Wenn man in diesen Wochen seit der Bundestagswahl im September 2017 der veröffentlichten Meinung glaubt, befinden wir uns politisch in einer historisch einzigartigen Situation. Die noch bis vor einem Jahr geltende Sprachregelung von der Koalitionsfähigkeit aller demokratischen Parteien untereinander scheint nicht mehr zu gelten. In dem öffentlichen Wehklagen über diese Situation bleibt der Urheber für diese Entwicklung weitgehend im Hintergrund. Es sind nicht der Niedergang der SPD und die offen zutage tretenden Flügelinteressen der Partei, die zu langwierigen Diskussionen führen, sondern es ist die AfD – die als Profiteurin ungenannt im Hintergrund bleibt -, die zu einer Abspaltung konservativer Schichten von der bürgerlichen Mitte geführt hat. Es ist daher angebracht, das Wahlergebnis noch einmal in Erinnerung zu bringen: Die Unionsparteien verloren 8,6% Stimmenanteil gegenüber der Bundestagswahl 2013, die SPD 5,2%, zusammen also 13, 8%. Die hierdurch ermöglichten Wählerwanderungen haben mit einem Stimmenanteil von 5,9% zum Wiedereinzug der FDP in den Bundestag geführt und die AfD mit 7,9% der Wählerstimmen erstmalig in den Bundestag gebracht. Konservative und nationalistisch gesinnte Wähler im Verbund mit rechtsradikalen Kräften haben also 1:1 die Verluste der beiden Volksparteien aufgefangen. Besonders stark haben sich diese Tendenzen in Bayern ausgewirkt, wo die CSU einen Stimmenverlust von 10,5% hinnehmen musste. Hiervon haben dort vor allem die AfD (12,4%) und in wesentlich geringerem Ausmaß die FDP (10,2%). Diese Entwicklung hat bei der CSU mit Blick auf die anstehende Landtagswahl am 14. Oktober 2018 zu einer Art Torschlusspanik geführt, die zu einer Schärfung ihres Profils nach dem Muster der AfD führt und die Partei an den Rand der oft beschworenen Koalitionsfähigkeit der demokratischen Parteien führt.
Nachfolgend werde ich die Veränderungen des politischen Klimas in Deutschland durch die Darstellung der Wertewelten nach dem System der Spiral Dynamics in Verbindung mit dem AQAL-Ansatz (AQAL = alle Quadranten, alle Level) der Integralen Theorie für die genannten Protagonisten transparenter machen.
Keine guten Voraussetzungen für Verhandlungserfolg: geringe Wertschätzung der Verhandlungsführer | Erfolg oder Misserfolg von Verhandlungen hängt wesentlich von positiven Beziehungen zwischen den Verhandlungspartnern ab. Solche Beziehungen können auf der Grundlage von Offenheit, Höflichkeit, gegenseitiger Anerkennung der Gleichwertigkeit und Vertrauen entstehen. In der nebenstehenden Grafik ist zu sehen, dass diese Qualitäten in unterschiedlichem Maße bei den Verhandlungspartnern der Sondierungsgespräche vorhanden waren. Besonders geringe Werte für Offenheit sind bei Martin Schulz als Verhandlungsführer der SPD und bei Angela Merkel als Verhandlungsführerin der CDU zu sehen. Auch die Qualitäten Vertrauen und Anerkennung sind für Merkel und Schulz sehr ähnlich und in geringem Maß vorhanden. |
Strukturell sind sich die Wertewelten der derzeitigen Regierungsparteien und deren Vorsitzenden sehr ähnlich. Sie unterscheiden sich jedoch in einem wesentlichen Aspekt von der Wertewelt Deutschlands: das Verhältnis von Blau zu Grün ist umgekehrt. Hierin ist ein Hinweis auf die Entfremdung des politischen Establishments vom Volk zu sehen. | Ein Blick auf die Entwicklung der Wertesysteme im Bezug auf SPD und CDU zeigt für den Zeitraum von April 2017 bis Januar 2018 keine strukturellen Veränderungen. Jedoch hat sich bei der SPD eine Verschiebung von Blau zu Orange und eine deutliche Stärkung von Rot eingestellt. Diese Veränderung steht wahrscheinlich im Zusammenhang mit dem wachsenden Selbstbewusstsein in der SPD, das durch Mitgliederzuwächse und deren neue personale Initiativen gefördert wird. Ähnliche Tendenzen sind auch bei der CDU festzustellen. Sowohl bei CDU wie bei der SPD gehen die Zuwächse bei Orange auch zu Lasten von Gelb. Diese Schwächung der spirituellen Einflüsse auf das Gesamtsystem lässt eine nachlassende Effizienz in der Entwicklungsspirale erwarten. |
Bei den Spitzenpolitikern der AfD sind strukturelle Übereinstimmungen gegeben. Das starke Gelb ist jedoch wegen des zwischenzeitlichen Parteiaustritts von Frau Petry nicht mehr aktuell. | Die Wertewelten von CSU und AfD sind sich nicht nur in der Struktur gleich, sie stimmen auch in der Ausprägung der einzelnen Wertesysteme weitgehend überein. Die größte Abweichung betrifft Orange und beträgt etwa fünf Prozentpunkte. Auffällig ist jedoch ein wesentlich stärkeres Gelb im Bezug auf die AfD. Möglicherweise ist dieses auf den großen Einfluss von Frauke Petry zurückzuführen und ist wegen des Parteiaustritts von Frau Petry nicht mehr aktuell. |
Die Übernahme der europäischen Idee hat wesentlichen Einfluss auf die Werthaltungen nationaler Politiker | Ein Vergleich der Wertewelten von Angela Merkel und Martin Schulz zeigt eine kontinuierliche Übereinstimmung der Wertewelten (siehe hierzu oben). Die Abweichungen liegen im Bereich der Fehlertoleranz. Diese Übereinstimmung ist nicht sehr überraschend, da beide Politiker fest auf die Idee von Europa eingestimmt sind und in einem starken Europa den Garanten für eine erfolgreiche Politik in Deutschland sehen. Die Idee von Europa basiert auf einer Wertegemeinschaft, die sich aus wirtschaftlicher Zusammenarbeit der Mitgliedsländer entwickelt und daher ein sehr starkes Orange entwickelt hat.
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In der oben stehenden Übersicht sind die Quadranten nach der Integralen Theorie im Bezug auf die oben dargestellten Holone zusammengestellt. Hier zeigen sich insbesondere zwischen Angela Merkel und Martin Schulz markante Unterschiede. Während Frau Merkel ein leichtes Übergewicht in den beiden rechten Quadranten zeigt, sind hier bei Martin Schulz moderate Defizite vorhanden. Ein sehr starkes Übergewicht der rechten Quadranten zeigt sich bei Horst Seehofer. In der Überbetonung der rechten Quadranten kommt die Es-Sprache zum Ausdruck, ein Zug konservativer Weltsicht, der auf Reduktionismus, Objektivismus und Positivismus basiert und für neue Tendenzen in den Systemwissenschaften kaum Verständnis zeigt. Sie geht von einer objektiv existierenden Welt aus, in der zwischen Betrachter und betrachtetem Gegenstand eine strikte Trennung besteht, die es ermöglicht, exakte Messungen durchzuführen um so die reale Welt erfassen zu können. Hiermit verbunden ist die Annahme, dass komplexe Untersuchungsgegenstände durch Auflösung in ihre Bestandteile und deren Erfassung ein gültiges Bild ihrer Realität ergeben.
Es überrascht daher nicht, dass der CSU-Vorsitzende Seehofer als Verwaltungsbeamter und die Physikerin Angela Merkel mit dieser Weltsicht in Kontrast zu ihren Parteien treten, die überwiegend von „gesundem Menschenverstand“ beherrscht werden. Das Quadrantenbild von Martin Schulz ist dagegen durch eine stark erhöhte Aktivität im linken unteren Quadranten (Wir = kulturelle Gepflogenheit) gekennzeichnet, wobei die übrigen Quadranten gleichmäßig mit Defiziten belastet sind. Diese Struktur weist auf das starke Engagement von Schulz in der SPD hin, die als einzige deutsche Partei auf eine lange Tradition zurückblicken kann und und einen wesentlichen Anteil an der politischen Kultur in Deutschland hat. Eine weitere Besonderheit betrifft das Quadrantenbild von Deutschland, das durch eine starke Überbetonung des oberen linken Quadranten (Ich = Psyche) gekennzeichnet ist. Dieses Übergewicht geht überwiegend zu Lasten der rechten Quadranten (objektive Realität). Aus dieser geistigen Struktur sind sich häufende auffällige Verhaltensweisen erklärbar, wie zum Beispiel zunehmende Übergriffe einzelner Personen auf Rettungskräfte, Polizei usw.. Insgesamt ergibt sich ein Bild, in dem die erreichten Ebenen der geistig-psychischen Entwicklung in beständigen Grenzen verlaufen, in dem jedoch in der Ebene unterschiedlicher Aspekte der Wirklichkeit gravierende Schieflagen bestehen, die bis in die obersten Hierarchieebenen reichen. |