Integrale Theorie

Das verbindende Muster – 20 Grundaussagen

Der Leitsatz für das gleichnamige Kapitel seines Buches „Eros, Kosmos, Logos“ lautet bei Ken Wilber: „Die Materie, die bloß leidend und der Formen und Anstalten bedürftig zu sein scheint, hat in ihrem einfachsten Zustande eine Bestrebung, sich durch eine natürliche Entwickelung zu einer vollkommenen Verfassung zu bilden.“ (Immanuel Kant: Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels)

In 20 Grundaussagen beschreibt Wilber etwas, das auch als „Existenzmuster“, Evolutionstendenzen“, Gesetze der Form“ oder „Ausdrucksneigungen“ bezeichnet werden könnte. Sie stellen enge Bezüge zu anderen komplexen Theorieansätzen her, wie etwa zur Systemtheorie, der Morphogenetischen Felder, den Spiral Dynamics oder der Impliziten Ordnung. Über die in diesen Theoriekonzepten postulierten Muster und Tendenzen besteht ein wissenschaftlicher Konsens, der sich auf Physiosphäre, Biosphäre und Noosphäre bezieht. Diese Sphären sind bestimmende Wesensmerkmale der Evolution und wie die Evolution selbst mit vielen noch ungelösten Fragen behaftet. Da alles Fragen und Forschen letztlich anthropozentrisch, also auf den Menschen bezogen ist, sind die Antworten auf diese Fragen als Fortschritte einer Evolution zu sehen, die zunehmend von der materiellen Entfaltung hin zu einer in das Universum hinausgreifenden geistigen Entfaltung führt. Dabei tauchen neue Erwartungen und Hoffnungen auf, die der immer wieder neu entstehenden Kränkung der menschlichen Hybris entgegen wirkt. Allerdings sagen uns Astrophysiker und Kosmologen, nicht einmal fünf Prozent des Universums seien bisher erklärbar und was vor dem „Big Bang“ war, ist der Spekulation anheim gestellt. Solchen Fragen liegt ein bestimmter Zeitbegriff zu Grunde, der je nach Fragestellung variiert und nicht mit dem kulturell und sozial geprägten Alltagsgebrauch der Zeit in Gestalt der Uhr identisch ist. So wird z. Bsp. in der Relativitätstheorie nicht mehr von der „Zeit“, sondern von der „Raumzeit“ oder dem „Raum-Zeit-Kontinuum“ gesprochen. In der Quantenphysik dagegen herrschen wiederum andere Vorstellungen von Zeit, die auf das menschliche Bewusstsein und psychologische Theorien zurück wirken. Es ist also nicht verwunderlich, dass sich das Bild des Menschen unter diesen Bedingungen ständig ändert und zeitweise auch zu solchen niederschmetternden Schlüssen führt, wie sie noch in neuerer Zeit aus dem Libet-Experiment gezogen wurden: „Der freie Wille ist eine Illusion„. Die 20 Grundaussagen von Ken Wilber können als Kompass für die Orientierung zwischen solchen Einwürfen, die mit der Autorität der Wissenschaften daherkommen, dienen.

Eine Grundvoraussetzung für seine integrale Weltsicht schafft Wilber, indem er die Grundaussagen in einem Abstraktionsgrad darstellt, der die unterschiedlichen Ausdrucksebenen des Ich (Ästhetik), des Wir (Ethik) und des Es (objektiver Naturalismus) sprachlich einander angleicht. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, komplexere Begriffe einzuführen, die dem höheren Abstraktionsgrad gerecht werden und deshalb führt er den von Arthur Koestler stammenden Begriff des Holon ein:

Arthur Koestler

Arthur Koestler 1969 anläßlich einer Ausstellungseröffnung

Die Wirklichkeit besteht nicht aus Dingen oder Prozessen und nicht aus Atomen oder Quarks; sie ist weder aus Ganzen zusammengesetzt, noch hat sie irgendwelche Teile. Sie besteht vielmehr aus Ganzen/Teilen, aus Holons. Das gilt für Atome, Zellen, Symbole und Ideen. Sie sind weder als Dinge noch als Prozesse zu verstehen, weder als Ganze noch als Teile, sondern nur als Ganze und Teile zugleich. …Wenn wir etwa sagen, das Universum bestehe letztlich aus Quarks, privilegieren wir damit schon eine bestimmte Domäne. Und wenn wir, am anderen Ende des Spektrums, das Universum letztlich aus Symbolen gefügt sehen (denn nur die kennen wir wirklich), privilegieren wir damit ebenfalls eine bestimmte Domäne. Aber wenn wir sagen, dass Universum setze sich aus Holons zusammen, so privilegieren wir damit weder irgendeine Domäne, noch schreiben wir einer Ebene fundamentalen Charakter zu. …Indem wir also vom Holon-Gedanken ausgehen und grundsätzliche Erwägungen mit bereits verfügbarem Forschungsmaterial verknüpfen, können wir herauszufinden versuchen, was allen bekannten Holons gemeinsam ist.“ (Ken Wilber: Eros, Kosmos, Logos)