Mein Bild der USA

Aufbrüche

Das beherrschende Thema in den Nachrichten der Zeit von 1965 bis 1975 waren der Vietnamkrieg und die Reaktionen darauf, die sich mit der in dieser Zeit in den USA auf dem Höhepunkt befindlichen Hippie-Bewegung überlagerten. Aus der Protestbewegung gegen den Vietnamkrieg der USA gingen starke Impulse für die politischen und kulturellen Entwicklungen in Europa – vor allem in Deutschland und Frankreich – aus, die auch mich erreichten und mir den Stempel eines 68-ers aufdrückten, obwohl es mir an dem politischen Hintergrund weitgehend fehlte.

Mit dem Vietnamkrieg und den Reaktionen darauf rückte das militärische Verhalten der USA in den Vordergrund der öffentlichen Wahrnehmung. Hierauf war auch zurückzuführen, dass der 1979 gefasste NATO-Doppelbeschluss, der die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen zur Folge hatte, sehr bald zu einer breiten Protestbewegung gegen diese von den USA verfolgte Beschleunigung der Rüstungsspirale führte, die zusammen mit der von Präsident Reagen verfolgten Strategic Defense Initiative – bekannter als Krieg der Sterne – zu einer Überbeanspruchung der Leistungsfähigkeit des Sowjetsystems führen könnte und damit eine strategische Überlegenheit des Westens bewirken würde, die mit unkalkulierbaren Präventivreaktionen der Gegenseite beantwortet werden könnten. Nach dem Ende des Kalten Krieges wurden die Rüstungsprogramme der USA zwar für einige Jahre eingefroren, werden jedoch seit 1993 in abgespeckter Form als National Missile Defense (NMD, Nationale Raketenabwehr) fortgeführt und haben zu einer Abkühlung des politischen Klimas zwischen den USA und Russland wesentlich beigetragen.

Zunächst weitgehend verborgen entwickelte sich seit dem Ende der 1960-er Jahre mit und parallel zu den militärischen Strukturen der USA ein digitales Datennetz, aus dem schließlich das Internet hervorging. Die mit diesen neuen Technologien verbundene Industrie- und Dienstleistungssphäre kann als evolutiver Schub innerhalb der Noosphäre – der bewussten und denkenden Sphäre der Erde – gewertet werden. Mit dieser Entwicklung identifiziert zu werden ist ein Vorzug der USA, allerdings auch eine Verantwortung in globalem Maßstab. Begriffe wie WikiLeaks, NSA und Edward Snowden sowie die in Deutschland zum geflügelten Wort gewordene Äußerung der Bundeskanzlerin „Ausspähen unter Freunden – das geht gar nicht“ sind Synonyme für die Schattenseite der neuen Techniken. Der aus dem Amt scheidende Präsident der USA wieß auf seiner Abschiedstour über den Globus auf die wachsende Bedeutung von Cyberangriffen hin. Er muss es ja wissen!

Bilder haben letztlich den Sinn, den Gesamteindruck einer Situation zu ermöglichen. Der Künstler bedient sich dazu verschiedener Mittel wie Perspektive, Farben, Abstraktion, Mimik, Gestik usw.. In meinem Bild der USA sind es im metaphorischen Sinn persönliches Interesse, Informationszugänge, Erinnerungsvermögen, Ausdrucksfähigkeit und Einfühlungsvermögen, die das Potential des beim Leser entstehenden Bildes bestimmen. Wie bei einem gemalten Bild ist auch in dem hier erzeugten Bild die Interpretation von den Bedingungen des Betrachters abhängig. Dieses vorausgeschickt werde ich abschließend die Elemente meines Bildes zu einem Ganzen zusammenfügen, wobei Intuition den Firnis eines gemalten Bildes ersetzen muss.

Die 1492 geschehene Wiederentdeckung Amerikas durch die Europäer wurde uns Schülern gewöhnlich als der Beginn einer neuen Epoche nahe gebracht. Kolumbus war fest davon überzeugt, dass er in Asien gelandet war. Deshalb forderte er noch für seine letzte Reise in die westliche Welt im Jahr 1502 Dolmetscher für Arabisch bei seinen Geldgebern an. Damit wollte er den kulturellen Entwicklungen durch die Islamisierung Südostasiens, die 1475 bereits die Insel Java erreicht hatte, Rechnung tragen. Dem Umstand, dass es erst Amerigo Vespucci war, der die wahre Bedeutung des im Westen erreichten Landes erkannte, wurde kaum Bedeutung beigemessen. Ihm zu Ehren erhielten die als neuer Kontinent erkannten Landmassen erst 15 Jahre später den Namen Amerika. Auch was die allgemein von den Geldgebern der Entdeckungsreisenden geforderte Dokumentation ihrer Entdeckungen hinsichtlich kartographischer Erfassung, Beschreibung der natürlichen Gegebenheiten und vorgefundener Kultur angeht kann nur von schweren Versäumnissen die Rede sein. So soll Kolumbus einen Trupp Flamingos, der im fahlen Licht der Nacht zu sehen war für weißgekleidete chinesische Priester gehalten haben.

Zum offiziellen Gedenken an den 500. Jahrestag der Entdeckung Amerikas wurde eine Neubewertung der Leistung des Helden vorgenommen: Aus dem kühnen Seefahrer, der gegen große Widerstände eine gefährliche Reise unternahm, auf der er die Neue Welt entdeckte und dabei einem primitiven Volk Kultur und Zivilisation brachte wurde in den Augen vieler Kritiker ein sexistischer, imperialistischer, verlogener, feiger Prolet, der in Amerika auf Beutejagt ging und Syphilis wie auch andere Geißeln der Menschheit über friedliebende Völker brachte. Das Ergebnis dieser Eroberung war der Völkermord an den indianischen Bewohnern, die sich weigerten, als Sklaven für die Eindringlinge aus dem Osten zu arbeiten. In den neu gegründeten Kolonien versammelten sich deshalb unterschiedlichste Einwanderer aus Europa, die vor ihrer Vergangenheit auf der Flucht waren und einen zweifelhaften Ruf genossen oder Abenteurer, die in dem noch unerforschten Land ihr Glück suchten. Entsprechend instabil stellten sich die gesellschaftlichen Verhältnisse dar. Diese Umstände wie auch der Hunger Europas nach Zucker, der in den amerikanischen Kolonien in Form des Zuckerrohrs angebaut wurde erklärt, dass bereits nach weniger als zwei Jahrzehnten seit der Landung von Kolumbus im Jahr 1510 das erste Schiff mit afrikanischen Sklaven Amerika erreichte und in den folgenden drei Jahrhunderten fünf bis sechs mal so viele Sklaven nach Amerika kamen als weiße Europäer.

Wie bereits die Entdeckung Amerikas durch Kolumbus das Ergebnis eines unbeugsamen Willens zum Vordringen in unbekannte Räume war, stellt sich der weitere Weg der angelandeten Europäer auf dem neuen Kontinent als Fortsetzung dieses Eroberungszuges dar. Von der Urzelle am Cape Cod, wo die Pilgerväter 1620 das Land ihrer Sehnsucht nach einem gottgefälligen Leben zu gestalten suchten bis zum zivilen wie militärischen Vorstoß in den Weltraum stellt sich der Weg der USA als Ausbreitung einer Lebenspraxis nach göttlichem Plan dar. Sie setzen damit eine europäische Tradition fort, die ihren Höhepunkt im Mittelalter erreichte und ihren allgegenwärtigen sichtbaren Ausdruck in den Geldmünzen mit eingeprägten religiösen Zeichen fand. So ist auf den Geldmünzen der USA der Satz zu lesen: „In god we trust“ worin die Zuversicht der opfernden Gläubigen nachklingt, die darauf vertrauten, dass Gott ein loyaler Partner in dem Geschäft des Opferns ist.

Amerikanischer Ein-Dollarschein

Amerikanischer Ein-Dollarschein

Ein weiterer Hinweis auf die Anknüpfung an die konfliktbeladene europäische Verbindung von Staat und Kirche ist die von US Präsidenten geübte Praxis, religiöse Bezüge in ihre Reden einzubauen, wie es vor allem Präsident George W. Bush häufig tat. Andererseits haben die Bewohner dieses gesegneten Landes das Versprechen ihrer Politiker, alles Menschen mögliche zu tun, um das persönliche Glück jedes Einzelnen zu ermöglichen. Doch die Erfüllung dieses Versprechens gelingt umso weniger, je weiter die Armut und der Rassismus sich in den USA ausbreiten.

Die beherrschende Position als globaler Knotenpunkt digitaler und militärischer Netzwerke begründet andererseits einen Schutzanspruch, der sich nicht nur gegenüber anderen Staaten sondern auch gegen die eigene Bevölkerung richtet. Der nach dem zweiten Weltkrieg entstandene militärisch-industrielle Komplex hat durch die Informationstechnologien eine neue Dimension erhalten, die in Verbindung mit der Macht der ebenfalls darin eingebundenen Finanzindustrie totalitäre Tendenzen zeigt und politisch kaum zu kontrollieren ist. Gemessen am Anspruch des American way of life ist ohne den vom frisch gewählten Präsidenten Donald Trump gepflegten Zynismus darin zuzustimmen, dass dem politischen Establishment der USA eine Richtungsänderung des Gesamtsystems USA nicht möglich sein wird. Angesicht seines Zynismus ist jedoch auch das Ergebnis der US-Präsidentenwahl mit Sorge zu betrachten.

Über Fidelio

Ich bin 1949 geboren und war in meiner berufstätigen Zeit als Stadtplaner in einer mittelgroßen kommune tätig. Seit meiner Studienzeit habe ich mich für die Entwicklung eines erweiterten geistigen Horizonts interessiert und einige Anstrengungen unternommen, mich persönlich in diesem Sinne zu entwickeln. Aufgrund meiner katholischen Erziehung habe ich in den 1960-er Jahren begonnen, mich intensiver mit dem modernen Mystiker Teilhard de Chardin zu befassen und bin so zur Gedankenwelt von Ken Wilber gekommen, die ich in diesem Projekt nutzbar zu machen versuche.
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