In den vergangenen Wochen ist aus den Echos der Medien ein zunehmender Unterton zu hören gewesen, der Zweifel an der Handlungsfähigkeit des politischen Systems aufkommen ließ. Das politische Barometer – dazu berufen wurde die AfD – stieg auf 18%. Damit wurde diese Partei in den Kreis informeller Entscheidungsträger berufen. Warum sonst sollte diese Partei es wert sein, als Maßstab für den politischen Zustand des Landes – immerhin der internationalen Bedeutung nach eines der wichtigeren Länder – zu dienen?
Was sich in den letzten Wochen in Deutschland abgespielt hat reiht sich in den Spielplan des globalen Welttheaters in der Sparte Komödie ein. Wie so vieles in der neoliberalen Kultur hat sich allerdings auch die Komödie verkleidet und es bedarf eines speziellen Humors – vielleicht des englischen – um den Witz des Spiels zu begreifen. Nachfolgend werde ich den Versuch machen, etwas zur Rückführung in die Wirklichkeit beizutragen.
Es besteht kein Zweifel daran, dass wir in ernsten Zeiten leben und vielen Menschen weniger zum Lachen zumute ist, als es die Leichtigkeit politischen Seins nahezulegen scheint. Ein hochkarätiges Treffen auf dem internationalen Parkett folgt dem nächsten, manchmal sogar im Stundentakt und zwischendurch die neuesten Entwicklungen in der Ukraine – nichts genaues weiß man nicht – gut, dass wir darüber gesprochen haben. Dennoch kann diese zur Schau gestellte Eloquenz und Leichtigkeit nicht darüber hinweg täuschen, dass Krieg ist, die Klimapolitik nicht voran kommt, die wirtschaftliche Situation schlecht ist, Arbeitskräfte in zentralen Bereichen fehlen, die Preise hoch sind, die Schulen vergammeln und Wohnungen kaum zu bekommen und zu bezahlen sind. Und dann will auch noch der Wirtschaftsminister die Heizungen abschalten, obwohl die es doch noch tuen?
Glaubt man einigen Zeitungen, muss Robert Habeck in dem ganzen Regierungszirkus nun endgültig durchgeknallt sein. Woran soll man sich da noch halten? Mein Vorschlag nach Martin Luther: Mal „den Leuten aufs Maul schauen„! Dieser Beitrag will dabei helfen.
Nach der schon öfter in diesem Projekt angewendeten Methode habe ich 8 Problembereiche ausgewählt, die zur Zeit die Medien und die Menschen im Lande bewegen. Diese Bereiche sind in der Reihenfolge ihrer Darstellung: Heizung, Wohnung, Schule, Auto, Krankenhaus, Klima, Kosten und Krieg. Diese Schlagworte wurden in Verbindung mit dem qualifizierenden Begriff „Problem“ im Internet verwendet um ihre Häufigkeit in 8 Internetquellen abzufragen. Als Quellen dienten: die Internetsuchmaschine Bing, die Zeitungen Bild und Die Welt aus dem Axel Springer-Verlag, die Tageszeitung (taz), die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), die Wochenzeitung Die Zeit, die Presse-Datenbank Genios und die Suche nach Leserbriefen mit den beiden Schlagwörtern. Die Ergebnisse wurden als zeitlich offene (totale) und als zeitlich eingegrenzte Werte für den vergangenen Monat (Mai) erfasst und grafisch aufbereitet. Die Rangfolge ergibt sich aus dem Prozentanteil an der Summe des jeweiligen Zeitraums.
In Grafik 1 sind die aggregierten Ergebnisse aus allen 8 Quellen dargestellt. Die Grafik enthält diese Quellen als farbige Balken und ist in der oben aufgezählten Reihenfolge am unteren Rand beginnend zu lesen. Für jedes Problemfeld ist ein Farbpaar zu sehen, zunächst in einem kräftigeren Ton für das zeitlich nicht eingerenzte (totale) Ergebnis und daran anschließend mit einem helleren Ton für den vergangenen Monat (Mai). Zusätzlich kann die Legende zu Grafik 2 zur besseren Lesbarkeit herangezogen werden. Als herausstechendstes Ergebnisse – sowohl lang- wie kurzfristig – stellt sich das Problemfeld Auto dar. Erst mit weitem Abstand folgt in der offenen Erfassung (total) das Problemfeld Krieg, gefolgt von – jeweils total gesehen – Kosten, Schule, Wohnung, Klima, Krankenhaus und am Schluss Heizung. Die Monatswerte zeigen – mit Ausnahme für Klima – große Abstände zu den totalen Werten. Dieses Missverhältnis ist eindeutig auf die im Mai erfolgte Bedeutungserhöhung des Themas Auto verursacht. Großen Anteil an diesem Ergebnis haben wahrscheinlich die öffentlichkeitswirksamen Aktionen der Letzten Generation und die hierauf reagierenden Pressestimmen, die einerseits von den Aktivisten beabsichtigt sind, andererseits aber auch den Staat zu Reaktionen drängten, die eine Kriminalisierung der Aktivisten zur Folge hat.
Demgegenüber haben die skandalisierenden Presseberichte zum Thema Vetternwirtschaft bei der grünen Regierungspartei, insbesondere das lange Zögern Robert Habecks hinsichtlich einer Verabschiedung seines entgleisten Staatssekretärs, keine nachhaltige Wirkung in der breiten Öffentlichkeit erzeugt. Offensichtlich war der von den Medien nahegelegte Zusammenhang zwischen der Personalie Staatssekretär und dessen Verantwortung für den – noch nicht abgestimmten – Entwurf einer Novelle des Gebäude-Energiegesetzes (GEG) als denunziatorisches Vorhaben politischer Konkurrenten zu naheliegend.
Etwas mehr Einblick in die Zusammenhänge bringt ein Blick auf Grafik 2. Das in dem Überblick der Grafik 1 abzulesende Ergebnis wird hier grundsätzlich bestätigt. Für vier der großen Zeitungen (Bild, Welt, FAZ und ZEIT) sind die Werte für die Farbpaare in grün – also das Problem Auto – am höchsten. Darüber hinaus sind die Werte für den totalen – zeitungebundenen – Wert für Bing und die linke Zeizung taz zwar sehr hoch, fallen jedoch für den vergangenen Monat stark ab. Allein bezüglich der taz könnte jedoch ein Zusammenhang zwischen den Themen Auto und Heizung anhand der Zahlen bestehen. Hier ist ein starker Rückgang des Themas Auto bei gleichzeitigem starken Anstieg des Themas Heizung festzustellen, so dass im Monat Mai ein Gleichstand beider Problemfelder erreicht wird. Ob es sich dabei um Polemik oder konstruktive Behandlung der Themen handelt, kann dabei nicht sicher gesagt werden. Für letzteres spricht ein ebenfalls starker Anstieg des Themas Klima auf das gleiche Niveau der beiden genannten Themenfelder.
Bevor ich auf das Gesamtergebnis eingehe werde ich auf die politische Bedeutung des Zusammenhangs der Themen Heizung (GEG) und Auto eingehen. Beide Themen waren im Mai in den Medien mit skandalisierender Tendenz präsent, das Heizungsthema mal über den Einstieg Vetternwirtschaft, Habeck, Verhalten der FDP (Opposition in der Koalition), Technologieoffenheit oder Einzelfragen der vorgesehenen oder vermeintlichen Pflichten, die sich aus dem neuen Gesetz ergeben. Dennoch hat es dieser breit angelegte Zugang zu dem Thema nicht annähernd in den Rang des Themas Auto geschafft, obwohl beide hinsichtlich ihrer Komplexität durchaus gleichrangig sind. Der entscheidende Unterschied liegt in der unterschiedlichen Bedeutung und Adressierung der politischen Maßnahmen in den Themenfeldern. Beim GEG handelt es sich um Eingriffe in fundamentale Eigentumspositionen von Wohnungsinhabern, die bereits kurzfristig und massiv wirksam werden sollen, beim Auto dagegen um eine Umstellung der Technik auf Elektroantriebe, die ausschleichend bis zum Jahr 2035 – versehen mit einem FDP–Feigenblatt der Technikoffenheit im Hinblick auf E-Fuels – vollzogen werden soll. Der entscheidende Unterschied liegt aber darin, dass im Themenfeld Auto früher oder später ca. 49 Mio Autobesitzer betroffen sein werden, von denen schätzungsweise jährlich 4 Mio. vor der Entscheidung stehen, welches Auto sie als Nachfolger ihres ausgedienten Fahrzeugs kaufen sollen.
Ganz anders sieht es im Problemfeld Heizung aus. Hier treffen die neuen gesetzlichen Regelungen auf zwei unterschiedliche Betroffenengruppen. Aufgrund der geringen Eigentumsbildung in Deutschland stehen ca. 22 Mio. Mieterhaushalten ca. 19 Mio. Eigentümerhaushalten gegenüber. Nur Eigentümerhaushalte werden durch das GEG unmittelbar dazu verpflichtet, ggfs. kurzfristig neue Heiztechnik in ihr Haus oder die Wohnung einzubauen und in manchen Fällen größere finanzielle Belastungen hierfür hinzunehmen. Die Mietergruppe wird dagegen erst über die Mietnebenkosten an den Investitionen ihrer Hauseigentümer beteiligt. Bei einem Anteil von 26,5 Mio. Einwohnern in den 80 Großstädten Deutschlands werden die Mehrkosten vermutlich für die Mehrzahl der Mieterhaushalte gering ausfallen und müssen sozial abgefedert werden.
Diese Zahlenverhältnisse bilden sich auch in den Ergebnissen der abgefragten Quellen ab. In diesem Zusammenhang sind die unmittelbar von Betroffenen beeinflussten Quellen Bing und Leserbriefe hervorzuheben. Bei den Zeitungen ist dagegen – mit Ausnahme der taz – eine deutliche Unterrepräsentierung des Themas Heizung zu sehen. Hier müssen übergeordnete Bewertungen den Ausschlag für die im Vergleich hierzu extrem starke Betonung des Themas Auto geben. Dabei ist insbesondere an die auf das Auto ausgerichtete Wirtschaftsstruktur als Hauptquelle des Wohlstands in Deutschland zu denken.
Auf der Grundlage der analysierten Betroffenheiten ergibt sich ein politisches Kalkül, in dem die eigentliche Unterscheidung der beiden Themenfelder entlang der Klientelgrenze der FDP verläuft. Mit der frühzeitigen Thematisierung des GEG kann das Vorgehen der FDP als Versuch gesehen werden, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit von der FDP-Blockade einer klimaschonenden Verkehrspolitik im Ressort des FDP-Ministers Wissing auf das für das GEG zuständige Wirtschaftsministerium vom grünen Minister Habeck zu verlagern. Aufgrund der oben beschriebenen unterschiedlichen Betroffenheiten kann dieses Ablenkungsmanöver als gescheitert angesehen werden. Es wird jedoch an diesem Punkt sichtbar, dass im Handeln der Ampelkoalition eine ganzheitliche (holonische) Sicht des politischen Handelns fehlt. Sowohl Liberale wie auch Grüne haben ein gestörtes Verhältnis zu Hierarchien, die aus systemtheoretischer Sicht notwendig sind und auch in demokratisch verfassten Staaten auf allen Ebenen erforderlich und vorgesehen sind. Im hier dargestellten Fall wurde von verschiedenen Medien die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers eingefordert, die zum wiederholten mal nicht erkennbar war.
Trotz der Durchsichtigkeit des FDP-Manövers hängte sich die CDU – allen voran ihr Vorsitzender Merz – an den fahrenden Zug der FDP an und macht die GRÜNEN für das schlechte Bild der Regierung verantwortlich, und nicht nur das, sie wird nun für das gute Abschneiden der AfD – die nun den Status der heimlichen Regierung erhält – verantwortlich gemacht. Diese Blindheit für das eigene Verhalten ist es ja gerade, die zum Anwachsen der AfD führt und als Alarmzeichen für die Demokratie – auch in Deutschland! – gesehen werden muss.
In den Grafiken 3 und 4 sind die Ergebnisse für das zeitlich ungebundene- und das Monatsergebnis tabellarisch zusammengefasst. Die Rangfolge ist hier für die einzelnen Quellen farbig gekennzeichnet und mit Punktwerten versehen. Das Ordnungsschema reicht von 8 Punkten für die größte Bedeutung zu einem Punkt für die geringste Bedeutung. Aus den Summen dieser Punkte ist in der letzten Spalte das arithmetische Mittel notiert. Auf dieser Grundlage wird die absolute Bedeutung des Autos nochmals bestätigt, gefolgt von Schule, Kosten und Krieg mit deutlichem Abstand auf gleichem Niveau. Im Vergleich dazu haben die Themen Heizung, Krankenhaus, Klima und Wohnung nur geringe Bedeutung. Es zeigt sich hier, dass die größten Probleme in Politikbereichen bestehen, die nur in geringem Maße zentraler politischer Einflussnahme unterliegen. Die Entwicklungen in der Autoproduktion sind von Entscheidungen der Industrie bestimmt, die Schulpolitik von den 16 Bundesländern gestaltet, die Kostenentwicklung unterliegt wirtschaftlichen Bedingungen und kann von der Bundesregierung und den Tarifpartnern lediglich sozial abgefedert werden, der Ausbruch von Kriegen kann nur auf internationaler Ebene präventiv verhindert werden und ist entscheidend vom Verhalten der Kriegsgegner abhängig.
Die zunehmenden Schwierigkeiten in der Adressierung von politischen Protesten rücken mehr und mehr Zweifel an der Funktionsfähigkeit des politischen Systems in das Blickfeld und führen zu eigenen Protestformen, wie sie von der „letzten Generation“ erprobt werden. Auf der anderen Seite stehen die bequemeren Protestäußerungen durch Wahlentscheidungen, die von der Hoffnung getragen werden, „die da oben“ würden das Signal schon verstehen und ihre Politik ändern. Dieses ist der Weg des klammheimlichen Einverständnisses mit den Systemzerstörern und die Fahrt hinein in politische Abenteuer wie unter Mitwirkung der FDP in Thüringen geschehen.
Nach demselben Verfahren wie in der Tabelle aus Grafik 3 wurde in der Tabelle der Grafik 4 die Situation bezüglich der Ergebnisse des Monats Mai dargestellt. Im Vergleich der Tabelle in Grafik 3 mit der Tabelle in Grafik 4 haben sich die größten Verschiebungen in den Themenfeldern Heizung, und Krankenhaus ergeben. Diese Verschiebungen betreffen Themenfelder, die sich auf niedrigem Niveau befinden und als Folgen von Regierungsinitiativen einen relativ starken Anstieg erfahren haben. Ein weiteres Themenfeld mit deutlicher Verschiebung ist Schule mit aktuell geringerem Gewicht. Ursache kann hier die fortschreitende Erholung der Schulsysteme von den Einschränkungen durch die Pandemie sein. Besonders zu erwähnen ist ebenfalls ein Anstieg des Problemfeldes Krieg. Für die vier nicht genannten Themenfelder ergeben sich Gleichstände bzw. relativ geringe Veränderungen, die den Schluss zulassen, nur längerfristig beeinflussbar zu sein. Das ist insbesondere für die Probleme im Themenfeld Wohnung, Klima und Kosten nachvollziehbar.
Aus den Tabellen lassen sich neben der Gewichtung von Themenfeldern auch Präferenzen der benutzten Quellen feststellen. Nachfolgend werde ich einige Auffälligkeiten aufgreifen, zunächst das Verhältnis von Internet und Zeitungen betreffend. Im Themenbereich Wohnung gibt es in Leserbriefen der Zeitungen eine wesentlich stärkere Präsenz als im Internet. Umgekehrt sieht es bei dem Thema Krieg aus. Große Übereinstimmung ist in den Themenfeldern Auto auf Spitzenniveau und Klima auf unterstem Niveau zu sehen. Ein Vergleich der beiden Zeitungen aus dem Axel Springer-Verlag (Bild und Welt) zeigt weitgehende Übereinstimmung und lässt auf eine gemeinsame Ausrichtung dieser Zeitungen schließen (Redaktionsstatut). Die eher nach links tendierende und als Genossenschaft betriebene Tageszeitung (taz) stimmt aktuell in den meisten Themenfeldern ganz oder nahezu mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) überein. Hauptunterschiede betreffen die Problemfelder Wohnung und Kosten, beide werden von der FAZ mit deutlich geringerem Anteil erwähnt. Im Problemfeld Klima hat sich die taz hinsichtlich des Stellenwerts der FAZ angenähert. Die Wochenzeitung „Die Zeit“ unterscheidet sich von den anderen Zeitungen hauptsächlich durch ein deutlich höheres Gewicht, dass sie der Schule zumisst.
Einen Querschnitt der deutschen Presselandschaft stellt die Datenbank Genios dar. Die hieraus gewonnenen Daten können als die zuverlässigsten im Bezug auf zeitliche Eingrenzungen angesehen werden. Als Vergleichszeiträume wurden das Jahr 2019 – das letzte Jahr vor der Pandemie – und der Monat Mai 2023 gewählt. Die Tabelle ergibt hier unter allen Quellen aktuell das geringste Gewicht für das Themenfeld Auto und zeigt darüber hinaus eine hohe Kontinuität im Zeitvergleich.
Insgesamt zeigen die Ergebnisse aktuell das geringe Gewicht, das Umwelt– und Gesundheitsthemen in Deutschland haben. Die mit großer Energie durchgeführten Aktionen zivilgesellschaftlicher Initiativen haben damit ihre Berechtigung, wenn auch über einzelne Aktionsformen zu streiten ist. Insbesondere ist jedoch zu fordern, die Klagemöglichkeiten vor Gerichten zum Klimaschutz und zur Klimafolgenbekämpfung zu erweitern. Warum kann für das Klima nicht vergleichbares gelten, wie es schon lange für die Meere praktiziert wird?