An dieser Stelle werde ich – soweit es mir möglich ist – täglich die Entwicklung der Wertewelten und der Quadranten der Integralen Theorie in Deutschland und der Ukraine veröffentlichen. Zu diesem Schritt habe ich mich aufgrund der sprunghaften Entwicklungen der letzten Jahre und Monate entschlossen, da sich die Bilder der Grafiken in diesem Zeitraum drastisch verändert haben und nach zeitnahen Erklärungen verlangen. Die Verknüpfung mit der Ukraine ermöglicht darüber hinaus Rückschlüsse auf Zusammenhänge zwischen deutscher Außenpolitik und Ukrainekrieg. Die Integrale Theorie kann so wertvolle Beiträge zur Meinungsbildung leisten. Ein Sinn hierfür ergibt sich allerdings erst, wenn sich möglichst viele Menschen hierzu Gedanken machen und ihr Handeln hieran orientieren.
Die Darstellung der Quadranten erfolgt – abweichend von der bisher überwiegenden Darstellung als Quadrantenbild als Säulengrafik und in Prozenten. Diese Änderung erfolgt aus Vereinfachungsgründen um eine tägliche Erhebung vom Aufwand her möglich zu machen. Eine Angleichung an die Quadrantendarstellung erhält man, wenn die Prozentwerte jeweils in 5%-Intervalle zerlegt werden.
Die beiden Grafiken werden durch ein Tageszitat aus dem Bereich der Integralen Theorie ergänzt. Dabei wird der jeweilige Bezug zwischen Grafik und Zitat durch ein gelb hinterlegtes Stichwort markiert, um so einen Hinweis auf die Schwerpunkte der Entwicklung zu geben.
Hinweise: Zum Lesen der Grafiken bitte mit einem Klick vergrößern!
Vasarely zählte zu den erfolgreichsten und berühmtesten Künstlern der Nachkriegszeit und repräsentierte mit seinem Werk wie nur wenige Künstler den Zeitgeist. Die sechziger und frühen siebziger Jahre, als Vasarelys Popularität ihren Höhepunkt erreichte, standen im Zeichen eines Fortschrittsoptimismus, der nicht nur die technische Entwicklung, sondern auch die Hoffnung auf gesellschaftliche Veränderungen umfasste. Die Idee einer „demokratisierten‘, beliebig reproduzierbaren Kunst, die in der Lage wäre, die Aura des Unikats und mit ihr elitäres Besitzdenken zu zerstören, beflügelte die Kunstproduktion und fand in Vasarelys Werk eine ihrer konsequentesten Umsetzungen. Vasarely glaubte an die gesellschaftsverändernde Funktion von Kunst, an den Künstler als Träger des Fortschritts. Sein ästhetisches Programm hatte zum Ziel, die Kunst in den Alltag zu integrieren und sie zu einem Bestandteil des Lebens zu machen, der allen zugänglich ist. Er war überzeugt davon, dass es möglich sei, die Menschen zum „Einklang mit Kunst und Welt“ zu führen, indem er unmittelbar an ihre Empfindungsfähigkeit rühre. Folgerichtig setzte er fast ausschließlich auf die optische Wirkung, die spontane Erlebbarkeit eines Kunstwerkes beim Betrachter. Er entwickelte eine Bildsprache, deren Verständlichkeit allein auf den physiologischen Voraussetzungen des Sehens beruht, unabhängig von Herkunft und kultureller Vorbildung des Betrachters. Mit seinen Arbeiten, die das Auge fordern und häufig auch überfordern, trug Vasarely entscheidend zur Entwicklung einer rein auf optischen Wirkungen basierenden Kunstrichtung bei, die später die Bezeichnung Op Art erhielt….
Vor allem Minimal Art, Konzeptkunst und Op Art beförderten die Auseinandersetzung um Wert und Substanz von Original beziehungsweise Reproduktion, da hier die Handschrift des Künstlers häufig auf eine Idee reduziert [Anm.: Reduktion Ich auf Wir und Es] und an der Ausführung der Arbeit selbst nicht mehr ablesbar ist. Vasarely radikalisierte die Idee des Multiplen insofern, als er spätestens seit dem Ende der fünfziger Jahre seine gesamte Kunstproduktion auf vielfältige Verwendungs- und Verbreitungsmöglichkeiten hin anlegte. In Vasarelys Sinne konnte es kein unantastbares Einzelwerk mehr geben, keine hierarchische Einteilung in Original, Grafik, Multiple, Reproduktion, keine Unterscheidung von Hochkunst und Gebrauchskunst und auch keinen Alleinbesitz künstlerischer Werte. Angesichts einer fakturneutralen, auf variablen Modulen basierenden Bildsprache von universaler Verständlichkeit verliert das Problem der Authentizität eines Kunstwerkes an Relevanz: Ein Bild, das eine „optische Programmierung‘, eine „Partitur des Sehens“ (Max Imdahl) darstellt, dessen Substanz also in der Aktivierung des Sehvorgangs selbst besteht, ist theoretisch unbegrenzt reproduzierbar, ohne an Gehalt einzubüßen.
Zitat aus: Magdalena Holzhey: Viktor Vasarely – Das reine Sehen, Verlag Taschen, o. J.
Die rechte Hälfte des Quadrantensystems (Es-Sprache reduziert) steht für das Sicht- und physisch Erfassbare, die linke jedoch bedarf der Interpretation. Das liegt daran, dass Tiefe im Gegensatz zur Oberfläche nicht direkt wahrnehmbar ist. Auf der rechten Seite fragen wir nach dem Verhalten: »Was tut es?« Auf der linken fragen wir: »Was bedeutet es?«
Ein Hirsch sieht mich kommen. Er sieht mein Äußeres, meine Gestalt; er registriert alle für ihn relevanten physischen Reize, die von mir ausgehen. Aber was bedeuten sie? Bin ich der freundliche Kerl mit dem Futter oder der Jäger mit dem Gewehr? Der Hirsch muss die Reize und ihre mögliche Auswirkung auf ihn im Kontext seines Welt-Raums interpretieren. Dazu reicht das Sehvermögen, das ein Hirsch ja in ausreichendem Maße besitzt, allein nicht aus. Er könnte sich aber in seiner Interpretation irren; vielleicht bin ich doch der mit dem Gewehr und nicht der mit dem Futter. Die Oberfläche erkennt er genau, aber was verbirgt sich in der Tiefe? Was für Absichten lauern hinter der Oberfläche, die er sieht? Was wird da empirisch vermittelt, ohne jedoch als etwas bloß Empirisches gegeben zu sein?
In der Gesellschaftstheorie hat es beinahe von Anfang an zwei Lager gegeben, die in scharfem Gegensatz zueinander standen und nach wie vor stehen: die Hermeneutik und den Strukturalismus/ Funktionalismus. Die Hermeneutik, die Kunst und Wissenschaft der Interpretation, unternahm es, den gemeinsamen kulturellen Welt-Raum der Menschen zu rekonstruieren und ihn durch Einfühlung von innen her zu erkunden, um so zu einem Verständnis der in ihm enthaltenen Werte zu gelangen. Der Strukturalismus/Funktionalismus dagegen wollte ohne alle Fragen der Bedeutung (in diesem von den Hermeneutikern intendierten partizipatorischen Sinne) auskommen und wandte sich statt dessen den äußeren gesellschaftlichen Strukturen und dem beobachtbaren Verhalten zu.
Um Bedeutung zu rekonstruieren, muss ich hermeneutisch vorgehen, ich muss interpretieren; ich muss versuchen, in die gemeinsamen Tiefen, gemeinsamen Werte, gemeinsamen Weltbilder der Angehörigen einer Gesellschaft zu gelangen; ich muss diese Kultur von innen her zu verstehen und zu beschreiben versuchen (dabei aber eine subtile Distanz wahren, um überhaupt berichten zu können). Ich kann Bedeutung nicht einfach sehen, sie sitzt nicht auf der Oberfläche wie ein Farbfleck, den zu sehen ich nicht umhinkann, wenn ich nur in seine Richtung blicke. Ich muss vielmehr so gut ich kann mit der inneren Tiefe der Menschen in Resonanz treten. Die Tiefe in mir (die »gelebte Erfahrung«) muss einfühlend, intuitiv die Tiefe (oder gelebte Erfahrung) hinuntertasten, die ich an anderen verstehen möchte. gegenseitiges Verstehen ist solch eine innere Harmonieresonanz der Tiefe: »Ich weiß, was du meinst!«
Zitat aus: Ken Wilber: Eros Kosmos Logos – Eine Vision an der Schwelle zum nächsten Jahrtausend, Wolfgang Krüger Verlag, Frankfurt a. M. 1996