Deutschland und die Ukraine in der Entwicklungsspirale am 01.11.2022

An dieser Stelle werde ich – soweit es mir möglich ist – täglich die Entwicklung der Wertewelten und der Quadranten der Integralen Theorie in Deutschland und der Ukraine veröffentlichen. Zu diesem Schritt habe ich mich aufgrund der sprunghaften Entwicklungen der letzten Jahre und Monate entschlossen, da sich die Bilder der Grafiken in diesem Zeitraum drastisch verändert haben und nach zeitnahen Erklärungen verlangen. Die Verknüpfung mit der Ukraine ermöglicht darüber hinaus Rückschlüsse auf Zusammenhänge zwischen deutscher Außenpolitik und Ukrainekrieg. Die Integrale Theorie kann so wertvolle Beiträge zur Meinungsbildung leisten. Ein Sinn hierfür ergibt sich allerdings erst, wenn sich möglichst viele Menschen hierzu Gedanken machen und ihr Handeln hieran orientieren.

Die Darstellung der Quadranten erfolgt – abweichend von der bisher überwiegenden Darstellung als Quadrantenbild als Säulengrafik und in Prozenten. Diese Änderung erfolgt aus Vereinfachungsgründen um eine tägliche Erhebung vom Aufwand her möglich zu machen. Eine Angleichung an die Quadrantendarstellung erhält man, wenn die Prozentwerte jeweils in 5%-Intervalle zerlegt werden.

Die beiden Grafiken werden durch ein Tageszitat aus dem Bereich der Integralen Theorie ergänzt. Dabei wird der jeweilige Bezug zwischen Grafik und Zitat durch ein gelb hinterlegtes Stichwort markiert, um so einen Hinweis auf die Schwerpunkte der Entwicklung zu geben.

Hinweise:  Zum Lesen der Grafiken bitte mit einem Klick vergrößern!

11 Die Illusion der Objektivität

(Starkes Orange mit relativ starken rechten Quadranten (Absteiger))
Wo Naturwissenschaft zum Ideal erhoben wird, erscheinen Naturwissenschaftler als Inbegriff der Objektivität, sie erheben sich über alle Glaubensgrenzen und Illusionen, die dem Rest der Menschheit so schwer zu schaffen machen. Wissenschaftliche Geister sind irgendwie von den üblichen Beschränkungen durch Körper, Gefühle und gesellschaftliche Zwänge entbunden, sie können den irdischen Einzugsbereich der Sinne hinter sich lassen, um die gesamte Natur gleichsam von außen zu betrachten, bar aller Subjektivität. Sie verfügen über gottähnliche mathematische Kenntnis von der unendlichen Weite des Raums und der Zeit, ja sogar von unzähligen Universen außerhalb des unseren. Anders als die Religion mit ihren endlosen Konflikten und Disputen vermittelt die Wissenschaft ein echtes Verständnis der materiellen Natur, der einzigen Realität, die es überhaupt gibt. Naturwissenschaftler bilden eine Priesterschaft, die jeder religiösen Priesterschaft überlegen ist, weil es dort doch nur darum geht, die Unwissenheit und Angst der Menschen auszunutzen, um das eigene Prestige zu steigern und die eigene Macht zu erhalten. Naturwissenschaftler sind die Speerspitze des Fortschritts, sie führen die Menschheit weiter und höher hinauf in eine bessere und schönere Welt.

Die meisten Wissenschaftler sind sich der Mythen, der Symbolik, der Annahmen nicht bewusst, denen sie ihre gesellschaftliche Rolle und politische Macht verdanken. Da geht es um implizite, unausgesprochene Glaubenssätze, deren Macht darin liegt, dass sie zur Gewohnheit geworden sind. Wenn sie unbewusst sind, können sie nicht in Frage gestellt werden, und da sie kollektiven Charakters sind, das heißt vom größten Teil der wissenschaftlichen Gemeinschaft geteilt werden, gibt es zudem keinen Anreiz, sie in Frage zu stellen.

Ich habe in diesem Buch aufgezeigt, dass die materialistische Philosophie oder »das naturwissenschaftliche Weltbild« nicht die unbestreitbare objektive Wahrheit erfasst. Es handelt sich um ein durchaus anfechtbares Glaubenssystem, über das die Naturwissenschaften selbst bereits hinausgewachsen sind. In diesem Kapitel soll es um den Mythos der »körperlosen« Erkenntnis und die wissenschaftliche Objektivität gehen, um den offensichtlichen Konflikt dieses Mythos mit der schlichten Tatsache, dass Wissenschaftler Menschen sind. Naturwissenschaft wird von Menschen betrieben. Wenn man den Naturwissenschaften eine sonst nirgendwo gegebene Objektivität zuschreibt, stellt das die Wissenschaftler nicht nur öffentlich in ein falsches Licht, sondern formt auch ihre Selbstwahrnehmung. Das Trugbild der Objektivität öffnet der Täuschung und Selbsttäuschung Tür und Tor. Es untergräbt das hohe Ideal der Wahrheitssuche.

Zitat aus: Sheldrake, Rupert. Der Wissenschaftswahn: Warum der Materialismus ausgedient hat (German Edition) . O.W. Barth eBook. Kindle-Version.

PUTINS VORWURF

„In Kiew bereiten sie weiter Gewaltakte gegen die ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats vor“, schreibt Putin. Die ukrainische Staatsführung habe die „Tragödie der Kirchenspaltung“ zynisch zu einem Instrument ihrer Staatspolitik gemacht. Ins Parlament in Kiew seien neue Gesetzentwürfe eingebracht worden, die sich gegen den Klerus und Millionen Mitglieder der Kirche des Moskauer Patriarchats richteten.

Der Gegensatz zwischen Russland und der Ukraine hat auch die orthodoxe Kirche gespalten. Als Friedensstifter fällt sie aus. Wie konnte es so weit kommen? Von Thomas Bremer

Die Kirchen und der politische Konflikt (Blau als Wertepfeiler (Aufsteiger) und schwachen rechten Quadranten)

Die kirchliche Lage in der Ukraine ist in hohem Maße politisiert. Der damalige Präsident Petro Poroschenko hat eine entscheidende Rolle für die Gründung der Orthodoxen Kirche der Ukraine gespielt, in der Hoffnung, dass sich das für seinen Wahlkampf auszahlen würde. Sein Nachfolger Wolodymyr Selenskyj hat wenig Interesse an kirchlichen Fragen. Die neu gegründete Orthodoxe Kirche der Ukraine versucht sich als die nationale Kirche der Ukraine darzustellen und nimmt häufig zu politischen Fragen Stellung. Die Ukrainische Orthodoxe Kirche hingegen vermeidet politische Aussagen und betont deutlich, dass sie auch eine ukrainische Kirche ist. In der ukrainischen Öffentlichkeit wird sie häufig „russische Kirche“ genannt oder ihrem Namen wird „Moskauer Patriarchat“ hinzugefügt, obgleich sie seit Jahrzehnten nicht mehr so heißt. Doch soll damit ihre Loyalität infrage gestellt werden. An staatlichen Zeremonien nehmen ihre Vertreter stets teil, um somit ihre Verbundenheit zur Ukraine zu unterstreichen. Das hat auch das anfangs erwähnte Gebetstreffen am „Tag der Einheit“ gezeigt. Auf der von Russland annektierten Krim sowie in den von Aufständischen kontrollierten Gebieten im Osten der Ukraine lassen die lokalen Behörden faktisch nur die Ukrainische Orthodoxe Kirche zu.
Die Russische Orthodoxe Kirche ist aufgrund der Geschehnisse in einer schwierigen Lage. Viele Millionen ihrer Gläubigen leben als Mitglieder der Ukrainischen Orthodoxen Kirche in der Ukraine, sind Ukrainer und betrachten die Ukraine, nicht etwa Russland, als ihr Heimatland – selbst dann, wenn sie russischsprachig sind. Eine Zustimmung der russischen Kirche zur russischen Position würde von vielen dieser Gläubigen nicht geteilt. Die Ukrainische Orthodoxe Kirche versucht sich diesem Dilemma zu entziehen, indem sie sich unpolitisch gibt und auf spirituelle Aussagen konzentriert. Die russische Kirche jedoch steht in großer Nähe zur russischen Regierung und vertritt im Allgemeinen auch deren Positionen. Die Folge dieser Lage ist, dass sich die Russische Orthodoxe Kirche in Bezug auf die Ukraine-Frage mit Statements zurückhält. Es gibt etwa ihrerseits keine offizielle Stellungnahme zur Frage, ob die Krim zu Russland oder zur Ukraine gehört.

Diese schwierige Gemengelage führt dazu, dass die Kirchen auch kaum zu einer Deeskalation des Konflikts beitragen können. Die russische Kirche steht grundsätzlich auf der Seite Russlands, die Orthodoxe Kirche der Ukraine auf der Seite der Ukraine, und die zu Moskau gehörende Ukrainische Orthodoxe Kirche versucht sich möglichst nicht zu positionieren. Es gibt eine gewisse Tradition der Friedenstheologie in der orthodoxen Kirche – doch es gibt auch die Tradition der Staatsnähe und des Patriotismus, insbesondere wenn orthodoxe Kirchen Staaten als ihre eigenen wahrnehmen, das heißt als Staaten mit einer orthodoxen Mehrheitsbevölkerung, einer historischen Tradition der Orthodoxie und einer Regierung, die die orthodoxe Kirche fördert.

Umgekehrt machen sich auch die Staaten ihrerseits diese Haltung der orthodoxen Kirchen oft zunutze. In der gegenwärtigen Auseinandersetzung um die Ukraine lässt sich das deutlich sehen. Vor allem in Russland arbeiten Staat und orthodoxe Kirche sehr eng zusammen. In der Ukraine hat das die letzte Regierung unter Präsident Petro Poroschenko auch versucht; jetzt ist das etwas anders, da die aktuelle Regierung sich in dieser Hinsicht nicht engagiert. Außerdem hat die dafür geeignete Kirche, die Orthodoxe Kirche der Ukraine, nicht genügend Rückhalt in der Bevölkerung des Landes, um die Rolle als Staatskirche ausfüllen zu können. Die Ukrainische Orthodoxe Kirche hingegen vermeidet politische Themen. Ein Engagement der orthodoxen Kirchen zugunsten einer gewaltfreien Lösung wird also an diesen Ausgangsvoraussetzungen scheitern.

Immerhin: Die Vielzahl von Religionsgemeinschaften – neben den beiden orthodoxen Kirchen ist auch die griechisch-katholische Kirche ein wichtiger Faktor im Lande, dazu viele protestantische Kirchen – verhindert die Entstehung einer Staatskirche. Zu staatlichen Anlässen werden stets Vertreter aller Religionsgemeinschaften eingeladen. Trotz anhaltender Probleme, zu denen vor allem die Korruption zählt, gibt es eine lebendige Zivilgesellschaft. 2019 gab es einen demokratischen Regierungswechsel, und NGOs sind nicht nur zugelassen, sondern im ganzen Land sehr aktiv. Das sind Gegebenheiten, von denen Russland weit entfernt ist.

Zitat aus: Die Zeit, 09/2022

Über Fidelio

Ich bin 1949 geboren und war in meiner berufstätigen Zeit als Stadtplaner in einer mittelgroßen kommune tätig. Seit meiner Studienzeit habe ich mich für die Entwicklung eines erweiterten geistigen Horizonts interessiert und einige Anstrengungen unternommen, mich persönlich in diesem Sinne zu entwickeln. Aufgrund meiner katholischen Erziehung habe ich in den 1960-er Jahren begonnen, mich intensiver mit dem modernen Mystiker Teilhard de Chardin zu befassen und bin so zur Gedankenwelt von Ken Wilber gekommen, die ich in diesem Projekt nutzbar zu machen versuche.
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