Betroffenheit liegt in der Natur der Menschen
Zu den markanten Eigenheiten der repräsentativen Demokratie gehört es, das Volk in der Regel nicht direkt über einzelne politische Fragestellungen entscheiden zu lassen. Als Ersatz für die zwischen politischen Entscheidungsträgern und Betroffenen Bürgern notwendig werdenden Kommunikationen haben sich verschiedene offizielle und informelle Instrumente entwickelt, unter denen die Demoskopie und die Hearings in den Ausschüssen des Bundestags besonders herauszustellen sind, da sie im Falle der Demoskopie eine Verbindung zur Presse und den Medien als „vierte Gewalt“ des Staates herstellen und daher oftmals den Eindruck einer direkten Gewaltherrschaft des Volkes zu erzeugen vermag. Ein besonders prägnantes Beispiel hierfür ist die Wulff-Affäre, in deren Verlauf es zum Rücktritt des damals amtierenden Bundespräsidenten Christian Wulff kam.
Im Fall der Hearings handelt es sich um die Beteiligung kompetenter Gruppen in Gesetzgebungsverfahren, die den politischen Projekten den Anschein von Ausgewogenheit und wissenschaftlicher Begründung geben sollen. Ziel ist es dabei, die Akzeptanz und die Zielführung von Gesetzen zu erhöhen. Dem gegenüber stehen jedoch eine Vielzahl von Einflussnahmen durch kapitalstarke Lobbyisten, die weitgehend anonym bleiben.
Demgegenüber hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung die besonders hervorgehobene Bedeutung der Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) und der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) in der repräsentativen Demokratie bestätigt. Diese Rechte stellen geradezu die Voraussetzungen für die Legitimation des repräsentativ-demokratisch geführten Staates dar und können deshalb auch nicht durch fadenscheinig begründete staatliche Eingriffe suspendiert werden. Häufigkeit und Umfang öffentlicher Meinungsäußerungen und Kundgebungen im Rahmen dieser Grundrechte sind auch ein Gradmesser für die politische Zufriedenheit im Lande. Unter diesem Aspekt wurden in den letzten Wochen in der Presse vermehrt Bewertungen und Interpretationen solcher mehr oder weniger großer Demonstrationen veröffentlicht, die in den meisten Fällen in eine Bewertung und Prognose zum Zustand und die Bestandskraft der großen Regierungskoalition in Berlin münden.
Es sind jedoch auch nachdenklichere Stimmen wahrzunehmen, insbesondere was das Phänomen der Schülerbewegung „Fridays for Future“ betrifft, die für schnellere Konsequenzen aus dem drohenden Klimawandel als sie von der Bundesregierung geplant sind, eintritt. So wurde etwa der Bewegungsforscher Simon Teune von der TU Berlin zitiert, in dem Schulstreik, der wesentlicher Bestandteil des Protestes ist, komme das Anliegen der Schüler zum Ausdruck, den Menschen bewusst zu machen, dass der Alltag radikal unterbrochen werden müsse, um das Klimaziel des Pariser Klimaabkommens zu erreichen. Radikale Unterbrechung des Alltags bedeutet mehr, als nur Einhalt des Energieverbrauchs, es ist zugleich ein altes religiöses Konzept, wie es z. B. im Sabbat, in der Fastenzeit, dem Gottesdienst oder an religiösen Festen zum Ausdruck kommt. Solche religiösen Gebräuche sind dazu da, sich aus den Mühen und Mühlen des Alltags herauszunehmen und zu sich zu kommen um das Bewusstsein von den eigenen Grundlagen zurückzugewinnen.
Es zeigt sich an diesem Beispiel, dass die außerparlamentarischen Bewegungen nicht nur unter den Gesichtspunkten der Machterhaltung oder der politischen Substanz zu beurteilen sind, sondern auch aus der Inszenierung und persönlichen Rolle der Akteure heraus.
Im folgenden Abschnitt werde ich mit den Instrumenten des AQAL-Ansatzes nach Ken Wilber und der Spiral Dynamics zu sieben aktuellen Protestbewegungen Kennzeichnungen vornehmen, die ein helleres Licht auf die politische Rolle dieser Bewegungen werfen sollen.