Mit diesem Beitrag zur monatlichen Beobachtung der Veränderungen in der Ukraine aus integraler Sicht durch Erhebung der zwei wesentlichen Aspekte WMeme und Quadranten stößt die monatliche Berichterstattung zum Ukrainekrieg an ihre Grenzen. Erst nach mehreren Versuchen ist es mir gelungen, einige vertrauenerweckende Informationsquellen im Internet zu erschließen – daher auch die späte Veröffentlichung dieser Ergebnisse für den Mai. Die neu aufgetauchten Schwierigkeiten liegen einerseits in der fortschreitenden Kommerzialisierung des Internets und der Zuverlässigkeit der Ergebnisse, vor allem jedoch in der unterschiedlichen Qualität der Suchergebnisse, die entweder durch Manipulationen oder aufgrund von Kriegseinwirkungen (Flucht, Infrastrukturzerstörungen, Bunkeraufenthalte usw.) keine realistischen Ergebnisse ermöglichen.
Die in diesem Beitrag verwendeten Daten basieren auf Abfragen bei den Internetseiten der ukrainischen Zeitungen „Stimme der Ukraine“ und der Boulevardzeitung „Fakty i kommentarii“ (deutsch: Fakten und Kommentare) sowie auf den Internetseiten mit der Kennung .ru für russische Internetseiten. Damit geht die bisher vorhandene Authentizität als besonderes Merkmal der bisherigen Monatsbeiträge verloren und damit auch die Ablesbarkeit von Entwicklungstrends bezüglich der Kriegsfolgen. Die beschriebene Situation ist neben den genannten Folgen für dieses Projekt ein weiterer Beleg für die Aufhebung aller Gewohnheiten und Verlässlichkeiten im Krieg.
Zu den beiden Zeitungen ist zu sagen, dass es sich bei der „Stimme der Ukraine“ um das Presseorgan der Werchowna Rada – dem ukrainischen Parlament – handelt und um eine der wenigen in ukrainisch erscheinenden Zeitungen handelt, die auch als Internetausgabe (golos.com.ua) verfügbar ist. Sie wurde 1990 gegründet und kann aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Parlament als Veröffentlichungsorgan der ukrainischen Regierung angesehen werden. Es handelt sich um eine Tageszeitung, die nach eigenen Angaben fünf mal in der Woche in einer Druckauflage von 60.000 Exemplaren erscheint und die für Tageszeitungen üblichen Sparten neben amtlichen Mitteilungen abdeckt.
Die Zeitung „Fakty i kommentarii“ ist ebenfalls eine Tageszeitung, die 1997 gegründet wurde und mit einer Auflage von ca. 1,1 Mio. Exemplaren die größte Zeitung der Ukraine darstellt und in russischer Sprache erscheint. Sie wird von dem – Schwiegersohn des ehemaligen ukrainischen Ministerpräsidenten Leonid Kutschma, – Oligarchen Wiktor Pintschuk kontrolliert.
In der nebenstehenden Grafik 1 sind die Summen der untersuchten WMeme für die drei genannten Quellen grafisch dargestellt. Es zeigt sich, dass zwischen den beiden Zeitungen in der Ukraine ein Gleichgewicht besteht, soweit es ihre Präsenz im Internet betrifft. Aus der Präsenz russisch sprachiger Internetseiten unter der russischen Kennung mit dem Bezug auf ukrainische Städte und die Ukraine als Ganzes ergibt sich ein sprachliches Übergewicht des Russischen. Ob sich hieraus ein gewichtiger Überschuss für die russische Position im Propagandakrieg ergibt, ist damit nicht belegt. In dieser Frage ist die globale Verfügbarkeit der Informationen im Internet von der Verfügbarkeit in der Ukraine hinsichtlich der Beeinflussung politischer Meinungen zu unterscheiden. Der globalen Verfügbarkeit von Informationen sind neben englischsprachigen Angeboten viele weitere Angebote in verschiedenen Landessprachen hinzuzurechnen, die eine Stärkung der ukrainischen Position darstellen könnten, wenn sie in der Ukraine verstanden würden und Wirkungen entfalten könnten. Das wird hinsichtlich der russischsprachigen Informationen in ungleich höherem Maße der Fall sein, wobei offen bleiben muss, in welchem Sinne eine Beeinflussung sowohl von russischsprachigen wie von anderssprachigen Seiten hiervon ausgehen kann. Es zeigt sich auch hier wieder die äußerst schwierige Gemengelage, in der sich die Ukraine in ihrem Verhältnis zu Russland mit der gemeinsamen Vergangenheit in der ehemaligen Sowjetunion befindet.
Nachfolgend werden die Ergebnisse für die WMeme und Quadranten aus den drei Quellen anhand von grafischen Übersichten dargestellt. In Grafik 2 sind die Ergebnisse nach der ukrainischen Parlamentszeitung zu sehen.
Von den 14 untersuchten Städten folgen 12 Städte einem Muster mit der dominanten Dreiergruppe aus den WMemen Blau, Orange und Grün in einem weiteren Fall mit einer nahezu gleich starken Ausprägung dieser drei WMeme. In diesem Muster ist eine Tendenz zu einem leicht hervortretenden Blau und einem etwas hinter den beiden anderen Wmemen zurückbleibenden Orange zu sehen.
Diese Dreierkonstellation steht im krassen Widerspruch zu dem Bild, das die Städte noch im Vormonat abgegeben haben. Das für die Gewalt des Krieges stehende Rot ist im Mai auf etwa dem gleichen Niveau von Orange zu sehen und spiegelt nichts von der Dramatik des Krieges wider, wie sie aus der offenen Internetrecherche im April hervorgeht. Wie eingangs angemerkt, drückt sich hierin der Verlust an Authentizität aus.
Dieser Eindruck wird durch den Blick auf die – dem Parlament entsprechende – räumliche Bezugsebene der Ukraine als Ganzes gestützt, wie in Grafik 3 zu sehen ist. Hier zeigt sich das für die alte Ukraine und Russland typische blaue Ordnungsmacht, die nun in militärischen Strukturen agiert. Es kann davon ausgegangen werden, dass allein schon die Tatsache der von Russland aufgezwungenen Militarisierung der Ukraine einen Rückfall in blaue Strukturen fördert und so dem Europäisierungsprozess des Landes entgegen wirkt.
Das Dreiermuster wird bezüglich 11 der 14 Städte durch das leitende WMem Beige ergänzt. Dieses WMem steht für den Überlebenswillen, der hier jedoch eher als Durchhalteparole aufzufassen ist und nicht unbedingt der Gefühlslage der Menschen entspricht. In diesem Sinne ist auch die Diskrepanz zwischen den Städten und dem Land als Ganzem zu interpretieren – das starke Blau als leitendes Wertesystem hat auf der nationalen Ebene eine örtlich differenziertere Ansprache der Menschen ersetzt und damit einem übertriebenen Nationalismus vorgebeugt. Ukrainische Flaggen sind bei den vielen Solidaritätsbekundungen im Ausland besser angebracht als im eigenen Land. Hinzu kommt die spezielle Gemengelage der Ukraine, die durch übertriebenen Nationalismus alte Wunden sichtbar machen könnte. Ein weiterer Hinweis hierauf ist der Zusammenhang zwischen dem magisch-animistischen Purpur, das für die Hoffnung auf ein glückliches Ende der Bedrohung steht. In den Städten, wo diese Hoffnung am schwächsten erscheint, ist der Wille zu überleben am größten. An dieser Stelle weise ich nochmals darauf hin, dass es sich bei dieser Interpretation um eine Fiktion handelt, die durch die Erkenntnisse vor Ort bestätigt oder verworfen werden muss.
In Grafik 4 sind die Ergebnisse für die Städte nach den Abfragen bei der Internetzeitung „Fakten und Kommentare“ dargestellt. Auch hier ist das oben beschriebene Dreiermuster aus den WMemen Blau, Orange und Grün erkennbar, jedoch in der Ausprägung mit dem relativ schwachen Orange in der Mitte nur in 10 der 14 Städte, wobei das Verhältnis von Blau zu Grün variiert. In den Städten Charkiw, Dnipro, Krywyj Rih, Luhansk, Mariupol, Saporischschja, Simferopol und Winnyzja sind etwas stärkere Anteile von Grün gegenüber dem antagonistischen Blau zu sehen. Die Städte Donezk und Odessa weisen keine bzw. nur schwache Überschüsse von Grün gegenüber Blau auf.
Von den 14 Städten fügen sich lediglich Kiew, Lwiw, Mykolajiw und Sewastopol nicht in das zentrale Dreiermuster ein. In Kiew, Mykolajiw und Sewastopol zeigt sich für diese drei WMeme eine Abstufung von Blau über Orange zu Grün, in Lwiw ist diese Reihenfolge dahingehend modifiziert, dass Orange und Grün gleich stark erscheinen. Bezüglich Mykolajiw besteht die Besonderheit, dass die Situation von ungewöhnlich starken Anteilen an Beige und Blau bestimmt wird. Das führt zu sehr schwachem Grün und schwachem Orange. Obwohl die Stadt im Jahr 2022 durch russische Truppen beschossen wurde und viele Tote und Verletzte zu beklagen hat, sind die für andere Städte obligatorischen Anteile von starkem Rot hier nicht zu sehen. Dagegen ist ein außerordentlich starker Anteil von Beige vorhanden, der nahezu gleich stark wie Blau ausfällt. Möglicherweise spielt die Funktion der Stadt als Militärstandort für diese Ergebnisse eine Rolle. Darüber hinaus kann an dieser Stelle auf die zu Grafik 2 getroffene Feststellung bezüglich des Zusammenhangs zwischen Beige und Purpur verwiesen werden, der sich auch hier wiederfindet.
Ein wesentlicher Unterschied zwischen Grafik 2 und Grafik 3 besteht in der Rolle von Rot, das sich hier neben Blau in den Vordergrund drängt. In 7 Städten ist ein deutliches Übergewicht von Rot gegenüber Blau zu sehen: Krywyj Rih, Luhansk, Mariupol, Saporischschja, Sewastopol, Simferopol und Winnyzja. Weitere 5 Städte haben gleich starke oder annähernd gleiche Anteile von Rot und Blau: Charkiw, Dnipro, Donezk, Kiew und Odessa. Lediglich die an der Grenze zu Polen gelegene Stadt Lwiw sowie das oben dargestellte Mykolajiw haben sehr geringe Anteile von Rot.
Das Gesamtbild der Daten aus der Zeitung spricht für eine näher an Fakten orientierten Berichterstattung, wenngleich die Musterbildung und die große Übereinstimmung der Ergebnisse für Beige die Vermutung rechtfertigen, dass auch in dieser Zeitung Kriegsparolen verbreitet werden.
Als dritte Quelle werden in Grafik 5 die Ergebnisse der Recherche auf russisch orientierten Internetseiten dargestellt. Von den drei Quellen zeigt sich hier die größte Differenzierung in den Ergebnissen. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit und Vergleichbarkeit wird die zu den Grafiken 2 und 3 praktizierte Darstellungsweise beibehalten.
Die zentrale Dreiergruppe Blau, Orange und Grün stellt sich in 12 Städten als abgestuftes Teilsystem von Blau über Orange nach Grün dar. Dabei unterliegt Blau großen Schwankungen, die hauptsächlich auf unterschiedliche Anteile von Orange und Grün sowie der übrigen WMeme des Gesamtsystems zurückzuführen sind. Der Schwankungsbereich reicht von 28% für Krywyj Rih bis 12,5% in Winnyzja. Zu dieser Gruppe gehören die Städte Charkiw, Dnipro, Donezk, Kiew, Krywyj Rih, Luhansk, Lwiw, Mariupol, Mykolajiw, Odessa, Saporischja und Winnyzja. Die Städte Sewastopol und Simferopol weisen nahezu identische Wertestrukturen auf. Sie unterscheiden sich lediglich in einem schwächeren Anteil von Beige und einem stärkeren Anteil Orange bezüglich Simferopol. Dagegen ist für Sewastopol ein gleiches Niveau aller WMeme zu sehen. Die Ursachen für dieses außergewöhnliche Ergebnis liegen möglicherweise in der Kontrolle des Internets durch russische Stellen.
Der bedeutendste Unterschied zu den beiden vorherigen Quellen besteht – mit Ausnahme der beiden Städte auf der Halbinsel Krim – in dem durchgehend schwachen Grün, das als Träger der Weiterentwicklung und Korrektiv zu den konservierenden Bestrebungen von Blau praktisch ausfällt. Darin mag eine weitergehende Abbildung der Realität liegen als in den beiden anderen Quellen, es offenbart sich jedoch auch die Ursache des innerukrainischen Konflikts, der vermutlich den russischen Zielen entgegen kommt.
Das WMem Rot spielt lediglich in den Städten Kiew, Krywyj Rih, Luhansk, Winnyzja und den beiden Städten auf der Halbinsel Krim eine hervorgehobene Rolle, das gilt in besonderem Maße für Kiew, wo es als stärkstes Wertesystem imponiert. Eine Ursache hierfür könnte in russischer Kriegspropaganda im Internet zu suchen sein.
Auch in dieser Quelle spielt Beige für alle Städte eine bestimmende Rolle. Es kann somit festgestellt werden, dass es sich unter allen hier erfassten Blickwinkeln bei diesem Krieg um eine existentielle Bedrohung – vermutlich für beide Seiten – handelt, die eine Bedrohung des Weltfriedens als Konsequenz aus fortschreitenden Eskalationsstufen einschließt. Mit den Zusagen für die Lieferung von Kampfflugzeugen an die Ukraine durch NATO-Staaten und die Eingliederung von rechtsextremistischen Kampfeinheiten in die ukrainische Armee sind weitere Signale für die weitere Eskalation gesetzt.
In allen Profilen sind starke Anteile von Gelb und Türkis zu sehen, die auf planvolle Ausrichtung der Entwicklung innerhalb des operativen Teils der Entwicklungsspirale schließen lässt. Dabei sticht besonders Gelb in den Grafiken 4 und 5 heraus sowie Türkis in Grafik 2. Wie bereits in einem früheren Beitrag erwähnt, geht die relativ starke Ausprägung von Türkis auf die immer wieder von der ukrainischen Regierung betonte Rolle des Landes als Verteidigerin westlicher Werte gegen autoritäre Systeme zurück, die es verdiene Unterstützung von der Gemeinschaft der Staaten der Welt zu erhalten. Wie sich bei dem gerade veranstalteten Gipfeltreffen der G 7-Staaten gezeigt hat, wird dieser Anspruch nicht von allen Staaten vorbehaltlos anerkannt.
Neben der vertikalen Entwicklung entlang der aufsteigenden Werteentwicklung ist auch die horizontale Ausbreitung der Entwicklung in den Blick zu nehmen. Das kann zur groben Orientierung mit Hilfe des Quadrantensystems nach Ken Wilber erfolgen.