Noch kurz vor der Kür auf dem Parteitag der CDU möchte ich es nicht versäumen, den Delegierten etwas mehr über die zur Wahl stehenden Personen für ihre Entscheidung an die Hand zu geben, als es nach meinem – durch die Medien vermittelten – Eindruck erfolgt ist. Wen man gewählt hat, weiß man ohnehin erst dann, wenn es zuspät ist – ein Rückholrecht für solche Entscheidungen gibt es ja nicht – warum eigentlich nicht? Die Allermeisten der von den gewählten Politikern zu treffenden Entscheidungen fallen im Tagesgeschäft an, das von den Weltläuften bestimmt wird und nicht von einer Bundeskanzlerin oder einem Bundeskanzler auf die Tagesordnung gesetzt wird, wie immer sie/er auch heißen mag. Kurzum, es kommt neben der Fähigkeit, sich rasch mit neuen Themen verständig auseinanderzusetzen auf Führungsqualitäten und persönliche Qualitäten an, die nicht an einzelnen Sachfragen festgemacht werden können. Darüber hinaus wäre es auch sehr wichtig, über Verbindungen zu mächtigen Interessengruppen und finanziellen Verflechtungen informiert zu sein – Panama Papers, Deutsche Bank usw..
Doch werde ich mich hier auf das Minimalprogramm beschränken müssen, dem sich dieses Projekt verschrieben hat. In bewährter Manier habe ich die Wertewelten der drei Personen, um die es am Freitag geht, durch Suchmaschinenabfragen ermittelt. Nachfolgend werde ich die Ergebnisse einzeln erläutern:
Annegret Kramp-Karrenbauer (im Folgenden durch AKK abgekürzt) ist die Favoriten der amtierenden Parteivorsitzenden und Bundeskanzlerin Angela Merkel. Für ihre Person ist sicher anzunehmen, dass sie nach den Vorstellungen der Amtsinhaberin auch die Nachfolge als Bundeskanzlerin antreten soll.
Ihr Vorteil ist, dass ihre Kandidatur auf Grund der Ansage durch Angela Merkel einen längeren Vorlauf hat, als die ihrer Mitbewerber. Dazu gehört auch, dass sie in die Position der Generalsekretärin der CDU geholt wurde und so den breiten Zugang zur Partei mit allen Untergliederungen hat. Dennoch hat sie es offensichtlich nicht erreicht, ein persönliches Werteprofil in die Öffentlichkeit zu transportieren, dass sie über ihren Status als Kandidatin hinaushebt. Zum Vergleich ist unten das Werteprofil zur Saarwahl 2017 abgebildet.
Es zeigt sich, dass in der Wertewelt von AKK eine Fokussierung auf das WMem Orange erfolgt ist. Sie versteht es demnach mit den Instrumenten der Demokratie und den wissenschaftlich-technischen Möglichkeiten umzugehen. Das hob sie als Kandidatin für das Amt der Ministerpräsidentin im Saarland vor ihren Konkurrenten hervor und zeichnet sie auch nun als Kandidatin für höhere Positionen aus. Allerdings sind insbesondere die WMeme Blau und Grün bis auf Residualgrößen geschrumpft. Möglicherweise ist der hieran abzulesende Veränderungsprozess eine Folge der ansonsten in der CDU ungewohnten Verfahrensweise, Gegenkandidaten zur Wahl zu stellen. Es könnte sich hier also um Reflexe handeln, die ein Umschalten in den „Kampfmodus“ bewirken und erst durch einen längeren Lernprozess wirklich produktiv werden.
Die Wertewelten von Friedrich Merz dagegen zeigen eine Zuspitzung der Kandidatenrolle, die zusätzlich zu den vorangegangenen Bemerkungen zum neuen Prozedere auch noch den Faktor des Außenseiters als Ehemaliger des Polit-Establishments zum Ausdruck bringt. Hier sind die unverzichtbaren Anteile von Blau und Grün noch einmal gegenüber AKK reduziert und das Wertesystem Orange ist zum alleinigen Kennzeichen des Kandidaten geworden. Ein solches Bild wird nun vollends unrealistisch und macht den Versuch einer menschlichen Annäherung an den Kandidaten erforderlich. Hierzu wird in der nächsten Grafik eine virtuelle Loslösung von der Rolle in der CDU vorgenommen und die Person in den Zusammenhang mit seinem beruflichen Engagement bei dem Kapitalanleger BlackRock gestellt. Daraus ergibt sich ein vollkommen anderes Bild, das die oben dargestellte Vermutung des „Kampfmodus“ bestätigt.
Hier ist nun zu sehen, dass Friedrich Merz unter dem Einfluss eines starken Orange steht, jedoch auch von relativ starken konservativen (Blau) Anteilen bestimmt wird. Diesen Zug betont er auch selbst gern in seiner öffentlichen Selbstdarstellung und erreicht damit offensichtlich auch seine Zuhörer. Demgegenüber ist der umweltpolitische und soziale Aspekt (Grün) nur schwach ausgebildet. Besonders hinzuweisen ist darüber hinaus auf ein starkes Rot, womit eine besondere Affinität zu Gewalt in jeglicher Form angedeutet ist. Diese kann sich auch als autoritärer Führungsstil auswirken und würde für die Zusammenarbeit mit der Noch-Kanzlerin keine gute Vorbedingung sein.
Als dritter und jüngster der Kandidaten verfügt Jens Spahn bisher über die geringste Erfahrung in politischen Spitzenämtern. Als Bundesgesundheits-minister muss er seine Bewährungsprobe noch bestehen. Ein Durchstarten zum Parteivorsitz würde durchaus eine konsequente Fortsetzung seiner ehrgeizig angelegten politischen Karriere bedeuten und im Hinblick auf die Nachfolge im Amt des Bundeskanzlers eine weitere Bewährungszeit bedeuten.
Bei Jens Spahn ist der „Kampfmodus“ am geringsten ausgeprägt. Bei ihm sind noch ausgewogene Anteile von Blau, Grün und Rot zu sehen. Hierbei kann der besondere Umstand eine Rolle spielen, dass er aus seiner Verantwortung für ein Ministeramt agiert, welches dazu noch starke soziale und konservative Bezüge zum Gesundheitswesen hat. Darüber hinaus bedeutete ein Scheitern seiner Bewerbung keinesfalls ein vorzeitiges Ende seiner politischen Karriere, da ein neuer Anlauf aus seiner Position als Minister zu gegebener Zeit möglich bleibt.
In einem letzten Schritt stelle ich die drei Kandidaten innerhalb des AQAL-Ansatzes der Integralen Theorie dar. Auch hier handelt es sich nicht um unmittelbare Daten der Personen, sondern um die wechselwirkenden Einflüsse ihrer Welt (Verflechtungen).
Die Ausprägung der Quadranten ist bei AKK und Friedrich Merz bis hin zu den Gewichtungen gleich. Der Unterschied von einem Zähler auf der rechten Seite (individuelle und kollektive objektive Wirklichkeit) ist auf Rundungsfehler zurückzuführen.
Das Bild für Jens Spahn sieht sehr verschieden davon aus. Während bei den vorgenannten Kandidaten die beiden rechten Quadranten zu Gunsten des oberen linken Quadranten (individuelle subjektive Welt) defizitär sind, ist dieser Bereich im Bezug auf Jens Spahn zu Lasten des linken unteren Quadranten (subjektive kollektive Welt, Kultur) überdurchschnittlich stark ausgeprägt. Dieses Ergebnis korrespondiert mit dem relativ stark ausgeprägten Blau und Grün bei Jens Spahn in Verbindung mit seiner Funktion als Gesundheitsminister.
Die starken linken oberen Quadranten bei AKK und Friedrich Merz korrespondieren mit dem extrem starken Orange, in dem das starke Selbstbewusstsein zum Ausdruck kommt.