Mensch, Zeit und Mythos – Eine Positionsbestimmung (I)

Die WMeme im Zentrum der Entwicklungsspirale

Hier sind ebenfalls gravierende Unterschiede zwischen den Kurvenverläufen der oberen und unteren Grafik zu sehen. Auf den ersten Blick fallen die Unterschiede zu Beginn des Zeitraums und am Ende auf. Am Beginn dominiert Blau mit drei kräftigen Ausschlägen in der unteren Grafik, wo in der oberen Grafik starkes Grün zu sehen ist. Am Ende verlaufen in der oberen Grafik Grün als dominates Wertesystem und Orange in einer Konstellation der sich öffnenden Schere, in der unteren Grafik dagegen auf gleichem Niveau in waagerechter Tendenz. Die größte Übereinstimmung ist in der roten Kurve zu sehen. Ihre Tendenz ist der waagerechte Verlauf auf niedrigem Niveau mit einer Durchbrechung, das 5. Jahrhundert betreffend. An dieser Stelle ist ein heftiger Ausschlag in der unteren Grafik zu sehen, der in der oberen Grafik optisch nur ein schwaches Echo in Form eines Einbruchs hat, jedoch einen Rückgang auf 0 bedeutet. Das fünfte Jahrhundert war eine ereignisreiche Zeit, in die der endgültige Untergang des römischen Reiches fiel. Zur Übersicht sind die Ereignisse dieses Jahrhunderts in der Aufzählung der Wikipedia wiedergegeben:

  • Am 31. Dezember 406/1. Januar 407 überschreiten germanische Kriegergruppen bei Mogontiacum den Rhein (Rheinübergang von 406).
  • 410 wird Rom von den Westgoten geplündert.
  • um 410 ziehen sich die meisten römischen Truppen aus Britannien zurück.
  • Constantius III., der das Weströmische Reich noch einmal stabilisiert hatte, stirbt 421.
  • Vandalen unter Geiserich erobern 439 Karthago und plündern 455 Rom.
  • Um 440 rebellieren angelsächsische Söldner in Britannien, die angeblich auf Einladung von Vortigern gekommen waren.
  • Attila, Anführer der europäischen Hunnen, etabliert um 440 nördlich der Donau ein Großreich und droht 452, Rom anzugreifen. Papst Leo I. trifft ihn. Attila zieht sich aufgrund von Seuchen und oströmischen Attacken auf seine Stammlande zurück. Nach seinem Tod im Folgejahr zerfällt sein Reich.
  • Der weströmische Heermeister Flavius Aëtius, der 20 Jahre lang faktischer Regent Westroms gewesen war, wird 454 von Kaiser Valentinian III. eigenhändig erschlagen.
  • 468: Ein großangelegter Versuch des Westkaisers Anthemius, mit oströmischer Hilfe die Vandalen zu besiegen, scheitert.
  • 476: Ende des Weströmischen Reiches – Romulus Augustulus wird von Odoaker abgesetzt.
  • Die Flotten der Vandalen dominieren das westliche Mittelmeer.
  • um 475: Die Westgoten schreiben im Codex Euricianus ihr Volksrecht nieder.
  • 484: Der Sassanidenkönig Peroz I. findet im Kampf mit den Hephthaliten den Tod.
  • 486: Der Merowinger Chlodwig I. besiegt den rex Romanorum Syagrius und begründet das Frankenreich.
  • Der Buddhismus kommt nach Myanmar und Indonesien.
  • Afrikanische und indonesische Siedler kommen nach Madagaskar.

Es wird hier deutlich, dass es ein Jahrhundert der Kriege und des Zerfalls war, dem die Intention von Rot als Wertesystem im Zeichen von Gewalt entspricht. Gewalt und Kriege haben in der Geschichte zu allen Zeiten eine große Rolle gespielt, keines dieser Ereignisse hat aber offensichtlich die nachhaltige Wirkung erzeugt wie der Untergang Roms. Bis zum 12. Jahrhundert sind in der oberen Grafik erhöhte Werte für Rot zu sehen, die erst langsam abflachen.

Spuren der Wertesysteme in der Geschichte: I = marginale WMeme; II = zentrale WMeme

Der Verlauf der blauen Kurve ist in der oberen Grafik von relativ wenigen herausragenden Ereignissen beeinflusst. Bemerkenswert ist hier das erhöhte Niveau, auf dem diese Kurve bis zum zweiten Jahrhundert verläuft, unterbrochen durch einen starken Ausschlag im zweiten Jahrhundert. Es ist die Blütezeit des römischen Reiches:

  • Das Römische Reich erreicht unter der Herrschaft der Adoptivkaiser Trajan, Hadrian, Antoninus Pius und Mark Aurel die Blütezeit seiner Entwicklung: Seine Ausdehnung reicht vom Persischen Golf bis zum Atlantik, das Straßennetz umfasst mit über 75.000 km nahezu das Doppelte des Erdumfangs. Es beherbergt zu dieser Zeit rund 100 Millionen Einwohner, eine Zahl, die später nie mehr erreicht wurde.
  • Im Kaiserreich China (siehe Qin-Dynastie und Han-Dynastie) wird das Papier erfunden. Das ist die Voraussetzung, um Gedanken und Erfahrungen auf unkomplizierte Weise, in Schriftform, niederzulegen, weiterzugeben und aufzubewahren. Damit ist ein entscheidender Grundstein für die Weiterentwicklung der menschlichen Kultur gelegt.

Ohne Zweifel ist damit die große Intention hinter dem durch Blau signalisierten Interesse erklärt, denn Blau steht für Ordnung, Macht und Anerkennung von Führung. Es ist das Wertesystem großer Staaten und Körperschaften, die das Individuum tendentiell gefügig machen.

Am Ende der Achsenzeit, im dritten Jahrhundert v. Chr., ist ein epochales Ereignis aus den Kurvenverläufen von Orange, Grün und Blau abzulesen. Dieses Jahrhundert gehört zur Zeit des Hellenismus und ist nach der Wikipedia wie folgt gekennzeichnet: Während die Diadochen in Vorderasien weiter um das Erbe Alexanders des Großen kämpfen, erstarkt Rom zur Hegemonialmacht im Mittelmeerraum. 221 v. Chr. eint Qin Shihuangdi rivalisierende Dynastien zum Kaiserreich China und wird damit erster Kaiser Chinas. Nach seinem Tod verfällt die Macht seiner Dynastie; China versinkt für kurze Zeit wieder im Bürgerkrieg. Der Beamte Liu Bang ruft sich 202 v. Chr. zum Kaiser aus und begründet die Han-Dynastie. Damit beginnt eine kulturelle und politische Blütezeit für China, die von nun an die kulturelle Entwicklung Asiens und Europas mit prägen wird.

Die in der Rückschau erhebliche Bedeutung Chinas drückt sich hier als Anstieg des WMems Grün aus, für exklusive kollektive Entwicklungen steht und ein Gegenspieler von Blau ist. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass hier nicht die Werteordnung Chinas zur Zeit des 3. vorchristlichen Jahrhunderts abgelesen wird, sondern die Intention, mit der diese Zeit in der Gegenwart im Internet befragt wird. Das die festgestellten Eigentümlichkeiten an dieser Stelle für China sprechen, beruht auf dem Ausschluss ähnlich wirksamer  anderer Ereignisse an anderen Orten. Ausschlaggebend wird das Interesse durch die marxistische Theorie der Asiatischen Produktionsweise bewirkt sein, die in der Wikipedia im Kern so beschrieben ist: „In Gesellschaften mit asiatischer Produktionsweise stehen sich die persönlich freien Bauern und eine organisierte Bürokratie oder Aristokratie als Grundklassen gegenüber. Die Bauern leben entweder in relativ autarken Dorfgemeinschaften, in denen das aus der Urgesellschaft bekannte Gemeineigentum am Boden noch existiert. Häufig sind jedoch diese Dorfgemeinschaften zerfallen und die Bauern stehen dann als individuelle Besitzer von (kleineren) Bodenparzellen direkt dem Staat gegenüber.“ Am Anfang steht hier also ein Kollektiv, auf das sich das hinter Grün stehende Interesse richtet. Das Aufkeimen der Bürokratie ist ebenfalls in einer kleinen Spitze von Blau zu sehen. In dieser Konstellation bleibt für das individuelle Erfolgsstreben in Orange kein Platz.

Ein ähnliches Ereignis – jedoch mit umgekehrten Vorzeichen – signalisieren die WMeme für das dritte Jahrhundert. Hier ist ein starker Ausschlag in der Kurve von Orange bei gleichzeitigem Einbruch der grünen Kurve zu sehen. Hierauf wurde bereits bezüglich des Einbruchs der gelben Kurve an der Stelle des 3. Jahrhunderts eingegangen. Dieses Jahrhundert ist wesentlich mitgeprägt durch die römischen Soldatenkaiser, die ihre Macht  ausschließlich auf das Militär stützten um Erfolg zu haben. Nur durch militärische Siege konnten sie ihr Amt erhalten. Dennoch kam es zu häufigen Wechseln auf dem Kaiserthron.

Auf religiösem Gebiet gab es dagegen eher gegenläufige Tendenzen, die sich aus dem bei den Christen geführten Streit um die Bedeutung materieller Güter ergaben. Das Streben nach materiellen Gütern wurde von dem einflussreichen Kirchenvater Origenes strikt abgelehnt. Damit traf er die materiellen Zustände der Urkirche, die keine Kirchengebäude kannte und eine mildtätige Kirche zur Versorgung der Besitzlosen war. Hierauf spielten und spielen viele Kritiker des Christentums der damaligen Zeit und der Gegenwart an.

Im vierten Jahrhundert ist ein markanter Wechsel des historischen Interesses festzustellen. Die Wikipedia verzeichnet für dieses Jahrhunderte folgende Charakteristika:

Der Verlauf der grünen Kurve zeigt hier stark zunehmendes Interesse an kollektiven Prozessen an. Dagegen erreicht Blau hier einen Tiefpunkt. An diesem Punkt stimmen rückschauendes historisches Interesse und objektiver historischer Befund überein. Mit der Konstatinischen Wende und der nachfolgenden Entwicklung des Christentums zur Staatskirche kommt nun die christliche Lehre nach römischer „Häutung“ ungehemmt zur Entfaltung. Ein spiritueller Durchbruch ist damit jedoch nicht verbunden (siehe Türkis und Gelb in der linken Grafik).

In der unteren Grafik fallen drei grpße Ausschläge am Anfang der blauen Kurve auf, die wahrscheinlich auf den Durchbruch der Kulturen zu rationalen Weltsichten hindeuten (siehe Achsenzeit).  Zunächst die Charakteristik nach der Wikipedia:

Sowohl die Entstehung des Zoroastrismus als auch die Einführung rationaler Verhaltensregeln in Griechenland sind Entwicklungen, die unter dem Einfluss des blauen WMems stehen. Hierbei ist die religiöse Lehre Zarathustras mit ihrer Scheidung der Welt in das Gute und Böse von nachhaltigem Einfluss auf die politischen Haltungen der Reiche und anderer entstehender Religionen gewesen. Diese Zusammenhänge sind in der breiten Öffentlichkeit vermutlich nicht bekannt, so dass es in der oberen Grafik keine Hinweise hierauf im Kurvenverlauf von Blau gibt.

Im 5. und 6. vorchristlichen Jahrhundert verzeichnet die Wikipedia die Blütezeit und den beginnenden Niedergang des antiken Griechenland. „Beinahe gleichzeitig entstehen einige der bedeutendsten Weltreligionen und Philosophien: Buddha in Indien/Nepal, Konfuzius in China und Pythagoras in Griechenland sind Zeitgenossen, vermutlich auch Laozi in China und möglicherweise sogar Zarathustra in Persien. Das Orakel von Delphi des Apollon profiliert sich als bedeutendste Weissagungsstätte. Höhepunkt der von Karl Jaspers so genannten Achsenzeit. In weiten Teilen Europas herrscht die keltische Hallstattkultur (8.–6. Jahrhundert v. Chr.). Die Ausstattung der Fürstengräber und -sitze dieser Zeit belegen weitreichende Handelsbeziehungen. Die Kultur der Etrusker erlebt in der Toskana ihren Höhepunkt. Kyros II. begründet das persische Großreich, das von seinen Nachfolgern Kambyses II. und Dareios I. ausgebaut wird. In China herrscht die Zhou-Dynastie (1066–256 v. Chr.) in der kulturgeschichtlich wichtigen Zeit der Frühlings- und Herbstannalen.“

Im Verlauf der blauen Kurve ist für diesen Zeitraum ein Einbruch zu sehen, der von relativ schwachen Bewegungen in Orange, Grün und Rot begleitet ist. Eine differenzierte Darstellung ist an dieser Stelle wegen der Vielzahl von unterschiedlichen Ereignissen nicht möglich. Es kann jedoch festgestellt werden, dass das Interesse an dieser Zeit eindeutig von der spirituellgeistigen Entwicklung in dieser Zeit motiviert ist (siehe linke Grafik).

Eine weitere Hochphase von Blau erstrecht sich über die Zeit vom 4. vorchristlichen Jahrhundert bis zum 2. vorchristlichen Jahrhundert. Wegen des Umfangs der Ereignisse, die sich nun auch aus den Beziehungen und Konflikten der sich entwickelnden Kulturen und Reichen ergeben konzentriere ich mich hier auf Griechenland, das im Brennpunkt der Kulturen liegt.Im wesentlichen umfasst dieser Zeitraum die hellenistische Zeit. Eine grobe Struktur der Geschichte sieht danach so aus:

  • Im Jahr 387 Gründung der platonischen Akademie
  • Thebens Aufstieg und Kampf mit Sparta um die Hegemonie,
  • Aufstieg Makedoniens,
  • Griechenland blieb das Schlachtfeld der hellenistischen Großmächte,
  • An die Stelle der Polis traten als Machtfaktor die griechischen Bundesstaaten,
  • In kultureller Hinsicht verlagerte sich der Schwerpunkt mehr in den Osten, wo vor allem Alexandria in Ägypten, später auch nach Pergamon in Kleinasien,
  • Kämpfe zwischen den griechischen Klein- und Mittelmächten untereinander sowie mit und gegen Makedonien,
  • Eingreifen des Römischen Reiches gegen Philipp V. von Makedonien, endgültige Unterwerfung Griechenlands: 146 v. Chr. Einrichtung der römischen Provinz Macedonia,
  • Einrichtung der Provinz Asia, die die kleinasiatischen Griechenstädte umfasste

Diese drei Jahrhunderte waren durch politische Umwälzungen geprägt, die den Zerfall der unabhängigen griechischen Stadtstaaten zur Folge hatten und den eine Ausweitung des römischen Imperiums nach sich zogen. Die politische Geschichte des unabhängigen Griechenland war spätestens 146 v. Chr.beendet. Die Beziehung zu dem WMem Blau ergibt sich also in jedem Fall aus Veränderungen in den Machtstrukturen der Reiche im europäisch-vorderasiatischen Raum, wobei Griechenland hiervon negativ betroffen ist.

Ein Einbruch der blauen Linie ist im 1. vorchristlichen Jahrhundert zu sehen. Die Auswirkungen dieser Ereignisse haben zu keiner Reaktion im WMem Blau geführt, sondern zu Anstiegen in Türkis, Gelb, Rot und Grün.

Den Höhepunkt erreicht die blaue Kurve im 1. Jahrhundert und etwas niedriger im 2. Jahrhundert. Die Wikipedia führt eine Vielzahl von Charakteristika auf, die für diese Zeit bestimmend sind:

Ausschlaggebend für das fachliche Interesse mit blauer Intention dürften hier die Entwicklungen in Rom und China sein, im Bezug auf Rom mit größerer Wirkung als im Bezug auf China.

Einen letzten Einbruch in der blauen Linie gibt es für das 5. Jahrhundert. Dieser steht im Zusammenhang mit dem starken Anstieg der roten Linie. Es kann deshalb auf die diesbezügliche Darstellung am Beginn dieses Abschnitts verwiesen werden.

Mit dem Niedergang des römischen Imperiums möchte ich den ersten Teil meiner Zeitreise beenden und hoffe darauf, genügend Interesse geweckt zu haben, um auf dem weiteren Weg meiner Reise viele virtuelle Begleiter zu haben.

 

Über Fidelio

Ich bin 1949 geboren und war in meiner berufstätigen Zeit als Stadtplaner in einer mittelgroßen kommune tätig. Seit meiner Studienzeit habe ich mich für die Entwicklung eines erweiterten geistigen Horizonts interessiert und einige Anstrengungen unternommen, mich persönlich in diesem Sinne zu entwickeln. Aufgrund meiner katholischen Erziehung habe ich in den 1960-er Jahren begonnen, mich intensiver mit dem modernen Mystiker Teilhard de Chardin zu befassen und bin so zur Gedankenwelt von Ken Wilber gekommen, die ich in diesem Projekt nutzbar zu machen versuche.
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