Deutschland und die Ukraine in der Entwicklungsspirale am 29.10.2022

An dieser Stelle werde ich – soweit es mir möglich ist – täglich die Entwicklung der Wertewelten und der Quadranten der Integralen Theorie in Deutschland und der Ukraine veröffentlichen. Zu diesem Schritt habe ich mich aufgrund der sprunghaften Entwicklungen der letzten Jahre und Monate entschlossen, da sich die Bilder der Grafiken in diesem Zeitraum drastisch verändert haben und nach zeitnahen Erklärungen verlangen. Die Verknüpfung mit der Ukraine ermöglicht darüber hinaus Rückschlüsse auf Zusammenhänge zwischen deutscher Außenpolitik und Ukrainekrieg. Die Integrale Theorie kann so wertvolle Beiträge zur Meinungsbildung leisten. Ein Sinn hierfür ergibt sich allerdings erst, wenn sich möglichst viele Menschen hierzu Gedanken machen und ihr Handeln hieran orientieren.

Die Darstellung der Quadranten erfolgt – abweichend von der bisher überwiegenden Darstellung als Quadrantenbild als Säulengrafik und in Prozenten. Diese Änderung erfolgt aus Vereinfachungsgründen um eine tägliche Erhebung vom Aufwand her möglich zu machen. Eine Angleichung an die Quadrantendarstellung erhält man, wenn die Prozentwerte jeweils in 5%-Intervalle zerlegt werden.

Die beiden Grafiken werden durch ein Tageszitat aus dem Bereich der Integralen Theorie ergänzt. Dabei wird der jeweilige Bezug zwischen Grafik und Zitat durch ein gelb hinterlegtes Stichwort markiert, um so einen Hinweis auf die Schwerpunkte der Entwicklung zu geben.

Hinweise:  Zum Lesen der Grafiken bitte mit einem Klick vergrößern!

Wenn der Formbarkeit des Menschen (beständig dominantes Blau)  keine Grenzen gesetzt sind, ist er durch die verschiedenen Despotien dieser Welt ebenso gefährdet, wie wenn er ausschließlich durch irgendeinen biochemischen Prozeß geformt würde. Der Anthropologe Robin Fox(engl.) hat dieses Problem treffend auf den Punkt gebracht: »Wenn tatsächlich alles erlernt ist, dann kann dem Menschen mit Sicherheit auch beigebracht werden, in jeder Art von Gesellschaft zu leben. Der Mensch ist auf Gedeih und Verderb all jenen Tyrannen ausgeliefert […] die glauben, sie wüßten, was am besten für ihn ist. Und wie sollte er behaupten können, daß sie unmenschlich sind, wenn ihm die Voraussetzung fehlt zu wissen, was menschlich ist?« Despoten bedienen sich bereitwillig jeder greifbaren Technologie, die es ihnen ermöglicht, die Menschheit zu beherrschen. Wenn die Wissenschaft ihnen sagt, daß die Biologie nichts und die Umwelt alles ist, hören sie mit ihren eugenischen Eingriffen und Zuchtwahlprogrammen auf und greifen statt dessen zu den Waffen der Propaganda, Massenwerbung und erzieherischen Indoktrination. Die Nazis überließen nichts dem Zufall; sie nutzten alle Methoden.

Die jüngste Entwicklung der russischen Geschichte sollte eigentlich die Einstellung, daß alles erlernt und der Mensch grenzenlos formbar sei, begraben haben. Trotz der fünfundsiebzigjährigen grausamen Tyrannei, in der alle Anstrengungen unternommen wurden, die bürgerliche Gesellschaft zu zerstören, blieb eben diese Gesellschaft im russischen Volk lebendig. Die elementaren Bausteine jener Gesellschaft waren nicht isolierte Individuen, die leicht zur Befürwortung jeder Doktrin oder zur Übernahme jeder Gewohnheit hätten erzogen werden können; es waren Familien, Freunde und Gruppen von Vertrauten, bei denen die Empfindungen des Mitgefühls, der Reziprozität und der Fairneß überlebten und um ihren prägenden Einfluß auf den Charakter rangen.

Das der Menschheit innewohnende moralische Empfinden ist kein starkes Leuchtfeuer, dessen Strahl alles, was er trifft, in scharfen Konturen erkennbar werden läßt. Es ist eher ein kleines Kerzenlicht, das, den starken Winden der Macht und Leidenschaft, der Gier und Ideologie trotzend, flackert und zahlreiche verschwommene Schatten wirft. Nahe ans Herz gebracht und mit einer Hand geschützt, vertreibt es jedoch die Dunkelheit und erwärmt die Seele.

Zitat aus: James O. Wilson, Das moralische Empfinden – Warum die Natur des Menschen besser ist als ihr Ruf, Ernst Kabel Verlag, Hamburg 1994

Johannes Vermeer, Die Briefleserin (nach Restauration des Bildes)
© Gemäldegalerie Alte Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Photo: Wolfgang Kreische

Beschreibt man sein (Anm.: Vermeers) Werk jedoch nur in solchen Begriffen (Anm.: der Maltechnik), gerät man leicht in die Cefahr dessen konkret gegenständliche Seite zu übersehen. Das Sujet oder Motiv ist bei Vermeer keineswegs von zweitrangiger Bedeutung. Denn schaut man näher hin, so ist es gerade die einen sozialen und kulturellen Sinn-zusammenhang stiftende Art und Weise der Inszenierung von Personen, Dingen und Räumen, die erst jene Formcharaktere hervorbringt. Ein wesentliches Merkmal ist dabei die starke Individualisierung und Isolierung der Figuren, die in vielen Fällen bei ihrem alltäglichen Tun – beim Brieflesen oder Eingießen der Milch – gezeigt werden. Sie entbehren jeglicher Hektik, Anspannung oder Aufgeregtheit wie sie für Handlungen auf nicht wenigen anderen niederländischen Genrebildern dieser Zeit charakteristisch ist. Der Gesichtsausdruck bei Vermeers Figuren kennt keine Verzerrungen, keine affektbedingten Grimassen. Die Personen, vorwiegend Frauen, erscheinen fast leidenschaftslos, freilich nicht im Sinne von Gefühlsarmut oder Unempfindlichkeit, sondern mehr im Sinne einer Verhüllung ihrer Emotionen, die nicht mitteilsam dem Betrachter aufgedrängt werden sollen.

Wie kaum ein anderer Künstler seiner Zeit löst Vermeer mit visuellen Mitteln das Programm der Moralistik (Blau und Purpur) ein, das Denker wie Gracián oder Montaigne formuliert hatten. Auch ihm geht es um die Abgrenzung der Individuen voneinander, um die Verweigerung einer Kundgabe seelischerVorgänge und um die Aufrichtung kommunikativer Schranken. Fast ist es schon symbolisch zu nennen, dass bei ihm so häufig im Vordergrund seiner Interieurbilder die Barriere eines teppichbelegten Tisches erscheint: formal ,,nur“ ein Requisit, leistet dieses Möbel inhaltlich eine solche Grenzziehung und Distanzierung, vor allem hin zum Betrachter.

Vermeer hat sich sehr oft von Sentenzen und moralischen Leitsätzen anregen lassen, wie sie in illustrierter Form in der damals massenhaft verbreiteten Emblenliteratur unter das Volk gebracht wurden. Im 16. Jahrhundert, zur Zeit ihres Aufkommens, waren die Embleme schwerverständliche, von Humanisten ausgeklügelte Sinnbilder, die geheimnisvoll auf eine tiefere Bedeutung hinter den Dingen verweisen sollten. In den Niederlanden des 17. Jahrhunderts hatte sich ihr Charakter schon nachhaltig gewandelt: Sie wurden zunehmend leichter nachvollziehbar und ihre volkspädagogische Funktion trat unübersehbar zutage. Sie sollten eine neue Moral begründen und durchsetzen helfen und im Sinne der im Aufbau begriffenen bürgerlichen Sozialordnung das Verhalten der Individuen formen.

In der frühen Neuzeit kam der Familie eine zentrale Rolle zu. Viele grundlegende Arbeitsprozesse der Gesellschaft fanden hier statt. Da aber auch schon im Rahmen einer sich anbahnenden größeren Arbeitsteilung viele männliche Tätigkeiten in außerhäusliche Bereiche verlagert wurden, wuchs den Frauen, denen der Haushalt anvertraut war, ein immens großer Aufgabenbereich mit Verantwortlichkeiten zu, an die sie von der Obrigkeit und den volkspädagogischen Autoren unermüdlich erinnert wurden.

Die meisten Bilder Vermeers thematisieren diese Obliegenheiten, aber sie veranschaulichen auch, welche inneren Konflikte die Pflichten und Tugendgebote bei den Frauen hervorrufen, in welchem Gegensatz sie zu deren libidinösen Ansprüchen stehen, die nicht mehr offen artikuliert werden dürfen. Vermeers Methode der Sinnverschlüsselung, mit der auf seinen Bildern der Eindruck von Diskretion und Reserviertheit der Figuren einhergeht, ist man nur als ästhetisches Phänomen zu sehen geneigt. Vielleicht ist sie aber schon ein Reflex dieses kulturellen Vorgangs eines sich den sozialen Normen und Forderungen sperrenden Verhaltens der von ihm dargestellten Personen, die gezwungen sjnd, sich zu isolieren und sich scheu in die Verschwiegenheit zurückzuziehen.

Zitat aus: Norbert Schneider: Johannes Vermeer – Verhüllung der Gefühle, Verlag Taschen

Über Fidelio

Ich bin 1949 geboren und war in meiner berufstätigen Zeit als Stadtplaner in einer mittelgroßen kommune tätig. Seit meiner Studienzeit habe ich mich für die Entwicklung eines erweiterten geistigen Horizonts interessiert und einige Anstrengungen unternommen, mich persönlich in diesem Sinne zu entwickeln. Aufgrund meiner katholischen Erziehung habe ich in den 1960-er Jahren begonnen, mich intensiver mit dem modernen Mystiker Teilhard de Chardin zu befassen und bin so zur Gedankenwelt von Ken Wilber gekommen, die ich in diesem Projekt nutzbar zu machen versuche.
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