Deutschland im politischen Umbruch

Die politischen Hauptakteure

Die nebenstehende Grafik zeigt die Bedingungen für Veränderungen im Bezug auf die nach der Europawahl stärksten vier Parteien in Deutschland. Der Interpretationsbereich der erhobenen Daten reicht über die Partei hinaus in die Wahrnehmung der Öffentlichkeit allgemein. Im Vergleich stechen die GRÜNEN (gelb) hervor. Bei drei der fünf Kriterien führen sie – in zwei Fällen mit großem Vorsprung vor den anderen Parteien. Im Problembewusstsein liegen die Grünen gleichauf mit der AfD, dicht gefolgt von der SPD. Als Alternative erscheinen vor allem die SPD und die AfD, wobei ein Vergleich im Bezug auf die AfD nicht möglich ist, da diese bereits in ihrem Namen den Suchbegriff „Alternative“ führt.

Das Bewusstsein von Hindernissen ist besonders ausgeprägt für die Parteien der GroKo (CDU und SPD) zu sehen. Hier wird sichtbar, dass es sich bei der GroKo um eine „Zwangsehe“ handelt, in der jeweils der eine Partner den anderen als Hindernis sieht, was im Bezug auf die CDU stärker empfunden wird als auf die SPD. Als Konsolidierung werden die anhaltenden Wahlerfolge der GRÜNEN empfunden, die hier deutlich vor den anderen Parteien liegen. Dagegen werden die Wahlergebnisse der AfD offensichtlich nicht als Konsolidierung aufgefasst. Auch bei dem wichtigen Kriterium „Offenheit“ schneiden die GRÜNEN mit großem Abstand vor den anderen Parteien ab, die etwa auf gleichem Niveau liegen.

Bedingungen für eine konstruktive politische Alternative lassen sich aus diesen Ergebnissen am ehesten für ein Bündnis aus SPD und GRÜNEN ableiten, da hier gegenüber den anderen beiden Parteien starke Werte für „Alternative“ vorhanden sind.

Wie die links stehende Grafik zeigt, wird die im Bezug auf ein neues politisches Bündnis getroffene Einschätzung auch durch die Ergebnisse für das Kriterium Sicherheit gestützt. Offensichtlich vermitteln die GRÜNEN als einzige der vier Parteien den Eindruck, zeit- und problemgerechte politische Lösungen umzusetzen. Unter den globalen Bedrohungen durch Klimawandel und militärische Auseinandersetzungen vor der „Haustür“ Europas kommt diesem Kriterium ein besonders hoher Stellenwert zu.

In den folgenden Grafiken werden für die vier Parteien Veränderungen ihrer Wertewelten – also jene Holons, die auf die jeweilige Partei positiv oder negativ reagieren, – für den Zeitraum der vergangenen 7 Jahre dargestellt. Es sind auf dieser tiefen Betrachtungsebene jene Kräfte einzugrenzen, die für Veränderungen der politischen Landschaft verantwortlich sind.

Für die CDU zeigt sich eine deutliche Veränderung in den WMemen Orange, Blau, Grün und Rot. Von besonderem Interesse ist der starke Anteil von Rot im Jahr 2012, worin sich eine verbale Gewaltdemonstration darstellt, die vermutlich ein Vorbote der am 06. Februar 2013 gegründeten AfD war. Ein weiteres Merkmal ist die gegenüber Grün stark betonte Ausprägung von Blau, die den Gegensatz konservativer Großformationen mit hoher Sachkompetenz gegenüber emanzipatorischen sozial und ökologisch orientierten Gruppierungen in Grün darstellt. Im Vergleich zur aktuellen Situation der Partei hat eine Sozialdemokratisierung stattgefunden, die durch gleichstarke Anteile von Blau und Grün und ein starkes Orange gekennzeichnet ist. Die agressiven roten Anteile sind hier nur noch marginal vorhanden, da sie vermutlich durch die AfD aufgesogen worden sind.

Auch für die SPD ist eine Abnahme von Rot zu sehen, die darauf hinweist, dass offensichtlich auch aus den Milieus der SPD Abwanderungen zur AfD stattfanden. Darüber hinaus sind hier strukturell keine Veränderungen zu sehen. Auf Grund des weitgehend abgeschmolzenen Anteils von Rot haben sich die Anteile von Blau und Grün im Verhältnis zu Orange etwas verstärkt.

Wie groß die politischen Verwerfungen in Deutschland seit 2012, und besonders seit 2017 sind, lässt sich den beiden Balkengrafiken für diese Jahre im Vergleich zu 2019 entnehmen. Bereits 2017 war die Erfolgswelle der GRÜNEN innerhalb ihrer Wertewelt zu sehen. Neben dem starken Orange waren 2017 noch bedeutsame Anteile von Blau und Grün vorhanden. Im Vergleich zu CDU und SPD zeigt sich im Jahr 2017  für die GRÜNEN eine vergleichbare Struktur, die sich hauptsächlich durch wesentlich stärkere Anteile von Orange und relativ schwache Anteile von Blau und Grün unterscheidet. Die politische Trendwende muss jedoch bereits zwischen 2012 und 2017 stattgefunden haben. In diesem Zeitraum wurde der erste Ministerpräsident der GRÜNEN in Baden-Württemberg durch ein sehr gutes Wahlergebnis bestätigt, in sieben weiteren Bundesländern wurden Koalitionen nach Wahlen unter der Beteiligung der GRÜNEN bestätigt oder neu geschlossen. Damit sind die GRÜNEN nun bis auf Mecklenburg-Vorpommern und das Saarland in allen Länderparlamenten vertreten und es hat sich der Eindruck einer verlässlichen stabilen Kraft auf dem politischen Parkett verstärkt und wahrscheinlich wesentlich zu den jüngsten Wahlerfolgen beigetragen. Im Jahr 2012 ist noch ein relativ schwaches Orange neben deutlich sichtbaren und ausgeglichenen Anteilen des Gegensatzpaares Blau und GRÜN zu sehen. Bemerkenswert ist hier auch der ebenfalls relativ starke Anteil von Rot, das aktuell zur Marginalie geworden ist. Das originär für die GRÜNEN kennzeichnende WMem Grün ist auf einen Restbestand zurückgegangen, so dass der Eindruck entsteht, als sei die Partei den Interessen starker politischer Ambitionen aus Orange erlegen. Dieser Eindruck wird durch einen äußerst geringen Anteil von Blau untermauert, wodurch auf geringe Energien zur Bewahrung und Behauptung des Erreichten hingewiesen wird.

Die aktuelle Wertewelt der GRÜNEN hat kaum noch etwas mit der vom Jahr 2012 gemeinsam. Die Wahlerfolge der Partei auf Landes-, und Europaebene in jüngster Zeit sowie die Regierungsbeteiligung in mehreren Bundesländern haben die GRÜNEN in eine Rolle katapultiert, die im politischen System Deutschlands Ähnlichkeiten mit der früheren Rolle der FDP aufweist. Das Dilemma der Partei besteht darin, dass sie auf Grund des politischen Versagens der drei Volksparteien in bürgerliche Wählerschichten geraten ist, die mit den Grundpfeilern der GRÜNEN nur teilweise bis gar nicht kompatibel sind. Auf der anderen Seite ist die in der Entstehungsphase der GRÜNEN programmatisch bestimmende Verquickung mit sozialen Bewegungen weitgehend gegenstandslos geworden. Im Unterschied zu den Volksparteien ist die Anbindung der traditionellen soziokulturellen Strukturen der Mehrheitsgesellschaft personell nicht darstellbar.

Die in groben Strichen skizzierte Situation der GRÜNEN spiegelt sich in ihrer derzeitigen Wertewelt wider. Die politische Rolle hat die Sachpolitik weitgehend verdrängt. Dahinter steht die Erkenntnis – wie Initiativen der Deutschen Umwelthilfe und Fridays for Future belegen – , dass die politischen Konzepte durch fortdauerndes Wiederholen nichts an der faktischen Situation ändern und nun die Zeit des Handelns unwiderruflich gekommen ist. Das emporgeschossene Orange steht für individuellen Erfolg und starkes Eigeninteresse. Wissenschaft und Technik werden als Quelle des Fortschritts und des Wachstums gefördert und flexibel genutzt. Die Weltsicht ist optimistisch und an materialistische Erfolgssymbole gebunden, die gerne öffentlich zur Schau gestellt werden. Menschen unter dem Einfluss von Orange stehen fest hinter den Postulaten der Marktwirtschaft mit Wettbewerb und ständigem Wachstum. Sie sind bereit, hierfür auch Risiken einzugehen. Daher sind sie bereit sich auf schmutzige und dunkle Geschäfte einzulassen, wenn mit deren Hilfe Barrieren aus dem Weg geräumt werden können. Deshalb sind Partnerschaften mit rot geprägten Geschäftemachern, die vor Erpressung, Bestechung und anderen Taktiken in Hinterzimmern nicht zurückschrecken, nicht selten – der Erfolg rechtfertigt letztlich alles.

Die GRÜNEN laufen Gefahr in diesem Szenario aufzugehen, wenn sie nicht die Kraft finden, den Verlockungen der Macht zu diesem Zeitpunkt zu widerstehen und eine Wertedebatte führen, die auch unpopulären sozio-ökonomischen Fragen nicht ausweicht.

Für die AfD ist ebenfalls eine dramatische Entwicklung zu sehen, die zu einem sprunghaften Anstieg des orangen WMems geführt hat. Anders als bei den GRÜNEN ist hier jedoch der Anstieg überwiegend auf das Verschwinden der Zweifel an der dauerhaften Existenz der Partei, das sich im WMem Beige ausdrückt, zurückzuführen. Neben Orange, dessen Verlockungen und Fallstricke auch für die AfD gelten, bildet Blau die leitende Konstante in der Wertewelt der AfD. Für sie stehen Wahrheit, Ordnung, und Stabilität an erster Stelle und hieran muss sich die Partei auch messen lassen. Dafür werden Prinzipien einer Rechtschaffenheit zu Grunde gelegt, die sich aus höherer Autorität ableiten. Staat und Kirche sind hier in ihrem Recht und entscheiden darüber, was wahr ist. Sie weisen jedem den ihm zustehenden Platz zu. Opfer und Ehre sind Werte, die das Verhältnis des Individuums zur Gemeinschaft bestimmen. Es handelt sich um jene Werteordnung, die im Mittelalter entstand und den Menschen durch strenge moralische Gesetze lenkten, die ihm eigene Entscheidungen abnahm und oftmals durch willkürliche Herrschaftsgewalt ersetzte.

Die raschen Erfolge der AfD weisen darauf hin, dass es in der deutschen Gesellschaft Defizite innerhalb des Wertespektrums gibt, die durch Vernachlässigungen der staatstragenden Parteien – vor allem der CDU – entstanden sind. Dabei haben die Deregulierung und Privatisierung im Zusammenhang mit der Durchsetzung neoliberaler Ideologie die notwendigen Begründungen geliefert. Es muss jedoch bezweifelt werden, ob die AfD die richtige Kraft ist, um diese Fehlentwicklungen zu korrigieren. Wie das chinesische und das japanische Beispiel zeigt, ist es durchaus möglich, gelenkte marktwirtschaftliche Wirtschaftssysteme zu errichten, die durch autoritäre Regierungen mit „unsichtbarer Hand“ gelenkt werden. Deshalb möchte ich auf die Herkunft der AfD hinweisen, die als europaskeptische und rechtsliberale Partei 2013 von dem Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke gegründet wurde. Im Juli 2015 spaltete sich unter Bernd Lucke ein wirtschaftsliberaler Flügel ab und formierte sich als „Partei Allianz für Fortschritt und Aufbruch“ (ALFA), während sich der überwiegende Rest der Partei unter Frauke Petry und Jörg Meuthen deutlich nach rechts entwickelte. Auf der gemeinsamen Basis von EU-Skepsis und Nationalismus gibt es heute in der AfD verschiedene, teils widersprüchliche innerparteiliche Vereinigungen, informelle Parteiflügel und Einzelmeinungen. Unter diesen Bedingungen ist Blau weitgehend auf den vereinenden Nationalismus mit seinen aus Rot eindringenden Anteilen begrenzt. Der hohe Anteil akademisch ausgerichteter Führungspersonen in der Partei kommt in dem starken Orange zur Geltung, es bildet jedoch auch eine Schwäche, wie sie bei den GRÜNEN besteht.

Die Wertewelt der AfD ist ähnlich eingeengt, wie die der GRÜNEN. Eine Durchdringung der Gesellschaft ist auf dieser Basis kaum möglich. Eher ist zu erwarten, dass durch Ausweitung anderer blauer Themen eine Entspannung im Thema Ausländer und Migration eintritt und das Wählerpotential der AfD zurückgeht. Ein möglicher Ansatz hierzu ist durch die Schaffung ordnungspolitischer Instrumente zur Begrenzung des Klimawandels möglich. Hierdurch würde nicht nur das blaue Politikspektrum in erweitert, es würde auch das grüne WMem als Gegenspieler von Blau gestärkt.

Ein Blick auf die Quadrantenbilder der vier Parteien zeigt ebenfalls deutliche Unterschiede. Die Zusammensetzung zeigt für die AfD die geringste Abweichung von dem Bild für Deutschland. Damit wird die bereits erwähnte Funktion der Partei als politisches Barometer. Ebenfalls nah am Durchschnitt für Deutschland befindet sich die SPD. Sie zeichnet sich durch Ausgeglichenheit im oberen linken Quadranten (OL) und eine Übereinstimmung mit dem Durchschnitt für Deutschland in den rechten Quadranten (OR und UR) aus. Dabei besteht ein leichtes Übergewicht im unteren linken Quadranten (UL). Hierin kann ein Hinweis auf die Funktion der Partei in der langen politischen Tradition gesehen werden. Dagegen heben sich die Quadranten der CDU und der GRÜNEN durch schwächere rechte Quadranten ab, stärker bei den GRÜNEN als bei der CDU. Es kommt hierin eine stärkere intuitive Auffassung von Politik zum Ausdruck als bei den beiden anderen Parteien. Im Zusammenhang mit den GRÜNEN ist diese eher individuell-psychisch verteilt und im Bezug auf die CDU eher in Form kultureller Traditionen zu vermuten.

Insgesamt lassen die hier zusammengestellten Informationen eine Situation erkennen, die durch Stabilität und individuelle Entfaltungsmöglichkeiten gekennzeichnet ist. Kleine Verlagerungen innerhalb der Wertewelten sorgen für die notwendige Spannung um das Gesamtsystem in Gang zu halten. Dabei ist nicht zu übersehen, dass es keine Tendenz zu einer Weiterentwicklung auf höhere Stufen der Entwicklungsspirale gibt. Eine wesentliche Ursache hierfür ist in dem ständigen Defizit innerhalb der rechten Quadranten zu sehen. Weitere Gründe sind die schwache Ausbildung des WMems Grün, das die Basis für eine Entwicklung zu höheren Entwicklungsstufen darstellt, die geringe Offenheit für Veränderungen und die Blockade durch interne Hindernisse bei den „Volksparteien“. Alternativen werden – an Stelle von Anpassungen dieser Parteien an die Erfordernisse der Zeit – von Parteien geboten, die erst in den letzten Jahrzehnten entstanden und nur über begrenzte Ressourcen verfügen. Trotz Legitimation durch Wahlentscheide sind sie deshalb kaum in der Lage, die notwendige Kommunikation mit der Zivilgesellschaft zu gewährleisten, so dass eine Akzeptanz unpopulärer Entscheidungen nicht hergestellt werden kann. Es hat den Anschein, als kapituliere hier die Demokratie vor den Folgen eines Wirtschaftssystems, das auf ewiges Wachstum und seine Versprechungen eines leichten Lebens – im Gegensatz zum guten Leben – angelegt ist.

Politische Strategien, die sich an der Entwicklungsspirale orientieren, müssen in erster Linie darauf abzielen, genügend Potential für die Regulierung der Spirale zu ermöglichen. Es reicht dazu nicht aus, Modellvorhaben, Versuche und wissenschaftliche Forschungen durchzuführen, die dann oft die Initiatoren zufriedenstellen, für die ständige Praxis jedoch keine Bedeutung erlangen. Auch die Durchführung der Lokalen Agenda 21 und der kommunalen Nachhaltigkeitsstrategien haben nur vereinzelt sicht- und messbare Erfolge gebracht. Wie sollen sie auch, wenn die Bundesregierung selbst alles unternimmt, internationale Verpflichtungen zu umgehen.

Über Fidelio

Ich bin 1949 geboren und war in meiner berufstätigen Zeit als Stadtplaner in einer mittelgroßen kommune tätig. Seit meiner Studienzeit habe ich mich für die Entwicklung eines erweiterten geistigen Horizonts interessiert und einige Anstrengungen unternommen, mich persönlich in diesem Sinne zu entwickeln. Aufgrund meiner katholischen Erziehung habe ich in den 1960-er Jahren begonnen, mich intensiver mit dem modernen Mystiker Teilhard de Chardin zu befassen und bin so zur Gedankenwelt von Ken Wilber gekommen, die ich in diesem Projekt nutzbar zu machen versuche.
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