Jeder braucht Anerkennung
Beim Begriff Anerkennung handelt es sich um einen weitreichenden Ausdruck der Sozialwissenschaften und der Psychologie. Mit ihm werden kommunikative Beziehungen zwischen Personen, Gruppen und Institutionen angesprochen, welche die jeweils bestehenden Eigenschaften der miteinander kommunizierenden Personen bzw. Gruppen als gegeben akzeptieren und ihnen Rechnung tragen. Die Anerkennung beruht hierbei auf Gegenseitigkeit und beinhaltet neben dem Austausch von Informationen auch die Teilnahme an Entscheidungsprozessen und Handlungen, die sich innerhalb der kommunikativen Beziehungen ergeben.
Darüber hinaus wird der Begriff Anerkennung auch als Synonym für Akzeptanz, Lob oder Respekt verwendet.
Gegenseitige Anerkennung gilt als notwendig für jede Art von Zusammenleben, beispielsweise in der Ehe, in der Familie, in einer Schulklasse oder im Beruf. Wird ein Gruppenmitglied nicht anerkannt, gerät es in Gefahr, zum Außenseiter zu werden.
Jeder Mensch braucht Anerkennung, die er im Regelfall zunächst in der Familie oder in familienähnlicher Gemeinschaft erfährt. Sie ist eng verknüpft mit der Entwicklung eines guten Selbstwertgefühls und dem daraus entstehenden Selbstvertrauen, dem Gefühl, etwas bewirken oder verändern zu können und das eigene Leben gestalten zu können. In der Beziehung zwischen Säugling / Kleinkind und Beziehungspersonen bildet sich neben dem Empfinden der eigenen Person auch die Identität im Verhältnis zur Umwelt – und damit die Fähigkeit zur Interaktion mit fremden Personen – heraus.
Im Säuglings- und Kleinkindalter findet die Kommunikation zwischen Mutter und Kind nonverbal statt, so dass Gestik und Mimik sowie Laute eine wichtige Rolle spielen. Es ist zur Aufrechterhaltung der Kommunikation erforderlich, dass die in dieser Phase geäußerten Bedürfnisse von der Mutter nicht nur befriedigt werden, sondern auch anerkannt werden. Das Kind muss z. B. nicht nur spüren, dass die Mutter oder der Vater jetzt gern mit ihm spielt, sondern auch, dass es der Beziehungsperson gefällt, was das Kind macht. Das bringt die Person in der Art zum Ausdruck, wie sie an dem Spiel teilnimmt.
Im sozialanthropologischen Sinn handelt es sich bei der Beziehung zwischen Bezugsperson und Kind um ein Paradoxon, das sich aus aus dem Bedürfnis des Kindes nach Anerkennung und seinem mit zunehmendem Alter wachsenden gleichzeitigen Bestreben nach Unabhängigkeit ergibt. Dieses Problem existiert bereits von früher Kindheit an. Ein Kind will nicht nur unabhängig werden, sondern auch als unabhängig anerkannt werden, und zwar genau von der Person, von der es am meisten abhängig ist.
Das Problem der Anerkennung im gesellschaftlichen Rahmen hat sich erst seit der Auflösung traditioneller Gesellschaftsstrukturen wie Klassen, Milieus und Statusgruppen eingestellt. Solange diese Formationen dem Individuum noch vorgaben, wer es zu sein habe, genoß die Identität der Person eine selbstverständliche Anerkennung. Heute ist dagegen Anerkennung nur in einem Austauschprozeß zu gewinnen, in dem das Individuum allerdings auch scheitern kann.
Dem Sozialpsychologen Heiner Keupp zu Folge setzt sich das Gefühl der Anerkennung aus drei eng miteinander verwobenen Elementen zusammen, in denen sich ein klassisches Identitätsthema (die ineinander verschlungene Innen- und Außenbeziehung) widerspiegelt. Es handelt sich dabei um die
- Aufmerksamkeit von anderen,
- Positive Bewertung durch andere und
- Selbstanerkennung.
„Mit jeder Situation verknüpfen wir Erfahrungen entlang der obengenannten Dimensionen (erzählen wir uns und anderen Geschichten, ob wir wahrgenommen werden, wie der / die anderen mich bewertet haben, wie ich mich selbst bewerte). Zum Anderen bildet es sich als generalisierte verdichtete Erfahrung im Identitätsgefühl eines Subjekts ab. Eine besondere Relevanz kommt in beiden Fällen realisierten Identitätsprojekten zu. Aus ihnen erfahren wir die wichtigsten Impulse für das Gefühl der Anerkennung.
Erst wenn alle drei Elemente ‚erfüllt‘ sind, kann eine erfahrene Selbstthematisierung ihre ‚anerkennende‘ Wirkung entfalten. Fehlt eine der drei Komponenten, bleibt die Anerkennung unvollständig und wird vom Subjekt mit Zweifeln erlebt“.
Keupp unterscheidet vier Gefährdungsvarianten:
- Keine Aufmerksamkeit (häufig Isolierung des Individuums, indem niemand Notiz von ihm nimmt),
- erfahrene Aufmerksamkeit, aber wenig positive Bewertungen (z. B. Mitläufer in einer Jugend-Clique, häufig verminderte Selbstanerkennung),
- trotz Aufmerksamkeit und erfahrener positiver Wertschätzung durch signifikante Andere wenig Selbstanerkennung (typische Pessimisten, die hinter jedem Lob eine arglistige Täuschung vermuten, traumatische frühere Erfahrungen),
- hohe Selbstwertschätzung, die mit wenig Rückbezug auf geäußerte positive Bewertung und Aufmerksamkeit anderer gelebt wird (egoistisch, narzißtisch, auf Konkurrenz und Gefühl der Überlegenheit aufgebaut, scheitert bei fehlender Aufmerksamkeit durch den Anderen!)
Auf der Ebene der Gesellschaft wird Anerkennung in der subjektiven Perspektive immer noch weitgehend durch Arbeit vermittelt, obwohl es die Gesellschaft, auf die sich die Erwartungen richten, nicht mehr gibt. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass bereits seit der Antike eine gesellschaftliche Differenzierung der Arbeit in ehrenvolle einerseits und schmutzige sowie unwürdige Tätigkeiten andererseits unterschieden wurden. Diese Differenzierungen bestehen unausgesprochen bis in die Gegenwart hinein. Sie sind eng mit einem Bildungssystem verknüpft, das die Zugänge zu Berufen durch Gesetze und Verordnungen, wie auch informell regelt. Die traditionelle Verkoppelung von wirtschaftlicher Existenz, Handlungsfähigkeit, Integration und Anerkennung mit der Erwerbsarbeit zeichnet sich jedoch seit einigen Jahren als kulturrevolutionärer Prozeß ab, der sowohl in seiner Dauer als auch in seiner umwälzenden Potenz dem der Emanzipation der Frau in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen nicht nachsteht und mit diesem selbst eng verknüpft ist. Als Lösungsansätze werden u. a. Modelle diskutiert und erprobt, die eine Entflechtung von Arbeit und Einkommen zum Ziel haben und eine grundlegende Neubewertung der Arbeit zur Folge haben.