Die unerwartet schnelle Zugriff der italienischen Polizei auf den vermutlichen Täter des grauenvollen Anschlags auf den Weihnachtsmarkt im Herzen Westberlins hinterlässt eine Vielzahl offener Fragen, deren Klärung durch den vom Täter selbst verursachten Tod durch Polizeikugeln eher erschwert als erleichtert wird. Dennoch versetzt es in Erstaunen, wieviel bereits in den ersten Stunden über Aufenthaltsorte und Absichten des Getöteten an die Öffentlichkeit gekommen ist. Auf Details möchte ich jetzt nicht eingehen, da zuviel noch im Dunkeln liegt. Vielmehr möchte ich kurz die Gefühlsreaktionen der Öffentlichkeit auf die jüngsten Ereignisse dokumentieren.
Der Verlauf der Gefühlskurven zeigt tendentiell eine Rückkehr zu dem Niveau vor dem Anschlag an. Insbesondere die Freude bzw. Trauerkurve zeigt eine nur kurz währende Ergriffenheit von den Ereignissen an, die darauf hindeutet, dass ein prozesshaftes Trauern im psychologischen Sinn nicht stattgefunden hat. Das schließt nicht aus, dass die unmittelbar Betroffenen in diesem Sinn sehr wohl tief getroffen sein können. Es zeigt sich aber auch, dass ein öffentliches Trauern in einer Haltung des „weiter so“ oder „jetzt erst recht“ eine echte Trauer der breiten Öffentlichkeit unmöglich macht. Das mag in der gegenwärtigen Gefährdungssituation unproblematisch sein, dürfte jedoch bei einer Ausweitung terroristischer Gefährdung auf größere und unbestimmbare Aufenthaltsorte von Menschen nicht mehr vertretbar sein – so wenig wie Kriege gegen die Zivilbevölkerung im Kriegsrecht toleriert werden (siehe Aleppo). Die Erweiterung des allgemeinen Lebensrisikos um die Gefahr des Terrorismus ist daher auf Dauer nicht akzeptabel, da – abgesehen von den selbstverständlich nicht hinnehmbaren Verlusten an Menschenleben – nicht geleistete Trauerarbeit zu dauerhaften psychischen Schäden führt.
Es ist aus den genannten Gründen erforderlich, den Ursachen des Terrorismus bereits jetzt den Boden zu entziehen, indem der Westen in einen breiten öffentlichen Dialog mit den islamischen Staaten eintritt. Voraussetzung hierfür ist, die gebetsmühlenartig wiederholten Positionen beiseite zu schieben und endlich an das Eingemachte heranzugehen. Hierzu gehören die Palästinenserfrage, Waffenlieferungen in die arabisch-magrebinische Region, schulische und wirtschaftliche Entwicklung dieser Region.