Deutschland, wie fühlst Du Dich? – Eine Befragung mit Hilfe des Enneagramms

„Deutsche“ Typen des Enneagramms

Abb. 3 Peter Pan in Neverland

In diesem Abschnitt werde ich auf die Enneagramm-Typen einzeln eingehen, soweit sie nach den vorgestellten Ergebnissen dieser Untersuchung für Deutschland Bedeutung haben. Die Darstellung erfolgt in der Reihenfolge der Kurvenpositionen von oben nach unten.

  1. Typ Sieben

Das Selbstbild der Sieben ist ein Leben in Optimismus und Freude. Man sieht sich humorvoll, phantasiebegabt, spielerisch und voll entwaffnendem Charme und es gelingt weitgehend, auch so von außenstehenden Menschen wahrgenommen zu werden. Dabei werden die Schattenseiten der Persönlichkeit weitgehend verdrängt. Die Fähigkeit zur Verdrängung ist oft schon seit der Kindheit, die eher unglücklich verlief, eingeübt. Obwohl Siebener das Leben in vollen Zügen genießen und „Bauchtypen“ sind, gehören sie in der Systematik des Enneagramms doch zu den „Kopftypen“, da sie es lernen mussten, ihre Lebenswelt so zu gestalten, dass sie als Genussmenschen wahrgenommen werden. Zur Lebensaufgabe dieser Menschen gehört, sich diese Zusammenhänge bewusst zu machen und sich aus den selbst geschaffenen strategischen Zwängen zum „immer mehr„, „immer schneller„,“ immer schöner“ und „alles Wissen“ zu befreien. Sie sind Generalisten, die oft mehrere Berufe erlernt haben und versuchen, diese nebeneinander auszuüben. Deshalb neigen sie zum Multi-Dilettantismus, wie er auch in manchen Studiengängen gelehrt wird und durch die Aufsplitterung der Berufsbilder – praxisfern von der Bürokratie gefördert – gesetzlich vorgegeben ist.

Abb. 4 Wolfgang Amadeus Mozart

Die von Kindheit an trainierten Verdrängungsmechanismen ermöglichen es Siebenern, sich schnell auf neue Situationen einzustellen und wenn zweckmäßig, Ungerechtigkeiten zu verdrängen. Ein Beispiel für eine erwachsene Sieben ist der vom Regisseur Milos Forman in seinem Film „Amadeus“ portraitierte Wolfgang Amadeus Mozart. Der Film wurde zum Welterfolg, weil er besonders die affige Seite der vergnügungssüchtigen Sieben herausstellte, ohne die Größe Mozarts zu ignorieren.

Unerlöste Siebener – d. h. auf der dunklen Seite ihres Selbst verhaftet – können keine reife Persönlichkeit entwickeln und bleiben in kindlichen Phantasien gefangen, wie sie in der literarischen Figur des Peter Pan dargestellt wird und im Erwachsenenalter als psychisch gestörte Menschen mit Peter-Pan-Syndrom gekennzeichnet werden. Eine gescheiterte Sieben ist der biblische König Salomo, der an seiner Übermäßigkeit gescheitert ist und am Ende vielen Göttern diente.

Neben der individualpsychologischen Bedeutung gibt es mit dem Epikureismus eine philosophische Denkrichtung, in der das Lustprinzip und die Vermeidung von Schmerz zur Lebensweise wird. Diese Philosophie wurde von dem griechischen Philosophen Epikur gelehrt und entstand im 4. Jh. v. Chr.. Unter ,,Lust“ verstand Epikur allerdings weniger die grobsinnlichen Genüsse, sondern vielmehr verfeinerte geistige Erbauungen wie Freundschaft und philosophischen Gedankenaustausch. Gegen die sinnlichen Genüsse hatte er zwar prinzipiell nichts einzuwenden, aber ein Zuviel von ihnen könnte schädlich sein: Wer zuviel ißt und trinkt, wird krank. Epikurs Ideal war die Seele, die leidenschaftslos und ohne Schmerzen ist. Sie muß die plumperen Begierden hinter sich lassen und zur höchsten Lust vordringen, nämlich zur Vernunft.

Epikurs Philosophie hatte bis zum 3. Jh. im antiken Griechenland und im römischen Imperium großen Einfluss und prägte den modernen Hedonismus und  die Ethik der Medizin bis in die Gegenwart mit.

Die Wurzelsünde der Sieben ist die Unmäßigkeit. Ihre Triebkraft des „immer mehr“ führt zu einer besonderen Form des Egoismus, die das Leid und die Not anderer Menschen verdrängt und im politischen Bereich sozialen Fragen, die mit Gerechtigkeit zusammenhängen, ausweichen. Daraus resultiert eine Oberflächlichkeit, die der Denkfaulheit dialektisch ungeschulter Menschen sehr entgegenkommt. Rohr und Ebert weisen besonders auf die im Christentum überkonfessionell aktive charismatische Bewegung hin, die der Herrlichkeit Gottes das Recht zugesteht, die Menschen dem Leiden zu unterwerfen. Der Unglaube an den Ratschluss des allmächtigen Gottes sei zu unterdrücken oder im Gehorsam hinzunehmen. »Die Herrlichkeitstheologie, die vor allem in den USA und in Skandinavien viele Anhänger hat, geht zum Teil so weit, daß sie Christen verspricht, daß sie als Kinder Gottes das Vorrecht haben, in dieser Welt reich, glücklich und erfolgreich zu sein. Die Methode des andauernden Lobpreises (Anm.:“immer mehr„) führt zum ,,erfolgreichen Beten„. Dabei wird empfohlen, sich das, was man wünscht, möglichst lebhaft vorzustellen (zu ,,visualisieren„) und dann ,,im Glauben“ zu ergreifen

Grafik 4 Übersicht der Wurzelsünden

In den nebenstehenden Grafiken 4, 5 und 6 werden die Wurzelsünden aller Enneagramm-Typen gezeigt. Am stärksten imponieren diesbezüglich die Kurven der Typen Sechs und Zwei – beides Typen, die in Deutschland große Bedeutung haben. Die mittleren und marginalen Typen werden in Grafik 6 aufgelöst.

Grafik 5 dominierende Wurzelsünden

Der Begriff „Wurzelsünde“ ist aus den spirituellen Wurzeln des Enneagramms überkommen und bezeichnet die „dunkle Seite“ des Selbst. Sie entspricht der im Christentum geläufigeren „Todsünde“ und stellt die Hauptsünde dar, von der alle

Grafik 6 marginale Wurzelsünden

anderen Sünden ausgehen. Im Enneagramm gibt es jedoch nicht „die eine Sünde“, die als Todsünde für alle Menschen zu gelten hat, sondern jeder Typ hat seine Wurzelsünde (= Todsünde). Es liegt nahe, dass diese dunkle Seite des Menschen verdrängt wird und deshalb  verborgen bleibt. In den Grafiken 4 bis 6 ist zu sehen, dass die Ausprägung in den Typen sehr unterschiedlich ist. Je verbreiteter das sündhafte Verhalten in einer Gesellschaft ist, desto geringer ist die Sorge, dass es sanktioniert wird und damit fällt die Notwendigkeit, es zu verbergen

Grafik 7 Geistesfrüchte des Enneagramms (Übersicht)

weitgehend weg. Das Motto lautet: „Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert„. Aus dieser Überlegung folgt, dass es für die „Unsichtbarkeit“ oder den gegen null  gehenden Nachweis  der Wurzelsünden in der Grafik zwei Erklärungsmöglichkeiten gibt: entweder entspricht das Ergebnis der Realität oder es besteht der stillschweigende gesellschaftliche Konsens, dass dieses „sündhafte“ Verhalten keine Sünde darstellt – siehe oben! Eine Antwort auf diese Frage ist ebenfalls mit den Mitteln des Enneagramms möglich indem festgestellt wird, welche Geistesfrüchte in

Grafik 8 Enneagramm Geistesfrüchte (Hauptfeld)

der Gesellschaft aktiv sind. Die Geistesfrüchte sind das jeweilige Gegenbild der Wurzelsünde. Die Geistesfrucht ist der Ausdruck der erlösten und gereiften Persönlichkeit, wenn die Schatten von ihrer Seele gewichen sind. Wenn also keine Wurzelsünde feststellbar ist, sollte auf der anderen Seite die Geistesfrucht hervortreten. Das Ergebnis für Deutschland ist in den Grafiken 7 und 8 zu sehen.

In Grafik 8 ist nun zu sehen, dass für den Typ Sieben auch keine Geistesfrucht – das wäre Nüchternheit oder nüchterne Freude – nachweisbar ist. Deshalb kann nun folgendes festgestellt werden: Die Wurzelsünde der Sieben ist die Unmäßigkeit oder Völlerei und wird in der Grafik mit der Farbe Grün dargestellt. Im konkreten Fall tritt sie jedoch aufgrund ihrer geringen Ausprägung nicht in Erscheinung. Auf Grund der beschriebenen Zusammenhänge handelt es sich um ein Grundübel der deutschen Gesellschaft, dass einerseits im Brennpunkt der Debatten um den Erhalt des Lebensraums für die Menschheit steht, andererseits aber für die Mehrheit der Menschen – zumindest in Deutschland – zum Lebenssinn geworden ist. Eine Bemerkung am Rande: Was immer wieder ein aha-Erlebnis für mich bedeutet, ist die Frage in Sportlerinterviews nach den Gefühlen der Sportler im Wettkampf. Statt harten Trainings und äußerster Anstrengung (andere sagen auch „Arbeit„) „genießen sie es“, genaueres dazu erfährt man nicht. Manchmal frage ich mich dann, ob die Sportler statt Sporthilfe zu beziehen besser zur Vergnügungssteuer herangezogen werden sollten (Scherz!).

Über Fidelio

Ich bin 1949 geboren und war in meiner berufstätigen Zeit als Stadtplaner in einer mittelgroßen kommune tätig. Seit meiner Studienzeit habe ich mich für die Entwicklung eines erweiterten geistigen Horizonts interessiert und einige Anstrengungen unternommen, mich persönlich in diesem Sinne zu entwickeln. Aufgrund meiner katholischen Erziehung habe ich in den 1960-er Jahren begonnen, mich intensiver mit dem modernen Mystiker Teilhard de Chardin zu befassen und bin so zur Gedankenwelt von Ken Wilber gekommen, die ich in diesem Projekt nutzbar zu machen versuche.
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