An dieser Stelle werde ich – soweit es mir möglich ist – täglich die Entwicklung der Wertewelten und der Quadranten der Integralen Theorie in Deutschland und der Ukraine veröffentlichen. Zu diesem Schritt habe ich mich aufgrund der sprunghaften Entwicklungen der letzten Jahre und Monate entschlossen, da sich die Bilder der Grafiken in diesem Zeitraum drastisch verändert haben und nach zeitnahen Erklärungen verlangen. Die Verknüpfung mit der Ukraine ermöglicht darüber hinaus Rückschlüsse auf Zusammenhänge zwischen deutscher Außenpolitik und Ukrainekrieg. Die Integrale Theorie kann so wertvolle Beiträge zur Meinungsbildung leisten. Ein Sinn hierfür ergibt sich allerdings erst, wenn sich möglichst viele Menschen hierzu Gedanken machen und ihr Handeln hieran orientieren.
Die Darstellung der Quadranten erfolgt – abweichend von der bisher überwiegenden Darstellung als Quadrantenbild als Säulengrafik und in Prozenten. Diese Änderung erfolgt aus Vereinfachungsgründen um eine tägliche Erhebung vom Aufwand her möglich zu machen. Eine Angleichung an die Quadrantendarstellung erhält man, wenn die Prozentwerte jeweils in 5%-Intervalle zerlegt werden.
Die beiden Grafiken werden durch ein Tageszitat aus dem Bereich der Integralen Theorie ergänzt. Dabei wird der jeweilige Bezug zwischen Grafik und Zitat durch ein gelb hinterlegtes Stichwort markiert, um so einen Hinweis auf die Schwerpunkte der Entwicklung zu geben.
Hinweise: Zum Lesen der Grafiken bitte mit einem Klick vergrößern!
In der modernen westlichen Gesellschaft ist das drängendste politische Problem unserer Zeit die Frage, wie man die Tradition des Liberalismus (starkes Orange mit Gefahr der Regression in Rot) mit einer echten Spiritualität verbinden kann. In der Geschichte gab es bisher keine brauchbaren Ansätze zur Verbindung dieser beider Stränge menschlichen Strebens. Im Gegenteil – der moderne Liberalismus (und überhaupt die ganze europäische Aufklärung) entstanden in weiten Teilen gerade als Gegenbewegung zvr traditionellen Religion. Voltaires Schlachtruf »Vergeßt die Grausamkeiten nicht !« hallte über den ganzen Kontinent: Vergeßt die Grausamkeiten nicht, die Menschen im Namen Gottes zugefügt wurden, und laßt diese Unmenschlichkeiten und diesen Gott ein für allemal hinter euch. Damit blieb Religion weitgehend den Konservativen überlassen. Und deshalb sehen wir bis heute zwei schwerbewaffnete Lager, die einander mit tiefem Mißtrauen gegenüberstehen. Das eine Lager ist dasjenige der Liberalen, die für die Rechte und Freiheiten des Individuums gegenüber der Tyrannei des Kollektivs eintreten und daher gegenüber allen religiösen Bewegungen einen tiefen Argwohn hegen, weil diese immer bereit sind, anderen ihre Überzeugungen aufzudrängen und ihnen vorzuschreiben,.wo sie ihr Seelenheil zu suchen hätten. Der Liberalismus der Aufklärung ist geschichtlich eine Gegenbewegung zu religiöser Tyrannei, und das tiefe Mißtrauen, ja der Haß auf alles Religiöse und Spirituelle, auf alles, was irgendwie mit dem Göttlichen zu tun hat, ist ihm unauslöschlich eingeprägt. Deshalb neigten und neigen Anhänger des Liberalismus dazu, der Erlösung durch Gott eine Erlösung durch die Ökonomie vorzuziehen. Wahre Befreiung und Freiheit ist ihrer Meinung nach nicht in irgendeinem ungreifbaren Jenseits (oder einem anderen Opium für das Volk) zu finden, sondem vielmehr in konkreten Fortschritten auf dieser Erde, womit zunächst einmal die Befriedigung der materiellen und wirtschaftlichen Bedürfnisse gemeint ist. »Progressiv« und »liberal« wurden oft gleichbedeutend gebraucht, weil Fortschritte in den konkreten gesellschaftlichen Bedingungen – wirtschaftliche, materielle, politische Freiheit – den Kern des Liberalismus ausmachten. An die Stelle der Tyrannei des Kollektivs setzte der Liberalismus einen, wenn man dies so sagen kann, »universellen Individualismus«, die Forderung, daß jeder Mensch ohne Ansehen seiner Rasse, seines Geschlechts, seiner Hautfarbe oder seiner Religion unparteiisch, gerecht und gleichberechtigt behandelt werden müsse. Der Mensch ohne die Tyrannei der Gemeinschaft, der seine wirtschaftliche und politische Freiheit genießen kann – dies hat sich der Liberalismus auf seine Fahnen geschrieben.
Niemand wird in Frage stellen wollen, daß dieser Liberalismus sehr viel Gutes bewirkt hat. Die Kehrseite war allerdings, daß nur allzu oft religiöse Tyrannei schlicht durch ökonomische Tyrannei ersetzt wurde und der Gott des allmächtigen Geldes an die Stelle des Gottes des Papstes trat. Die Seele konnte jetzt nicht mehr von Gott zerbrochen werden, dafür aber von der Fabrik. Das Wichtigste im Leben war nicht mehr die Beziehung zum Göttlichen, sondern vielmehr die Beziehung zum eigenen Einkommen. Und so konnte es mitten im wirtschaftlichen Überfluß geschehen, daß die Seele langsam verhungerte.
Zitat aus: Ken Wilber: Das Wahre Gute Schöne.
Einen Krieg führen heißt, eine Grenze ziehen zwischen denen, die für uns und den anderen, die gegen uns sind. Die Morallehre (starkes Blau) zu studieren bedeutet, zu lernen, wie man eine Grenze zieht, die Gut und Böse offenbar werden läßt. Abendländische Medizin betreiben heißt. mit größerer Deutlichkeit eine Grenze zwischen Krankheit und Gesundheit ziehen. Ganz offensichtlich ist unser Leben von geringfügigen Vorfällen bis hin zu schweren Krisen, von kleinen Entscheidungen bis hin zu großen Geschäftsabschlüssen, von leichten Vorlieben bis hin zu flammenden Leidenschaften, ein Prozeß des Grenzenziehens. Das Eigenartige an einer Grenze ist, daß sie, so komplex und verfeinert sie auch sein mag, in Wirklichkeit nichts absteckt als ein Außen und Innen. Wir können zum Beispiel die allereinfachste Form einer Grenzlinie als einen zeichnen und sehen, daß sie ein Innen gegenüber einem Außen deutlich macht: Ο
Beachten Sie aber, daß der Gegensatz von innen und außen an und für sich nicht existiert hat, bis wir die kreisförmige Grenze gezogen haben. Anders gesagt, es ist die Grenzlinie selbst, die ein Gegensatzpaar schafft. Kurzum, Grenzen ziehen heißt, Gegensätze herstellen. Wir können so anfangen zu begreifen, daß wir genau deshalb in einer Welt der Gegensätze leben, weil das Leben, wie wir es kennen, ein Prozeß der Gtenzziehungen ist.
Und die Welt der Gegensätze ist eine Welt der Konflikte, wie Adam selber bald entdecken sollte. Adam muß fasziniert gewesen sein von der Macht, die durch das Ziehen von Grenzen und das Anrufen von Namen entsteht. Man stelle sich vor: Ein einfacher Laut wie »Himmel« konnte die ganze Unermeßlichkeit und Weite des blauen Himmels darstellen, der durch die Macht der Grenzen als etwas erkannt wurde, das anders war als Erde, Wasser und Feuer. So konnte Adam, anstatt reale Gegenstände zu befühlen und zu handhaben, in seinem Kopf mit diesen magischen Bezeichnungen umgehen, die für die Dinge selbst standen. Vor der Erfindung von Grenzen und Namen mußte Adam z. B., wenn er Eva sagen wollte, sie sei so dumm wie eine Gans, Eva packen und umherwandern, bis er auch eine Gans fand, erst auf die Gans, dann auf Eva zeigen, dann mit den Armen wie mit Flügeln schlagen, mit langgestrecktem Hals zischen und ein dummes Gesicht machen. Aber jetzt konnte Adam, durch den Zauber der Wörter, einfach nur aufblicken und sagen: »Lieber Himmel, meine Gute, du bist genauso dumm wic cine Gans«.
Zitat aus: Ken Wilber: Wege zum Selbst