Selten hat eine Landtagswahl eine so große Bedeutung für das politische System Deutschlands erhalten, wie die am 14. Oktober 2018 stattfindende Landtagswahl in Bayern. Hierfür können mehrere Ursachen gefunden werden. Die von CDU/CSU und SPD gebildete Bundesregierung stellt eine Schicksalsgemeinschaft aus einer zunehmend dahinsiechenden SPD, einer in wesentlichen Fragen sozialer Gerechtigkeit gespaltenen CDU und einer konkurrenzgetriebenen CSU unter einer schwachen CDU-Kanzlerin dar. Unter dem Verdikt der Staatsräson gebildet sind diese Parteien um den Preis der Abstrafung durch die Wähler zum Erfolg gezwungen. Es drängt sich der Vergleich mit einer Ehe auf, die zum Wohle der Kinder aufrecht gehalten wird, jedoch jeder Harmonie zwischen den Eheleuten entbehrt.
In dieser Konstellation kommt der CSU als Dauerpartner der CDU in der Bundespolitik ein größeres Gewicht zu, als sie es jemals in einer großen Koalition hatte. Zwar hatte sie schon immer die Möglichkeit – wie zu Zeiten eines FJ Strauß und dem Kreuther Beschluß, – die Parteienlandschaft in Deutschland in Bewegung zu bringen, doch fehlte hierzu das in der Wählerschaft notwendige Verständnis. Mit dem Auftauchen der AfD ist dieses argumentative Hindernis weggefallen und es kann ungeniert mit der Macht der Ämter taktiert werden.
Der Hang zum Ressentiment der „Weißwurstesser“ gegen die „Saupreißn“ hat sich in der Antwort eben dieser „Preißn“ weitgehend auf die multikulturellen Botschafter des FC Bayern München beschränkt, worin noch nie ein ernstes Problem gesehen wurde. Jetzt, wo dieser Hang der Bayern zum Ressentiment sich in der Flüchtlingspolitik breit machen möchte, besteht allerdings umso mehr Veranlassung dagegen zu halten. Wie weit die „Mutter aller Probleme“ – wie die Migration vom CSU- Bundesinnenminister Horst Seehofer bezeichnet wurde – die Annäherung der CSU an die AfD bewirkt hat, soll in diesem Beitrag ansatzweise aufgezeigt werden. Es kann jedoch nicht übersehen werden, dass die Propaganda und die ständige Medienpräsenz der AfD und ihrer Vorfeldorganisationen auch auf andere Parteien wirkt. Die Ergebnisse sind darüber hinaus eine Orientierung für die Wahlentscheidung am 14. Oktober.
In der nachfolgenden Tabelle sind die Wertewelten für die AfD in den einzelnen Stimmkreisen dargestellt. Die Stimmkreise stellen den Stand zur letzten Landtagswahl dar und sind deshalb nur für eine ungefähre Lageangabe der Stimmkreise gedacht.
Die ungefähre Lage der Stimmkreise kann der folgenden Grafik entnommen werden. Der Zuschnitt der Stimmkreise wurde seit der letzten Wahl modifiziert. Eine geeignete bereinigte Karte stand jedoch nicht zur Verfügung. Für einige Stimmkreise konnten keine separaten Daten erhoben werden, da ihre geografische Bezeichnung (z. B. NN-Ost, NN-West) keine allgemein übliche Bezeichnung darstellt und abfragetechnisch zu falschen Ergebnissen führen würde. Solche Stimmkreise wurden zu einem Stimmkreis unter der Bezeichnung des Hauptbegriffs (NN) zusammengefasst. Diese Stimmkreise sind in der unten stehenden Übersicht an der Aufzählung ihrer Nummern erkennbar.
In der Tabelle sind die 8 Wertesysteme der Spiral Dynamics für die AfD in den einzelnen Stimmbezirken bzw. deren Aggregaten dargestellt und in vier Ausprägungsgraden unterschieden. Der Bedeutungsgehalt dieser Daten umfasst sowohl das Selbst– und Fremdbild von der Partei wie auch die Beziehungen der Partei zu der jeweiligen Raumeinheit in der Fremd- und Eigenwahrnehmung. Es handelt sich also um einen Komplex, der am besten durch den Begriff „Wertewelt“ ausgedrückt werden kann.
Es zeigt sich für die AfD ein sehr vielschichtiges Gesamtbild, dass auf ungefestigte Verhältnisse sowohl programmatisch wie personell hindeutet. Sehr prägnant kommt dieses in einigen Bereichen Bayerns zum Ausdruck, wo das allgemein in Deutschland dominierende WMem Orange durch Blau oder Grün als dominierende Wertesysteme ersetzt wird (siehe folgende Übersicht).
Auch dort, wo Orange den stärksten Einfluss auf die Welt der AfD hat, weist die Tabelle in der Mehrzahl im Verhältnis zu anderen Parteien und zum Gesamtsystem Deutschland geringe Anteile für dieses WMem aus. Hierin bestätigt sich ein relativ geringer Einfluss demokratischer und pragmatischer Bestrebungen. Damit im Zusammenhang steht auch eine Polarisierung zwischen ordnungsorientierten blauen Kräften und auf soziale Integrität bauenden grünen Kräften, wie sie in ca. einem Zehntel der Stimmkreise sehr deutlich und darüber hinaus in vielen weiteren Stimmkreisen etwas weniger deutlich zum Ausdruck kommen.
Besonders auffällig ist die Aktivität des Wertesystems Rot und der WMeme zweiter Ordnung (Gelb und/oder Türkis). Um die Bedeutung dieser Ergebnisse ermessen zu können, sind die realen Verhältnisse der AfD in Betracht zu ziehen, da es im Bezug auf die Wertesysteme zu verschleierten Verhaltensweisen und ambivalenten Wirkungen kommen kann (näheres zu den WMemen siehe die Erläuterungen dort). Hinsichtlich der hohen Anteile von Rot ist auf das von verbaler und körperlicher Gewalt gekennzeichnete öffentliche Auftreten der Partei in Partnerschaft mit rechtsextremen Gruppen, wie es erst küzlich in Chemnitz zu sehen war, hinzuweisen.
Die eigentliche Gefahr der neuen Rechten – und damit meine ich auch die AfD – besteht in der Wiederholung eines fundamentalen Missverständnisses, wie es von den Nationalsozialisten im Dritten Reich zum politischen Programm erhoben wurde. Ken Wilber nennt es die Prä/Trans-Verwechslung und erklärt sie so: „Letztlich ist die ganze deutsche Tradition ein Lehrbeispiel für die Prä/Trans-Verwechslung,
die zum einen einen Hegel und zum anderen einen Hitler hervorbringen
konnte. Gerade weil die deutsche Tradition mit solchem
Adel und solcher Intensität um den Geist rang, was ihr ewiges Verdienst
bleibt, war sie umso anfälliger für die Verwechslung von
prärationalen physischen und emotionellen Schwärmereien einerseits
und transrationaler Erkenntnis und transrationalem Gewahren
andererseits. »Blut und Boden«, »Zurück zur Natur« und der »edle
Wilde« – dies waren die großen Schlagworte unter dem Banner einer
romantischen Rückkehr zum Geist, einer Wiedergewinnung des
verlorenen Urgrunds, einer Rückkehr zum deus absconditus (Anm.: dem verborgenen Gott), einer mit Blut geschriebenen Offenbarung, die in das Fleisch derjenigen
eingeschnitten wurde, die der Reinheit des »Volkskörpers« im Wege
zu sein schienen. Und die Gaskammern standen als der stille Schoß
der Großen Mutter bereit, die immer über solchen Vorgängen waltet,
um all diejenigen aufzunehmen, die diese Reinheit zu schänden
schienen. Nicht seine Rationalität oder Transrationalität richteten
Deutschland zugrunde; vielmehr brachten seine reaktivierten prärationalen
Impulse die Festung zum Einsturz.“ Die hier angesprochenen geistigen Kräfte treten auf individueller Ebene in Gelb und auf kollektiver Ebene in Türkis auf.
Gelb und Türkis sind geistige Ebenen eines Bewusstseins, das die gesamte Bandbreite der Wertesysteme durchwirkt und ordnet, so dass ein Fortschritt in der Entwicklung der gesamten Spirale hin zu einem globalen Bewusstsein erreicht werden kann. Das setzt die Toleranz nebeneinader existierender Wirklichkeiten und die Bildung eines immanenten Bewertungssystems voraus. Entgegenstehende Regeln der Mehrheit werden unter Berufung auf höhere Vernunft bewusst ignoriert und führen zur Arroganz. Die Handlungsebenen sind in Gelb bestimmt durch das „Was“ und „Wie“ und werden in dem kollektiven Türkis abgelöst durch das „Wer“ und „Warum„. Diese Bedingungen der Wertesysteme zweiter Ordnung haben zur Folge, dass die Handlungsempfehlungen selektiv und undogmatisch nach den jeweiligen Erfordernissen angepasst werden und auch undemokratisches Verhalten in Kauf nehmen müssen. Hieraus ergibt sich die Gefahr, dass unreflektierte Kräfte früherer Entwicklungsstufen nicht richtig eingeschätzt werden und gefördert werden, so dass sie zur Gefahr für die Gesamtentwicklung werden. Diese Prozesse sind gegenwärtig unter den Bedingungen nur schwach vorhandener Energien der zweiten Ordnung, jedoch sehr stark ausgeprägtem Orange in vielen Teilen der Erde zu sehen. Ein typisches Beispiel hierfür ist der internationale Waffenhandel, der nicht danach fragt, wer die Waffen bestellt und was er damit anfangen will oder könnte, sondern lediglich den eigenen persönlichen Erfolg im Auge hat.
Die Äußerungen führender AfD Politiker und deren Nähe zu rechtsextremistischen Gruppen sowie ihr Beharren auf der Rückführung von Flüchtlingen, Asylbewerbern, Asylanten und Migranten stellt eine Ignoranz gegenüber den eingetretenen Verhältnissen dar, die alles andere als kluges Verhalten im Sinne der obigen Erläuterungen darstellt und ist ein aktuelles innenpolitisches Beispiel für die Verwechslung von unreifem Bewusstsein in den Wertesystemen von Purpur und Rot und aufgeklärtem Bewusstsein in Blau. In diesen Wertesystemen werden vergleichsweise hohe Zahlenwerte erreicht. Eine differenziertere Beurteilung dieser Fragestellung soll jedoch nachfolgend auf der Grundlage von Vergleichsdaten mit anderen Parteien für Bayern als Ganzes und die bayrischen Großstädte erfolgen.
In der ersten Grafik sind die Wertewelten der aussichtsreichsten Parteien und der Freien Wähler dargestellt. Hier ist zu sehen, dass die AfD in dem dominierenden WMem Orange mit deutlichem Abstand eine Spitzenstellung einnimmt, die – wie bei allen dargestellten Gruppierungen – in erster Linie durch die Bewertung der vergangenen Jahre und die Erwartungen für den Wahlausgang beeinflusst sein dürfte. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Ergebnisse lediglich Wunschdenken darstellen, vielmehr sind sie auch als programmatische Ausrichtung oder Hoffnungen für die Zukunft zu verstehen, die z. B. in einem sehr starken Grün bei der SPD zum Ausdruck kommen und damit die originären Werte der Sozialdemokratie neu in den Vordergrund rücken.
Hinsichtlich der AfD ergibt sich ein gänzlich anderes Bild, als es sich aus den Stimmkreiserhebungen darstellt. Dieser Eindruck wird auch durch den Vergleich mit den Ergenissen für die bayrischen Großstädte weitgehend bestätigt. Lediglich für Nürnberg wird der Spitzenwert annähernd erreicht. Insgesamt lassen sich deutliche Unterschiede zwischen der Landesebene und der Ebene der Großstädte feststellen, die mit Ausnahme der Grünen alle Parteien betreffen.
In der zweiten Gallerie sind die Ergebnisse für die einzelnen Großstädte dargestellt. Hierbei erfolgt ein Vergleich der Bedeutung der jeweiligen Stadt innerhalb des Horizonts der jeweiligen Partei mit der Bedeutung der Stadt als Bezugsebene des politischen Systems, repräsentiert durch die genannten Parteien auf Ebene der bayrischen Großstädte. Durch den Vergleich beider Wertebilder lassen sich die Schwerpunkte der Parteien innerhalb der Konkurrenzsituation zu den Mitbewerbern und innerhalb der Parteistrukturen abschätzen. Hier ist deutlich zu sehen, dass sich die AfD ganz deutlich von allen anderen Parteien in einem starken (prärationalen, magisch-animistischen) Purpur unterscheidet, die einzige Ausnahme bildet Ingolstadt. Darüber hinaus hebt sie sich in fünf der 8 Großstädte durch ein starkes Türkis von den übrigen Parteien ab. Damit kann die oben dargestellte These bezüglich der Einordnung der AfD in das politische System als belegt angesehen werden.
Einen Aktivitätsschwerpunkt für die Wertewelt der AfD stellt – im Verhältnis zu den anderen Parteien, wie auch innerhalb der Partei – die Stadt München dar. Hier heben sich 6 der 8 WMeme gegenüber den anderen Parteien deutlich ab.
Entgegen früheren Erhebungen stellt sich die Wertewelt der AfD im Vergleich zu derjenigen der CSU wesentlich differenzierter dar. Besonders deutlich fallen diese Unterschiede im Vergleich auf Ebene der Großstädte auf.