Deutsche Qualitätspresse, Bild und ihre Wertewelten

Mit ihrem Buch „Die vierte Gewalt“ ist es den beiden Autoren Precht und Welzer gelungen, eine längst überfällige fundierte Diskussion über die Rolle der Presse in schweren – weil im Umbruch befindlichen – Zeiten anzustoßen. Damit setzen sie einen notwendigen Kontrapunkt zu den lautstark skandierten Schmährufen der „Querdenker“ und anderer populistischer Gruppen, die unter dem irrleitenden Schlagwort „Lügenpresse“ furore gemacht haben. Es war die Presse selbst, die diese Parole unter das Volk gebracht hat, und sie damit ungewollt zum „stumpfen Schwert“ gemacht hat. Mit dem Schlagwort „Lügenpresse“ wird suggeriert, es gebe eine Verschwörung gegen die Wahrheit des „Mannes auf der Straße“ und es zieht eine undefinierte Grenze zwischen dem „Volk da unten“ und „denen da oben“. Damit wird die Welt scheinbar wieder übersichtlich und im biblischen Sinn in „Gut und Böse“ – also moralische Kategorien eingeteilt. Man weiß nun, gegen wen man kämpfen muss – mal gegen Politiker, die Ausländer in das Land holen – egal ob es sich um CDU-Politiker oder SPD-Politiker handelt  oder welche politische Coleur auch immer – oder Coronabeschränkungen, Ukrainekrieg usw..

Precht und Welzer gehen gehen von der „Theorie des kommunikativen Handelns„, die zum Hauptwerk des Philosophen und Soziologen Jürgen Habermas gehört und eine Theorie der Demokratie unter postmodernen Bedingungen formuliert. In diesem Konzept kommt den Medien eine grundlegende Rolle zu, die dem Zustand der Medien diametral gegenüber steht – wie von Precht und Welzer in vielen Beispielen vorgeführt wird. Neben vielen handwerklichen Fehlern und wirtschaftlichem Druck weisen sie nach, dass ein Hang zur Macht zum Leitmotiv der journalistischen Tätigkeit geworden ist. Dabei sind die Politiker nicht etwa prinzipiell als Gegner oder Opfer zu sehen, sondern als Bereiter eines fruchtbaren Bodens, auf dem Journalisten ihre Macht entwickeln können. Als Kronzeuge dient den Autoren der stellvertretende Chefredakteur der WeltRobin Alexander – der diese Beziehungen zwischen Politik und Presse in der Talkshow „Markus Lanz“ offen darlegte, ohne sich der demokratietheoretischen Tragweite bewusst zu sein. Er berichtete davon, wie aus den getrennt geführten Gesprächen der in Koalitionsgesprächen befindlichen Fraktionen vetrauliche Inhalte an ihn getwittert wurden, die von ihm ausgewertet werden konnten und an andere Fraktionen weitergegeben werden konnten, so dass aus Informationen Manipulationen wurden. Damit wurde seine Rolle eines Beobachters zu einem aktiv an den Verhandlungen teilnehmenden demokratisch nicht legitimierten Journalisten. Mit dieser Form der Zusammenarbeit von Journalismus und Politik wird der Verfassungsauftrag der Medien verfehlt und zu einem formlosen Beliebigkeitsspiel, das von persönlichen Beziehungen und Absichten bestimmt ist und sachliche Informationen und Meinungspluralismus unterläuft. Die Pressefreiheit nach Artikel 5 des Grundgesetzes schützt die Freiheit der Presse gegenüber dem Staat (der Präzedenzfall ist die Spiegelaffäre) und stärkt die verfassungsgemäße Kontrollfunktion gegenüber staatlichen Organen und die Meinungsvielfalt. Von einer Teilhabe an staatlicher Macht ist dort nirgends die Rede.

Doch auch die von Precht und Welzer geübte Kritik ist im Sinne einer integralen Demokratie nicht ausreichend, da sie zwar Strukturen bloßlegt, jedoch den im politischen System eingebauten Reduktionismus – im wesentlichen die Trennung von linken und rechten Quadranten und die Reduktion der linken Quadranten auf die rechte Seite – nicht berücksichtigt. Die Autoren verteidigen denn auch ihre Kritik gegen die aufbrausende Gegenwehr der Medienschaffenden damit, dass sie mit ihrem Buch keine Systemkritik üben.

Grafik 1

In diesem Beitrag möchte ich Hinweise darauf geben, was die inhaltlichen Defizite der wichtigsten Presseerzeugnisse in Deutschland im Sinne einer integralen Demokratieentwicklung sind. Hierzu habe ich mit den Werkzeugen des Internets vier überregionale „Qualitätsmedien“ und die Bildzeitung hinsichtlich ihrer Aktivität in den vier Quadranten und ihrer Wertorientierung untersucht. Die Ergebnisse stellen – anders als bei den Recherchen mittels offener Quellenabschöpfung durch Suchmaschinen – eine eng geführte Datenanalyse der Archivbestände dieser Zeitungen dar.

In Grafik 1 sind die Ergebnisse für die zwei linken Quadranten („Ich“ und „Wir„) sowie für die zusammengefaßten rechten Quadranten („Es“) dargestellt. Bereits auf den ersten Blick sind deutliche Unterschiede bei den Zeitungen erkennbar. Der größte Unterschied ist zwischen der FAZ und den übrigen Zeitungen zu sehen. Sie unterscheidet sich durch den dominierenden „Ich„-Quadranten von den anderen vier Zeitungen, die das größte Gewicht auf der rechten Seite („Es„) aufweisen. Besonders stark ist diese Betonung bei der genossenschaftlich geführten „taz„, die darüber hinaus auch hinsichtlich der beiden linken Quadranten die Besonderheit aufweist, dass die beiden linken Quadranten nahezu gleich stark erscheinen. Die Wochenzeitung „DIE ZEIT“ und die „Süddeutsche Zeitungähneln sich sehr stark in allen Quadranten und zeigen ein deutliches Übergewicht von „Wir“ gegenüber „Ich“ auf, während die „Bildzeitung“ ein starkes „Ich“ gegenüber „Wir“ aufweist, im übrigen jedoch einen gleich starken Anteil von „Es“ zeigt. Die FAZ und  BILD sind somit die beiden Zeitungen, bei denen starke Anteile von Meinungsjournalismus nachweisbar sind.

Hinsichtlich der bei vier der untersuchten Zeitungen überwiegenden rechten Quadranten ist zu beachten, dass diese für objektiv oder für objektiv gehaltene Inhalte stehen, die durch eindeutige Wahrnehmung allgemein als Wirklichkeit akzeptiert werden. Ihr Anteil ist umso höher, je größer die Anbindung an die Wissenschaften ist. Aus diesem Zusammenhang erklärt sich das hohe Gewicht bei der taz, die als linke Alternative zu bürgerlichen Zeitungen entstanden ist und sich in besonderem Maß objektiven (materialistischen) Erkenntnissen verbunden fühlt.

In Grafik 2 sind die aktiven Wertememe für die fünf Zeitungen dargestellt. Auch hier nimmt die FAZ eine Sonderstellung unter den untersuchten Zeitungen ein. Das bei den anderen Zeitungen alle anderen überragende Orange ist bei ihr gegen Blau vertauscht. Dieses Ergebnis in Zusammenhang mit dem Quadrantenbild ergibt den ablesbaren Anspruch der FAZ, ein staatstragendes Organ zu sein, dessen Meinung durch die Tradition gedeckt ist. Es stellt sich hierzu die Frage, ob das Selbstverständnis dieser Zeitung mit der oben angesprochenen Intention des Grundgesetzes vereinbar ist. In jedem Fall sollte dieses Ergebnis als Aufforderung gelesen werden, die Ausrichtung der FAZ  und ihren Einfluss auf die Politik Deutschlands genauer zu untersuchen und öffentlich darzustellen.

Unter den vier anderen Zeitungen ist die Wochenzeitung DIE ZEIT besonders hervorstechend, da sie über ein ausgewogenes Verhältnis der drei aktivsten Wertesysteme Blau, Orange und Grün verfügt. Im Vergleich zur Süddeutschen Zeitung verfügt sie – wie auch die drei anderen Zeitungen – nicht über nennenswerte Unterstützung durch das systemische Gelb. Der relativ starke Anteil von pragmatischem und erfahrungsbasiertem Blau gegenüber einem deutlich schwächeren Grün – das neben dem Grün der taz die stärksten Anteile dieses WMems aufweist – bietet die Gewähr für eine sachbezogene realistische und fundierte (Orange) Weltsicht, die jedoch in den Zwängen des wissenschaftlichen Paradigmas (rechte Quadranten) beschränkt ist und nur durch Aktivierung von Gelb und Türkis den Weg in die Zukunft darstellen wird.

In geringerem Maß gilt dieses auch für die Süddeutsche Zeitung, die jedoch – wie oben erwähnt – über Steuerungsenergien durch Gelb verfügt, jedoch in stärkerem Umfang dem individualistischen und extrovertierten Orange verpflichtet ist und Blau und Grün nur wenig Freiraum gibt. Die in Gelb vorhandenen Fähigkeiten werden hier zum Austarieren der starken individuellen Antriebe gebraucht.

Bemerkenswert ist die Paarung der zwei letzten Zeitungen in der von der Grafik gegebenen Reihung. Die Tageszeitung taz und die nicht zu den Qualitätsmedien zu rechnende Bildzeitung, die wegen ihrer Auflagenstärke und Reichweite zum Vergleich bedeutsam ist, stellen sich mit annähernd gleich starkem Orange dar. Entsprechend schwache Anteile weisen Blau und Grün auf, die in ihrem Verhältnis zueinander im Bild der beiden Zeitungen spiegelverkehrt erscheinen. Der Anteil von Grün der taz entspricht etwa dem Anteil, den dieses WMem bei der ZEIT hat. Der Anteil von Blau bei der Bildzeitung entspricht etwa dem von Grün bei den beiden genannten Zeitungen. Diese Verhältnisse stimmen mit der kolportierten Ausrichtung der ZEIT und der taz als links-liberal bzw. links-grün überein. Es ist jedoch die Einschränkung zu machen, dass es sich hierbei eben nur um Residuen handelt.

Abschließend sind noch einige Bemerkungen zu den anderen, bisher nicht genannten Wertesystemen erforderlich. Das in geringen Maßen bei allen – außer der FAZ – sichtbare Rot stellt eine vergleichsweise geringe Rolle innerhalb der untersuchten Zeitungslandschaft dar. Hierin besteht ein Widerspruch zu der allgemein vorhandenen Bedeutung, die es in anderen gesellschaftlichen Zusammenhängen hat, wo es häufig 10% und mehr Anteil erreichen kann. Daraus ergibt sich neben den eingangs dargestellten Mängeln der Pressearbeit der Verdacht einer Blindheit gegenüber der zunehmenden Gewaltbereitschaft in Deutschland. Eine der Ursachen hierfür ist nach meiner Auffassung das Selbstverständnis der Presse als „vierte Gewalt„, die nicht an der Ursachenforschung beteiligt sein möchte, da sie Miturheberin der zu kritisierenden Verhältnisse ist und sich auf den Ruf nach immer mehr Ordnungsinstrumenten beschränken kann. Dabei spielen die wirtschaftlichen Abhängigkeiten – wie von Precht und Welzer dargestellt – sicher eine Rolle.

Mit der Frage der Gewalt (Rot) hängen die nicht in Erscheinung tretenden WMeme zusammen, die mit Beige (Armut und Siechtum) und Magie (Purpur) grob angedeutet werden können. Diese Wertesysteme treten insgesamt nur in Ausnahmefällen (z. B. Naturkatastrophen) öffentlich in Erscheinung, weil die Betroffenen nicht im Stande sind, sich selbst zu artikulieren oder sich im Klaren darüber sind, dass ihr Verhalten in der Gesellschaft tabuisiert ist (Astrologie, Geistheilung, Aberglaube). Diese Themen treten in der Presse meist nur am Rande auf und werden als Quotenbringer gern benutzt.

Zu den beiden Wertesystemen der 2. Ordnung (Gelb und Türkis) ist zu bemerken, dass diese lediglich als Gelb in geringer Ausprägung erscheinen und kaum koordinierende Wirkung in den weltgestaltenden Wertesystemen der ersten Ordnung entfalten können.

Nach dieser Betrachtung ist festzustellen, dass es in den untersuchten Medien durchaus unterschiedliche Haltungen zu den in der Demokratie konstitutionellen Werten gibt und dass diese es gerade sein müssten, die in ihrer Wirkung innerhalb des Geflechts aus Journalismus und Politikern kritisch darzustellen sind. Der Begriff  „Qualitätsmedien“ bzw. „Boulevardpresse“ würde erst hierdurch im Einzelfall gerechtfertigt.

Darüber hinaus ist die Rolle der Parteien innerhalb der Medienlandschaft von grundsätzlicher Bedeutung und sollte regelmässig durch Berichte des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags veröffentlicht werden, wie dieses bereits im Jahr 2008 geschehen ist.

 

 

Über Fidelio

Ich bin 1949 geboren und war in meiner berufstätigen Zeit als Stadtplaner in einer mittelgroßen kommune tätig. Seit meiner Studienzeit habe ich mich für die Entwicklung eines erweiterten geistigen Horizonts interessiert und einige Anstrengungen unternommen, mich persönlich in diesem Sinne zu entwickeln. Aufgrund meiner katholischen Erziehung habe ich in den 1960-er Jahren begonnen, mich intensiver mit dem modernen Mystiker Teilhard de Chardin zu befassen und bin so zur Gedankenwelt von Ken Wilber gekommen, die ich in diesem Projekt nutzbar zu machen versuche.
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