Universalismus in einer globalisierten Welt

Die vergangenen Wochen wurden geprägt durch sehr unterhaltsame, aber auch durch nachdenklich stimmende Meldungen in den Medien. In die erste Kategorie passt die tagelange Suche nach einem vierbeinigen Phantom im brandenburgischen Speckgürtel von Berlin. Zunächst als Löwin identifiziert, dann als Wildschwein in den Wäldern verschwunden, sorgte es für die Aktivierung des Jagdtriebes eines breiten Spektrums ordnungsliebender Experten. Dieses Ereignis sorgte zugleich für eine vorübergehende Entspannung der durch Klimakrisen rund um den Erdball  anhaltend in ohnmächtige Anteilnahme versetzten Öffentlichkeit. Auf der politischen Bühne war in dieser Zeit der Parlamentsferien noch Platz für die ausgiebige Abarbeitung des Themas AfD. Ausgelöst durch jüngste Wahlerfolge – real wie auch virtuell in Umfragen – sorgte das Sommerinterview mit dem CDU-Vorsitzenden Merz für Aufregung, die wahrscheinlich nicht im Sommerloch steckenbleiben wird, sondern einen bleibenden Eindruck bezüglich der Haltung der CDU zu den Möglichkeiten einer Zusammenarbeit mit der AfD und der Eignung von Merz als Kanzlerkandidat hinterlassen wird.

Sommerlöcher macht ihre Hervorhebung ansonsten belangloser Ereignisse und ihre schwache Wahrnehmung aus. Dennoch steht die Welt in dieser Zeit nicht still. Neben Belanglosigkeiten schaffen es auch Themen wahrgenommen zu werden, die zwar wichtig sind, jedoch nicht in das von Regierungen gepflegte Themenspektrum passen.  Hierzu gehören z. B. die Finanzierung des Elterngeldes und die Lage der Wirtschaft oder die Sicherung des Industriestandorts Deutschland. Dabei werden auch Kapazitäten für die Einordnung tagesaktueller Ereignisse in globalere und langfristigere Ereignisse frei. Hieran soll dieser Beitrag anknüpfen und Langzeitentwicklungen unter Gesichtspunkten ganzheitlicher Betrachtungen aufzeigen, die sich an Themen orientieren, die aktuell in den Medien diskutiert werden.

Als Basis greife ich die Idee des Universalismus auf, die  aus den Anfängen der europäischen Aufklärung stammt und die kennzeichnenden Merkmale mit dem Konzept eines als „Achsenzeit“ bezeichneten geschichtlichen Phänomens  (ca. 800 v. Chr – 300 v. Chr. ) verband. In ihrer umfassendsten Definition, die Philosophie, Politik und Wirtschaft umfasst, wird der Universalismus lexikalisch als „Denkart, Lehre, die den Vorrang des Allgemeinen, des Ganzen gegenüber dem Besonderen und Einzelnen“ beschrieben. Im Zusammenhang mit Religionen bezeichnet er eine „Lehre, nach der der Heilswille Gottes die ganze Menschheit umfasst.

Der Universalismus hat sich in besonderem Masse durch das Christentum entwickelt und gehört zu den Grundlagen der europäischen Kultur. Er hat  sich mit der von den Römern geprägten Auffassung vom Christentum verbunden und mit der Missionierung der römischen Kirche ausgebreitet.  Jörg Lauster schreibt dazu in seiner Kulturgeschichte des Christentums:“Die Orientierung an Christus als alleinigem Weltenherrscher bot ihm (Anm.: gemeint ist der römische Kaiser Konstantin) eine religiöse Legitimation seines eigenen Herrschaftsauftrags. In Konstantins Annäherung an das Christentum lebte ein Aspekt des «maßlosen» Universalismus dieser Religion fort, der den Kaiser offensichtlich faszinierte. Ihm bot sich eine unvergleichliche Quelle von Kraft für seinen eigenen Sendungsauftrag, seine weltgeschichtliche Berufung und seine höhere Mission.“ Seine Macht als weltlicher Herrscher führte dazu, dass eine Verrechtlichung der kirchlichen Dogmen und der Habitus der Macht in Form gebauter Kirchen und sakraler Repräsentation eingeführt wurde.

Gerhard Richter: Fenster in der Abteikirche in Tholey

Die Bedeutung dieser Entwicklung in der Gegenwart wird spürbar in der Auseinandersetzung mit sakraler Kunst, wie sie von dem Künstler Gerhard Richter für den Kölner Dom und die Klosterkirche der Benediktinerabtei St. Mauritius in Tholey geschaffen wurden. Richter hat als bekennender Agnostiker der Abteikirche drei riesige Fenster für den Hauptchor gestiftet, die in einer für Richter typischen Technik der Abstraktion seine Handschrift zeigen. Wie bei abstrakten Darstellungen in gesteigertem Maße unvermeidlich, liegt auch hier die Kunst im Auge des Betrachters. Der ZEIT-Feuilletonist Thomas Assheuer berichtet von schwebenden Engeln und von der trinitarischen Komposition, die von den Mönchen in den Fenstern erkannt werden, mit weltlichem Blick sehe man „eher kleine Teufel, dazwischen Gesichter mit spitzen, schreckhaft aufgerissenen Mündern und schlanke maskenhafte Gestalten in einer entrückten buddhistischen Ruhe. Während die Formen äußerst diszipliniert sind, explodieren die Farben in Chagallblau, Brombeerrot und Pfirsichorange. Doch nichts von dem, was man in diesem ornamentalen Fest zu sehen glaubt, steckt auch darin.

Auf die rhetorische Frage, was denn wirklich durch die hereinstrahlende Sonne sichtbar wird, macht Assheuer den Vorschlag, eine Lichtinszenierung des Wunders einer unbegreiflichen Evolution, das Spiel der Farben und Formen hierin zu sehen. „Alles ist in Bewegung, und nichts bleibt, wie es ist. So gesehen, bestünde die Aufgabe des Malers darin, mit den neuesten technischen Mitteln das Unsichtbare sichtbar zu machen, das Durchscheinen des Kosmischen in endlichen Figuren. Und siehe, es ist gut.“ Hiermit könne die katholische Kirche ihre Affassung von einem dynamischen Kosmos gegenüber einem zyklischen Zeitbegriff, der das ewig wiederkehrende umfasst, zum Ausdruck bringen. „In der christlichen Lehre ist der Kosmos eben nur Kosmos, es gibt Hö­heres: Der Stern von Bethlehem strahlte heller als alle anderen Sterne, und als Moses das befreiende Gesetz verkündete, erzitterte das ganze Weltall.“ Doch wofür Befreiung, fragt er, wo doch alle Menschen und vor allem die Schuldigen bereits durch den Opfertod Jesu erlöst sind?

Satanssturz: © Atelier Maqsoodi

Sobald der Besucher Richters Fenstern den Rücken zudreht, sieht er – verdeckt von der Orgel – im Westfenster den Sturz des Satans. Und plötzlich ist es mit der kosmischen Harmonie vorbei. Im schreienden Rot des Glasfensters herrscht Krieg, ein Exzess von Gewalt und Grausamkeit.“ Dieses Fenster wurde von der aus Afghanistan geflohenen Künstlerin Mahbuba Maqsoodi entworfen und steht mit seiner Eindeutigkeit in scharfem Kontrast zu Richters Fenster.

Bei konservativen Katholiken mag die Konfrontation mit den beiden so unterschiedlichen Werken eines Deutschen und einer Afghanerin Fragen nach dem Verständnis der Auftraggeber von der Aufgabenstellung und der Vereinbarung mit der religiösen Tendenz der Künstler*In hervorrufen. Hierauf antwortet der Projektkoordinator: »Wir sind die Letzten, die noch den Universalismus verteidigen.« Assheuer kommt zu dem Schluss: „…– in Tholey trifft Richters kontemplatives Staunen über das Universum auf die harte Zumutung der biblischen Botschaft: Du sollst nicht töten, Frieden auf Erden, Befreiung von Herrschaft, Ende der Rache, Wahrheit statt Gewohnheit, alle Menschen sind gleich. Angesichts der globalen Realitäten sind das revolutionäre Forderungen, und so empfiehlt sich die Abtei als idealer Wallfahrtsort für jene Ratlosen, die nach dem Missbrauch der Kinder an ihrer sündhaften Kirche verzweifeln. An erhellendem Licht mangelt es jedenfalls nicht.

An die Stelle der Auserwähltheitsidee im jüdischen Glauben trat – durch den Einfluss griechischer und vorderasiatischer Quellen der Achsenzeit – im Christentum der Universalismus, der sich durch die Missionsreisen des Apostels Paulus rasch verbreitete. „Statt als besondere Religion einer sich vom Rest der Menschheit abhebenden Gemeinschaft verstand sich das Christentum als die wahre Religion im Prinzip aller Menschen. Diese Erfindung des Universalismus durch eine neue, anfänglich recht unbedeutende Glaubensgemeinschaft hatte für die Wahrnehmungsgeschichte kultureller Differenz und damit auch für die Entwicklungsgeschichte des Rassismus einschneidende Folgen, die bis weit in die Neuzeit reichten.“ (Zitat: Geulen, Christian. Geschichte des Rassismus (Beck’sche Reihe 2424) . C.H.Beck. Kindle-Version.)

Über Fidelio

Ich bin 1949 geboren und war in meiner berufstätigen Zeit als Stadtplaner in einer mittelgroßen kommune tätig. Seit meiner Studienzeit habe ich mich für die Entwicklung eines erweiterten geistigen Horizonts interessiert und einige Anstrengungen unternommen, mich persönlich in diesem Sinne zu entwickeln. Aufgrund meiner katholischen Erziehung habe ich in den 1960-er Jahren begonnen, mich intensiver mit dem modernen Mystiker Teilhard de Chardin zu befassen und bin so zur Gedankenwelt von Ken Wilber gekommen, die ich in diesem Projekt nutzbar zu machen versuche.
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