In Abbildung 1 ist eine Entwicklung der Wertememe in der Ukraine seit dem ersten Monat des Krieges dargestellt. Es begann mit einer straffen Organisation unter dem Einfluss von Blau, die zu einer starken Dämpfung der anderen Wertesysteme führte. Allerdings kamen Rot und Türkis hierdurch zu relativer Stärke. Diese Situation kam wahrscheinlich in der – auch von Militärs geäußerten – Erwartung zustande, dass die ukrainische Armee der russischen Militärgewalt aussichtslos unterlegen sei. In dieser Situation entstand bereits früh das Sendungsbewusstsein, einen Stellvertreterkampf für die freiheitliche Welt des Westens zu führen, der eine weltweite Unterstützung nach sich ziehen müsse. In dieser Phase entstanden Ansprüche an die Weltgemeinschaft auf Einrichtung einer Flugverbotszone, die unausweichlich zu einem Weltkrieg geführt hätte. Hierin äußert sich der starke Einfluss von Türkis, der in der Folgezeit stagnierte und aktuell als schwach bezeichnet werden muss.
Die Situation ein Jahr später ist durch drei nahezu gleich starke Wertesysteme gekennzeichnet, die eine starke Beteiligung unkonventioneller Gewaltanwendung durch Rot bestimmte Kräfte und Orange gestimmte Erfolge der Ukraine signalisiert. Der durch Rot flankierte Einfluss von Blau deutet auf die zwangsläufig vorhandenen Spannungen zwischen militärischen Führern und zivilen Ordnungsstrukturen hin. Diese Rivalität ist sowohl auf ukrainischer Seite wie auf russischer Seite zu erwarten. Der gegenüber Türkis stark gewachsene Anteil von Gelb lässt eine realistischere Sicht auf die Situation des Landes erwarten.
Die aktuelle Situation zeigt einen deutlichen Rückgang des WMems Orange und ein Sichtbarwerden der WMeme Beige und Purpur nun auch auf nationaler Ebene. Möglicherweise sind hierin Anzeichen für eine Überforderung der Städte zu sehen, die nicht mehr in der Lage sind, die durch den Krieg entstandene Mängelsituation auf einem erträglichen Niveau zu bewältigen. Ein weiterer Hinweis auf solche Schwierigkeiten kann der Rückgang im WMem Grün sein.
In der nebenstehenden Abbildung 2 ist eine Übersicht über die Situation der Wertememe in den Großstädten der Ukraine dargestellt. Die zu Grunde liegenden Daten wurden am 20. März 2023 im Internet erhoben. Die Interpretation in den bereits zerstörten Gebieten und in den aktuell umkämpften Gebieten wird durch die notwendige Zuordnung zu feindlichen Aktivitäten bzw. eigenen ukrainischen Kräften erschwert und bedarf unbedingt der ortsnahen Interpretation. Die nachfolgenden Interpretationsversuche sind daher diesbezüglich zurückhaltend und ansonsten unter dem Vorbehalt anderer örtlicher Erkenntnisse zu lesen.
Hervorstechendste Merkmale in den Städten sind die starke Dominanz des WMems Blau gegenüber allen anderen Wertesystemen – mit der Ausnahme in der Stadt Krywyj Rih. Dort dominiert das WMem Rot die Situation in gleichem Masse, wie Blau in den übrigen Städten. Die Stadt ist wichtiger Bergbau– und Industriestandort sowie Garnisonsstadt mit einer Panzerbrigade. Daneben gibt es eine nationale Universität mit technischen Instituten, denen in der Kriegssituation besondere Bedeutung zukommt. Hieraus erklärt sich möglicherweise der offensichtliche Austausch von blauen Ordnungskräften durch rote Gewalt.
Neben Krywyj Rih sind auch in den Städten Charkiw, Dnipro, Kiew, Lwiw, Saporischschja und Winnyzja starke rote Kräfte aktiv. Geringe rote Aktivität ist dagegen in Donezk, Luhansk, Mariupol, Mykolajiw, Odessa, Sewastopol und Simferopol nachgewiesen. Die Reaktiontypik von Rot lässt den Schluss zu, dass in Rot sowohl unmittelbare kriegerische Gewalt wie auch sozialschädliche Gewalt als Folge des Krieges abgebildet wird.
Städte mit starken Ordnungskräften sind Dnipro, Donezk, Luhansk, Mariupol, Mykolajiw, Odessa, Sewastopol, und Simferopol. Die Städte Luhansk, Mariupol und Donezk liegen in der stark umkämpften Region der Ostukraine, so dass für diese Städte das Problem der Zuordnung (s. o.) in besonderem Maße stellt.
Eine weitere Typik ist bezüglich der WMeme Beige und Purpur zu sehen. Diese treten in fünf Städten als Paare mit gleich starker Ausprägung hervor und lassen evtl. auf eine Kombination aus Verzweiflung in höchster Not (Beige) und Hoffen auf eine wundersame Errettung (Purpur) schließen. Zu diesen Städten gehören insbesondere Kiew, Krywyj Rih, Odessa, Saporischschja und Winnyzia. Es könnte sich in diesen Städten um Reaktionen handeln, die aufgrund der Bedeutung dieser Städte als Aufnahmestädte für Flüchtlinge zustande kommen. Dabei könnte sich Purpur auf die Hoffnung der Flüchtlinge beziehen, dass ihre verlassenen Wohnungen von der Zerstörung durch den Krieg verschont bleiben und ihr Aufenthalt in der fremden Stadt aufgrund der Zugehörigkeit zum selben Volk ein verträgliches Miteinander verspricht. Weitere drei Städte – Charkiw, Dnipro und Donezk – kommen als Flüchtlingsstädte mit starken Anteilen von Beige in Betracht, ohne von Purpur flankiert zu werden.
Abbildung 3 zeigt die Veränderungen bezüglich der WMeme seit der letzten Erhebung vor ca. einem Monat. Der zu Abbildung 2 erläuterte Gesamteindruck wird insoweit bestätigt, als in allen Städten – mit Ausnahme von Krywyj Rih – starke Zunahmen blauer Energien zu sehen sind. Eine Sondersituation besteht in Lwiw, wo zwar auch eine deutliche Zunahme von Blau zu sehen ist, jedoch allein zu Lasten von Grün. Diese Entwicklung kann so interpretiert werden, dass die bisher stark an westlichen Werten orientierte Werteordnung mit sozial-emanzipatorischer Ausrichtung in Lwiw nun in die besonders straffe Ordnung unter Kriegsbedingungen überführt worden ist. Dafür kann der in den letzten Wochen erfolgte Raketenbeschuss der Stadt verantwortlich sein, vielleicht aber auch die Rolle der Stadt als Eingangstor für Materiallieferungen aus Polen. In diesem Zusammenhang sind die zugesagten Lieferungen westlicher Staaten und die angekündigte Frühjahrsoffensive der Ukraine zu erwähnen.
Die Zugewinne von Blau gehen in nahezu allen Städten zu Lasten mehrerer Wertesysteme. Eine Ausnahme bildet auch unter diesem Aspekt Lwiw. Hier haben neben Blau auch – bis auf Beige – alle anderen Wertesysteme an dem Verlust von Grün partizipiert. Bedeutendste Schwächungen durch den Anstieg von Blau haben die WMeme Purpur, Grün und Orange erlitten. Jedoch wurden auch die Wertesysteme der zweiten Ordnung (Gelb und Türkis) in fast allen Städten erheblich geschwächt.
Von besonderem Interesse ist die Entwicklung der roten Anteile im Wertespektrum. Nennenswerte Zugewinne sind in Lwiw, Winnyzja, Charkiw und Dnipro zu sehen. Die Städte Donezk, Luhansk, Mariupol, Odessa, Sewastopol und Simferopol zeigen dagegen abnehmende Tendenz von Rot.
Die Entwicklung in den Quadranten zeigt einen nahezu durchgängigen Rückgang in den unteren linken Quadranten (Wir) an. Ursache hierfür ist wahrscheinlich die Zerstörung der Infrastruktur und die Rekrutierung aktiver Kulturschaffender und –interssierter. Damit setzt sich die bereits im Februar festgestellte Tendenz fort. Eine Ausnahme von diesem Trend ist die Stadt Simferopol. In 9 Städten profitieren von diesem Trend die oberen linken Quadranten (Ich) – in größerem Maße die Städte Charkiw, Dnipro, Kiew und Luhansk. Die für rationale Weltsichten stehenden rechten Quadranten zeigen in den Städten Donezk, Kiew, Krywyj Rih, Lwiw, Saporischschja und Winnyzja positive Tendenzen an.
Der aktuelle Status der Quadranten ist in Abbildung 4 dargestellt. (Anm.: Der Darstellungsmodus ist im Beitrag vom Februar erläutert.) Hiernach ergibt sich ein differenziertes Bild der Städte, das für nahezu alle Städte – Ausnahmen sind Winnyzja und Mykolajiw – überdurchschnittlich starke Ich-Aktivität zeigt. Dieses Ergebnis ist in der Kriegssituation verständlich, da jeder Mensch durch die Bedrohung seiner körperlichen und psychisch-geistigen Integrität herausgefordert ist. Besonders stark ist das in den Städten Kiew, Luhansk und Charkiw zu sehen.
Im unteren linken Quadranten und in den rechten Quadranten sind größere Varietäten festzustellen. Diese schwanken von extrem niedrigen Werten im unteren linken Quadranten in Kiew mit minus vier bis zu extrem hohen Werten in Simferopol mit plus fünf. In den rechten Quadranten schwanken die Werte von minus sieben in Simferopol bis plus eins in Mykolajiw. Die Städte Winnyzja und Krywyj Rih befinden sich in einem theoretischen Gleichgewicht (hierzu siehe Beitrag vom Februar). Dieses gilt in eingeschränkter Weise auch für die unteren linken Quadranten in Dnipro, Odessa und Sewastopol sowie den oberen linken Quadranten in Mykolajiw. Für Mykolajiw ergibt sich darüber hinaus insgesamt das Bild einer Stadt nahe einem theoretischen Mittelwert.
Insgesamt entsteht aus den vorgestellten Ergebnissen der Eindruck, dass sich die Ukraine in einem umfassenden Kriegsregime befindet, dass nur geringe Spielräume für räumliche Differenzierungen lässt. Wo solche Differenzen bestehen, sind diese mit großer Wahrscheinlichkeit Ausdruck von Instabilitäten, d. h. sie sind nur als temporäre Erscheinungen anzusehen, wie die Veräderungsübersicht in Abbildung 3 und frühere Ergebnisse belegen.