China in „Schlaglichtern der Geschichte“

Zu den besonderen Erfahrungen der gegenwärtigen Krise – einem komplexen Zusammenwirken ökologischer, politischer, wirtschaftlicher und medizinischer Krisen – gehört der Zusammenbruch der Lieferketten, der zu einem weitgehenden Stillstand der deutschen Wirtschaft und zur Gefährdung der Versorgung mit Masken und Medikamenten führte. Dabei rückte einmal mehr China in den Fokus der Medien. Damit hat sich auch das Thema „Handelskrieg zwischen Donald Trump und China“ durch Unterbrechung der Handelswege und gebremste Nachfrage auf unbestimmte Zeit erledigt. Doch das hindert Donald Trump nicht daran, seine Angst vor China weiterhin zu verbreiten. Waren es bisher die unfairen Handelsbedingungen der USA gegenüber China, Europa und anderen Staaten so sind es jetzt das Versagen Chinas in der Corona-Krise und die gefährliche Unterwanderung der USA durch die chinesische Spass-App Tiktok.

Wollen wir nicht verzweifeln, dann haben Krisen den Sinn, Abstand von den täglichen Routinen und dem hohen Tempo der Ereignisse zu nehmen und neue Perspektiven für die Zukunft zu entwickeln. Ich möchte die Aktualität, die China durch die gegenwärtige Krise erlangt hat, dazu nutzen, die Aufmerksamkeit auf Chinas Geschichte zu lenken. Es erscheint mir dringend erforderlich, der antichinesischen Propaganda Donald Trumps einige Gesichtspunkte entgegen zu halten, die das Gesamtbild verändern werden.

Die über 4.000 Jahre währende Geschichte Chinas ist so komplex, dass ihre Darstellung viele Bände füllen würde. Mein Anspruch ist nicht, hier eine umfassende Geschichte darzustellen, sondern interessenbezogene Ereignisse der chinesischen Geschichte zu identifizieren und in ihren wesentlichen Zügen darzustellen. Dabei stütze ich mich auf Internetquellen und die profunde Kenntnis des Naturwissenschaftlers und Sinologen Joseph Needham. Die untersuchten Beziehungen nehmen zunächst Deutschland – stellvertretend für Europa – in den Blick und in einem gesonderten Abschnitt das chinesische Eigeninteresse.

Streiflichter der chinesischen Geschichte

Zunächst sollen einige Grafiken das Gewicht Chinas in der deutschen Öffentlichkeit im Zeitschnitt seit 1800 veranschaulichen. In der ersten Grafik ist die Langzeitentwicklung des in Deutschland durch Buchveröffentlichungen nachgewiesenen Interesses an China im Vergleich mit den USA und Russland für die Zeit ab 1800 dargestellt. Aus diesen Ergebnissen werde ich schlaglichtartig besonders markante geschichtliche Ereignisse ableiten, aus denen ein erstes grobes Bild über die Entwicklung der deutsch-chinesischen Wahrnehmung entsteht.

Grafik 1: Deutsche Literatur mit Bezug zu China, USA und Rußland

In Grafik 1 ist erkennbar, dass bereits in der Frühphase der Industrialisierung in Deutschland im Vergleich zu den USA und Russland relativ großes Interesse an China bestand. Während das Interesse an China eine nahezu lineare Wachstumstendenz hat setzt das Interesse an den USA erst Mitte der 1920er Jahre ein und steigt mit Beginn des zweiten Weltkriegs sprunghaft an. Im Bezug auf Russland setzt es erst etwa in der Mitte der 1990er Jahre mit einem raschen Anstieg ein.  In Ermangelung einer nutzbaren Quelle zur Ermittlung von Ereignissen besonderen Interesses gebe ich deshalb für die Zeit vor 1800 eine geraffte Gesamtdarstellung.

Die Ursachen für das frühe Interesse an China sind in den Ostindien-Gesellschaften der europäischen Länder zu suchen, die seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts eine imperialistische Politik in Verbindung mit privatem Unternehmertum betrieben und in die Küstenregionen Amerikas und Asiens vordrangen. Neben ihren Handelsaktivitäten unterhielten sie auch Land- und Seestreitkräfte, die befestigte Handelsstützpunkte errichteten. Daneben spielte auch die christliche Missionstätigkeit, die bereits seit dem 8. Jh. mehrere vergebliche Versuche unternommen hatte, eine wichtige Rolle bei der Vermittlung europäischer Kultur in China. Die von den Jesuiten seit 1582 getragenen Anstrengungen hatten jedoch zunächst in der Person des italienischen Missionars Matteo Ricci einen erfolgreichen Einfluss am kaiserlichen Hof. Er war auf dem neusten Stand der europäischen Leitwissenschaften Astronomie und Mathematik und ging nach der Methode kultureller Anpassung vor.

Grafik 2: Deutsche Literatur mit Bezug zu China, Indien, Iran, Griechenland und Ägypten

 »Bemerkenswert ist seine Beschäftigung mit dem Konfuzianismus. Durch sein Studium der Texte und seine Übersetzungen erschloss er für Europa die neue Welt chinesischer Kultur. Ricci sah in der Anleitung zum tugendhaften Leben eine weitgehende Übereinstimmung zwischen der christlichen und der konfuzianischen Ethik. Die denkerische Herausforderung, dass sich auch in anderen Religionen Wahrheitsmomente fänden, löste er durch die schon in der Renaissance bewährte Vorstellung, es gebe eine «natürliche Theologie», die auch Heiden erkennen könnten. Er reihte Konfuzius unter die Philosophen ein, die Gott als Instrument einer allgemeinen Offenbarung einsetzte. Aber auch Riccis Lehre stieß auf Widerstände. Nach seinem Tod mehrten sich Stimmen chinesischer Denker, die scharfsichtig erkannten, dass man nicht umstandslos den konfuzianischen Begriff für das Allerhöchste mit dem christlichen Verständnis von Gott als Person mit Wille und Vernunft in Einklang bringen kann. In Nanking kam es 1617, sieben Jahre nach Riccis Tod, zu einem gezielten Einschreiten der Behörden gegen die christliche Mission. Doch auch aus Rom gab es Kritik an Riccis Bereitschaft, sich auf chinesische Lebensgewohnheit und Denkungsart einzulassen. Die von ihm gepflegte wohlwollende Haltung gegenüber chinesischen Riten wie etwa der Ahnenverehrung ging den Missionsbehörden in Rom zu weit. 1704 untersagten sie die jesuitische Akkommodationspraxis.« (Jörg Lauster; »Die Verzauberung der Welt«, Verlag C.H.Beck.)

Dennoch haben die praktischen Demonstrationen der europäischen Astronomie nachhaltige Wirkung bei den chinesischen Astronomen hinterlassen. Mit Hilfe der wesentlich präziseren europäischen Verfahren waren die jesuitischen Astronomen und ihre chinesischen Schüler in der Lage, genauere Vorhersagen bezüglich Himmelserscheinungen wie Mond– und Sonnenfinsternisse zu machen. Hierdurch wurde ihre Stellung am kaiserlichen Hof gestärkt, denn nur wer genaue Kalender verkünden und Himmelszeichen korrekt vorhersagen konnte, hatte als Kaiser die Legitimation, als Vermittler zwischen Himmel und Erde zu herrschen.

Trotz des Scheiterns der Jesuitenmission blieben dauerhafte Wirkungen auf den Kulturaustausch zwischen Europa und China – und in Person des Mathematikers und Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz (1646 – 1716) speziell zwichen Deutschland und China – bestehen, die bis in die Gegenwart reichen. Die bei Leibniz bestehende Sympathie für die chinesische Philosophie wurde jedoch nicht von allen Denkern in Deutschland geteilt. Hierzu gehörten später insbesondere Johann Gottfried Herder (1744 – 1803) und Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 – 1831). Über deren Haltung schreibt der Sinologe Tilman Spengler als Herausgeber in seiner Einleitung zu Needhams Werk »Wissenschaftlicher Universalismus«:

»Ausgesprochen oder verdeckt formulierten Herder und Hegel drei zentrale Annahmen über China, die uns im weiteren Verlauf der historischen Mutmaßungen über dieses Reich immer wieder begegnen werden – in der Regel sogar unter Berufung auf dieselben Quellen: die Unwandelbarkeit der asiatischen Zivilisationen, insbesondere Chinas, der despotische Charakter ihrer Herrschaftsstruktur und die Unfähigkeit der chinesischen Bevölkerung zu wissenschaftlichem Denken.« (Joseph Needham, »Wissenschaftlicher Universalismus – Über Bedeutung und Besonderheit der chinesischen Wissenschaft«).

Zu den kulturübergreifenden Betrachtungen der Geschichte, die ebenfalls bis in die Gegenwart nachwirken, gehört das von dem Philosophen Karl Jaspers so genannte Konzept der »Achsenzeit«, die einen Abschnitt der Geschichte von etwa 800 v. Chr. Bis 200 v. Chr. umfasst. In dieser Zeit lebten in den Kulturen des Orients und des Okzidents religiöse und philosophische Lehrer, die einen Durchbruch der Menschheit in das Universale und Vergeistigte demonstrierten. Hierzu gehörten in China Konfuzius und Laotse und alle bedeutenden Philosophen des alten China, in Indien Buddha und die Philosophen der Upanishaden, im Iran Zarathustra, in Palästina die Propheten Elias, Jeremias, Jesaias und andere, in Griechenland Homer und die Philosophen Parmenides, Heraklit, Plato sowie weitere große Denker. Durch sie und viele hier ungenannte erwuchs in diesen wenigen Jahrhunderten annähernd gleichzeitig in China, Indien und dem Abendland, ohne dass sie gegenseitig voneinander wußten, etwas, das jenseits der Sphäre des gewöhnlichen Bewusstseins lag und meistens eng mit den Namen der geistigen Führer verbunden blieb.

In Grafik 2 sind die in deutsch vorliegenden Bücher von Google-Books nach der Häufigkeit der in ihnen vorkommenden Ländernamen aufgezeichnet. Die Auswahl der Länder wurde auf die Herkunft der oben genannten Lehren der Achsenzeit abgestimmt. In den Verläufen der Linien sind einige Verdichtungen und Korrelationen abzulesen, für die Zeit vor 1810 wird das in Grafik 1 gewonnene Bild relativ großen Interesses an China auch im Vergleich zu anderen historischen Hochkulturen bestätigt. Vor 1815 ist ein wesentlich größeres Interesse an China zu sehen als an den anderen Ländern. Ab 1830 nimmt das Interesse an Indien und Griechenland stark zu und bewegt sich etwa auf dem Niveau von China. Im weiteren Verlauf stellt sich Griechenland als interessanteste alte Kultur dar, bis es etwa 1885 von Indien überholt wird. Doch bereits ab 1900 überwiegt das Interesse an China dauerhaft bis in die Gegenwart, nur kurz unterbrochen durch ein hochschnellen der Kurve für Indien im Jahr 1940. Hier ist für alle Länder ein starker Anstieg zu sehen, da die Ursache der zweite Weltkrieg ist, in dem Indien wegen seiner kolonialen Abhängigkeit von Großbritannien ein besonderes Interesse in Deutschland hervorrufen musste.

Englisches Teegedeck Copyright by Sgtblackpepper – Own work, CC BY-SA 4.0

Für den etwa fünf Jahre dauernden Zeitabschnitt ab 1822 ist ein isolierter Anstieg des Interesses an China zu sehen, das sich auf hohem Niveau für etwa fünf Jahre hielt. Als Ursache hierfür kommen zwei Umstände in Betracht, die sich auf die Handelsaktivitäten europäischer Kaufleute in China beziehen:

  1. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts zeigte sich in Europa ein erhöhtes Interesse am chinesischen Rechtssystem, nachdem George Thomas Staunton das chinesische Strafgesetzbuch, den Da Qing lüli („Ta Tsing Leu Lee“, 1810) übersetzt hatte. Es gab kein Gegenstück zu einem im Westen bekannten Vertrag an welchen man sich zu halten hatte, noch gab es eine »Firma« im westlichen Sinn. Wenn es zu Strafprozessen kam, wurden die für schuldig Befundenen nach der konfuzianischen Moral – die auch die Moral des kaiserlichen Hofes war – gerichtet.

Eine scheinbar unersättliche britische Nachfrage nach Tee, der für die Briten zu einem Symbol des Wohlstands geworden war und nur in China angebaut wurde. In den oberen Gesellschaftsschichten Englands war der Tee schon vor 1700 populär gewesen. Berühmte Unterstützung bekam er von der Gattin König Karls II. und von Königin Anne. Tee war teuer, erfrischend bitter und wurde aus winzigen Tassen ohne Milch oder Zucker getrunken. Anfang des 18. Jh. änderten sich die Gebräuche, Tee wird seitdem in England mit Milch und Zucker getrunken und wurde hierdurch zum alkoholfreien Volksgetränk. Der Genuss des Tees lag auch im Interesse des Staates, da er die Arbeitskraft der Bevölkerung unvergleichlich weniger schädigte als der bis dahin exzessive Alkoholgenuss. Doch brachte er andere Probleme mit sich: Die großen Teemengen mussten in China aufgrund kaiserlicher Verordnung mit Silber bezahlt werden. Silber war jedoch knapp und wurde daher von der britischen Ostindienkompanie gegen Opium getauscht, das von chinesischen Händlern an das chinesische Volk verkauft wurde. Dieser Handel schuf sich illegale Strukturen, die ab 1821 ein beträchtliches Ausmaß erreichten und von der chinesischen Regierung bekämpft wurden. Auch in England war der Opiumschmuggel bekannt. Die seit 1827 erscheinende Zeitung Canton Register, druckte regelmäßig die aktuellen Opiumpreise ab. In den 1830er Jahren verschärften sich die aus dem Tee- und Opiumhandel entstandenen Konflikte und es entwickelten sich die sogenannten Opiumkriege, die mit gleichem Recht als Teekriege bezeichnet werden könnten. Mit diesen militärischen Auseinandersetzungen, in denen sich die chinesischen Truppen gegenüber den europäischen Streitkräften – vorwiegend Engländern – weit unterlegen erwiesen, begann eine Entwicklung, die durch die geschichtliche Bezeichnung 100 Jahre nationaler Demütigung zu einem feststehenden Begriff geworden ist. Dem ersten Opiumkrieg (1839 – 1842) folgte 1856 bis 1860 der zweite Opiumkrieg. Daneben hatte das Kaiserreich sich in dem 1851 ausgebrochenen und bis 1864 dauernden Taiping-Aufstand, einem Bürgerkrieg, der mehr als 20 Mio. Tote forderte, zu behaupten. Diese Ereignisse sind in der Grafik durch zwei Wellenberge im Verlauf der chinesischen Linie nachzuvollziehen.

Einen vergleichbaren Anstieg des deutschen – und damit wohl auch europäischen – Interesses an China ist ab den 1890er Jahren zu sehen. In der Zeit von August 1894 bis April 1895 fand der erste japanisch-chinesische Krieg statt, in dem es um den politischen Status von Korea ging. In diesem Krieg besiegte die modern ausgerüstete und gut ausgebildete japanische Armee die Chinesen in einer Reihe von Kämpfen um die Städte Pjöngjang und Seoul. Ein Großteil der chinesischen Flotte wurde zerstört, und die japanischen Truppen drängten weiter auf chinesisches Staatsgebiet. Nach anhaltenden Niederlagen unterzeichnete das Kaiserreich China im April 1895 den Vertrag von Shimonoseki. In dieser Niederlage kündigte sich das nahe Ende des chinesischen Kaiserreichs an.

China war wohl ein nominell unabhängiger Staat mit einem Kaiser bzw. der Kaiser-Witwe an der Spitze. Die Regionen des Reiches, das damals 450 oder 500 Millionen Untertanen zählte, waren jedoch unter die Großmächte aufgeteilt; was in internationalen Abmachungen als »Interessensphären« deklariert wurde, war in Wirklichkeit ein System des praktischen Wirtschaftskolonialismus unter der Flagge der nationalen Souveränität. In den Hafenstädten hatten die Europäer sich »Konzessionen« erobert, Gebiete, in denen europäisches Recht galt und China de facto zur Kolonie machten. Außenpolitik konnte der Hof in Peking faktisch nicht machen, ohne sich bei den »Langnasen«, den Europäern, die Erlaubnis zu holen, und wenn aus nichtigen Anlässen oder nach konkreten Aufständen Strafexpeditionen ausgesandt wurden, dann hatte China dafür zu zahlen.

1899 brach die BoxerbewegungBewegung der Verbände für Gerechtigkeit und Harmonie – mit dem Ziel aus, die Qing-Dynastie zu unterstützen und den Einfluss der eingedrungenen Fremdmächte zurückzudrängen. Unter dem Schutz der Kaiserinwitwe Cixi verbrannten, töteten und plünderten sie in Peking und begannen, ausländische Botschaften in Peking mit ihrer Zustimmung zu belagern. 1901 war die Qing-Regierung gezwungen, den Xin-Chou-Vertrag mit verschiedenen europäischen Ländern zu unterzeichnen. In den darauf folgenden Jahren wurden Reformen eingeleitet, die jedoch die Entstehung einer Revolutionsbewegung und den Untergang des Kaiserreichs nicht mehr verhindern konnten.

In der Ereignislinie ist nach 1900 erst wieder das Jahr 1917 als herausstechendes Ereignis abzulesen, jenem Zeitpunkt als Deutschland den U-Bootkrieg erklärte und China Deutschland und seinen Verbündeten den Krieg erklärte. China sandte zwar keine Truppen auf den europäischen, kleinasiatischen oder afrikanischen Kriegsschauplatz, unterstützte aber die französische Rüstungsindustrie, Landwirtschaft und Bergbau mit rund 140.000 chinesischen Kontraktarbeitern für das Etappengebiet der britischen Truppen in Frankreich. Die inneren Wirren hielten China davon ab, am Krieg direkt teilzunehmen. Chinas wichtigstes Motiv, überhaupt in den Krieg einzutreten, war die Angst vor Japans harter imperialistischer Interessenpolitik. China wollte den Beistand der europäischen und amerikanischen Alliierten des Weltkriegs, um sein Territorium gegen Japan zu sichern, verbunden mit der Hoffnung auf Aufhebung der ungleichen Verträge und Nichtanerkennung der Einundzwanzig Forderungen Japans von 1915. Diese Hoffnungen wurden von den Versailler Verträgen nicht erfüllt.

Die chinesische Politik während des ersten Weltkriegs und in den Jahren danach wurde wesentlich von der Bewegung des vierten Mai beeinflusst. Sie vereinte geistig-literarisch-politische Strömungen für eine Neue Kultur zwischen 1915 und 1925 mit populärem Protest und gab der Bewegung so eine breitere Basis. Die Bewegung des Vierten Mai gilt als erste politische Massenbewegung der chinesischen Geschichte und dient damit bis heute vielen politischen Strömungen als Bezugspunkt zur Identifikation und Legitimation. Innerhalb dieses Zeitraums fanden Bürgerkriege statt, die in der Zeitkurve um 1922 zu einem Ausschlag führen. Es handelte sich hierbei um die beiden Zhili-Fengtian-Kriege von 1922 bzw. 1924 und den Anti-Fengtian-Krieg 1926. Diese Kriege wurden durch die Einflussnahmen der im Land befindlichen Fremdmächte gefördert, um hierdurch die Bildung eines chinesischen Zentralstaats zu verhindern.

Der zweite Japanisch-Chinesischen Krieg begann mit einer umfassenden Invasion der Japaner in China, die am 7. Juli 1937 begann und bis zum 9. September 1945 dauerte. Im zweiten Weltkrieg setzten sich diese kriegerischen Auseinandersetzungen mit dem Aggressor Japan fort und führten durch einige schwerwiegende Kriegshandlungen im Zeitraum 1939-1940 zu Anstiegen in der Zeitkurve. Zu dieser Zeit starteten die Japaner mehr als 109 kleine Kampagnen mit jeweils etwa 1.000 Kämpfern und 10 große Kampagnen mit jeweils 10.000 Männern, um kommunistische Guerillas in den Ebenen Hebei und Shandong auszurotten. Dagegen kämpfte die Offensive der Hundert Regimenter unter dem Kommando von Peng Dehuai mit Divisionen der Kommunistischen Partei Chinas und der Nationalen Revolutionsarmee gegen die kaiserliche japanische Armee in Zentralchina. Dieser Offensive kam im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Kommunistischer Partei und Nationaler Revolutionsarmee große Bedeutung zu.

In der Zeit von 1958 bis 1961 fand die von Mao Zedong initiierte MassenkampagneDer große Sprung nach vorn“ statt. Durch verschiedene Einzelprogramme dieser Kampagne sollten die großen Unterschiede zwischen Land und Stadt abgebaut und der Rückstand zu den westlichen Industrieländern aufgeholt werden. Infolge des Bevölkerungsaustausches zwischen Stadt und Land kam es zu einer mehrere Jahre anhaltenden Hungersnot, in deren Verlauf geschätzte 40 Millionen Menschen an Hunger starben. 1959 kam es in Tibet, das seit 1951 unter chinesischer Kontrolle stand, zu einem Aufstand, dessen Ursachen ebenfalls auf die Programme des „großen Sprungs“ zurückzuführen waren. Nach langen ideologischen Meinungsverschiedenheiten zwischen den am Marxismus orientierten Regierungen in Moskau und Peking kam es 1960 beim Internationalen Treffen der Kommunisten- und Arbeiterparteien in Rumänien zum endgültigen Zerwürfnis Chinas mit der Sowjetunion. Nach der Flucht des Dalai Lama im Jahr 1959 nach Indien verschlechterte sich das Verhältnis zu Indien und es kam 1962 zum chinesisch-indischen Krieg, der um den Grenzverlauf zwischen den beiden Staaten im Himalaja geführt wurde.

Ein weiterer Grenzkonflikt mit der Sowjetunion führte auf seinem Höhepunkt 1969 am Grenzfluss Ussuri zu bewaffneten Auseinandersetzungen, bei denen 59 Soldaten starben. Ein Jahr später startete der erste chinesische Satellit in den Weltraum.

Von 1966 bis 1976 fand die Kulturrevolution , – die Große Proletarische Kulturrevolution – statt. Sie wurde von Mao Zedong ins Leben gerufen, um den chinesischen Kommunismus von Überresten kapitalistischer und traditioneller Elemente zu säubern und die Ideologie der chinesischen kommunistischen Partei (CPCh) durchzusetzen. Sie war gleichzeitig ein Machtinstrument, das durch den Misserfolg des „großen Sprungs“ beschädigte Ansehen Maos wieder herzustellen. Auf dem Höhepunkt der Kulturrevolution konnte China 1971 mit dem Besuch von US-Außenminister Kissinger und der Aufnahme in die UN – im Austausch gegen die Republik China – wichtige diplomatische Erfolge erzielen. Mit dem Besuch des US-Präsidenten Nixon 1972 wurde die Normalisierung der internationalen Beziehungen zur Volksrepublik China vor der Weltöffentlichkeit besiegelt.

An dieser Stelle ist eine Anmerkung erforderlich, die einen Erklärungsversuch zu dem Phänomen darstellt, dass das Massaker auf dem Tian’anmen-Platz im Jahre 1989 zu keiner Reaktion auf dem Buchmarkt geführt hat. Am 3. und 4. Juni 1989 schlug das chinesische Militär im Zentrum Pekings gewaltsam die Proteste der Bevölkerung nieder. Auf dem Platz selbst starben dabei keine Menschen, in anderen Teilen der Stadt verloren nach Angaben von Amnesty International zwischen mehreren hundert und mehreren tausend Menschen ihr Leben. Presseberichte, die sich auf Quellen im chinesischen Roten Kreuz beriefen, nannten 2600 Tote auf Seiten der Aufständischen und des Militärs und rund 7000 Verletzte im Laufe der Woche in ganz Peking. Dieses Ereignis hat die ganze Welt schockiert und es ist nicht zu glauben, dass dieses Ereignis literarisch nicht reflektiert wurde. In dem Kurvenverlauf ist für den in Frage stehenden Zeitraum ein deutliche Einkerbung zu sehen, die als Ausdruck einer „kollektiven Schockstarre“ gedeutet werden kann, was ein Nachdenken über die bis dahin positiv gefärbte Grundhaltung zur Entwicklung in China bedeutete und dessen Ergebnisse sich erst mit größerer Verzögerung in den zwei Spitzenausschlägen ab etwa 1996 zeigte, die durch die im nächsten Absatz erwähnten Ereignisse überlagert werden.

Im Jahr 1997 starb der für die Annäherung an die marktwirtschaftliche Wirtschaftsweise verantwortliche Nachfolger Mao Zedongs, Deng Xiaoping. Primär änderte sich durch die ab 1978 von Deng Xiaoping eingeleiteten Reformen die Struktur der Landwirtschaft und damit die Versorgungslage der Bevölkerung. Nachdem die Ressourcen Boden und Wasser besser verteilt waren, wurden die über das Plansoll an den Markt gebrachten Lebensmittel den Kleinbauern zu relativ hohen Preisen abgekauft. Durch diese Anreize und den gleichzeitig geförderten Zugang zu neuen landwirtschaftlichen Techniken wurden durchschnittliche Steigerungen des Bruttoinlandsprodukts von 4,9% jährlich erzielt, die im Zeitraum zwischen 1978 und 1984 sprunghaft auf das Allzeithoch von 8,8% jährlich stiegen.

Ebenfalls 1997 wurde die Übergabezeremonie zur Rückgabe Hongkongs an die Volksrepublik China durchgeführt. In der schlimmsten Überschwemmung Nordchinas seit 40 Jahren kam es 1998, mit 3.704 Toten und etwa 15 Millionen Obdachlosen. Der engagierte Einsatz der Volksbefreiungsarmee konnte schlimmeres verhindern und brachte dem Militär zusätzliche Anerkennung im Volk.

Einen militärischen Zwischenfall verursachten amerikanische Soldaten unter NATO-Befehl, als sie 1999 die chinesische Botschaft in Belgrad bombardierten und damit das benachbarte serbische Ziel verfehlten.

Ab dem Jahr 1999 wurde die an den Buddhismus angelehnte religiöse Bewegung Falun Gong verboten und deren Mitglieder verfolgt.

Als letztes Relikt europäischer Kolonialpolitik in China wurde die portugiesische Besitzung Macau 1999 an die Volksrepublik China zurückgegeben.

Der in der obigen Grafik nachvollziehbare Zeitraum endet 2008 mit einem ereignisreichen Jahr, das durch verschiedene Naturkatastrophen, den Baby-Milchskandal – ein Beispiel für die Pressezensur in China -, den ersten Weltraumspaziergang eines chinesischen Astronauten und vor allem durch die Ausrichtung der olympischen Spiele in Peking gekennzeichnet ist.

Abschließend zu diesem Zeitabschnitt kann für die Zeit nach 1900 ein stetig gewachsenes Interesse an China festgestellt werden, das etwa 1960 einen Höchststand erreicht hat und nach einem langsamen Abflauen auf dem Basis-Niveau von 1940 verläuft. Es zeigt sich gegenüber den Vergleichsländern – insbesondere Indien – der gewaltige Bedeutungszuwachs, den China ab dem Jahr 1950 erreicht hat, jener Zeit, in der Indien seine Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Großbritannien erkämpft hat.

Über Fidelio

Ich bin 1949 geboren und war in meiner berufstätigen Zeit als Stadtplaner in einer mittelgroßen kommune tätig. Seit meiner Studienzeit habe ich mich für die Entwicklung eines erweiterten geistigen Horizonts interessiert und einige Anstrengungen unternommen, mich persönlich in diesem Sinne zu entwickeln. Aufgrund meiner katholischen Erziehung habe ich in den 1960-er Jahren begonnen, mich intensiver mit dem modernen Mystiker Teilhard de Chardin zu befassen und bin so zur Gedankenwelt von Ken Wilber gekommen, die ich in diesem Projekt nutzbar zu machen versuche.
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