Nach langer Flugabstinenz hatten meine Frau und ich uns im Sommer 2019 entschlossen, nun doch einmal eine etwas weitere Reise zu unternehmen. Wir hatten ein Jahr lang die Bahncard für Senioren genutzt und einige Städte- und Urlaubsreisen innerhalb Deutschlands unternommen und wollten nun nach den „Abenteuerreisen“ mit der Deutschen Bahn (die ergäben eine besondere Geschichte, die ich jedoch hier nicht erzählen will!) in der Obhut eines Reiseveranstalters eine Rundreise durch Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Montenegro buchen. Wir wählten als Reisetermin den März 2020 und hatten bis dahin noch 9 Monate Zeit, in denen wir die Restlaufzeit unserer Bahncard für einige Bahnfahrten nutzen konnten.
Am Flughafen in Dubrovnik wurden wir sehr reserviert empfangen und lernten etwas von der Gefühlswelt kennen, in der sich manche Ausländer befinden mögen, die nach Deutschland einreisen. Wir wurden zunächst von der Grenzpolizei gefragt, ob jemand aus unserer Gruppe aus dem Kreis Heinsberg komme. Die Antwort darauf ergab sich zwar aus Schweigen, jedoch in der bangen Hoffnung, dass die leise zu den umstehenden Reisenden gesprochenen Worte einer älteren Dame – sie komme zwar nicht direkt aus dem Kreis Heinsberg, aber immerhin doch direkt aus der Grenzregion des Nachbarkreises – nicht von den Grenzbeamten gehört wurden. Wir hatten Glück! Als nächstes wurde jedem ein Fragebogen zum Ausfüllen überreicht, auf dem unter anderem schriftlich zu erklären war, dass er/sie nicht aus einem Corona-Gebiet und insbesondere dem Kreis Heinsberg komme. Auch diese Hürde konnten wir nehmen.
Zwei große Bildungsreisende Der Dichter Goethe und der Maler Tischbein lernten sich während Goethes Reise durch Italien in Rom kennen. Die beiden Künstler freundeten sich an, jedoch war diese Freundschaft nur von kurzer Dauer. Zu unterschiedlich waren die wirtschaftlichen Situationen des weimarischen Ministers und des in prekären Verhältnissen lebenden Malers. Vermutlich waren es neben der spontanen Harmonie zwischen den beiden Charakteren Zweckmäßigkeitserwägungen Goethes, die dazu führten, dass er während seines Aufenthalts in Rom unter dem Namen Filippo Miller Tür an Tür mit Tischbein wohnte. Er wollte nicht erkannt werden, da er sich heimlich aus Weimar entfernt hatte, um neue Anregungen für sein literarisches Werk zu sammeln. Die Verbindung mit dem Maler war von der großen Bewunderung der antiken Kunst getragen und so stellte Tischbein Goethe auch dar – als dominierende Gestalt, hinter der die umgebende Landschaft zur Nebensache wird mit dem Blick und der Pose des Denkers, für den die Abstraktion zum Wesentlichen wird. Doch hierin ist auch der Keim für eine tiefere Entzweiung gelegt, die Goethe selbst schriftlich in den Aufzeichnungen der „Italienische(n) Reise“ unter dem 17. März andeutete: „zwar ist Tischbein mit mir, aber als Mensch und Künstler wird er von tausend Gedanken hin und her getrieben, von hundert Personen in Anspruch genommen. Seine Lage ist eigen und wunderbar, er kann nicht freien Teil an eines andern Existenz nehmen, weil er sein eignes Bestreben so eingeengt fühlt.“ Für Tischbein war diese Begegnung und ihre bildliche Verarbeitung der Garant für einen dauerhaften Platz in der Kunstgeschichte. |
Wir hatten vier wunderbare sonnige Tage in Kroatien und sollten am vierten Tag – dem 12. März – nach Bosnien-Herzegowina reisen. Am 11. März hatte die WHO die Corona-Ausbreitung zur Pandemie erklärt und deshalb wurden wir an der Grenze zu unserem nächsten Ziel – Bosnien-Herzegowina – zurückgewiesen. Nun begann eine Reise ins Ungewisse.
Wir kehrten in das Hotel zurück, bei dem wir morgens ausgecheckt hatten und hofften darauf, hier erneut aufgenommen zu werden. Doch darüber stand die Frage, was nun das Ziel unserer weiteren Reise sein würde. Konnten wir nach Montenegro weiterreisen, oder zurück nach Deutschland? Unser zyprischer Reiseleiter war vollauf mit der Klärung dieser Fragen beschäftigt. Er telefonierte nahezu ununterbrochen mit seinem Handy von der Halle des Hotels aus – zwischen Koffern und Grüppchen bang wartender Gestrandeter hin und her schlendernd. Zwischen den Telefonaten hatte er sich dem Ansturm der Fragen von den Umstehenden zu erwehren und mit seiner Duldsamkeit verdiente er sich die Anerkennung der schweigenden Mehrheit.
Die Schiffbrüchigen auf dem Floß der Medusa Das 1819 im Großformat (491 X 716cm) gemalte Monumentalbild des Malers Gericault stellt die wahre Begebenheit vom Überlebenskampf der ausgesetzten Seeleute von dem französischen Expeditionsschiff „Medusa“ dar. Es hängt im Pariser Louvre und ist zum Sinnbild menschlichen Leids geworden. Gleichzeitig ist es ein Zeugnis für die geschichtlich verbürgte gesellschaftliche Funktion von Kunst als Mittel gegen das Verbergen tatsächlicher Geschehnisse und der Manipulation des Volkes. Die Fregatte Medusa war im Auftrag des französischen Königs am 17. Juni 1816 mit nahezu 400 Personen – darunter 60 Wissenschaftler und zahlreiche hohe Militärs und Beamte – in See gestochen, um die von England an Frankreich zurückgegebene Kolonie Senegal wieder in Besitz zu nehmen. Das Schiff gehörte zu den besten seiner Zeit und war dem Auftrag der Expedition angemessen. Dennoch kam es am 2. Juli bei ruhiger See und guter Sicht zur Katastrophe. Die Fregatte lief auf eine in den Seekarten verzeichnete Sandbank auf. Statt befehlsgemäß im Verband mit drei weiteren Schiffen zu segeln war die schnelle Medusa den anderen Schiffen vorausgeeilt und die Besatzung konnte nicht auf schnelle Hilfe hoffen. Die Schiffskatastrophe war auf das seemännische Unvermögen des Kapitäns und seine aristokratische Überheblichkeit gegenüber erfahrenen Schiffsoffizieren, die ihn gewarnt hatten, zurückzuführen. Die Besetzung des Kapitänspostens mit seiner Person war eine Belohnung für die Königstreue gewesen, die er durch sein Exil während der napoleonischen Zeit bewiesen hatte. Es bestand also Grund genug, den Hergang der Geschehnisse zu verschleiern. Die Besatzung des Schiffes floh in den Rettungsbooten, die jedoch nicht für alle reichten. 147 Menschen, für die in den Booten kein Platz war, wurden auf ein Floß getrieben, das man aus Planken, Teilen des Mastes und Tauen notdürftig zusammengezimmert hatte. Man gab das feierliche Versprechen, sie mithilfe der Boote an Land zu schleppen. Zwei Stunden später jedoch wurden die Taue, die Boote und Floß verbanden, gekappt. Warum und unter welchen Umständen, wurde nie eindeutig geklärt. Auf dem Floß kam es in den 13 Tagen, die das Floß auf dem Wasser trieb, ohne dass Hilfe in Sicht war, zu schrecklichen Szenen, von denen der auf dem Floß befindliche Chirurg Savigny später berichtete. Von den ursprünglichen 147 Männern wurden am Ende nur 15 lebend geborgen. Die anderen waren ausschließlich durch den Überlebenskampf Mann gegen Mann und das Eingreifen intellektuell oder körperlich überlegener Männer zu Tode gekommen. |
Es dauerte bis zum späten Nachmittag, bis wir von unserem Reiseleiter erfuhren, wir könnten zunächst wieder in dem Hotel einchecken und das Weitere müsse sich am nächsten Tag klären. Die Sorgen verringerten sich in Erwartung eines reichhaltigen Frühstücksbufetts am nächsten Morgen. Doch danach folgte eine Neuauflage der Bemühungen durch unsere Reiseleitung. Tagsüber erkundeten wir die Umgebung des strandnahen Hotels im Wechsel mit Aufenthalten auf der Sonnenterrasse des Hotels, die zur Informationsbörse wurde.
Gegen Abend klärte sich die Lage. Eine Weiterreise nach Montenegro war nicht möglich. Der Flughafen von Dubrovnik war geschlossen. Es war dem Reiseunternehmen gelungen, dennoch einen Flug von dort für uns zu organisieren. Am Freitag, dem 13. März 2020 kurz nach 19 Uhr startete unser Rückflug nach Deutschland. Das nun alles reibungslos ablaufen würde stellte sich allerdings bald als trügerisch heraus. Der Pilot informierte uns darüber, dass unser Ziel nicht der Abflug-Flughafen Düsseldorf sein könne, sondern der Ausweichflughafen Köln/Bonn. Damit begann für uns ein neues Problem.
Unser Auto war ohne gültige TÜV-Plakette im weiteren Umfeld des Flughafens Düsseldorf geparkt. Es war vom Flughafen aus nur über einen Shuttledienst abzuholen. Wegen des Nachtflugverbots hatte dieser zu so später Stunde seine Dienste eingestellt. Immerhin gelang es uns, den Hauptbahnhof Düsseldorf zu erreichen, ohne zu wissen, wo wir den Rest der Nacht verbringen könnten. Die Option zum Flughafen zu fahren wurde schnell verworfen, die Hoffnung auf ein Bett bestand nicht. Stattdessen hielten wir nach einem beheizten Aufenthaltsraum Ausschau – ohne Erfolg. Als letzte Möglichkeit blieb die im Bahnhof befindliche Filiale von McDonalds übrig und wir mischten uns unter die bunte Schar von Nachtschwärmern und Gestrandeten.
Müde von der schlaflosen Nacht nahmen wir Kontakt mit dem Shuttledienst auf und konnten unser Auto in Empfang nehmen. Zu Hause angekommen merkten wir bald, das Deutschland nicht mehr so war, wie wir es verlassen hatten. Der Termin, den ich vor unserer Abfahrt bei der Kfz.-Zulassungsstelle für unser neues Auto vereinbart hatte, war storniert worden, das Autohaus, bei dem unser neues Auto zur Abholung bereit stand, musste ab 18. März den Betrieb einstellen. Notgedrungen fuhren wir weiter mit dem alten Auto und schoben damit das Problem „Autokauf“ als mißlungenen Abschluss unserer Reise weiter vor uns her.