US-Wahl 2020 – Letzter Akt in Georgia?

Am 05. Januar 2021 findet die Stichwahl zu der bereits im November 2020 abgehaltenen Senatswahl im Bundesstaat Georgia statt. Wenn die zwei zur Besetzung anstehenden Senatssitze von den Republikanern zu den Demokraten wechseln wird es in beiden Kammern des US-Kongresses eine Mehrheit für den neu gewählten Präsidenten Joe Biden geben. Damit hätte der demokratische Präsident Biden die Freiheit zur politischen Gestaltung des Landes, die Präsident Obama nicht hatte. In dem politisch zerrissenen Land wäre damit eine weitere Voraussetzung dafür geschaffen, die verhärteten Fronten zwischen Republikanern und Demokraten aufzuweichen. Wieder fällt dabei – nach der Bescheinigung der ordnungsgemäßen Durchführung der Präsidentschaftswahl in Georgia durch den republikanischen Wahlbeauftragten Brad Raffensperger – dem Staat Georgia eine Schlüsselstellung in der Bundespolitik zu.

Wie bisher im Wahlprozess werde ich auch diesen – im Interesse des Landes hoffentlich letzten – Schritt im amerikanischen Wahldrama mit den Instrumenten einer integralen Sichtweise begleiten.

Das besondere Verhältnis des von den Republikanern unterstützten Expräsidenten zu seiner Partei hat in Georgia unübersichtliche Chancen für den Wahlsieg der beiden republikanischen KandidatInnen Perdue und Loeffler geführt. Die unbeugsame Haltung Trumps, seine Wahlniederlage einzugestehen hat innerhalb der Republikaner zur Bildung eines fundamentalistischen Flügels geführt, der die Realitätsverleugnung Trumps bedingungslos mitträgt und zum Wahlboykott aufruft, sofern Trump nicht bis zum Wahltermin zum Wahlsieger erklärt wird. Dieser Flügel leistet damit – ungewollt oder vielleicht auch gewollt? – Wahlhilfe für die demokratischen Kandidaten. Die große Unbekannte ist dabei, wie viele der republikanischen Wähler am Wahltag wirklich zuhause bleiben.

Unabhängig von dieser Frage werde ich nachfolgend die Positionen der KandidatInnen im Hinblick auf ihre Fähigkeiten zur Wählerbindung darstellen.

Die KandidatInnen der Republikaner sind David Perdue und Kelly Loeffler, zwei schwerreiche Investoren, die für niedrige Steuern und einen schlanken Staat stehen und fest im Trumplager zu verorten sind. Ihnen stehen die demokratischen Bewerber Jon Ossoff und der schwarze Pastor Raphael Warnock gegenüber, die für eine neue Haltung der Demokraten in Georgia stehen und die Fähigkeit besitzen, das traditionell republikanisch geführte Land zu verändern. 

Grafik 1 – Ausgangssituation der Parteien innerhalb der Wertesysteme

 

In Grafik 1 ist hinsichtlich der Werteordnung abzulesen, dass die Republikaner in größerem Maße Zugang zu Menschen im WMem Orange haben. Dieses Ergebnis ist nicht überraschend, da Georgia seit Beginn des 21. Jh. bei Wahlen als Hochburg der Republikaner gilt. Darüber hinaus ergibt sich innerhalb der ersten Ordnung der Entwicklungsspirale weitgehende Übereinstimmung. Dagegen heben sich die beiden WMeme der zweiten Ordnung (Gelb, Türkis) bei den Demokraten positiv von den Republikanern ab. Hierin deuten sich im Vorfeld eines Wandels der realen Welt Potentiale an, die einen Wandel in der ersten Ordnung möglich erscheinen lassen. Erste Anzeichen hierfür können in einem gegenüber den Republikanern leicht erhöhten Anteil des WMems Rot gesehen werden.

Grafik 2 – Wertewelten der Kandidaten

Das Ergebnis für die republikanischen KandidatInnen hebt sich hinsichtlich der WMeme zweiter Ordnung auffallend von dem Wertebild ihrer Partei ab. Hier wird in besonderer Weise deutlich, dass David Perdue und Kelly Loeffler eine Haltung repräsentieren, die eher untypisch für die Republikaner ist, jedoch ebenso wenig für Trump. Die Wertewelten von Trump, Republikanern und republikanischen Attraktoren spiegeln eher die Zerrissenheit des geistigen Fundaments der USA wider, die zwar unter machtpolitischen Gesichtspunkten zwischen den beiden großen Parteien besteht, andererseits aber auch in ideologischer – und räumlicher? – Hinsicht innerhalb der jeweiligen Parteien verläuft.

Die Wertewelten von Perdue und Loeffler zeigen sehr ähnliche Strukturen, wobei das WMem Blau stärker ausgeprägt ist, als das für die USA allgemein als führend anzusehende Orange. Hierin zeigt sich, dass konservative Werte – innerhalb des neoliberalen Zeitgeists – in Georgia eine große Rolle spielen. So erklärt sich die ablehnende Haltung der republikanischen Regierung in Georgia gegenüber Trumps Versuchen, das Ergebnis der Präsidentenwahl zu skandalisieren und damit unglaubwürdig zu machen.

Für die Republikaner in Georgia kann sich in den starken WMemen Gelb und Grün ebenfalls ein geistiger Wandel zum Ausdruck bringen, der möglicherweise erste Früchte in der standhaften Haltung gegenüber den manipulierenden Versuchen von Trumps Anwälten in einem starken Blau zum Ausdruck bringt.

Im Gegensatz zu dem Wertebild der republikanischen KandidatInnen zeigen die Wertewelten der beiden demokratischen Kandidaten deutlich unterscheidbare Wertewelten an. Während der liberale jüdische Medienunternehmer Jon Ossoff eine Wertewelt repräsentiert, in der das kollektiv orientierte Blau sehr deutlich das individualistische Orange überflügelt stellt der schwarze Pastor Raphael Warnock das Negativbild hierzu dar. Es kann vermutet werden, dass hierfür seine starke religiöse Ausstrahlung ausschlaggebend ist, die durch seinen Wirkungsort – der Ebenezer-Kirche in Atlanta, in der in den Sechzigerjahren der Bürgerrechtler Martin Luther King gepredigt hatte – als Pastor enge Bezüge zur Black-Lives-Matter-Bewegung herstellt. Warnock setzt sich im Gefolge dieser Bewegung für eine Polizeireform ein und fordert Hilfen für schwarze Farmer.

Grafik 3 – Blau = Ich; Rot = Wir; Gelb = Es

Das Bild der Quadranten gibt einen Überblick, über die Sphären menschlichen Daseins, in denen sich menschliche Aktivitäten zeigen.  Im Idealfall kann eine Verteilung um einen Mittelwert herum angenommen werden. Hierbei ist grundsätzlich zu beachten, dass die beiden rechten Quadranten (gelb) hier methodisch nicht differenziert können und als Summe beider Quadranten erscheinen. In der Idealverteilung sollte Gelb deshalb etwa 50% ergeben. Es zeigt sich jedoch, dass die Ergebnisse weit dahinter zurück bleiben. Der Grund hierfür liegt in der Natur der Sache, die sich in diesen Quadranten zeigt – die wissenschaftliche Sicht, die sich in „neutraler“ Es-Sprache ausdrückt, hat sich nicht auf breiter Ebene durchgesetzt, sondern ist weitgehend im Elfenbeinturm der akademischen Welt verhaftet geblieben.

Im Vergleich der KandidatInnen unterscheiden sich drei Profile nur gering voneinander, lediglich das Quadrantenbild im Bezug auf Pastor Warnock hebt sich hiervon ab. Er repräsentiert im Vergleich in besonderem Maße den unteren linken Quadranten (rot, kulturell, Wir) und die beiden rechten Quadranten (gelb, objektiv-rational, Es). Diese Hervorhebungen finden methodisch bedingt ihre Entsprechung in einem schwachen oberen linken Quadranten (blau, Ich). Damit hebt sich Warnock von einer – für Kirchen mit langer Tradition und starker Betonung kirchlicher Moralvorstellungen – typischen kollektivistischen Prägung ab.

Zu den anderen KandidatInnen können keine besonderen Feststellungen getroffen werden.

Über Fidelio

Ich bin 1949 geboren und war in meiner berufstätigen Zeit als Stadtplaner in einer mittelgroßen kommune tätig. Seit meiner Studienzeit habe ich mich für die Entwicklung eines erweiterten geistigen Horizonts interessiert und einige Anstrengungen unternommen, mich persönlich in diesem Sinne zu entwickeln. Aufgrund meiner katholischen Erziehung habe ich in den 1960-er Jahren begonnen, mich intensiver mit dem modernen Mystiker Teilhard de Chardin zu befassen und bin so zur Gedankenwelt von Ken Wilber gekommen, die ich in diesem Projekt nutzbar zu machen versuche.
Dieser Beitrag wurde unter Aktuelles, Allgemeines, Meinung, Politik, USA abgelegt und mit , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar