Bedingungen für politischen Umbruch

Lebenslagen bestimmen politisches Verhalten

Es gehört zu den ständig wiederkehrenden Analysen von Wahlergebnissen, die Herkunft der Stimmen für die einzelnen Parteien nach biografischen Merkmalen aufzuschlüsseln, um hieraus Interpretationen der Wahlergebnisse abzuleiten. Von besonderem Interesse ist dabei im Hinblick auf die Volksparteien, ob diese an Zustimmung in bestimmten Milieus und Altersgruppen verlieren oder gewinnen. Daraus werden in erster Linie Strategien entwickelt, wie man das Profil der Partei schärfen und ihre Botschaften „verkaufen“ kann, um möglichst positiv in den demoskopischen Erhebungen abzuschneiden und für die nächste bedeutsame Wahl Prognosen erstellen zu können. Ein Einfluss auf politische Entscheidungen geht hiervon nur in geringem Maße aus, da die in Umfragen gestellten Sachfragen von den Parteien im Grundsatz bereits beschlossen sind. Konsequenzen werden aus divergierenden Umfrageergebnissen eher in der Weise gezogen, dass ein Thema auf die „lange Bank“ geschoben wird in der Erwartung, dass die nächste Wahl günstigere Machtkonstellationen ergibt.

Mit der Entwicklungsspirale existiert ein Instrument, das politische Entwicklungen und Prozesse von den Wurzeln her erklären kann und für die Konzeption gezielter Veränderungen eingesetzt werden kann, ohne stigmatisierte Milieus auszugrenzen. Die oft durch Milieus gekennzeichneten und typisierten Menschen werden in der Methode der Spiral Dynamics als Individuen angenommen und sowohl als solche wie auch als Mitglieder gesellschaftlicher Gruppen gewürdigt. Die Anwendung der Methode beinhaltet die Chance zur Aktivierung und erfolgreichen Umsetzung der erarbeiteten Lösungen. Ein wesentlicher Erkenntnisgewinn ergibt sich dabei aus der Erfahrung, dass unterschiedliche Menschen und unterschiedliche Lebensbedingungen spezifische Wertewelten ergeben, die in einem spiralförmigen Muster sinnvoll zusammenwirken können. Eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen des Prozesses ist die Herstellung positiver Beziehungen zwischen allen Beteiligten. Hierzu haben sich nach den publizierten Erfahrungen mit der Methode drei universelle Prinzipien bewährt: Höflichkeit, Offenheit und Autokratie (H-O-A). Daran schließen sich sechs Bedingungen an, die in gezielten Veränderungsprozessen zu beachten sind und hier als Analysekriterien in Form von 9  Kriterien verwendet werden.

Erst wenn die hier analysierten Verhältnisse geklärt sind und hinsichtlich ihres Veränderungspotentials bewertet sind, kann mit Erfolg an einer Verbesserung der Wertestruktur gearbeitet werden.

Mit der hier praktizierten Methode kann eine Differenzierung der Bevölkerungsgruppen erreicht werden, die zwar im soziografischen Sinn keine exakte Gruppierung nach Altersgruppen darstellt, jedoch auf Grund von rechtlichem Status (Jungwähler), subjektiver Lebensphase (Lebensmitte und Berufseinstieg) sowie Stellung in der Generationenfolge (Junior und Senior) doch Rückschlüsse auf spezifische Bedingungen zulässt, die für Wahlentscheidungen bedeutsam sind. Auf politischer Seite werden die gleichen Bedingungen für die im Bundestag vertretenen Parteien dargestellt. 

Drei Grundbedingungen des Wandels in den Generationen

Bevor die im Vordergrund des Interesses stehenden Ergebnisse präsentiert werden können, ist die Darstellung der Rahmenbedingungen erforderlich. Sie bestimmen das Ob und Wie von Veränderungsprozessen und bilden in sehr allgemeiner Weise wesentliche Kriterien der gesellschaftlichen Realität ab. Diese Kriterien sind teilweise aufeinander bezogen und werden als Relationen innerhalb eines Gegensatzpaares oder zu einer Gesamtmenge dargestellt. Nachfolgend werden die Kriterien kurz einzeln beschrieben:

  1. Höflichkeit

Die mit gutem Benehmen verbundene Bedeutung von Höflichkeit ist dem neoliberalen Zeitgeist weitgehend zum Opfer gefallen und wird eher als antiquiert diskreditiert. Nur so ist es erklärbar, dass pöbelnde Politiker wie Donald Trump, Boris Johnson oder der CDU-Politiker Ronald Pofalla Wahlsiege und politischen Erfolg verbuchen können. Es ist die Grundhaltung der Ellenbogengesellschaft, die auch mehr und mehr in das Arbeitsleben eingedrungen ist. Der Mangel an Höflichkeit ist durch arrogantes Auftreten, respektlosen Umgang und rohen Redestil erkennbar und durch den häufigen Gebrauch entsprechender Begriffe in schriftlichen Quellen quantitativ zu erfassen. Für die Darstellung in diesem Projekt werden für Unhöflichkeit die Begriffe barsch, zynisch, arrogant, respektlos und herablassend verwendet. Als Gegenbegriffe dienen freundlich, aufrichtig, mitfühlend, standhaft und fair. Es handelt sich somit um die Übernahme bereits in der Gesellschaft vorhandener Roh-Begriffe, die den indirekten Einfluss von Unhöflichkeit auf das Empfinden der Menschen wiedergeben. Die Darstellung ergibt nur einen Sinn, wenn sie im Vergleich zu Gruppen innerhalb einer klar umrissenen Gesamtheit erfolgt. Diese Gesamtheit bilden fünf Lebensphasen (Berufseinsteiger, Junioren, Menschen in der Lebensmitte, Senioren und Jungwähler). Durch die Fixierung auf diese Gesamtheit sind Vergleiche der einzelnen Gruppen, wie auch zwischen verschiedenen Kriterien möglich.

Durch höflichen Umgang miteinander entstehen dynamische Kräfte, die aus einem aufrichtigen Interesse am Gegenüber sowie Anerkennung der gesellschaftlichen Normen und der Person in privater und beruflicher Hinsicht erwächst. Höflichkeit ist eine Reaktion auf die Bedürfnisse anderer Menschen zu deren Bedingungen, nicht zu den eigenen. Sie stellt damit auch einen Schutz vor struktureller Gewalt dar, wobei das Gesprächsklima von Offenheit für den zeitlichen und atmosphärischen Rahmen der Begegnung bestimmt sein sollte.

2. Offenheit

Offenheit erfordert Vertrauen, so dass ein Klima für geradlinigen und offenherzigen Gedankenaustausch entsteht. Hierdurch werden authentisches, ehrliches und transparentes Verhalten der Beteiligten möglich. Man sagt, was man denkt. Vertraulichkeit und Geheimhaltung sind nur in begründeten Einzelfällen angezeigt. Soweit zielführend im Sinne der unmittelbar Beteiligten sollte in Konfliktsituationen eine breite Basis für die Analyse und Lösung im Konsens geschaffen werden.

3. Autokratie

Das Wort „Autokratie“ bedeutet laut Duden „Alleinherrschaft“ und ist im allgemeinen Sprachgebrauch negativ besetzt und erinnert eher an Filme wie „Warum eigentlich…bringen wir den Chef nicht um?“ oder den Kapitän der Bounty, William Bligh. In dem hier gemeinten Sinn steht es jedoch lediglich für die Bereitschaft, die Führung und die Verantwortung in Veränderungsprozessen zu übernehmen und bereit zu sein, ein persönliches Risiko einzugehen. Es ist also in einem ursprünglichen Sinn gemeint, der – im Gegensatz zu der heute überwiegenden Ausklammerung von Verantwortung – eine soziales Engagement einschließt. Wenn eine Organisation unter der Kontrolle der Entwicklungsspirale geführt wird, wird es in den bürokratisierten Körperschaften und Großunternehmen den oft zu hörenden Satz „Dafür bin ich nicht zuständig“ nur noch in Ausnahmefällen geben. „Wenn die Anforderung, die von Autorität und Kontrolle ausgeht, von Höflichkeit und Offenheit begleitet wird, sendet sie mehr positive als negative Botschaften, und Angst ist dann keine Frage mehr. Etwas feste Autokratie vermittelt tatsächlich ein gutes Gefühl, denn mit ihr gibt es eine Grundlinie, Grundlinie, es wird etwas getan, und es besteht eine klare Ausrichtung.“ (Zitat „Spiral Dynamics“)

Höflichkeit, Offenheit und Autokratie der Lebensphasen

In der nebenstehenden Grafik sind die drei oben erläuterten Bedingungen (H-O-A) für Veränderungsprozesse im Bezug auf die nachwachsende Generation dargestellt. Der hierbei leitende Begriff „Junior“ wird darüber hinaus vor allem im Sportbereich für Nachwuchssportler und im Zusammenhang mit Unternehmungen für die Nachfolge in Familienunternehmen verwendet.

Aus der Grafik geht hervor, dass insgesamt gesehen die Bedingungen Offenheit und Autokratie keine Rolle spielen (erste Grafik, oben links). Im allgemeinen Sprachgebrauch des Internets spielt „Höflichkeit“ demgegenüber eine dominante Rolle. Erst die Differenzierung nach Geschlechtern lässt die Kriterien Offenheit und Autokratie erscheinen. Dort zeigen sich gravierende Unterschiede zwischen Frauen und Männern. Höflichkeit ist doppelt so häufig im Bezug auf Männer als auf Frauen vorhanden. Offenheit zeigt dagegen nur geringe Unterschiede zwischen den Geschlechtern (0,70 f. Frauen / 0,83 f. Männer). Die Werte für Autokratie stehen wahrscheinlich tendenziell in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Vorhandensein von Höflichkeit. Während das Verhältnis von Höflichkeit im Bezug auf Frauen zu Höflichkeit im Bezug auf Männer 1 : 2,0 beträgt, stellt sich dieses Verhältnis in der Relation Männer/Frauen mit 1 : 3,4 ein. Damit deutet sich ein Wachstum der Autokratie in Abhängigkeit von Höflichkeit an, das stärker als lineares Wachstum ist.

Als Ergebnis ist festzustellen, dass die in der Jugend bestehende Abhängigkeit von der älteren Generation eine naturgegebene Veränderungsbereitschaft beinhaltet, die auf asymmetrischen Machtverhältnissen beruht und nicht im Bewusstsein der Beteiligten reflektiert wird. Andersherum betrachtet ist die gewöhnlich unterstellte Innovationskraft der nachrückenden Jugend aus diesen Ergebnissen nicht zu erkennen. Dieses Ergebnis stimmt mit dem seit Längerem bestehenden Eindruck einer desillusionierten und „abgehängten“ Jugend überein. Jüngstes Beispiel für dieses Verhältnis zwischen Gesellschaft und nachrückender Jugend ist die Verunsicherung des politischen Establishments durch die von Jugendlichen ins Leben gerufene Bewegung „Fridays for future“.

Ein speziellerer Blick auf die nachrückende Generation in der Wirtschaft ergibt ein anderes Bild. Höflichkeit kommt hier wesentlich seltener vor als in dem diffuseren Spektrum der Jugend, wie oben beschrieben. Hier ist eine homogene Interessenlage gegeben, die durch die Grundlegung einer möglichst sicheren wirtschaftlichen Existenz bestimmt ist. Hier spielen Höflichkeit und Autokratie gegenüber und für Frauen überragende Rollen. Auch hier ist die oben ermittelte Abhängigkeit zwischen Höflichkeit und Autokratie zu sehen, die hier gegenüber den Junioren ein umgekehrtes Verhältnis von 1 : 5,5 und 1 : 20,3 ergibt. Für dieses Ergebnis ist wahrscheinlich die in den letzten Jahrzehnten vorangetriebene Gleichstellung von Mann und Frau ausschlaggebend, die wie selten ein anderes politisches Projekt nachhaltig umgesetzt wird und immer wieder neue Impulse erhält. Die im Vergleich zu den Männern gänzlich abweichende Einstellung der Frauen kann darüber hinaus als wichtiger Beitrag zu einer Humanisierung und Versachlichung der Wirtschaft gesehen werden.

Bemerkenswert ist an diesem Ergebnis die gegenüber Männern erhöhte Offenheit, die sich auch im Gesamtbild (obere Grafik, links) auswirkt.

Ein Blick auf die eng begrenzte Altersgruppe der Jungwähler zeigt erhebliche Unterschiede in der Häufigkeit von Höflichkeit gegenüber Frauen. Während sie im Gesamtbild und gegenüber Männern etwa gleich häufig erscheint, tritt sie bei Frauen nur selten auf. Hierin kommt eine größere Sensibilität von Frauen gegenüber ungebührlichem Verhalten und ein größeres Interesse an praktischer Umsetzung von Politik zum Ausdruck, das sich in der starken Ausprägung von „Autokratie“ bemerkbar macht, die sowohl bei Frauen wie bei Männern eine große Rolle spielt, bei Frauen jedoch deutlich häufiger vorkommt. Hierbei ist festzustellen, dass der oben postulierte Zusammenhang zwischen Höflichkeit und Autokratie in diesem Fall nicht zutrifft. (Ausnahmen bestätigen die Regel!).

Abschließend zu dieser Personengruppe ist zu bemerken, dass die Offenheit in allen drei Grafiken auf einem geringen Niveau liegt. Die Ursache ist zum Teil darin zu sehen, dass die politische Wahl einer Festlegung bedarf, die zwar eine begrenzte Offenheit nicht ausschließt, jedoch tendenziell ihr entgegenwirkt.

Die Ergebnisse für die drei Lebensphasen im jugendlichen Alter machen deutlich, dass entgegen dem Eindruck, der aus den täglichen Nachrichten der Medien entsteht, bei jungen Menschen ein höflicher Umgang miteinander die Regel ist. Einschränkungen von dieser Regel gibt es im Bezug auf das Geschlecht bei Männern und in allgemeiner Sicht (Grafik oben links) bei Frauen. Darüber hinaus spielt Autokratie in dem hier definierten Sinn eine große Rolle, die sich insbesondere bei weiblichen Berufseinsteigern und bei Männern und Frauen in allgemeiner Sicht zeigt. Die für Veränderungsprozesse sehr wichtige Bedingung Offenheit spielt in allen dargestellten Situationen eine geringe Rolle. Sie ist jedoch bei weiblichen Berufseinsteigern gegenüber Männern stärker vorhanden.

Im mittleren Lebensabschnitt tritt die Höflichkeit im Gesamtbild und gegenüber Frauen nahezu total zurück. Hier zeigt sich bei den Männern ein zwar geschrumpftes, aber dennoch deutlich wahrnehmbares Feld höflichen Umgangs. Auf welche sozialen Beziehungen dieses Ergebnis zurückzuführen ist, kann im Rahmen dieser Untersuchung leider nicht mit vertretbarem Aufwand ermittelt werden. Ein mögliches Szenario ergibt sich aus der Zusammenschau der Ergebnisse für Junioren – bei denen für die Männer noch ein Wert von 19,5 erreicht wird und die Frauen auf 9,6 kommen – und den hier erreichten Werten von 11,6 für Männer und 0,8 für Frauen eine summarische „Lebensbilanz“, die für Frauen als totale Enttäuschung mit Tendenz zur Verbitterung und für Männer als Ernüchterung und Eintritt in die Phase der Midlife-Crisis gesehen werden kann. Für die Frauen werden die Mehrfachbelastungen als Mutter, Ehefrau, Hausfrau und Berufstätige sowie der Geschlechterkämpfe am Arbeitsplatz eine Begründung für das Ergebnis abgeben.

Als leitende Bedingung stellt sich in dieser Lebensphase die Autokratie ein, die sich hier deutlich von der Höflichkeit abkoppelt. Die durch Höflichkeit ermöglichte Empathie ist hier durch Konzentration auf das materielle Streben weitgehend abgelöst worden. Es ergibt sich so eine Situation, in der Autokratie ihr autoritäres Potential voll entfalten kann und starke Kontrollen durchführt, die zu Ängsten bei nachgeordneten Mitgliedern der jeweiligen sozialen Gruppen führt und negative Auswirkungen für das Gesamtsystem hat. Diese Situation trifft besonders für die Frauen in dieser Lebensphase zu, aber auch in Teilen der Gesellschaft allgemein. Gestützt wird dieses Ergebnis durch Untersuchungen zur Arbeitszufriedenheit in den Betrieben und der starken Zunahme psychischer Erkrankungen bei Arbeitnehmern.

Als Ergebnis für diese Lebensphase ist festzuhalten, dass in Deutschland z. Zt. keine günstigen Bedingungen für notwendige Veränderungsprozesse im Zusammenhang mit der Umsteuerung auf sozial- und klimaverträgliche Strukturen vorhanden sind. Parallel zur Entwicklung entsprechender politischer Konzepte sind deshalb auf allen Ebenen der Gesellschaft Maßnahmen erforderlich, die für die notwendigen Veränderungen notwendige Offenheit und Höflichkeit bei allen Beteiligten herzustellen.

Der Begriff Senior findet im Sprachgebrauch breite Anwendung. Insbesondere kommt er im Wirtschaftsleben vor und bezeichnet dort einen älteren Geschäfts- oder Unternehmenspartner. Häufig wird er auch für ältere Menschen und insbesondere solche im Rentenalter benutzt. Im Sport bezeichnet er auch schon jüngere Menschen und dient zur Abgrenzung von den leistungsstärksten Sportlern im Sinne von Verbandsregularien. Daneben findet er noch Anwendung zur Bezeichnung von VaterSohn Verhältnissen, in Kollegien und Studentenverbindungen. Dieses weite Bedeutungsfeld beinhaltet zwar hinsichtlich der Alterskennzeichnung eine Quelle für Unschärfen, jedoch kann diese auf Grund der überragenden Bedeutung des Rentenalters und der Verwendung im Wirtschaftsleben hingenommen werden.

Das Bild für den letzten Abschnitt der Lebenszeit ist – wie bei den Junioren – wieder von Höflichkeit geprägt. Die starken Unterschiede zwischen den Geschlechtern, die noch bis zur Lebensmitte zu sehen sind, haben sich hier weitgehend angenähert. Bei den Männern ist gegenüber den Frauen ein stärkerer Anteil von Autokratie zu sehen, dem hier jedoch wohl überwiegend im persönlichen Umfeld Bedeutung zukommt. Andererseits ist die Offenheit bei den Frauen gegenüber den Männern erhöht.

Insgesamt ist das Ergebnis dahingehend zu interpretieren, dass die Gesamtsituation der Senioren (Grafik oben links) durch das Sprechen über sie auf unpersönlicher Ebene (Politik, Verbände, Wirtschaft usw.) bestimmt ist. Die handlungsrelevanten Aspekte der Offenheit und der Autokratie sind auf gleichem Niveau stehengeblieben bzw. haben sich zurückgebildet. Somit kann sich die im Alter gewährte gesellschaftliche Freiheit nicht entfalten und wird nur in vereinzelten Projekten (Alten-WGs, Senior-Experten, Seniorenstudium, Kinderbetreuung uä.). Wesentliche Gründe hierfür dürften schlechte Erfahrungen in der Aktivenzeit (siehe „Lebensmitte“) und Altersarmut sein, die zu Einschränkungen in der medizinischen Versorgung und Unterstützung führen und die Mobilität einschränken. Hiervon sind Frauen in besonderem Maße betroffen. Andererseits werden alte Menschen zunehmend als Wählergruppe angesprochen, die mit überwiegend leeren Phrasen für ihre „aktive“ Rolle in der Gesellschaft gelobt werden (z. B. „Senioren können auch mit Handys telefonieren“, „Senioren gehen auch ins Internet“ oder „Senioren in der digitalen Welt“) oder als Konsumenten für Kosmetik- und Pharmaprodukte umworben. Von einem selbstbestimmten Leben kann insgesamt gesehen im Bezug auf die überwiegende Zahl der Senioren nicht gesprochen werden. Unter diesen Bedingungen ist es eine naheliegende – aber zynische – Konsequenz, Senioren länger im Arbeitsleben zu halten und sie so vor der Armut und Vereinsamung zu bewahren. Eine Verbesserung dieser Situation kann nur aus der Gesamtbetrachtung des aktiven Lebens als voll entwickelte Persönlichkeit entstehen, die weitreichende Konsequenzen für die derzeitige Wirtschaft haben wird.

Eine ökologisch nachhaltige und gerechte Lösung für die Regulierung der zu erwartenden Krisen, deren Vorboten bereits die Menschheit erreicht haben, kann nur in einem integralen Verständnis der Welt, d. h. unter Einbeziehung aller vier Quadranten des AQAL-Ansatzes nach Ken Wilber und vielen weiteren Vordenkern der Menschheit zu einer lebenswerten Zukunft führen. Der einzuschlagende Weg zu diesem Ziel soll jedoch kein Produkt der Angst sein, sondern Ergebnis eines sinnerfüllten Lebens, das alle Menschen und ihre Lebensgrundlagen einschließt.

Über Fidelio

Ich bin 1949 geboren und war in meiner berufstätigen Zeit als Stadtplaner in einer mittelgroßen kommune tätig. Seit meiner Studienzeit habe ich mich für die Entwicklung eines erweiterten geistigen Horizonts interessiert und einige Anstrengungen unternommen, mich persönlich in diesem Sinne zu entwickeln. Aufgrund meiner katholischen Erziehung habe ich in den 1960-er Jahren begonnen, mich intensiver mit dem modernen Mystiker Teilhard de Chardin zu befassen und bin so zur Gedankenwelt von Ken Wilber gekommen, die ich in diesem Projekt nutzbar zu machen versuche.
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