes Ziel es ist, sich selbst in seinem Werk zu transzendieren. Zurückschauend wäre die Kunst bis zu diesem Durchbruch eine einzige Lüge und Verfälschung der Realität einschließlich der des Künstlers gewesen, wenn dieser sich nicht selbst den notwendigen Freiraum erschaffen hätte, der neben seinem Förderer und Auftraggeber genug Möglichkeiten der Selbstverwirklichung geboten hatte.
Bild 13 ist das Werk des zu den „Nabis“ (Propheten) zählenden Malers Pierre Bonnard. Die Maler dieser Gruppe wollten dem Impressionismus, der als Wegbereiter der neuen Malerei mit den Stimmungen des Lichts arbeitete, eine religiös-mystisch bestimmte Malerei entgegensetzen, die von intensiver Farbigkeit und flächig-dekorativer Form bestimmt war. Edwin Mullins, der Initiator und Autor der Fernsehreihe „100 Meisterwerke“ beschreibt Bonnards Bild „Akt im Gegenlicht“ als Bestandteil eines gemalten Prozesses, in dem der Maler seine Frau Mathe über eine Zeitspanne von 40 Jahren immer wieder gemalt hat. Der Wandel des Motivs vom auf dem Bett ausgestreckten Körper voll sexueller Erwartung bis zum im Gegenlicht am Fenster stehenden Körper, der nun von Licht und Schatten geliebkost wird und von einer Liebesbeziehung zu ihrem Mann nichts mehr erahnen lässt, steht für das Verhältnis der Nabis zur Wirklichkeit. In diesem Prozess bewirken Motiv und Maler in einer wechselseitigen Beziehung Veränderungen, die Mullins hier bezüglich der Farben beschreibt: „Bonnards Farben wurden über die Jahre zu Farben seines Inneren; sein inneres Auge erblickte sie. Er malte, was er als richtig empfand und nicht, was er sah, wie es die Impressionisten taten. In Bonnards Farben ist eine Freiheit und ein Wagemut, zu denen die Impressionisten selten vorstießen. Er selbst soll gesagt haben, „il faut mentir“ — ein Maler muß lügen. Aber was für eine Lüge? Was meinte er damit? Er meinte wohl, daß für einen Maler nichts ganz dasjenige ist, was es zu sein scheint. Licht ist nicht etwas, das nur gerade beleuchtet, was vor unseren Augen ist, wie die Impressionisten glaubten. Licht ist ein Rauschmittel, das — nimmt man nur genug davon — im inneren Auge eine ganz neue Wirklichkeit schafft, die mit der objektiven Welt, die wir um uns sehen, kaum noch etwas zu tun hat. Licht hat die Wirkung einer Droge.“
Puck war das erste erfolgreiche Satiremagazin des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts in den USA. Es enthielt Cartoons, Karikaturen und politische Satire. Das Magazin erschien von 1871 bis 1918. In Bild 14 ist das Titelblatt der Ausgabe vom 07.März 1894 abgebildet. Zu dieser Zeit fand als weltgeschichtliches Ereignis der japanisch-chinesische Krieg statt. Die Bedeutung dieses Bildes ergibt sich aus dem marktschreierisch verwendeten Begriff „fake news„, der in eine Linie gestellt ist mit den alternativen Begriffen „humbug news“ und „cheap sensation„. Durch die Eindeutschung dieses Begriffs aus dem Englischen wurde das deutsche Wort „Zeitungsente“ weitgehend aus dem Sprachgebrauch verdrängt. Gleichzeitig hat eine Verschiebung seines Bedeutungsgehalts stattgefunden. Während die Zeitungsente im Duden noch synonym für „Falschmeldung“ steht, umfasst Fake News daneben auch die Bedeutung von Lüge und Unwahrheit und eröffnet damit auch die Verwendung im allgemeinen Sprachgebrauch, da die im Wortteil „…meldung“ eine Einschränkung auf die Presse enthalten ist. In diesem Zusammenhang ist es von wesentlicher Bedeutung, dass die Falschheit der Meldung eingestanden wird und zu einer Berichtigung führt. Darüber hinaus herrscht in der englischen Sprache bezüglich des Bedeutungsfeldes eine größere Vielfalt und damit eine Unschärfe, die es im Deutschen nicht gibt. Es besteht seitens der Verbreiter von fake news auch der Anspruch eine „alternative Wahrheit“ zum Ausdruck zu bringen, die keine Berichtigung nach sich ziehen soll. Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass sich mit zunehmendem Gebrauch des Wortes eine Annäherung an den englischen Begriff einstellt.
Das Thema von Bild 15 schließt nahtlos hieran an. Es handelt sich um ein Pressefoto von 1917. Geleugnete Verbrechen, verschwiegene Verluste, unterstellte Gräueltaten – so dreist wie heute in Russland Nachrichten gefälscht werden, wurde zum ersten Mal vor mehr als 100 Jahren im ersten Weltkrieg gelogen. Neu daran ist im historischen Vergleich allein die Geschwindigkeit, mit der sich die Lügen über digitale und analoge Kanäle verbreiten. Neu sind vor allem kaum zu kontrollierende Echtzeitplattformen wie TikTok und Telegram, und neu ist die unüberschaubare Menge an teils schwer zu verifizierendem Bildmaterial. Das Bild mit dem Titel »Over the Top« stammt von dem australischen Fotografen Frank Hurley und wurde aus 12 Negativen montiert. Es zeigt im Vordergrund eine Übung der Alliierten Gegner Deutschlands weit hinter der Front, die ihre Überlegenheit demonstrieren soll. Nie zuvor, und kaum jemals danach, ist so viel und so dreist gelogen worden wie zwischen 1914 und 1918. Es war der erste große Krieg, den alle Seiten auch als Medienschlacht um die Moral der Bevölkerung führten. Die Propaganda wurde zur entscheidenden Waffe – und die Lüge zu ihrer schärfsten Munition.
Der britische Unterhausabgeordnete Arthur Ponsonby schrieb 1928, das erste Opfer des Krieges sei die Wahrheit und weiter: „Wer diesen Krieg gewinnen wollte, konnte sich die Wahrheit einfach nicht leisten.“ Diese Erkenntnis wird auch eines Tages über die aktuellen Kriege zutage gefördert werden, und gilt für jeweils alle Beteiligten. Diesbezüglich ist auch Deutschland in „uneingeschränkter Solidarität“ mit der Ukraine und Israel Kriegs-Beteiligter.
In Bild 16 wird der englische Slang-Begriff „lala land“ (Realitätsverlust) durch die Streetart-Künstlerin Bambi als lielie land (Lügenland) entschlüsselt und zeigt so das Ende des Prozesses von fake news auf. Abgebildet sind Donald Trump und Theresa May als Galionsfiguren des Neoliberalismus im Tanz zu der Musik aus dem Filmmusical La La Land. Es mag schön sein, sich in eine Traumwelt hineinzutanzen und die Realität um sich herum zu vergessen. Am Ende heißt es bei diesen Herrschaften jedoch: „Der Kongress tanzt“ und die Zeche bezahlen die anderen. Das ist die große Lüge des Neoliberalismus, es brauche keine große Anstrengung zum Interessenausgleich zwischen Besitzenden und Habenichtsen, zum Dialog zwischen den Völkern und politischen Systemen, zur Beteiligung aller an politischen Entscheidungen und nicht zuletzt zur Rettung des Lebensraums für alle Menschen.
Es wäre schön, es könnten alle mittanzen im Ballett von Donald Trump, Viktor Orban oder Giorgia Meloni, doch werden sie alle uns nicht die Zeit geben, daran teilzunehmen. Die Lüge entlarvt sich leider erst, wenn es zu spät ist – wie Deutschland gerade von der Ampel-Koalition schwindelig getanzt wird. Die genannten Herrschaften führen ihre Haushalte ungeniert auf Kosten der EU und ungedeckter Schecks auf die Zukunft. Eine wahrhaft nachhaltige Politik bedarf eines politischen Ansatzes, der den integralen Zusammenhängen der Welt in allen Quadranten und auf allen Ebenen gerecht wird. Dazu ist ein auf lange Zeit angelegtes Programm erforderlich, das breite Zustimmung der Völker findet und alle Ebenen integriert. Dazu sind Nachweispflichten erforderlich, die ohne großen bürokratischen Aufwand effektive Aussagen ermöglichen. Denn auch das gehört zur Wahrheit, wie Winston Churchill gesagt haben soll: „Ich glaube keiner Statistik, die ich nicht selbst gefälscht habe“.
Wird fortgesetzt!