Nach dem Bürgerkrieg – Neues Wachstum
Im Sommer 1865 wurden die durch den Bürgerkrieg unterbrochenen Arbeiten an dem Großprojekt Central Park wieder aufgenommen. Als erstes wurde den Gefallenen der US-Marine ein Denkmal in dem neuen Park errichtet, das mit 8 Jahren Verzögerung eingeweiht wurde und den „Engel des Wassers“ aus dem Johannes-Evangelium darstellt. Es symbolisiert die heilende Kraft der Natur und damit die große Hoffnung, die sich mit dem Projekt des Parks verband, die sozialen Spannungen in der Stadt – wenn nicht zu heilen, so doch – zu mildern. Den Schöngeistern war der dargestellte Engel zu gewöhnlich, er sehe aus wie ein Milchmädchen hieß es, dem Volk gefiel er, da es sich von Bauernmädchen nicht abgestoßen fühlte. Der Park entwickelte sich schon bald zu einem beliebten demokratischen Treffpunkt, der auch bald durch die New Yorker Hochbahnen für Arm und Reich zu erreichen war und bald auch den Norden von Manhattan als attraktive Wohngegend erscheinen ließ. Bereits nach 10 Jahren wurden jährlich 8,5 Mio. Besucher gezählt und die New York Times nannte den Park stolz einen „majestätische(n) Ort zum Luftholen für das Stadtleben„. Das änderte jedoch nichts an der latent vorhandenen Konfliktsituation in der Stadt, die nun zwar zivilisierter in politischen Strukturen ausgetragen wurde und sich zwischen bürgerlichen Reformern, räuberischen Industriebaronen und ihren Geldgebern, Beamten der Tammany Hall und den Bürgern selbst abspielten. Die Folgen des Bürgerkriegs taten ein übriges, diese Konflikte weiter schwelen zu lassen. New York blieb ein zweigespaltener Ort, an dem sich die Gier nach Geld und Wohlstand und das Streben nach höheren Werten gegenüber standen.
Die Entwicklung zu einer Metropole brachte neben den speziellen amerikanischen Problemen, die durch das Zusammentreffen verschiedener Ethnien, Religionen und Glücksuchern bestimmt waren, auch die in allen Großstädten zu sehenden Probleme mit sich. Jedoch traten diese auf Grund der außerordentlich raschen Entwicklung und der enormen Einwohnerzahl sowie des hieraus, wie auch aus dem wirtschaftlichen Erfolg, herrührenden Wachstumsdrucks in besonderer Schärfe zu Tage. Zum Ende des Jahrhunderts gab es in New York die größte Konzentration von Reichtum seit Menschengedenken und gleichzeitig die größte Konzentration von Armut – eine abgrundtiefe Kluft zwischen Arm und Reich, die den Eindruck einer geteilten Stadt entstehen ließ.
Im Januar 1867 fror der Eastriver für einige Wochen zu. Damit waren die wirtschaftlichen Aktivitäten weitgehend blockiert. Vor allem die Verbindung mit dem auf der anderen Seite des Eastriver liegenden Brooklyn war abgeschnitten. Dieses Ereignis gab dem bereits lange bestehenden Wunsch nach einer Brücke über den Eastriver neue Aktualität und es kam noch im selben Winter zur Gründung der New York and Brooklyn Bridge Company. Ihr Ziel war es, eine Verbindung zwischen Manhattan und Brooklyn – das eine eigenständige Stadt war – herzustellen. Hierdurch sollte der Wachstumsdruck auf die Insel Manhattan verringert werden indem neuer Siedlungsraum erschlossen wurde. Die Ausführung dieses Vorhabens stellte die Beteiligten vor große Probleme, da die Konzeption der Brücke und ihre Bauausführung den Belangen des regen Schiffsverkehrs auf dem Eastriver Rechnung tragen musste. Weder Pfeiler noch Zugseile kamen als Konstruktionselemente in Betracht. Es blieb lediglich die Option auf eine Bogenbrücke, die in einem riesigen Bogen den Eastriver überspannen sollte. Für die Planung und Ausführung des Projekts kam nur der Erfinder des Drahtseils, der preußische Ingenieur John August Roebling, in Betracht. Groeblings Entwurf sah eine Brücke von 490 m Länge vor, die in dieser Abmessung die längste Brücke sein würde, die bis dahin gebaut wurde. Die Türme an den Enden der Brücke sollten 84 m hoch werden und waren damit höher, als die Skyline Manhattans in jener Zeit. Während der Grundsteinlegung im Sommer 1869 kam es zu einem Unfall, an dessen Folgen Roebling starb. Die Arbeiten an der Brücke wurden von Roeblings Sohn fortgeführt.
Das Brückenprojekt stürzte die beiden beteiligten Städte während der Bauzeit in ein politisches und finanzielles Chaos. Auslöser war jedoch nicht das Brückenprojekt, sondern ein Gerichtsgebäude, das bereits seit 12 Jahren im Bau war, ohne das ein Ende abzusehen war. An diesem Exempel sollte sich zeigen, wie Politik in New York funktionierte. Die Hauptrolle in dem Skandal fiel William Tweed als dem korruptesten Politiker jener Zeit zu. Tweed wusste, wie man Menschen manipulieren kann, er war unersättlich in allem und er war der größte Grundbesitzer in New York. Seine Maßlosigkeit war sein Schicksal und brachte ihn zum Scheitern. Er war es jedoch nicht allein, der durch Korruption und Schmiergeldmentalität der Bürokratie zu Reichtum gekommen war. Die moralischen Verfehlungen hatten System und waren organisiert durch die Tammany Hall. Tweed endete als tragische Figur, die stellvertretend für ein korruptes System durch Kritiker wie den Cartoonisten Thomas Nast zu Fall gebracht wurden. Im Dezember 1871 wurde Tweed von einem New Yorker Gericht zu 12 Jahren Haft verurteilt und sein Vermögen wurde beschlagnahmt. Nach einem Ausbruch aus dem Gefängnis und erneuter Inhaftierung starb er 1878 im Gefängnis. Damit hatte Tweed ein Bauernopfer für viele „ehrbare Bürger“ und Bankiers erbracht, die einer Strafverfolgung entgangen waren.
Im Herbst 1873 wurde die bis dahin schlimmste Finanzkrise an der New Yorker Börse durch den Bankrott der Northern Pacific Railway und der größten Bank des Landes ausgelöst. In den Reaktionen der Börse zeigte sich auf drastische Weise, dass die internationalen Finanzverflechtungen nicht lokal eingegrenzt werden können. Bereits im Mai desselben Jahres hatte die Krise in Österreich-Ungarn begonnen und setzte sich über weitere europäische Länder bis nach Amerika fort. Am 20. September 1873 wurde die New Yorker Börse für 9 Tage geschlossen. In den folgenden Wochen erreichte die Krise auch die Realwirtschaft mit der Folge erheblicher Arbeitsplatzverluste. Die darauf folgenden vier bis fünf Jahre gingen in die Geschichte als „Große Depression“ ein. Nach der anfänglichen Panik an den Finanzplätzen setzte eine Abwärtsspirale ein, die mit einer verstärkten Nachfrage nach Krediten begann und sich als Reaktion darauf mit der Drosselung der Kreditvergaben durch Banken fortsetzte, was eine Kapitalauszehrung der Unternehmen zur Folge hatte und Kündigungen für die Arbeitnehmer bedeutete, die daraufhin den privaten Konsum stark einschränkten und hierdurch die Wirtschaft weiter schwächten.
Von den Folgen der großen Depression waren vor allem die Einwandererviertel betroffen. Die Zahl der Obdachlosen stieg rasant an. Notunterkünfte wurden eingerichtet, sogar solche in den Kellern der Polizeistationen waren überfüllt. Daran konnten auch die öffentlichen Proteste, die nach städtischen Hilfen für die Opfer der großen Depression riefen, nichts ändern.
Nach 14 Jahren Bauzeit wurde die Brooklyn Bridge im Frühling 1883 fertiggestellt. Die Bauzeit war um das Dreifache, die Kosten um das Zweifache überschritten worden. Mehr als 5.000 – vorwiegend Deutsche, Iren und Italiener – hatten für weniger als zwei Dollar pro Tag geschuftet um dieses Symbol für den Aufbruch in eine neue Ähra New Yorks fertigzustellen. Der Tag der Einweihung wurde als Feiertag begangen und in einem großen Festumzug gingen Tausende New Yorker über die Brücke, wobei sie den atemberaubenden Blick über den Fluß genießen konnten. Trotz der großen Höhe mussten große Segelschiffe ihre Segel einholen, um unter der Brücke durchfahren zu können. Eine Besonderheit war der Holzsteg, der den Fußgängern eine sichere Benutzung der Brücke ermöglichte. Hierin zeigten sich erste Ansätze einer Erlebnis-Architektur und der kulturellen Integration technischer Bauwerke. Darüber hinaus wird die Brücke im Zusammenhang mit der Stadt auch als Metapher für die Mühen des Lebens in Arbeit – das Versprechen Amerikas in Erfüllung eines Arbeitsethos – gelesen.
Neben der Armutsmigration entstand zum Ende des 19. Jahrhunderts mit wachsendem Wohlstand auch eine Zuwanderung von Millionären. Die reichsten Bürger des Landes kamen in Manhattan zusammen. Manhattan wurde zum Mekka für jene, die nach Macht und Geltung strebten. Unter Bankern wurde es üblich, zumindest einen Zweitwohnsitz in New York zu haben. Im Jahr 1890 hatte fast die Hälfte aller Millionäre Amerikas einen Wohnsitz in New York. Diese Neubürger brachten einen Luxus mit, der selbst eingesessenen New Yorkern den Atem stocken ließ. An der Fifth Avenue reihten sich auf vier Kilometer ihre Villen aneinander. Bei dieser Entwicklung blieb es nicht aus, dass sich die Kluft zwischen Arm und Reich trotz technischen Fortschritten jährlich vergrößerte.
Mit der 1886 eingeweihten Freiheitsstatue im Hafen wurde den Symbolen amerikanischer Werte ein weiteres Symbol als Zeichen der Verbundenheit des französischen Volkes mit dem freiheitlichen Amerika hinzugefügt. Mit der Finanzierung des Sockels aus Spenden New Yorker Bürger wurde diese Verbundenheit erwidert.
Auch in New York gab es kritische Stimmen, die hinter der unübersehbaren Not vieler Menschen Mächte vermuteten, die zu beherrschen eine Schicksalsfrage nicht der Armen ist, sondern aller Menschen. Wer nicht aus eigener Initiative darauf kam, wurde durch das im Oktober 1890 erschienene Buch „Wie die andere Hälfte lebt“ von Jacob August Riis darauf gestoßen. Riis hatte selbst als Einwanderer in der kriminellen Welt von Five Points gelebt, war Polizeireporter bei der New York Tribune geworden und hatte 10 Jahre lang die Armenviertel der Lower East Side erkundet. Riis nutzte für sein Buch die gerade erfundene Technik des Blitzlichts um in die bisher weitgehend verborgene Welt der Armen vorzudringen. Er fotografierte Schlafende in Schlafsälen, Trinker in heruntergekommenen Kaschemmen und das Elend der Waisenkinder, die sich allein durchschlagen mussten.
Die Bilder konfrontierten die New Yorker mit einer Realität, die die meisten zu ignorieren versucht hatten: In der reichsten Stadt der Welt gab es über eine Million unterernährter und überarbeiteter Menschen, die oft unter entsetzlichen Bedingungen lebten. Wie bereits Jahrzehnte vorher in England stellten sich auch hier die Wohnverhältnisse als größtes Problem der Armen dar. In den Hinterhäusern der Armenviertel starb eines von fünf Kindern ohne das Sonnenlicht wahrgenommen zu haben. Riis fasste die Situation in dem Satz zusammen: „Es ist überhaupt erstaunlich, dass eins überlebt.“ Mit seinen Bildern und solchen drastischen Schilderungen rüttelte Riis die Öffentlichkeit auf und versuchte, von den überholten viktorianischen Armutsvorstellungen loszukommen. Nach dem viktorianischen Grundverständnis sind Menschen durch eigenes Verschulden arm und sollten von anderen Menschen kein Mitgefühl bekommen. Die Armen wurden hierbei in zwei Kategorien eingeteilt: die verdienten und die unverdienten Armen, je nachdem, ob sie als Opfer von Umständen angesehen wurden oder für ihren gegenwärtigen elenden Zustand verantwortlich gemacht wurden. Riis versuchte demgegenüber zu einem modernen milieubezogenen Armutsverständnis zu kommen. Dabei stellte sich die Erkenntnis ein, dass materieller Fortschritt nicht lindert, sondern eher erzeugt. Dennoch blieb sie für die meisten das große Rätsel der Zeit, das zu lösen als größte politische Aufgabe angesehen wurde, da andernfalls der Untergang der gerade erst erblühenden Kultur drohte.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts erstreckte sich New York nahezu über die gesamte Länge der Insel Manhattan. Diese bauliche Entwicklung erfolgte immer noch auf der Grundlage des 1811 erstellten Rasterplans, der sich zwar als Grundgerüst lange Zeit bewährt hatte, jedoch den Ansprüchen des zunehmenden Bevölkerungswachstums und dem neu entstehenden Bedarf an fächenintensiven Großgebäuden nicht mehr gerecht wurde. Das Bevölkerungswachstum hatte zur Jahrhundertwende die Zahl von zwei Millionen überschritten und ein Gemeinschaftsbewusstsein entstehen lassen, das große Privatinitiativen hervorbrachte. Innerhalb von einem Jahrzehnt entstanden wichtige öffentliche Institutionen, darunter kulturelle Einrichtungen wie die Kathedrale St. John the Divine (Grundsteinlegung 1892), der Madison Square Garden II (eröffnet 1890), die Carnegie Hall (fertiggestellt 1897) und die New York Public Library (Grundsteinlegung 1902).
Die andere Seite sah so aus: „Die Wall Street wurde von privaten Abenteurern beherrscht, darunter solch legendäre Figuren wie J. P. Morgan, John D. Rockefeller, die Vanderbilts, Edward H. Harriman, Jay Gould, Thomas Fortune Ryan (engl.) und andere kurzlebige, aber nicht weniger schillernde Erscheinungen. Einige mochten sich einen Tag lang in ihrem Erfolg sonnen, um bald niedergetrampelt und vergessen zu werden. Die meisten wurden reich mit Handelsgeschäften von solch zweifelhafter Legalität, daß jeder, der es ihnen heute gleichtun wollte, wahrscheinlich gezwungen wäre, im Ausland zu leben, um der Gefahr der Auslieferung zu entgehen. Durch ihren Handel mit Kohle, Eisenbahnlinien, Stahl, Tabak und dem neuen Feld von Elektroartikeln stürzten sie die Preise, kauften den Markt auf und betrieben Ausverkauf. Dem respektlosen Twain zufolge lautete das Evangelium der Räuberbarone in dieser galoppierenden Phase der industriellen Revolution: »Macht Geld! Macht es schnell! Macht es im Überfluß! Macht es auf schmutzige Weise, wenn ihr könnt, auf ehrliche, wenn ihr müßt«. Jeden Tag, wenn der Schlußgong in der Börse an der Wall Street erklang, gingen viele Mitglieder ins Waldorf-Astoria Hotel (engl.), das sich damals dort befand, wo heute das Empire State Building steht. Für einen Broker, der als Mitglied der »Waldorf-Clique« aufgenommen wurde, war dies ein Patentrezept für Erfolg. Die prunkvollen Salons und Speisesäle dienten als Schaukästen, in denen man die Gewinner bei ihrer Prahlerei und die Verlierer in ihrer Verzweiflung beobachten konnte. Die Furcht war oft deutlich spürbar.“
So beschreibt Margaret Cheney das Umfeld, in dem sich Nikola Tesla, der geniale Erfinder, der zu dieser Zeit in New York lebte und arbeitete, täglich bewegte. An der Wall Street entstand ein Ethos eigener Art: Sie wollte aus niederen Dingen Gold machen, die neuen Gründer jedoch wollten aus nutzlosem Gold Gegenstände von lebendiger Schönheit machen, die das Volk noch in Tausend Jahren erfreuen sollten. Zusammen genommen setzte sich damit die alchemistische Tradition in neobarockem Gewandt fort.
Die Chronisten der Stadtentwicklung stellten zum Ende des Jahrhunderts fest: „Das alte New York wurde abgerissen und eine neue Stadt ist an seiner Stelle auferstanden.“ Ab 1890 änderte sich das Bild der Südspitze Manhattans nach und nach durch den Bau von Hochhäusern, deren Bau durch die Erfindung des hydraulischen Aufzugs (1870) und die ab 1887 zunehmende Verbreitung des elektrischen Aufzugs sowie der ebenfalls zu diesem Zeitpunkt zunehmenden Eisen- und Stahlskelettbauweise praktikabel wurden. Mit dem Emporschießen der Wolkenkratzer stellte sich ein neues Bild von der Rolle New Yorks auf der Bühne der Zivilisation ein und es kam zu Vergleichen mit historischen Rollen wie Rom und London sie für das römische Imperium bzw. das englische Weltreich spielten. Da war es nur noch ein kleiner Schritt, die Expansion der Stadt auch territorial voran zu treiben. Mit Beginn des Jahres 1898 wurde die am Eastriver gegenüber liegende Stadt Brooklyn – die drittgrößte Stadt Amerikas – mit weiteren 38 Gemeinden in Queens, Staten Island und Bronx mit New York vereinigt. Es entstand eine gigantische Metropole, die aus fünf Bezirken besteht (Manhattan, Brooklyn, Queens, Bronx und Staten Island). So entstand die zweitgrößte Metropole der Welt mit einer Ausdehnung von 847 km2 und mehr als 3,5 Mio. Einwohnern. New York war nun doppelt so groß wie das ebenfalls boomende Chikago.
Im Januar 1892 schickte Walt Whitman – nun der berühmteste Dichter des Landes – dem New York Herald eine Bekanntmachung, in der er seinen Lesern verkündete, dass sein Gedichtband „Leaves of Gras“ (Grasblätter), an dem er voller Hingabe fast 40 Jahre geschrieben hatte, nun fertiggestellt sei. Zwei Monate später, am 26. März 1892, starb der hellsichtigste Dichter, den die Stadt je gekannt hatte. Seine Liebeserklärung an Mannahatta – so der Name eines Gedichts in der Sprache der Algonkin-Indianer die hier ursprünglich beheimatet sind – ist Zustands- und Programmbeschreibung für New York am Übergang zu einem neuen Jahrhundert:
„Gestalten steigen empor, Fabriken, Zeughäuser, Gießereien, Märkte, die doppelgleisigen Eisenbahnstrecken, Brückenschwellen, hohe Gerüste, Brückenträger und Bögen. Die höchsten Gestalten steigen empor. Gestalten allumfassender Demokratie, Frucht von Jahrhunderten, Gestalten, die immer neue Gestalten erzeugen. Gestalten stürmischer männlicher Städte, Gestalten, die ganze Erde erfrischend und von der ganzen Erde erfrischt.“
Das in hymnischen Sätzen wie diesen zum Ausdruck kommende Verständnis von Stadt knüpft an die ikonischen und symbolischen Bedeutungen des Begriffs „Stadt“ an und „ist tief verwurzelt im Streben nach politischen Bedeutungen. Die Stadt Gottes, die Stadt auf dem Hügel, die Beziehung zwischen Stadt und Bürgerschaft – die Stadt als Objekt utopischer Sehnsüchte, als entscheidender Ort der Zugehörigkeit in einer sich ständig verlagernden raum-zeitlichen Ordnung – verleihen dem Begriff eine politische Bedeutung, die eine überaus mächtige politische Vorstellungswelt aktiviert.“ (David Harvey in „Rebellische Städte„, edition Suhrkamp)
Die Expansion der Stadt war der Beginn einer neuen Einwanderungswelle, die jene, die vor 50 Jahren von Iren und Deutschen getragen wurde, bei weitem übertraf und eine neue Herausforderung für die Stadt bedeutete. Nun hatte sich das Spektrum der Herkunftsländer verbreitert und es gab kritische Stimmen von der Wall Street, die in den Ankömmlingen „ärmste, gemeinste und unerwünschteste Völker“ sah, die jemals amerikanische Ufer erreicht hatten. „Kein intelligenter Patriot kann gelassen dabei zusehen, wie diese Horde von Bauern, die nicht im Geringsten unsere Moralauffassung teilt, Zugang zu unserer Politik, unserer Gesellschaft und unserer Industrie verschafft wird. Diese Menschen besitzen keine der vererbten Instinkte, die es in früheren Zeiten verhältnismäßig einfach machten, mit der Imigration fertig zu werden. Es sind geschlagene Menschen niederer Rassen, die im Kampf um ihre Existenz kläglich gescheitert sind.“ (Prof. Francis Amasa Walker, Yale University) Noch drastischer drückte es ein anderer Zeitzeuge aus: „Die Schleusentore sind geöffnet, der Damm ist weggespült, die Abwasserleitungen sind frei, Europa erbricht sich über uns.“ Nüchtern betrachtet ging es um die Integration von etwa 1,2 Millionen Menschen, die allein 1907 in die Stadt kamen, um hier ein besseres Leben als in Europa zu finden. Die Motive der Einwanderung waren alle erdenklichen persönlichen, wirtschaftlichen und politischen Gründe, so dass sich eine bunte Gemengelage unterschiedlichster Charaktere und Nationalitäten ergab.