New York – Eine Stadt wie ein Universum?

Das amerikanische New York bis zu Lincolns Tod

Mit der Unabhängigkeit der britischen Kolonien begann für New York eine Wachstumsphase, die viele Unternehmer in die Stadt brachte. Das Jahr 1807 war in verschiedener Hinsicht für die Entwicklung der Stadt von Bedeutung: Der Ingenieur Robert Fulton hatte ein Dampfschiff konstruiert, das in diesem Jahr vom Stapel lief und den Liniendienst auf dem Hudson River aufnahm. Damit begann eine Entwicklung, die in wenigen Jahren das Segelschiff in den Hintergrud des Seehandels drängte. Im selben Jahr kaufte der Pelzhändler Johann Jakob Astor große Flächen auf Manhattan auf und schaftte damit die Voraussetzungen, die Stadt in Richtung Norden wachsen zu lassen. In dieser Zeit war der Jurist und Freimaurer DeWitt Clinton Bürgermeister der Stadt mit großen Visionen für die Stadt. Er setzte sich dafür ein, dass der Staat New York einen Plan für die Ausweitung Manhattans erarbeiten lasse, der vom Rat der Stadt zur Grundlage für seine Entscheidungen gemacht werden sollte. Im März 1807 wurde der Vorschlag der Stadt New York für die Bildung einer dreiköpfigen Kommission zur Erarbeitung des Straßenplans angenommen. Der Kommission sollten der Gouverneur Morris, der Rechtsanwalt John Rutherfurd und der Landesvermesser, Simeon De Witt, ein Cousin von DeWitt Clinton, dem Bürgermeister von New York City, angehören.

Rembrandt Peale: DeWitt Clinton

DeWitt Clinton, Gemälde von Rembrandt Peale; © gemeinfrei

Die Planungen wurden nach den Prinzipien des National Grid durchgeführt. Er ging von einer hypothetischen Bevölkerungszahl und ebensolchen Gebäuden aus, die zwar für die damaligen Vorstellungen ein enormes Wachstum bedeuteten und New York mit einer Million Einwohner zur einwohnerstärksten Stadt der Welt bestimmten, jedoch jeder realistischen Planungsgrundlage entbehrten, wie das gesamte Prinzip des Straßenrasters nach modernen Maßstäben keine Stadtplanung war. Der 1811 vorgestellte Rasterplan sah die Einebnung des Geländes und seine Überbauung mit 2.000 Häuserblocks vor. Er entsprach den Idealvorstellungen der in Entstehung begriffenen amerikanischen Gesellschaft und hatte die Qualitäten der geometrischen Klarheit und demokratischer Gleichheit, indem die Straßen Nummern statt Namen tragen sollten, wodurch ebenfalls der Sprachenvielfalt begegnet werden sollte und schließlich sollte so der Immobilienmarkt in geordnete Bahnen gelenkt werden. Insgesamt folgte er der Idee von New York als einer Stadt, in der der Mensch über die Natur triumphieren, die Dinge verändern und gestalten sollte und setzte sich damit von den Tendenzen Europas deutlich ab.

Doch teilten nicht alle diese Ideen. Es wurde und wird auch heute noch kritisiert, der Plan sei gnadenlos kommerziell und er beinhalte kaum Grünflächen, das Raster mit seinen langen in Nord-Südrichtung verlaufenden Straßen biete dem Auge keinen Halt und wirke durch die ständige Wiederholung eintönig. Diesen Einwänden wird entgegnet, die Eintönigkeit der langen geraden Straßen werde durch das pulsierende Leben auf den Straßen aufgehoben. Der Fußgänger werde so abgelenkt von seiner Orientierung im Raum und in die Aktivitäten der Straße eingebunden. Die langen Alleen repräsentierten die Grenzenlosigkeit Amerikas, das Raster gebe der Stadt eine feste Ordnung, die der Anarchie der Stadt entgegen wirke.

Rückblickend gilt die Planung Manhattans als eine der weitblickendsten Visionen, die je von Menschen entwickelt wurden. Doch damit nicht genug, die geografische Situation New Yorks machte die Stadt zu einem idealen Hafen, es fehlte aber die Verbindung zum riesigen Hinterland, ohne die der Warenfluss von und zum Hafen nicht in gleichbedeutender Weise zustande kommen konnte. Ideal für die Erschließung des Hinterlands wäre ein Wasserweg, der direkt mit dem Seehafen verbunden wäre. Die Appalachen schienen eine unüberwindbare Barriere zwischen dem Küstenstreifen und dem Hinterland zu bilden, vor der jeglicher Pioniergeist zu kapitulieren schien – außer der von DeWitt Clinton. Er hatte die Idee, eine Verbindung über den Hudson River zum Eriesee zu bauen. Dieser Kanal, der nördlich der Stadt Albany am Hudson River beginnt und in westlicher Richtung durch einen natürlichen Einschnitt die Appalachen quert und bis zum Niagara River verläuft, hatte bei seiner Einweihung 1825 eine Länge von 584 km Länge und eine Breite von 12 m. Trotz der relativ günstigen Höhenverhältniss mussten für die Querung der Appalachen 83 Schleusen und 18 Aquädukte angelegt werden. Diesem enormen Aufwand an Arbeitskraft standen kaum vorstellbare wirtschaftliche Vorteile gegenüber, die u. a. den Preis für eine Tonne Weizen von 100 $ auf 6 $ sinken ließen. Der wirtschaftliche Aufschwung bedeutete für New York den Aufstieg zum wirtschaftlichen Zentrum des Landes.

Zum Zeitpunkt der Eröffnung des Eriekanals beschrieb der Chronist George Templeton Strong die Stadt als friedliches ländliches Gemeinwesen mit weniger als 170 Tsd. Einwohnern, das benachbarte Brooklyn mit 11 Tsd. Einwohnern. Die Straßen waren schlecht gepflastert und mit Gaslampen beleuchtet.

Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung folgten zwei Jahrzehnte eines radikalen Umbruchs, der alle erdenklichen Probleme der Neuzeit mit ihren Konflikten in die erwachende Stadt brachten. Die Enge und die Größe der Stadt taten ein Übriges um den Wandel und seine begleitenden Konflikte in verschärftem Maße sichtbar werden zu lassen. Das Ausmaß dieser Explosion an Menschen und Objekten wird deutlich, wenn man das Einwohnerwachstum im Zeitraum von 1800 bis 1900 betrachtet. In diesem Zeitraum vermehrte sich die Bevölkerung um etwa das 50-fache, in Spitzenzeiten kamen 15 bis 20 Tsd. Einwohner wöchentlich in New York an.  Zeitweise stand die Stadt vor der Entscheidung in Chaos und Anarchie unterzugehen, oder sich eine durchgreifende neue Ordnung zu geben. Der Mythos von der kosmopolitisch offenen Stadt entpuppte sich unter diesem Druck bald als Wunschbild. Allein im Mai 1836 kamen 15.825 Einwanderer in die Stadt. Die Neuankömmlinge mussten durch die öffentlichen Einrichtungen versorgt werden und trieben die Steuern in die Höhe. Zu den stärksten Einwanderergruppen gehörten Iren und Deutsche. Bis 1840 kamen etwa 100 Tsd. Iren, die vor der Armut in ihrem Land geflohen waren, und etwa halb soviele Deutsche. In Folge der Hungersnot in Irland nahm der Zustrom irischer Einwanderer noch weiter zu. Für die deutschen Einwanderer spielte die gescheiterte Revolution von 1848 eine Rolle ganz anderer Art. Für sie war die Herausbildung eines eigenen Wohnbezirks innerhalb New Yorks mit der Bezeichnung „Kleindeutschland“ typisch.

Der Einwandererstrom aus Irland und Deutschland war zwar von der Not in den Herkunftsländern verursacht, er traf jedoch auf einen steigenden Bedarf an Arbeitskräften in der boomenden Stadt. Dennoch führte er zur Gründung der American Party, die sich gegen die katholischen Einwanderer aus Irland und Deutschland richtete. Die Iren kamen aus einer ländlichen Kultur und brachten ihre religiösen Bräuche und ihre Lieder mit. Sie kamen auf Segelschiffen, die wegen der großen Zahl von Toten, die während der Überfahrt starben, „Sargschiffe“ genannte wurden. Wer die Hölle auf dem Schiff überlebt hatte, kam oft krank und ausgemergelt in das Armenviertel Five Points, das eine dreimal so hohe Sterberate wie andere Wohnviertel hatte. Hier entbrannte ein Kampf um den billigsten Wohnraum. Das große Angebot an Arbeitskräften und der Kampf um das Überleben führten dazu, dass die Iren jede Arbeit zu den schlechtesten Bedingungen annahmen. Oft wurden sie an Stelle von Schwarzen eingestellt, wodurch die Iren den Ruf der „Schwarzen des 19. Jahrhunderts“ bekamen. 

Zwischen Einwanderergruppen einerseits und schwarzen Arbeitern kam es zunehmend zu rassistischen Konflikten, die Dichter und Schriftsteller zu ihrer literarischen Verarbeitung und der Darstellung der Ursachen inspirierten und die als Filmstoff bis in die Gegenwart nachwirken (Film „Gangs of New York„). 1855 veröffentlichte der Dichter Walt Whitman einen Gedichtband mit dem Titel „Leaves of Gras“ (Grasblätter), der tiefe Einblicke in die Seele Amerikas gibt und den Konflikten seine versöhnende und prophetische Vision der Zukunft entgegen setzt. Mit dem darin enthaltenen Gedicht „Mannahatta“ wollte er im Gegensatz zu den gesellschaftlichen Entwicklungen in New York aufzeigen, was die Menschen eint. Andere Schriftsteller, wie Herman Melville kritisierten die mangelhafte Ausstattung der Stadt mit Einrichtungen für die Naherholung wie Parks, Basebal- oder Kricketfeldern. Solche Kritik blieb nicht ohne Folgen. Im Jahr 1851 begann in den politischen Gremien der Stadt die Diskussion über die Anlage eines Parks und noch im selben Jahr wurden die Voraussetzungen für den Ankauf der benötigten Flächen geschaffen und ein Bauwettbewerb wurde ausgeschrieben. Das Gelände war von etwa 1.600 armen irischen und afroamerikanischen Arbeitern besiedelt und wurde 1857 von der Stadt für den Bau des Parks erworben.

Die Gewinner des Wettbewerbs waren Frederick Law Olmsted und Calvert Vaux. Ihnen wurde eine gute Auffassung der bestehenden Probleme wie Überbevölkerung, soziale Unordnung und seelische Unruhe in der Stadt attestiert. Nach den Vorstellungen der Verfasser des Planes sollte der Park ein Symbol für die großstädtische Demokratie werden, – ein Zivilisationsprojekt, in dem alle Völker Platz finden sollten und wo Ober- und Unterschicht zusammentreffen können. Der besondere Charakter des Parks sollte alle Unterschiede vergessen machen und die gemeinsame Menschlichkeit wiederentdecken lassen. Die gestalterische Leitidee war: „New Yorker müssen nicht hinaus auf das Land fahren, wir bringen das Land in die Stadt„.

Central Park. © CC BY 2.5

 

Im Frühjahr 1858 begannen die Bauarbeiten, bei denen überwiegend irische Tagelöhner beschäftigt wurden, die für weniger als einen Dollar pro Tag arbeiteten – Afroamerikaner wurden von der Arbeit ausgeschlossen, da dies zu Problemen unter den Arbeitern geführt hätte. Das Planungskonzept erinnert mit seinem Spiel der Bewegung an die Planung eines Films: Der Besucher wird von der gebauten Stadt langsam über eine Promenade in den Park hinein geführt. An ihrem nördlichen Ende weitet sich die Szenerie plötzlich auf und gibt den Blick auf eine atemberaubende Aussicht frei. Sie erzeugt die Illusion, als ginge das Glände endlos weiter.

Central Park – Blick nach Norden. © CC BY-SA 2.5

Bereits 1860 war der Central park weitgehend fertiggestellt. Die Reaktionen in der Bevölkerung waren entgegen der politischen Absichten des Projekts zurückhaltend und trugen nicht zum Abbau der sozialen Spannungen bei. Im Gegenteil: Die Unzufriedenheit eskalierte. Im Februar desselben Jahres kam der Präsidentschaftskandidat Abraham Lincoln als engagierter  Gegner der Sklaverei nach New York und hielt im Cooper Institut eine Rede vor mehr als 1.000 Zuhörern. Das Hauptthema war die Sklaverei. Diese Rede hinterließ großen Eindruck bei den Anwesenden und brachte Lincoln Publizität im ganzen Land. Einen Tag nach der Wahl im November 1860 erschien ein Komet am Himmel, der bei der Bevölkerung in der angespannten sozialen Situation als böses Omen aufgefasst wurde und die Angst vor einem Krieg entstehen ließ. Mit dem Angriff auf das in Süd-Carolina gelegene Fort Sumter durch eine Südstaaten-Miliz begann dann auch tatsächlich am 13. April 1861 der Bürgerkrieg zwischen den von Präsident Lincoln geführten Nordstaaten und den Südstaaten, die sich gegen die Abschaffung der Sklaverei wehrten. Die Unterstützung der Sache der Nordstaaten durch die New Yorker Bevölkerung war in allen Bevölkerungsschichten groß. Wenige Tage nach Kriegsbeginn versammelten sich etwa 250.000 Menschen auf dem Union-Square, mehr als 150.000 New Yorker – darunter etwa 50.000 Iren und 10.000 Deutsche kämpften in der Armee der Nordstaaten.

Abraham Lincoln; © gemeinfrei

Es war der erste Krieg, der auf der materiellen Grundlage des im Aufbau befindlichen Industriesystems geführt wurde. Dieser Krieg brachte die Maschinen in den Fabriken auf Hochtouren und stellte für das Land den Durchbruch zur Industriegesellschaft, der in Europa schon längst stattgefunden hatte. Auf der anderen Seite blieb der Krieg nicht ohne die für Kriege üblichen privaten Katastrophen. Zehntausende New Yorker starben im Krieg und durch seine Folgen in Form von Not und Elend. Der Krieg verschärfte die bereits seit Jahrzehnten bestehenden latenten Konflikte zwischen Armen und Reichen, Indigenen und Einwanderern, Protestanten und Katholiken, Schwarzen und Weißen. Die Spannungen erreichten im langen heißen Sommer 1863 ihren Höhepunkt in den Draft Riots, die sich neben der ohnehin bereits drückenden Armut nun auch aus dem Widerstand gegen den Krieg speisten. Es waren jedoch zwei Entscheidungen Lincolns, die zum Höhepunkt der Aufstände beitrugen: Die Anfang des Jahres 1863 ausgesprochene Befreiungsproklamation und die Einführung der Wehrpflicht. Insbesondere die Iren hatten Angst, dass nach der Sklavenbefreiung Schwarze nach Norden kommen würden und die ohnehin schon am Existenzminimum angekommenen Löhne hier noch weiter drücken würden. Diese Mechanismen waren ihnen wohl bekannt, da sie selbst eine Generation zuvor selbst gegenüber den Schwarzen so taktiert hatten. Auch die Einführung der Wehrpflicht trug zur Verschärfung der sozialen Spannungen bei. Für 300 Dollar konnten sich Wehrpflichtige vom Militärdienst loskaufen. Diese Summe entsprach für die meisten Arbeiter einem Jahreslohn, so dass sie de facto von der Befreiungsmöglichkeit ausgenommen waren.

Der Beginn der Einberufung erfolgte zeitnah zu der verlustreichen Schlacht von Gettysburg mit über 50 Tsd. Toten. Am 13. Juli 1863 zogen wütende Iren mit Knüppeln bewaffnet zur Einberufungsbehörde. Hier standen sich eine durch den Krieg geschwächte Polizeitruppe und etwa 15 Tsd. wütende Protestierende gegenüber. Aus ihren Reihen bildete sich ein Mob, der einen Polizisten tötete und seinen Leichnam zerfleischte. Die Unruhen hielten drei Tage an und richteten sich gegen die nach Auffassung der Protestierenden Verantwortlichen, zu denen die New York Times, die Wall Street und die Afroamerikaner gehörten. Erst durch den Einsatz des aus Gettysburg zurückkehrenden Militärs konnten die Ausschreitungen beendet werden. Sie hatten 40 – 50 Farbigen das Leben gekostet und ebensoviele Menschen zu Krüppeln gemacht.

Mit dem Einzug des Militärs in die Stadt begann die Wiederherstellung der Ordnung mit Hausdurchsuchungen und Erschießungen der Rebellen. Die gesamte Stadt lag in Trümmern und war durch die Soldaten besetzt. Am Ende waren es hunderte Tote, die niemand mehr zählte. Es dauerte Jahrzehnte, bis diese Ereignisse im Bewusstsein der New Yorker verarbeitet waren. Jedoch bedeutete dieses keinen Wandel im Bewusstsein der Menschen, sondern die wirtschaftliche, rassische und soziale Krise schrieb sich fort und wurde erneut zum Dauerkonflikt zwischen jenen, die vom Land kamen und denen die als Einwanderer in die Stadt kamen. Letztlich entschied die rassische Zugehörigkeit darüber, wer ganz unten in der sozialen Rangordnung stand – Afroamerikaner oder Weißer war die Frage. Als Folge dieses Streits verließen viele Afroamerikaner die Stadt.

Am 15. April 1865 starb Präsident Abraham Lincoln durch ein Attentat und New York fiel in tiefe Trauer, Geschäfte wurden geschlossen und die Straßen waren leer. In der schwierigen sozialen Lage der Stadt erwies sich Lincoln’s Tod als stärkeres Mittel gegen den Hass der verfeindeten Gruppen als alles andere.

Über Fidelio

Ich bin 1949 geboren und war in meiner berufstätigen Zeit als Stadtplaner in einer mittelgroßen kommune tätig. Seit meiner Studienzeit habe ich mich für die Entwicklung eines erweiterten geistigen Horizonts interessiert und einige Anstrengungen unternommen, mich persönlich in diesem Sinne zu entwickeln. Aufgrund meiner katholischen Erziehung habe ich in den 1960-er Jahren begonnen, mich intensiver mit dem modernen Mystiker Teilhard de Chardin zu befassen und bin so zur Gedankenwelt von Ken Wilber gekommen, die ich in diesem Projekt nutzbar zu machen versuche.
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