An dieser Stelle werde ich – soweit es mir möglich ist – täglich die Entwicklung der Wertewelten und der Quadranten der Integralen Theorie in Deutschland und der Ukraine veröffentlichen. Zu diesem Schritt habe ich mich aufgrund der sprunghaften Entwicklungen der letzten Jahre und Monate entschlossen, da sich die Bilder der Grafiken in diesem Zeitraum drastisch verändert haben und nach zeitnahen Erklärungen verlangen. Die Verknüpfung mit der Ukraine ermöglicht darüber hinaus Rückschlüsse auf Zusammenhänge zwischen deutscher Außenpolitik und Ukrainekrieg. Die Integrale Theorie kann so wertvolle Beiträge zur Meinungsbildung leisten. Ein Sinn hierfür ergibt sich allerdings erst, wenn sich möglichst viele Menschen hierzu Gedanken machen und ihr Handeln hieran orientieren.
Die Darstellung der Quadranten erfolgt – abweichend von der bisher überwiegenden Darstellung als Quadrantenbild als Säulengrafik und in Prozenten. Diese Änderung erfolgt aus Vereinfachungsgründen um eine tägliche Erhebung vom Aufwand her möglich zu machen. Eine Angleichung an die Quadrantendarstellung erhält man, wenn die Prozentwerte jeweils in 5%-Intervalle zerlegt werden.
Die beiden Grafiken werden durch ein Tageszitat aus dem Bereich der Integralen Theorie ergänzt. Dabei wird der jeweilige Bezug zwischen Grafik und Zitat durch ein gelb hinterlegtes Stichwort markiert, um so einen Hinweis auf die Schwerpunkte der Entwicklung zu geben.
Hinweise: Zum Lesen der Grafiken bitte mit einem Klick vergrößern!
„Mein Leben konzentriert sich aufs Überleben (Auftauchendes Beige). Energie wird dafür verwandt, am Leben zu bleiben und die Bedürfnisse meines physischen Daseins zu befriedigen, so dass ich nicht hungrig oder durstig bin. Ich muss mich vermehren, daher reagiere ich auf sexuellen Drang, sobald er sich bemerkbar macht. Ich weiß nicht, was Sie mit Zukunft, Pläneschmieden, Sparen für schlechte Tage oder Selbst meinen. Mein Körper sagt mir, was ich zu tun habe, und ich werde durch das angetrieben, was meine Sinne meinem Gehirn mitteilen, nicht so sehr durch ein Bewusstsein.“
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Beige ist tatsächlich ein automatischer Lebenszustand. Er wird von den gebieterischen physiologischen Bedürfnissen, welche die Lebensbedingungen beherrschen, gesteuert und setzt die ganz grundlegende Überlebensausstattung, mit der wir geboren werden, in Gang. Ist nur dieses WMem aktiv, ist man deutlich ein menschliches Wesen, aber kaum als Persönlichkeit wahrnehmbar.
Zitat aus: Beck, Don Edward; Cowan, Christopher C.. Spiral Dynamics: Leadership, Werte und Wandel (German Edition) . J. Kamphausen Verlag. Kindle-Version.
Der Krieg ist sowieso eine Zeit für Briefe. Er verschlägt Menschen an verschiedene Orte, und sie versuchen auf jede nur erdenkliche Weise einander zu erreichen. Menschen senden sich Worte, die womöglich die letzten sind, das macht sie so unglaublich wertvoll. Menschen senden sich wichtige Worte, oft wirken sie wie ein Zauber (starkes Purpur). Briefe wie dieser oder eine normale SMS, schriftliche oder mündliche Nachrichten, kürzere oder längere Telefonate sind, glaub mir, wie eine im richtigen Moment ausgestreckte Hand, die den anderen aus einer Depression, aus der Erstarrung reißen und einen Weg aus bleierner Verwirrung und Hilflosigkeit bahnen kann. …
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Die Leute kamen von allen Enden der Stadt geströmt, sie sind über die Trümmer gestiegen, haben sich durch die Frontlinie geschlängelt oder geschlagen und dann lange schutzlos und verletzlich an der Kreuzung gestanden, wo ständig geschossen wurde. Ich habe gesehen, wie viele von ihnen bei dem Versuch, eine Verbindung herzustellen, das Telefon über den Kopf hielten, und es schien mir, als würden sie sich Gott zuwenden. Von oben hat sie allerdings nicht nur Gott gesehen. Die russländischen Flugzeuge, gesteuert von russländischen Fliegern, haben über ihnen russländische Bomben abgeworfen.
Längst nicht alle, die an diese Kreuzung kamen, konnten den gewünschten Kontakt herstellen, längst nicht alle haben es anschließend in ihren Luftschutzkeller zurückgeschafft … Ich bin auch an dieser Kreuzung gewesen. Einmal haben eine Rakete und ich uns wie durch ein Wunder um dreißig Sekunden verfehlt. Wer weiß, vielleicht war das an dem Tag, als Du mir den Brief geschrieben hast. (Aus einem Brief der ukrainischen Schriftstellerin und Dichterin Oksana Stomina an ihre deutsche Kollegin Ulrike Almut Sandig)
Unter Deutschen
Unsere Gastautorin wurde in Kiew geboren und lebt in Berlin. Sie leidet unter der Diskrepanz der ukrainischen und der deutschen Perspektive auf den Krieg.
Von Jelena Jeremejewa
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Auf die atomaren Drohgebärden Russlands reagieren manche Ukrainer mit wildesten Orgienplänen – man wolle sich auf einem der Hügel im Kiewer Zentrum versammeln, um endlich alle noch nicht realisierten sexuellen Fantasien auszuleben. Und sie teilen Tipps, von wo aus man die beste Aussicht auf den atomaren Pilz genießen könnte.
Ich habe in all dem Unglück das Glück, zwei Zuhause zu haben. Im ersten herrscht Krieg, im zweiten lebe ich mein Doppelleben. Tagsüber gehe ich meinem Alltag nach, grüße freundlich, bringe und hole Kinder, kaufe ein, koche und räume abends die Küche auf. Ich kann nicht mehr auf die Frage antworten, wie es mir geht. So murmele ich etwas vor mich hin, in der Hoffnung, dass nicht nachgefragt wird. Denn ich ertrage diese traurigen, mitleidigen Gesichter nicht und bin dankbar für jede noch so scheinbare Normalität, in der ich ungestört verdrängen kann. Manchmal wache ich nachts auf und aktualisiere 20-mal meinen Twitter-Feed, in der Sorge, vernichtet worden zu sein und es verschlafen zu haben. Nicht physisch, aber seelisch. Für mich hat am 24. Februar 2022 mein persönlicher Dritter Weltkrieg begonnen und es ist kein Ende in Sicht. Für die Menschen hier ist es nur „ein Krieg„. Für mich ist er „der Krieg“ und diese ständige Diskrepanz überfordert mich. Im zweiten Zuhause zu leben bedeutet, unter Menschen zu leben, die das Glück oder das Pech haben, nur dieses eine Zuhause zu haben und damit nur diese eine Außenperspektive. Und die nicht über die ukrainischen Orgienpläne lachen können. …
Zitiert aus zwei Briefen im Projekt „10 nach 8“ der Wochenzeitung Die ZEIT