„Zerstöre irgendeine HoIon-Art, und du vernichtest damit alle höheren Holons, aber kein niedrigeres.
Es herrscht in der Literatur eine heillose Verwirrung, wenn es um die Frage geht, wie zu bestimmen ist, ob irgendein Holon auf der Stufenleiter der Entwicklung höher oder tiefer steht….Aber wir können den Ort eines Holons in irgendeinem Entwicklungsgang oder einer holistischen Sequenz ganz einfach dadurch ermitteln, dass wir uns fragen: »Was für andere Arten von Holons würden mit untergehen, wenn wir Holons dieser Art zerstören?« Nehmen wir etwa folgende holistische Sequenz: subatomare Teilchen, Atome, Moleküle, Zellen. Niemand wird bestreiten, dass dies in der Tat eine holistische Sequenz ist, denn jedes nächsthöhere Glied dieser Folge schließt seine(n) Vorgänger ein, aber nicht umgekehrt, und deshalb ist das jeweils nächste Glied stets umfassender oder holistischer. Daraus ergibt sich sofort: Wenn wir zum Beispiel alle Moleküle des Universums vernichten, gehen damit zwangsläufig auch alle Zellen (alle Holons, die in dieser Sequenz über den Molekülen liegen) unter, während Atome und subatomare Teilchen weiterexistieren können (keine Holons unterhalb der Moleküle müssen untergehen.) Kurzum, zerstöre eine Holon-Art, und alle höheren Holons dieser Sequenz werden ebenfalls zerstört, weil die untergeordneten Holons seine Bestandteile sind.
Moleküle können nicht ohne Atome existieren, wohl aber die Atome ohne Moleküle. Das ist kein willkürliches Arrangement, nicht Produkt irgendeines menschlichen Werturteils. Es ist im physikalischen wie auch im logischen und sogar im chronologischen Sinne wahr. Atome und Moleküle waren in keiner Weise in ihrem Bestand gefährdet, bevor es Zellen gab. Zerstöre sämtliche Zellen im Universum, und alles Höhere und Spätere – Pflanzen, Tiere, Gesellschaften – wird ebenfalls untergehen, aber nichts, was vorher schon war – subatomare Teilchen, Atome, Moleküle, Polymere.
Damit können wir umgekehrt stets darauf schließen, was in einer holistischen Sequenz höher und was niedriger ist: Zerstöre ein bestimmtes Holon, und alles, was mit ihm untergeht, ist höher; alles, was weiterhin bestehen kann, ist niedriger.
Das gilt für alle Entwicklungsabfolgen und erklärt insbesondere den Regress, den wir beobachten, wenn Holons sich auflösen: Sie regredieren zur nächst niedrigeren Stufe, aber wenn irgendeine niedrigere Ebene zerstört wird, zieht sie automatisch alle höheren mit in den Untergang. Das zeigt auch sehr deutlich, inwiefern die Evolution eine vertikale und nicht einfach nur eine horizontale Dimension hat und weshalb »höher« und »niedriger« keineswegs willkürlich sind.
Im nächsten Kapitel werden wir diese Prinzipien auf die Arbeit etlicher Theoretiker anwenden, die sich um die Konstruktion »holistischer Sequenzen« bemühen. Sie wollen erreichen, dass der Mensch seinen Platz im Universum besser bestimmen und sein Verhalten entsprechend ausrichten kann – ein sicher sehr verdienstvolles Unterfangen. Da sie aber vielfach größere Spanne mit größerer Tiefe verwechseln, gelangen sie am Ende zu »holistischen« Sequenzen, die in Wahrheit regressiv sind, die an der Pyramide zunehmender Tiefe und abnehmender Spanne herunterrutschen und das Souterrain der Evolution, die Ebene der primitivsten Holons, zum Maß aller Dinge machen.
Wie sich zeigen wird, können wir anhand unseres Gedankenexperiments (»Was für andere Arten von Holons würden mit untergehen, wenn wir Holons dieser Art zerstörten?«) zwischen wirklich holistischen und bloß regressiven Sequenzen unterscheiden und schließlich ein alternatives »Gesamtbild« zeichnen, in dem der Mensch auf wahrhaft holistische Weise seinen Platz finden kann. Einstweilen erlaubt das Gedankenexperiment uns eine weitere Definition, nämlich die des Unterschieds zwischen grundlegend und bedeutend. Für jedes Holon gilt: je grundlegender, desto weniger bedeutend; je bedeutender, desto weniger grundlegend.
Der Gedankengang ist folgender: Je weniger Tiefe ein Holon hat, desto grundlegender ist es für den Kosmos denn es dient um so mehr anderen Holons als Komponente, je weniger Tiefe es selbst hat. Atome zum Beispiel sind in diesem Sinne grundlegend, weil Moleküle und Zellen und Organismen von ihnen abhängig sind. Je grundlegender ein Holon ist, desto größer ist der Anteil des Universums, der es als notwendigen Bestandteil enthält, ohne den diese anderen Holons nicht funktionieren oder auch nur existieren könnten. Geringere Tiefe heißt grundlegender, und grundlegender heißt, dass dieses Holon ein »Baustein« sehr vieler anderer ist.
Je weniger Tiefe ein Holon besitzt, desto geringer ist außerdem seine Bedeutung für den Kosmos, da es so wenig vom Kosmos als eigene Bestandteile enthält. Mit abnehmender Tiefe ist immer weniger vom Kosmos dem Holon innerlich oder ins Sein dieses Holons eingebettet. Oder anders herum: Das Holon ist weniger bedeutend, weil mehr vom Kosmos ihm äußerlich ist.
Je größer andererseits die Tiefe oder Ganzheit eines Holons ist, desto weniger grundlegend ist es in dem Sinne, dass weniger andere Holons in ihrem Bestand von ihm abhängen. Primaten zum Beispiel sind keine sehr grundlegenden Holons, weil weder Atome noch Moleküle noch Zellen von ihnen abhängig sind. Daher gilt aber auch: Je weniger grundlegend, desto bedeutender, das heißt, desto bedeutender ist dieses Holon für das Universum, weil mehr vom Universum in diese besondere Ganzheit eingeschlossen ist oder mehr vom Kosmos ihr innerlich ist, zum Bestand ihres Seins gehört. Primaten sind von vergleichsweise großer Bedeutung, weil sie Atome und Moleküle und Zellen enthalten und repräsentieren: Sie bedeuten für den Kosmos nicht nur mehr, sondern bezeichnen auch mehr von ihm.
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