Die Stadt als Metapher – Eine Möglichkeit über Städte zu sprechen
Auf der Seite der mit der Stadtplanung und Stadtsoziologie befassten Experten sowie Gesellschaftskritikern hat es schon seit der Entwicklung von Industriestädten im Frühkapitalismus nicht an Kritik zu den Fehlentwicklungen der Städte gefehlt. Die von Friedrich Engels an Karl Marx gelieferten Beiträge zum Elend in den Arbeitersiedlungen haben ihre Wirkungen auf die Sozial– und Wohnungspolitik nicht verfehlt. Der Städtebau-Theoretiker Camillo Sitte fand eine Sprache, die eine Verständigung über die fachlichen Grenzen der Architektur und Gesellschaftswissenschaften hinaus ermöglichte. Er fand Metaphern für die Stadt, die aus der vertrauten Sprache der Bevölkerung schöpften und weitgehend ohne Abstraktionen der Wissenschaftssprache auskamen. Diese Sichtweise hat sich auch bei den Stadtplanern selbst weitgehend durchgesetzt, da Stadtplanung nur im Dialog mit Betroffenen und Politikern legitim und möglich ist und jeder theoretische Gegenstand, um überhaupt vorstellbar zu werden, sinnlich, bildlich, also sinnbildlich werden muss. Und so gilt: Alle, auch scheinbar noch so abstrakte, von jeder Gegenständlichkeit »gereinigte« Begriffe implizieren einen – häufig allerdings verdeckten und vergessenen – metaphorischen Gehalt. Genau dieser (verdeckte) metaphorische Gehalt ist dafür verantwortlich, dass wir theoretische Aussagen »begreifen« können. Auch der begrifflich gefasste Sinn wird also – ob latent oder offen – über ein »eingeschlossenes« Bild, eine Metapher transportiert.
Andererseits lässt sich an der Auswahl der Metaphern erkennen, welche Gesellschaftsbilder für die Planer leitend sind. Für Sitte waren vor allem Organismus-Metaphern bestimmend. Hierzu schreibt Sonja Hnilica in ihrem Buch „Metaphern für die Stadt: Zur Bedeutung von Denkmodellen in der Architekturtheorie“ :“Lebewesen-Metaphern sind vielleicht die bedeutsamsten für den Städtebau überhaupt. […] Im 20. Jahrhunderts ist die Biologie gar zu einer Art Leitdisziplin für den Städtebau geworden. In der Organismus-Metapher überkreuzen sich so unterschiedliche Absichten und Strömungen wie die Gartenstadtbewegung, Futurismus, CIAM, nationalsozialistische Planungen, New Urbanism und die Ökobewegung. Camillo Sitte, Ildefonso Cerda, Patrick Geddes, Frank Lloyd Wright, Raymond Unwin, Le Corbusier, Lewis Mumford, Hans Bernhard Reichow, Hugo Häring und Ludwig Hilberseimer (Mumford und Geddes übrigens ausgebildete Biologen!) und viele andere haben in Begriffen der Organismus-Metapher Probleme formuliert. Selbstverständlich hängt die Auslegung von den jeweiligen Naturvorstellungen ab.“ Die Verwendung der Organismus-Metaphern wurde auf Grund dieser breiten politischen Streuung bereits 1968 in einem Buch von Heide Berndt heftig kritisiert.
Im Zuge der spatial turn genannten Aufwertung des Raums in den Kultur– und Sozialwissenschaften wurde in neuerer Zeit die Metapher der Landschaft bzw. Kulturlandschaft in den Vordergrund gerückt. Sie wurde attraktiv, weil die Gartenkunst des Barock mit dem großartigen Park von Versailles, dem »Weltwunder«, die anderen Kunstgattungen in den Schatten stellte. Der Jesuitenpriester und Architekturtheoretiker Marc-Antoine Laugier knüpfte hieran an und er meinte, wie im Barockgarten müsse in einer großen Stadt in jedem Viertel etwas Neues zu entdecken sein, aus einer großen Zahl regelmäßiger Teile müsse sich »der Gesamteindruck einer gewissen Regellosigkeit und von Chaos ergeben, der so gut zum Charakter einer großen Stadt passt.« Hier wird klar, dass die Stadt als Landschaft ein Gegenkonzept zur Stadt als Organismus ist. Obwohl sie das Stadtganze gestalten will, erlaubt sie die Addition einzelner Situationen und setzt die organische Einheit nicht mehr absolut. Allerdings sieht Laugier dann seine Forderungen an die Stadt eher durch die englischen Landschaftsgärten erfüllt. Die barocken Prachtgärten seien in ihrer Regelmäßigkeit viel zu streng, die einfache Landschaft biete mehr Reize. Ihm gefallen, fährt er fort, die schönen Aussichtspunkte und »das geglückte Zufällige, das die Natur bringt«. Es wird hier deutlich, dass der Gebrauch von Metaphern nicht wertfrei ist und der dialektischen Methodik bedarf.
Hierauf weist Anil Jain in seiner „Theorie und Praxis der Metapher“ (freier Download des Buches als pdf-Datei) eindringlich hin. Er zeichnet am Beispiel der sozialen Landschaft den Bedeutungsgehalt der Landschaftsmetapher bei verschiedenen Denkern nach. Ohne auf die philosophischen Ableitungen und ihre Urheber näher einzugehen, stelle ich die sich hieraus ergebenden Umrisse dieser Metapher dar. Dabei kommt es zu Dopplungen und Überschneidungen, die hier bewusst in Kauf genommen werden. Sie machen gerade die Ambivalenzen der Metapher aus und erklären, warum Metaphern nicht wertfrei sind. (Die von Jain in Bezug genommenen und genannten Quellen sind Doreen Massey, Mario Praz, Denis Cosgrove – engl., Louis Althusser, Julian Thomas – engl.)
Landschaft umgibt uns. Wo wir auch sein mögen: Wir befinden uns immer in einer Landschaft – und stellen diese, sehend und »schaffend«, her. Man kann dabei selbstverständlich »wilde«, d.h. Vom menschlichem Einfluss weitgehend »unberührte« Landschaften von stärker kulturell geformten und überformten Landschaften unterscheiden. Allerdings dürften erstere auf diesem Planeten nur noch selten anzutreffen sein und werden vor allem erst durch den »affizierenden« (Duden: affizieren = einer Sache, Idee verfallen, in ihren Bann gezogen; gerührt, bewegt) menschlichen Blick eigentlich zu einer Landschaft. Daneben gibt es technische Landschaften, wie Stahlwerke oder Hochhäuser, die fast nur aus Artefakten gebildet sind. Auch sie befinden sich jedoch in einem »natürlichen«, physikalisch-geologischen Raum. Einzig virtuelle Landschaften, die symbolisch generierten Szenarien des »Cyberspace« – in denen wir uns aber auch nicht »real«, sondern eben nur imaginär bewegen können -, dürfen als »reine« Artefakte gelten. Landschaften – als das vom Menschen geschaffene, geformte, bearbeitete, vorgestellte Land – sind also vielfältig und vielgestaltig, sie befinden sich ständig in einem Prozess der symbolischen wie technologischen Konstruktion und Rekonstruktion. selten sind klare Grenzen auszumachen, die Übergänge erfolgen fließend. In der Landschaft verschränken und verweben sich Kultur und Natur, verdichten sich Raum und Zeit. Landschaft ist das morphologisch-kulturelle Medium, der »Träger« sozial-räumlicher Mobilität und historischen Wandels. Landschaft ist ein Konzept mit vielfältigen Bedeutungsebenen, das nicht nur die bloße Oberflächengestalt der Erde betrifft, sondern auch kulturell-symbolische Momente beinhaltet. Landschaft ist eine Weise, die Welt zu betrachten, sie ist ein soziales Produkt, ein Ergebnis der kollektiven menschlichen Umformung von Natur. Durch diese Verschränkung von symbolischen und materiellen Elementen ist Landschaft aber ein potentiell hochgradig ideologisches Konzept. Landschaft, wie wir sie heute sehen, verstehen und empfinden, ist also immer der Ausdruck einer spezifischen historischen und vom sozio-kulturellen Standort bestimmten Perspektive. Entsprechend hat sich das Bild und die Bedeutung, die wir Landschaft beimessen, im Einklang mit der ökonomisch-technischen Entwicklung im Kapitalismus herausgebildet. Das gilt auch für die Landschaftsmalerei, denn diese drückt eine Haltung aus, die in zweifacher Weise die kapitalistische Dynamik spiegelt: lm Blick des Landschaftsmalers, der die Landschaft gewissermaßen von außen, aus einer »entrückten« und damit entfremdeten wie entfremdenden Perspektive betrachtet, wird Landschaft zum Objekt der visuellen Kontrolle, sie wird verdinglicht und dient der ästhetischen Konsumption. Das beinhaltet jedoch gleichzeitig eine idealisierende Überhöhung der Landschaft, verbunden mit einem romantischen »Affekt«. Je mehr nämlich die Landschaft selbst zur Ware wird und sich ihr Wert zunehmend nach produktionstechnischen Kriterien richtet, je mehr sie also ihr bekanntes (retrospektiv geschöntes) Gesicht verliert, sich in technischen Landschaften auflöst und mit ihnen vermischt, muss die Malerei das Bedürfnis nach ldylle befriedigen. Sie re-projiziert die idealisierten Landschaftsbilder des Publikums auf die Leinwand – weil die Maler selbst diesem Ideal nachhängen und um den Erfordernissen des (Kunst-)Marktes gerecht zu werden. Erst mit dem wahrgenommen (und durch Industrialisierung, Verstädterung etc. selbst verursachten) Verschwinden einer Landschaftsformation, an die man sich gewöhnt hatte, wird Landschaft also als ästhetisches Sujet entdeckt – freilich unter einem totalisierenden, »panoptischen« Blickwinkel. Landschaft, die uns umgebende Um-Welt, ist folglich von ihrem sozialen Kontext nicht zu trennen, und dieses Bewusstsein ist, wie die zitierten Texte beweisen, im Rahmen der von den »Cultural Studies« geprägten (britischen) Raumwissenschaften äußerst wach. Wie kommt es aber, dass umgekehrt – obwohl im allgemeinen Sprachgebrauch durchaus verbreitet – die Soziologie das (räumliche) Bild der Landschaft noch kaum für ihre Beschreibung der sozialen Sphäre entdeckt hat?
Jain führt dann seine Betrachtungen im Spiegel verschiedener Autoren (Manuel Castells, Arjun Appadurai, Martin Albrow und Bernhard Waldenfels) mit Blick auf die Soziologie fort. Am ergiebigsten stellt sich dabei Bernhard Waldenfels heraus: Mit seinen (vorgestellten) »Gängen durch die Landschaft« der Alltagswelt bezweckt er eine kritische Erkundung der gegebenen (Um-)Welt, unserer lebensweltlichen Netze (siehe auch oben) – und wie hier deutlich wird, schließen sich die Metaphern der Landschaft und des Netzwerks nicht gegenseitig aus, sondern könn(t)en sich ergänzen. Doch wie gelingt es konkret, die soziale Landschaft zu erschließen? Dies kann gemäß Waldenfels weder durch einen rein ästhetisch-betrachtenden (und damit zugleich immer auch auf ästhetische Konsumption gerichteten), noch durch einen geographischen, rein auf »Vermessung« zielenden Landschaftszugang gelingen. Seinem phänomenologisch inspirierten Ansatz entsprechend, begreift Waldenfels Landschaft vielmehr als einen gelebten (sozialen) Raum, den es leiblich, »gehend«, zu erkunden gilt (In den Netzen der Lebenswelt; S. 179ff.). Die sozialen Landschaften und ihre Strukturen erschließen sich also nicht aus der bloßen (theoretisch-abstrakten) Betrachtung heraus oder durch vermessende Kartierungen, sondern nur aus der konkreten Erfahrung ihrer Dimensionen, ihrer Grenzen, ihrer Höhen, ihrer Tiefen. Wie auch Albrow betont Waldenfels dabei die Perspektivität des jeweiligen Zu-Gangs. Das beschreitend entstandene, somit »individuell zentrierte« Landschaftsbild könnte aus einem anderen Blickwinkel betrachtet »dezentriert«, d.h. peripher und abwegig, erscheinen. Die Lösung dieses Dilemmas wird nach Waldenfels erst durch eine perspektivische Polyzentrik möglich, »durch eine simultane Gegenwart, in der verschiedene Hiers sich überlagern« (ebd.; S. 188). Das Bild der sozialen Landschaften darf also niemals eindimensional, aus nur einer Perspektive, gezeichnet werden, denn das wäre eine Verzerrung des (sozialen) Raumes, sondern muss, so schwer es fällt, verschiedene Perspektiven integrieren können, die eventuell auch in Widerspruch zueinander stehen. Allzu leicht gerät eine solche polyzentrische Sichtweise jedoch in die Nähe der »Pathologie« bzw. der Ideologie – wenn die Verankerung im gelebten Raum, d.h. der materiellen Umwelt, (durch abstrahierende Integration) entschwindet und ein diffuses Bild entsteht, das alles und nichts darstellt (vgl. auch ebd.; S. 189) [Hervorhebungen von mir]. Jain fährt nach dieser Zusammenfassung der Position von Waldenfels fort: „Gerade weil solche Überlegungen so anregend für eine analytische wie empirische Erkundung des sozialen Raumes wären, gilt es allerdings nochmals zu fragen: Warum haben bisher nur so wenige sozialwissenschaftliche Ansätze und Autoren das Potential der Landschaftsmetapher für sich genutzt oder sind nur oberflächlich auf das Bild der Landschaft eingegangen? Ist die Landschaftsmetapher etwa zu »abseitig« für eine soziologische Betrachtung? Dieser Auffassung ist meines Erachtens zu widersprechen: Die Sozialwissenschaften haben, als »Gefangene« ihrer etablierten Bilder und Begrifflichkeiten, das heuristische Potential der Landschaftsmetapher bisher nur noch nicht voll erkannt und ausgelotet.“
Die Beschreibung der Landschaftsbilder endet bei Jain unter Bezugnahme auf Fredric Jameson mit der Feststellung: „Der aktuelle (kulturelle) Raum ist jedoch stark fragmentiert, und so ist für Jameson eine symbolische »Kartographie«, ein »Cognitive mapping«, erforderlich, um die »Orientierungsfähigkeit« wieder zu erlangen (vgl. auch ebd.; S. 98ff.). Das impliziert zwar immer die Gefahr, in die latenten Fallen der räumlichen Logik zu tappen, Raum als absolute, physikalische, von sozialen Prozessen losgelöste Entität zu begreifen – was lange Zeit verhinderte, dass die räumliche Matrix des Sozialen erschlossen werden konnte (vgl. hierzu z.B. Läpple: Gesellschaftszentriertes Raumkonzept sowie Barnes: Reading the Texts of Theoretical Economic Geography).56 […] Es gilt also nicht nur, die sozialen Landschaften und ihre Symbolwelten, ihren – politischen – (Sub-)Text, kritisch zu entschlüsseln (vgl. auch Duncan/Duncan: Ideology and Bliss), sondern das Bild der Landschaft, in Kombination mit anderen Raum-Bildern, für eine (nicht bloß vermessende) »Kartographie« und »Morphologie« des sozialen Raumes kreativ zu nutzen. Das Bild der Landschaft erschließt der gesellschaftlichen Analyse die Dimension des Raumes – und zwar ohne die zeitliche Perspektive auszublenden. Die Metapher der sozialen Landschaft soll deshalb hier als initiale Metapher dienen, und zum Zweck ihrer Detaillierung und Verdichtung wird im folgenden versucht werden, anhand des Bilds der Landschaft eine metaphorische Historie des sozialen Raums skizzenhaft zu entwerfen.“
Am Ende des dialektischen Prozesses verbindet sich für Jain mit dem Bild der sozialen Landschaft der Blick auf soziale Ungleichheit und Hierarchien, es gibt
- eine horizontale und eine vertikale Ausdehnung bzw. Dimension
- die Spiegelung sozialer Ungleichheiten in den baulichen Strukturen
- eine perspektivische Vielfalt
- dynamische Veränderung
- keine festgezogenen Grenzen – statt dessen gr0ßräumige Scheidelinien
- Übergänge und Passagen
- offene Räume, die künstlich geschlossen werden
- keine Objektivität
- keine neutrale Außenbeobachtung
„Das Bild der Landschaft spiegelt die Hybridisierung von Kultur und Natur, und in Landschaft verdichten sich Raum und Zeit. Landschaft ist weder rein »organisch«, als (belebter) Körper vorstellbar, noch weist sie etwas Maschinenhaftes auf. […] Während das Bild der Maschine nur die (mechanische) Zeitstruktur des Rhythmus offenbart und selbst in der Bewegung starr erscheint, während im Bild des Körpers Zeit vor allem als Endlichkeit ins Blickfeld rückt und sie sich im Netzwerkbild gar in einem virtuellen »Echtzeit-Flow« auflöst, d.h. in Gegenwart kollabiert, verdichten sich im Bild der Landschaft Raum und Zeit. Historizität ist dem (sozialen) Landschaftsraum – in seinen Schichten und Sedimenten – eingeschrieben.
Dabei ist Wandel keinesfalls ausgeschlossen, er vollzieht sich in Gegenteil permanent, wenn auch nicht beliebig und selten abrupt. Landschaft/Gesellschaft ist kein verflüssigter »space of flows« – so sehr dies auch den Interessen des Kapitals und der Macht entgegenkommen würde -, der im Fluß-System der globalen Netze alle (sozialen) Limitierungen frei umströmen könnte (vgl. auch Bauman: Liquid Modernity).“
Smart Communications