Deutschland nach der Europawahl 2024 – Eine ganzheitliche Betrachtung

Politik findet in Räumen statt

Was ist nun gute Politik? Sehr konkret und objektiv greifbar kann die Antwort darauf aus Grundsätzen des Verfassungsstaats abgeleitet werden, die sich in der Präambel zunächst  indirekt auf den Raum beziehen. Dort heißt es einleitend:  „Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleich-berechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.“ Deutlich erkennbar sind hier der Verantwortungsgedanke vor Gott und den Menschen, die Europabindung und das Friedensziel. Diese grundlegenden Wertorientierungen, die an den kulturellen Raum Europas und an dessen christlich-humanistische Tradition anknüpfen enthalten eine räumliche Bindung, die nicht mit dem geografischen Begriff Europa  zusammenfällt und statt dessen durch die christliche Religion und deren humanistische Ausgestaltung näher bestimmt wird. Eine andere Bezugnahme auf den Raum findet sich in Artikel 13 GG, wo es um die Unverletzlichkeit der Wohnung geht. Mit der Wohnung ist ein eindeutig begrenzter Raum im architektonischen Sinn genannt, der in Absatz 7 durch den Begriff „Raumnot“ auch als solcher angesprochen wird.

Die an diesen Beispielen gezeigte Vielschichtigkeit des Raumbegriffs wird in der entsprechenden Begriffsklärung der Wikipedia verdeutlicht. Jedoch wird damit sein umfassender politischer Gehalt nicht deutlich und auch im deutschen Raumordnungsgesetz fehlt es an einer LegaldefinitionRaum wird dort wieder nur indirekt definiert, indem sich die Regelungen des Gesetzes auf staatliche Zuständigkeiten  und spezielle Aufgaben beschränken. Das ergibt sich auch bereits aus Artikel 13, zu dem das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat:

Für die Privatsphäre des Einzelnen und seine Selbstverwirklichung sind die eigenen vier Wände bedeutsam. Als Wohnung schützt Art. 13 Abs. 1 GG jeden Raum, den der Einzelne der allgemeinen Zugänglichkeit entzieht und zum Ort seines Lebens und Wirkens bestimmt. Art. 13 GG soll dem Einzelnen einen elementaren Lebensraum gewährleisten, eine ,,räumliche Privatsphäre“ in der er einen Anspruch darauf hat ,,in Ruhe gelassen zu werden“ (BVerfGE 65, 1, 40.).

Dieses Recht regelt den Schutz des Individuums vor Übergriffen des Staats indem es Tabuzonen definiert. Was unter „räumliche Privatsphäre“ zu verstehen ist, sagt das Gericht nicht. Der sich damit eröffnende Raum der Möglichkeiten kann mit der anthropologischen Bedeutung des Raums als Lern- und Erlebnisraum gefüllt werden und hat als solcher fundamentale Bedeutung für die Entwicklung des Menschen von der Geburt bis zum Tod. Hier erfährt der Säugling seine ersten Eindrücke von Licht, Luft, Temperatur und Schall, hier ertastet er die ersten Oberflächen seiner sinnlich erfahrbaren Welt und erlebt so seinen Raum. Von seiner Wiege aus erweitert er nach und nach seinen Erlebnisraum zunächst kriechend, dann haltsuchend entlang von Möbeln auf zwei Beinen und schließlich von Wohnraum zu Wohnraum fortschreitend bis schließlich die Wohnung verlassen wird und die Entdeckung der sinnlich wahrnehmbaren Welt erfolgt, soweit die Erwachsenen es vordringen lassen. Damit bekommt der Raum im Bewusstsein des Kindes Grenzen und es entstehen Verbotsräume und Angst

Nun bewegen sich Kinder wie Erwachsene im Geltungsbereich von Gesetzen, die für die Gestaltung des Lebensraums außerhalb der Wohnung maßgebend sind. Das allgemeinste davon ist das Bundesraumordnungsgesetz (ROG), das dem Staat Beschränkungen und Eingriffsmöglichkeiten gegenüber seinen Bürgern gewährt, die damit in erster Linie das Privateigentum betreffen. Adressaten des Gesetzes sind daher die staatlichen Funktionsträger, die zunächst auf eine zivilisatorische Handlungsweise verpflichtet werden, was jedoch an dem Zweck des Gesetzes nichts ändert.

Die Grundidee des Raumordnungsgesetzes (ROG) lautet:

§ 1 Aufgabe und Leitvorstellung der Raumordnung
(1) Der Gesamtraum der Bundesrepublik Deutschland und seine Teilräume sind durch Raumordnungspläne, durch raumordnerische Zusammenarbeit und durch Abstimmung raumbedeutsamer Planungen und Maßnahmen zu entwickeln, zu ordnen und zu sichern. Dabei sind

1. unterschiedliche Anforderungen an den Raum aufeinander abzustimmen und die auf der jeweiligen Planungsebene auftretenden Konflikte auszugleichen,
2. Vorsorge für einzelne Nutzungen und Funktionen des Raums zu treffen.

(2) Leitvorstellung bei der Erfüllung der Aufgabe nach Absatz 1 ist eine nachhaltige Raumentwicklung, die die sozialen und wirtschaftlichen Ansprüche an den Raum mit seinen ökologischen Funktionen in Einklang bringt und zu einer dauerhaften, großräumig ausgewogenen Ordnung mit gleichwertigen Lebensverhältnissen in den Teilräumen führt.

Mit der Raumordnung werden praktisch alle Aspekte der Wirklichkeit berührt, da alle Lebensprozesse und Empfindungen an Raum und Zeit gebunden sind, soweit sie nicht in geistige Sphären transzendiert werden. Allerdings ergeben sich aus den staatlichen Regelungen mehr oder weniger starke Beschränkungen, die von dezentralen demokratischen Systemen bis zu universellen zentralen Systemen unterschiedlich rigide sind. Innerhalb dieses Spektrums ergeben sich die Freiheiten für die Individuen und deren Entwicklungsprozesse. Aus diesem Grund ist das Raumordnungsgesetz dynamisch ausgerichtet und hat das Gegenstromprinzip als staatliche Arbeitsmethode eingeführt.

Mir liegt es fern, den Eindruck zu erzeugen, als sei mit den Instrumenten der Raumordnung alles bestens geregelt. Dazu ist der Stellenwert des Raumordnungsgesetzes innerhalb der Regierungsarbeit viel zu gering und eher als Alibi  für Entscheidungen anzusehen, die bereits im Vorfeld getroffen worden sind. Als Beleg führe ich nur eines von vielen Beispielen an: Die Auseinandersetzungen um die Erweiterung des Flughafens Frankfurt durch die Startbahn West. Wie in hoch verdichteten Ansprüchen an den Lebensraum der Menschen unvermeidlich, kommt es zu Zielkonflikten, die durch vorgegebene Werte entschieden werden müssen.

Nach § 22 des Raumordnungsgesetzes führt das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung ein Informationssystem, das die räumliche Entwicklung im Bundesgebiet darstellt. Die Ergebnisse dieses Systems sind im Internet abrufbar. Nachfolgend werde ich einige wichtige Angaben aus diesem System auf der Ebene der Kreise und kreisfreien Städte  widergeben. Leider waren zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Beitrags lediglich Daten für das Jahr 2020 – und teilweise noch älter – verfügbar und damit sind Einflüsse des Lockdowns im Rahmen der Covid-19 Bekämpfung nicht auszuschließen. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die damit im Zusammenhang stehenden Beschränkungen in etwa vergleichbare Auswirkungen in den Bundesländern hatten, da ihnen bundesweite Anordnungen der Regierung zugrunde lagen. Vergleiche zwischen den Bundesländern dürften daher der Tendenz nach durchaus möglich sein. Soweit sich Aussagen auf feste Maßstäbe beziehen, werde ich hierauf besonders eingehen.

Wichtige Hinweise: Die vorstehenden Grafiken stammen aus dem Internetangebot des Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung: www.bbsr.bund.de. Die dort genannten Benutzungshinweise sind zu beachten. Dort sind auch ausführliche Erläuterungen zu den hier dargestellten Kriterien verfügbar. Darüber hinaus stehen auch der Raumordnungsbericht 2021 und weitere Informationen zum kostenlosen Download zur Verfügung.

Nachfolgend gehe ich auf die Grafiken, zusammenfassend zu Themenbereichen, ein.

In den Grafiken 7 bis 10 sind demografische Kenngrößen dargestellt, die zu den grundlegenden Informationen für politische Entscheidungen zu rechnen sind. Mit der Beschränkung auf die Basis der Bevölkerungspyramide – Kinder im Vorschulalter – und die Spitze der Pyramide – Menschen im Rentenalter – sind zwei für die Bereitstellung von Einrichtungen und Dienstleistungen maßgebliche Gruppen dargestellt. Einerseits bemißt sich der Bedarf an ErzieherInnen und Kindergärten bzw. Kitas hiernach, andererseits der Bedarf an medizinischem Personal, Pflegeeinrichtungen und –personal sowie die Ausrichtung der Infrastruktur und des Wohnungsbaus auf die Belange der alternden Gesellschaft. Auf das Wachstum der alten Menschen ist auch die Rentenpolitik auszurichten.

Auf die Entwicklung der Alterspyramide haben die Lebenserwartung und damit im Zusammenhang die medizinische und pflegerische Versorgung entscheidenden Einfluss. Nach aktuellen Angaben des Statistischen Bundesamtes betrug die Differenz in der Lebenserwartung zwischen Ost- und Westdeutschland bezogen auf den Dreijahreszeitraum 2020/2022 bei Geburt zugunsten Westdeutschlands 1,8 Jahre bei Männern und 0,2 Jahre bei Frauen. Während sich die Lebenserwartung der Frauen seit der Wiedervereinigung nahezu an das Westniveau angeglichen hat besteht bezüglich Männern ein Entwicklungsstillstand.

Im Saldo der natürlichen Bevölkerungsentwicklung fließen die genannten Größen zusammen und geben einen Gesamteindruck von dem Verhältnis von Geburten zu Sterbefällen. Insgesamt ist die Situation in Deutschland durch erhebliche Sterbeüberschüsse gekennzeichnet, die in Süddeutschland am geringsten ausgeprägt sind und hier von einigen größeren Bereichen mit Geburtenüberschüssen unterbrochen werden. In kleineren Bereichen im Umfeld der Ballungsgebiete und einiger Großstädte sind im übrigen Deutschland ebenfalls Geburtenüberschüsse zu sehen. Von diesem Gesamtbild heben sich die ostdeutschen Bundesländer deutlich ab. Mit Ausnahme von Berlin sind hier keine Geburtenüberschüsse vorhanden. Im Gegenteil sind hier mit einigen Ausnahmen  im Nordwesten von Mecklenburg-Vorpommern, im brandenburgischen „Speckgürtel“ um Berlin und in geringeren Ausmaßen um einige Großstädte die höchsten Sterbeüberschüsse zu sehen. Dieses Ergebnis für die östlichen Bundesländer korreliert eindeutig mit der Überalterung der Bevölkerung bei gleichzeitigen Defiziten der Geburtenrate, so dass der Saldo damit erklärbar ist.

Die Beeinflussung dieser Situation in den ostdeutschen Ländern ist kurzfristig nicht möglich, sie hätte jedoch in den vergangenen drei Jahrzehnten seit der Wiedervereinigung durch Strukturförderungsmaßnahmen erfolgen können, wie Beispiele aus dem Saarland und dem Ballungsraum des Ruhrgebiets zeigen, die hinsichtlich der Bevölkerungsstruktur ein wesentlich günstigeres Bild zeigen.

Die Grafiken 11 und 12 lassen deutliche Strukturunterschiede in der Pflegeversorgung erkennen. Hier sind die Unterschiede zwischen West– und Ostdeutschland nicht so eindeutig, wie zuvor beschrieben. Es läßt sich eine Zone hoher Versorgungsdichte mit Pflegeheimplätzen abgrenzen, die einen Schwerpunkt in zusammenhängenden Teilgebieten der Bundesländer Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Hessen hat und sich zwischen den Städten Bielefeld, Hannover, Magdeburg, Halle, Erfurt und Kassel befindet. Dieses Gebiet ist von Mittelgebirgen (Harz, Weserbergland, Sauerland) und Flussniederungen (Weser, Elbe) sowie den Kulturlandschaften des Wendlands und des Voigtlands als Fortsätze geprägt. Erwartungsgemäß gibt es in diesem Raum eine hohe Dichte an Kurorten, die sich als Standorte für Altersruhesitze wegen ihrer guten Ausstattung mit spezifischer Infrastruktur anbieten.

Im Vergleich mit der personellen Ausstattung sind in dem beschriebenen Raum die niedrigsten Werte festzustellen. Dieses Bild besteht darüber hinaus in besonderem Maß in den östlichen Bundesländern mit Ausnahme von Mecklenburg-Vorpommern und im östlichen Niedersachsen, im südlichen Teil von Schleswig-Holstein, im Saarland und Teilen von Rheinland-Pfalz. Ob es sich dabei in allen Fällen um echte Defizite handelt, kann nur für jene Bereiche angenommen werden, in denen hohe Pflegeplatzdichten bestehen.

Die Situation in den Pflegeberufen wird sich durch die Corona-Pandemie stark verändert haben, so dass die Aktualität der hier abgebildeten Situation dringend einer Aktualisierung bedarf.

Die Grafiken 13 bis 15 zeigen eine Übersicht über die Lage der Arbeitslosen, soweit sie für die räumliche Entwicklung bedeutsam sind. Bei Betrachtung des Gesamtbildes der drei Grafiken zeichnet sich für die östlichen Bundesländer die Gemeinsamkeit hoher Werte ab. Für die Länder der alten Bundesrepublik trifft das nur für kleinere Räume bzw. nur in Teilaspekten zu. Besonders erwähnenswert sind in Nordrhein-Westfalen das Rhein-Ruhrgebiet bezüglich Arbeitslosenquote und Langzeitarbeitslosigkeit sowie das Saarland und Teile von Rheinland-Pfalz in allen drei Aspekten. Die Arbeitslosigkeit älterer Arbeitnehmer teilt Deutschland in eine westliche Hälfte mit geringer Arbeitslosigkeit und eine östliche Hälfte mit deutlich höherer Arbeitslosigkeit, wobei die Grenze zwischen Baden-Württemberg, Hessen sowie Thüringen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt bzw. Mecklenburg-Vorpommern verläuft. Bei der Langzeitarbeitslosigkeit und der Arbeitslosenquote sind neben den östlichen Bundesländern auch die Küstenregionen von Niedersachsen und Schleswig-Holstein betroffen. Das gleiche gilt für die östlichen Teile von Niedersachsen und Ostwestfalen in Nordrhein-Westfalen.

Die beschriebenen Ergebnisse deuten darauf hin, dass der Arbeitsmarkt wesentlich durch historisch gewachsene Strukturen und deren Wandel beeinflusst wird, wobei standortgebundene Industrien wie Bergbau, Stahlindustrie und Schiffbau einschließlich Seehandel wesentlichen Einfluss haben. Es ist jedoch auch ablesbar, dass sozialpolitische Maßnahmen den Strukturwandel  zwar sozial abfedern können, wie z. B. im Ruhrgebiet durch Vorruhestandsregelungen, wodurch eine geringe Quote älterer Arbeitsloser erreicht wird, jedoch gegen Arbeitslosigkeit im Prinzip kein Mittel ist.

In den Grafiken 16 und 17 ist das Medianeinkommen dargestellt. Es wird aus den monatlichen Bruttoarbeitsentgelten von sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten am Arbeitsort ermittelt. Die Berechnung des Medianeinkommens ist im Vergleich zum arithmetischen Mittel gegenüber Ausreißern robuster. Für den Vergleich von Einkommen unterschiedlicher Personen ist diesem Verfahren der Vorzug zu geben, da z. B. die extrem hohen Einkommen von leitenden Angestellten oder Spitzenbeamten nicht den Durchschnitt verfälschen.

Grafik 16 zeigt eine scharfe Abgrenzung der östlichen Bundesländer gegenüber den alten Bundesländern. Bis auf wenige Kreise zeigt sich in der ehemaligen DDR eine homogene Einkommensverteilung in der Klasse 2.500 bis 2.900 Euro. Etwas höhere Einkommen werden in den Großstädten erzielt. Demgegenüber zeigt sich in den Ländern der alten Bundesrepublik etwa in der Hälfte des Gebiets – mit Schwerpunkt in Baden-Württemberg – ein Medianwert von 3.300 bis 3.700 Euro und mehr. In der anderen Hälfte werden – bis auf wenige Ausnahmen – 2.900 bis 3.300 Euro erreicht. Innerhalb des Gebiets der ehemaligen DDR behält Berlin seine Bevorzugung als Hauptstadt und zeigt ein den alten Bundesländern vergleichbares Einkommensniveau.

In Grafik 17 ist das durchschnittliche Haushaltseinkommen in € je Einwohner angegeben. Hierbei handelt es sich um eine Größe, die gemeinhin als Nettoeinkommen bezeichnet wird und sich aus verschiedenen Quellen zusammensetzt. Hier wird eine erweiterte Berechnungsart verwendet, die das verfügbare Einkommen auf der Basis des Primäreinkommens berücksichtigt, so daß auch Einkünfte aus Vermögen berücksichtigt werden. In dieser Darstellung grenzt sich die alte Bundesrepublik ebenfalls deutlich gegen die ehemalige DDR ab, jedoch stellt sich die Situation in den östlichen Bundesländern deutlich differenzierter dar. Im Gesamtüberblick ist ein West-Ost-Gefälle erkennbar, wobei die Spitzenwerte in Süddeutschland, in Schleswig-Holstein, im Rhein-Maingebiet und in der Rheinschiene – den westdeutschen Wirtschaftsschwerpunkten – erzielt werden. Es ist im Vergleich zum Medianeinkommen festzustellen, dass die Berücksichtigung von Vermögenseinkommen auch für die neuen Bundesländer erhebliche Bedeutung hat und die Entwicklung mittelständischer Strukturen vermuten lässt. Um den möglichen Einfluss größerer Haushalte mit verhältnismäßig mehr Einkommensbeziehern auszuschließen, ist ein Blick auf die Häufung von Bedarfsgemeinschaften, Haushaltsgrößen und die Wohnfläche pro Einwohner nützlich. (Bei einer Bedarfsgemeinschaft werden alle ihr angehörenden Personen mit ihren persönlichen Verhältnissen in eine gemeinsame Berechnung einbezogen. So werden neben Arbeitseinkommen und Vermögen auch staatliche Transfereinkommen wie Wohngeld, Bürgergeld und Sozialgeld angerechnet). 

Die Angaben zu den Wohnverhältnissen sind in den Grafiken 18, 19, 20 und 30 enthalten und lassen in Grafik 18 einen zusammenhängenden Raum häufiger Bedarfsgemeinschaften erkennen, der die fünf östlichen Bundesländer mit zwei größeren Ausnahmen – der Region des Spreewalds und des westlich anschließenden Bereichs bis Potsdam und des südlichen Sachsen – die Küstengebiete, Niedersachsen mit Ausnahme des Emslands sowie Ostwestfalen, das Ruhrgebiet und den linksrheinischen Teil von Nordrhein-Westfalen umfasst. Die in Grafik 19 dargestellten Bereiche mit relativ niedrigen Haushaltsgrößen stimmen tendenziell mit den Bereichen häufiger Bedarfsgemeinschaften überein. Damit ergibt sich das Bild einer durchschnittlichen Wohnung aus geringer Bewohnerzahl, geringer Wohnfläche pro Einwohner und geringem Haushaltseinkommen. Daraus erklären sich vergleichsweise kleine Wohnungen, die die Voraussetzungen für die Beziehung von Wohngeld erfüllen, wie dieses in Grafik 30 für große Bereiche der östlichen Bundesländer und große Bereiche in Nordrhein-Westfalens abzulesen ist. Weitere Einflüsse auf diese Situation hat die Überalterung in den neuen Bundesländern, die Fehlbelegung älterer Einfamilienhäuser und deren Zubau in diesen Ländern. Andererseits hat sich die Zahl der Sozialwohnungen im Bestand erheblich verringert. Diese einseitige Wohnungspolitik ist in  Grafik 23 abzulesen, der zu entnehmen ist, dass sich die Tätigkeit im Wohnungsbau der neuen Bundesländer auf den Großraum Berlin und die Seebäder an der Ostsee konzentriert. In den alten Bundesländern konzentriert sich der Wohnungsneubau auf Bayern und in etwas schwächerem Maße auf Baden-Württemberg. Weitere Schwerpunkte liegen im Münsterland, im Emsland und in Schleswig-Hplstein sowie im nördlichen Niedersachsen einschließlich Hamburg. Für Schleswig-Holstein und das nördliche Niedersachsen können ebenfalls treibende Einflüsse durch den Tourismus an Nord- und Ostsee unterstellt werden. Die beiden süddeutschen Länder partizipieren aufgrund ihrer natürlichen Attraktivität ebenfalls am Tourismus und der guten Einkommenslage privater Haushalte.

Betrachtet man die Wohnungsfrage als ein wesentliches Moment für die Zufriedenheit der Menschen, so kann die Verfügbarkeit der Wohnfläche pro Einwohner Anhaltspunkt für die Beurteilung sozialer Stressfaktoren sein. Damit im Zusammenhang ist es hilfreich, die Eigentumsquote und den Anteil von Ein- und Zweifamilienhäusern zu betrachten. Trotz der im Westen entstandenen Eindrücke von trostlosen Plattenbau-Siedlungen in der ehemaligen DDR als vorwiegende Wohnform der Ostdeutschen zeigt Grafik 21, dass dort zu über 90% Ein-und Zweifamilienhäuser die dominierende Gebäudeart darstellen. Dieses Bild setzt sich im östlichen Bayern fort. Für die Situation in den neuen Bundesländern bedeutet dies, das – wie oben  erwähnt – eine Konzentration des Wohnungsneubaus auf den „Speckgürtel“ von Berlin und die Küstenregion stattgefunden hat.

Für die Beurteilung der Wohnqualität ist die Lage der Wohnungen im Wohnumfeld, zu den Versorgungszentren und den Arbeitsplätzen von wesentlicher Bedeutung. Aussagekräftige Informationen hierzu sind in den Grafiken 22 und 24 bis 29 enthalten. In Abbildung 22 ist die Erreichbarkeit eines Mittelzentrums zur Versorgung mit Dienstleistungen und Waren des gehobenen und selteneren Bedarfs abzulesen. Maßstab hierfür ist die durchschnittliche Fahrzeit eines Pkw zum nächsten Mittel– oder Oberzentrum in Minuten. Hier ist eine deutliches Süd-Nordgefälle zu sehen, das etwa durch eine Linie entlang der südlichen Landesgrenzen von Niedersachsen, Thüringen und Sachsen beschrieben werden kann. Dabei gibt es Defizit-Schwerpunkte im nördlichen Sachsen-Anhalt, im niedersächsischen Wendland und im südwestlichen Mecklenburg-Vorpommern, südlich von Schwerin. Entscheidende Einflüsse auf dieses Ergebnis hat die in Grafik 29 zu sehende Pkw-Dichte, die in den neuen Bundesländern niedriger ausfällt, als in den alten Bundesländern. Andererseits erklärt sich das Süd-Nordgefälle auch durch eine deutlich höhere Pkw-Dichte in den südlichen Bundesländern, so dass z. B. in Bayern trotz geringer Einwohnerdichte (Grafik 24), gute Erreichbarkeit durch hohe Pkw-Dichte erreicht wird. Weitere Indizien für die Erreichbarkeit von Mittel- bzw. Oberzentren sind der Freiflächen-Quotient (Grafik 25) die Arbeitsplatz-Erreichbarkeit (Grafik 27, Pendlerstrecke >50 km) und der Anteil an Siedlungs- und Verkehrsfläche (Grafik 26). Diese Faktoren in Summe oder auch allein tragen erheblich zur Versorgungssicherheit der Einwohner bei. Hier werde ich mich auf die markanteste Situation, die sich in den neuen Bundesländern ergibt, beschränken. Am prekärsten stellt sich die Situation der Pendler dar, die nahezu flächendeckend die schlechtesten Werte erreicht. Lediglich in Sachsen werden Situationen ähnlich den westlichen Bundesländern erreicht. Diese Situation korrespondiert mit einem hohen, bzw. niedrigen Anteil an Freiflächen sowie niedrigen bzw. relativ hohen Anteil an Siedlungs- und Verkehrsflächen in Sachsen. Es kann somit festgestellt werden, dass bei relativ dünner Besiedlung des Gebiets der ehemaligen DDR bis auf den südlichen Teil Sachsens schwierige Versorgungsverhältnisse für die Bevölkerung bestehen, die weit hinter den durchschnittlichen Verhältnissen in den westlichen Bundesländern zurück bleiben. Hierbei ist allerdings der öffentliche Personen-Nahverkehr (ÖPNV) nicht berücksichtigt. Aufgrund der verwendeten Prüfmaßstäbe räumlicher Faktoren kann jedoch unterstellt werden, dass die Möglichkeiten des ÖPNV, verglichen mit dem Pkw, noch weiter zurück bleiben.

Für die Entwicklung des Raumes ist die Wirtschaftsleistung von besonderer Bedeutung. Sie wird gewöhnlich als Brutto-Inlandsprodukt (BIP) gemessen und stellt für die Bevölkerung ein Maß für deren Wohlstand dar. Volkswirtschaftlich ist es ein Maß für die ein einer Region erbrachte wirtschaftliche Leistung. In Grafik 32 ist die wirtschaftliche Gesamtsituation in der ehemaligen DDR deutlich gehenüber den alten Bundesländern abgesetzt. Die Flächenkreise erreichen bis auf wenige Ausnahmen lediglich die unterste der fünf Stufen der Grafik und lassen damit erkennen, dass die Entwicklung in den ostdeutschen Bundesländern nahezu ausschließlich auf die größeren Städte ausgerichtet ist. Damit werden die im vorigen Abschnitt dargestellten Konsequenzen für die ländlichen Räume auch auf Grundlage einer Gesamtrechnung bestätigt. Dieses Ergebnis gewinnt erst daraus Bedeutung, dass sich daraus im Vergleich zu den alten Bundesländern eine gegenläufige Entwicklung darstellt, die bereits zu DDR-Zeiten für den Unmut vieler DDR-Bürger sorgte, weil aller Reichtum der Gesellschaft nach Berlin abfloss.

Trotz des großen BIP in den alten Bundesländern gibt es auch hier oberhalb der Mainlinie gegenüber den südlicheren Gebieten einen deutlichen Anstieg privater Schuldner, mit einigen Schwerpunkten im Ruhrgebiet und im Großraum Hannover sowie damit in Verbindung nahezu flächendeckend in Sachsen-Anhalt und im nordwestlichen Teil Brandenburgs. Darüber hinaus sind auch die Berliner Haushalte in hohem Maße verschuldet und etwas weniger jene in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und im nördlichen Teil Sachsens. Hinsichtlich der Verschuldung privater Haushalte gibt es keine West-Ost Unterscheidung, wie es bei vielen anderen Kriterien zu sehen ist, allerdings hebt sich Bayern und weniger stark auch Baden-Württemberg mit auffallend geringen Quoten ab. Über die Gründe kann nur spekuliert werden, nach meiner Auffassung kommen hierfür Mentalitätsgründe neben guten Einkommensverhältnissen in Betracht.

Die wirtschaftliche Situation der Privathaushalte wird wesentlich durch das Arbeitsvolumen mitbestimmt. Diese Größe wird als die Zahl der von Arbeitnehmern geleisteten Arbeitsstunden ausgedrückt. Das Arbeitsvolumen umfasst die tatsächlich geleistete Arbeitszeit aller Erwerbstätigen, die als Arbeitnehmer (Arbeiter, Angestellte, Beamte, Richter, marginal Beschäftigte, Soldaten) oder als Selbstständige beziehungsweise als mithelfende Familienangehörige eine auf wirtschaftlichen Erwerb gerichtete Tätigkeit ausüben. Hierzu zählen auch die geleisteten Arbeitsstunden von Personen mit mehreren gleichzeitigen Beschäftigungsverhältnissen. Nicht zum Arbeitsvolumen gehören hingegen die bezahlten, aber nicht geleisteten Arbeitsstunden, beispielsweise Jahresurlaub, Elternzeit, Feiertage, Kurzarbeit oder krankheitsbedingte Abwesenheit.

In Grafik 36 ist das Arbeitsvolumen als geleistete Arbeitsstunden für das Jahr 2020 dargestellt. Von allen dargestellten Kriterien tritt hier die Unterscheidung zwischen alter Bundesrepublik und ehemaliger DDR am deutlichsten hervor. Mit Ausnahme von kleinen Bereichen wie Potsdam / Berlin, Chemnitz und im Länderdreieck des Kreises Görlitz werden Verhältnisse erreicht, die den alten Bundesländern entsprechen. Darüber hinaus werden in keinem der westdeutschen Bundesländer die Leistungszahlen der östlichen Bundesländer erreicht. Es könnte daher auch etwas provokativ davon gesprochen werden, dass die Menschen im Osten mehr arbeiten als die im Westen. Gründe dafür sind bei den niedrigeren Einkommen bei gleichzeitig höheren Belastungen durch die Raumstrukturen zu suchen.

Die Lebensverhältnisse und die Art der Arbeit wird wesentlich durch das Bildungsniveau der Arbeitnehmer und die Arbeitsangebote in den Wirtschaftssektoren mitbestimmt. In den Grafiken 33 bis 35 sind die Arbeitsplätze in den drei Wirtschaftssektoren des primären, sekundären und tertiären Sektors dargestellt. Der primäre Sektor umfasst in der hier verwendeten engen Definition Betriebe der Land- und Forstwirtschaft sowie der Fischerei.

Der sekundäre Wirtschaftssektor umfasst:

  • Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden;
  • Verarbeitendes Gewerbe;
  • Energieversorgung;
  • Wasserversorgung;
  • Abwasser- und Abfallentsorgung und Beseitigung von Umweltverschmutzungen;
  • Baugewerbe.

Der für die Beurteilung des Entwicklungsstandes einer Volkswirtschaft besonders aussagekräfte tertiäre Sektor oder Dienstleistungssektor umfasst:

  • Handel; Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen;
  • Verkehr und Lagerei;
  • Gastgewerbe;
  • Information und Kommunikation;
  • Erbringung von Finanz- und Versicherungsdienstleistungen;
  • Grundstücks- und Wohnungswesen;
  • Erbringung von freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen;
  • Erbringung von sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen;
  • Öffentliche Verwaltung, Verteidigung; Sozialversicherung;
  • Erziehung und Unterricht;
  • Gesundheits- und Sozialwesen;
  • Kunst, Unterhaltung und Erholung;
  • Erbringung von sonstigen Dienstleistungen;
  • Private Haushalte mit Hauspersonal; Herstellung von Waren und Erbringung von Dienstleistungen durch Private Haushalte für den Eigenbedarf ohne ausgeprägten Schwerpunkt.

Der in Grafik 33 abgebildete primäre Sektor hat einen eindeutigen Schwerpunkt in Schleswig-Holstein, im nördlichen Niedersachsen, nördlichen Sachsen-Anhalt und Brandenburg. Großflächig ist er in Bayern von Bedeutung sowie in Teilen von Thüringen und Rheinland-Pfalz. Dieses Bild würde für die östlichen Bundesländer und Nordrhein-Westfalen eine wesentlich größere Bedeutung ausweisen, wenn eine weitere Definition des primären Sektors zugrunde gelegt würde, die auch den Bergbau einschließt. Damit ist der Hinweis gegeben, dass in diesem Fall im folgenden sekundären Sektor eine entsprechende Korrektur vorgenommen werden müsste.

Im sekundären Sektor der Grafik 34 liegen die Schwerpunkte in Baden-Württemberg, im mittleren und östlichen Bayern, im südlich an Erfurt angrenzenden Teil von Thüringen, im südlichen Sachsen, im südöstlichen und westlich Magdeburg gelegenen Sachsen-Anhalt, im Sieger– und Sauerland und daran angrenzende Gebiete westlich Kassel, im Bergischen Land, im östlichen und westlichen Münsterland, im südwestlichen und nordöstlichen Rheinland-Pfalz, im Emsland und im Bereich der Wesermündung. Ein Raum nördlich und östlich einer Linie BremenKasselBerlin kann grob als Raum mit schwachem Besatz an Erwerbstätigen im sekundären Sektor bezeichnet werden.

Als dritter Sektor ist in Grafik 35 der Dienstleistungssektor dargestellt. Seine Schwerpunkte sind

  • Niedersachsen mit Ausnahme des Emslands,
  • Bremen,
  • Hamburg,
  • Schleswig-Holstein,
  • östliches Mecklenburg-Vorpommern,
  • Berlin,
  • Brandenburg mit Ausnahme des Spreewalds,
  • der westliche Teil Nordrhein-Westfalens,
  • das Rhein / Main Gebiet bis einschließlich Mannheim
  • der Großraum München und
  • der Kreis Garmisch-Partenkirchen.

Weitere kleine Gebiete sind hier nicht besonders erwähnt. Grundsätzlich gilt, dass die Großstädte in der Regel auch Dienstleistungszentren sind und weitere zentrale Orte unter den Mittelstädten je nach Dichte der Verstädterung dazugehören sind. Damit ist ein wichtiges Modell der Raumordnung angesprochen, dass von dem Geographen Walter Christaller in den 1930er Jahren als Idee der Zentralen Orte entwickelt wurde und nach dem zweiten Weltkrieg weiter ausgearbeitet und als System der Zentralen Orte umgesetzt wurde. Durch die Entwicklung neuer Informationstechnologien und die Erweiterung des Konzeptes von Räumen hat die Idee der zentralen Orte bzw. der Räume neue Aspekte erhalten, die den Ideen vom Raum neue Aktualität geben und als spatial turn in den Kultur– und Sozialwissenschaften diskutiert wird.

Es ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei Dienstleistungen nur in begrenztem Umfang um digitalisierbare Aktivitäten handelt die zum großen Teil persönliche Anwesenheiten, Entscheidungen und Handlungen erfordern und nur als Expertensysteme zum Einsatz kommen können.

Der Einsatz von KI-gesteuerten Maschinen und automatisierter Produktionstechniken wird ihren – bereits im Ansatz erkennbaren – Schwerpunkt im sekundären Sektor haben und voraussichtlich zu einer weiteren Entakademisierung der Berufe in diesem Sektor führen. Dennoch wird das allgemeine Bildungsniveau weiter gehoben werden müssen, um in der komplexer werdenden Welt kulturell und politisch bestehen zu können. Allerdings wird sich damit auch der Stellenwert von Abschlüssen senken, da die berufliche Praxis diese nicht mehr voraussetzt und mehr und mehr praktische Kenntnisnachweise an Gewicht gewinnen.

In den Grafiken 37 und 38 sind die Schulabgänger mit Abitur und ohne Abschluss im räumlichen Vergleich dargestellt. Ihr Aussagewert sollte – wie ausgeführt – nicht überbewertet werden und hier eher als Hinweis auf die Zugangsmöglichkeiten zum Schulsystem betrachtet werden.

Zunächst werden in Grafik 37 die Quoten der Abiturienten dargestellt. Bereits der Überblick auf die Verteilung zeigt, dass sie weitgehend den Ländergrenzen folgt und solche Länder kennzeichnet, die starke Bildungsförderung betreiben und solche, die geringe bis gar keine räumliche Differenzierung auf niedrigem Niveau erkennen lassen. Es zeigt sich hier auch der politische Einfluss auf das Bildungssystem, das seit Jahrzehnten zum Zankapfel zwischen SPD und CDU / CSU geworden ist und damit zur Verhandlungsmasse zwischen Bund und Ländern geworden ist. Zentrale Konfliktthemen sind hierbei das dreigliedrige Schulsystem aus Hauptschule, Realschule und Gymnasium (CDU / CSU) und Gesamtschule (SPD). Hintergrund ist die schwache Bildungsbeteiligung der Kinder aus bildungsfernen Haushalten die in Deutschland im internationalen Vergleich sehr gering ist. Diese Forderung gehört zum Kern sozialdemokratischer Politik und spiegelt sich in der Grafik 37 wider. Bundesländer mit hohen Abiturientenquoten sind alle östlichen Bundesländer einschließlich Berlin, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Hessen und das Saarland. Die Situation in den östlichen Bundesländern könnte Ausdruck der bei der Wiedervereinigung getroffenen Entscheidung dieser Bundesländer sein, das dreigliedrige Schulsystem der alten Bundesländer nicht zu übernehmen und im Sekundarbereich (ab Klasse 5) ein zweigliedriges Schulsystem einzuführen. Auch in den alten Bundesländern hat sich die Situation durch anhaltende Kritik am dreigliedrigen System stark verändert, so dass nur noch in Bayern von einem reinen dreigliedrigen System gesprochen werden kann.

Eine weitere Einflussgröße sind die Modalitäten der Abiturprüfungen, die ebenfalls in der Hoheit der Bundesländer durchgeführt werden. Hier ist ebenfalls ein Impuls von der Widervereinigung ausgegangen, indem sich vier der fünf neuen Bundesländer für ein Zentralabitur ausgesprochen haben. Lediglich Brandenburg und Berlin hatten sich für das seinerzeit in Nordrhein-Westfalen praktizierte dezentrale Abitur ausgesprochen. Derzeit wird lediglich noch in Rheinland-Pfalz ein dezentrales Abitur abgelegt. Eine Vergleichbarkeit der Abiturprüfungen zwischen den Bundesländern ist weder beim Zentralabitur noch beim dezentralen (schulbezogenen) Abitur gegeben, so dass immer wieder Anspielungen auf das Prüfungsniveau die Wertstellung der Bundesländer betont wird. Insbesondere galt das bayrische Abitur lange als besondere Herausforderung (siehe diverse Webangebote wie z. B. superprof.de).

Zur Grafik 37 ist abschließend festzustellen, dass hier weniger geographisch-räumliche Aspekte zum Ausdruck kommen als vielmehr politische und anthropologische Grundhaltungen, die hier nicht vertieft werden sollen.

Am anderen Ende des Chancenniveaus im Bildungssystem stehen Schulabgänger ohne Schulabschluss. In Grafik 38 sind die Bereiche hoher Quoten mit den ostdeutschen Bundesländern ohne Brandenburg identisch. Von den Bundesländern der alten Bundesrepublik zeigen die Bundesländer Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und das Saarland sowie die Stadtstaaten Bremen und Hamburg ähnliche Strukturen wie die östlichen Länder. Gleiches gilt für den oberfränkischen Bereich Bayerns. Auch hier sind in erster Linie politische Entscheidungen als Hauptursachen für die räumlichen Unterschiede anzunehmen.

Insgesamt zeigt sich aus den Ergebnissen für Anfang und Ende des staatlich vermittelten Chancenspektrums, dass es hier starke Unterschiede gibt, die weder der Bevölkerung noch den Lehrern anzulasten sind, sondern den Regierungen in den Bundesländern, die zuwenig Weitsicht, zuwenig Geld und / oder zuwenig Achtung vor dem Recht auf Bildung haben.

In einem letzten Block wird die Finanzsituation der Kommunen anhand einiger Kennzahlen der Grafiken 39 bis 41 dargestellt. Bei der in Grafik 39 dargestellten Einkommensteuer – die eine Bundessteuer ist – handelt es sich um den Anteil, der den Gemeinden in Höhe von 15% des Aufkommens an Lohn- und an veranlagter Einkommensteuer sowie 12% des Aufkommens an Kapitalertragsteuer im jeweiligen Bundesland zusteht (genaueres siehe Erläuterungen des Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung: www.bbsr.bund.de). Gemeinden mit gut verdienenden Einwohnern haben damit Vorteile gegenüber Gemeinden mit geringem Einkommen. Dagegen ist die Gewerbesteuer (Grafik 40) die wichtigste Steuer, die den Gemeinden allein zusteht und deren Höhe sie selbst bestimmen. Beide Steuern offenbaren die relative Armut der ostdeutschen Gemeinden, die auch hinsichtlich der Gewerbesteuer im ehemaligen „Zonenrandgebiet“ der ehemaligen deutsch / deutschen Grenze zu sehen ist und auch den Osten Bayerns und den Süden von Rheinland-Pfalz betrifft. Die größten Gewerbesteuer-Einnahmen werden in einem breiten Bogen erzielt, der sich von der schleswig-holsteinischen Nordseeküste über Hamburg, Bremen, Bielefeld, Frankfurt, Mannheim bis München erstreckt. Daneben gibt es einige solitäre Zentren, die teilweise im Strukturwandel befindlich sind und vor allem das Ruhrgebiet in Nordrhein-Westfalen und das südliche Baden-Württemberg betreffen. Im Osten gibt es innerhalb Brandenburgs mit dem Spreewald eine „Wohlstandsinsel„, die sich aus den ostdeutschen Ländern abhebt.

Abgesehen von der besonders prekären Lage der in den östlichen Bundesländern liegenden Gemeinden ist darüber hinaus hinsichtlich der Einkommensteuer  in den westlichen Bundesländern ein starkes Süd-Nord Gefälle zu sehen, dass seinen Schwerpunkt im Großraum München hat und sich bis in den Raum Nürnberg fortsetzt.

Eine weitere Einflussgröße für die Finanzkraft der Gemeinden ist deren Steuerkraft. Diese wird durch Anwendung fiktiver Hebesätze auf die jeweiligen Grundbeträge der Grundsteuern und der Gewerbesteuer ermittelt. Die fiktiven Hebesetze sind für alle Gemeinden gleich und über viele Jahre stabil gehalten worden. Bezüglich der Grundsteuer, die von allen Grundstückseigentümern zu zahlen ist, wird ab 2025 eine Neufestsetzung der Grundbeträge und wahrscheinlich eine Neufestsetzung der Hebesätze erfolgen.

Die Ermittlung der Steuerkraft ist die Grundlage für eine weitere Einnahmequelle der Gemeinden, die von den Ländern als Schlüsselzuweisungen ohne Zweckbindung gezahlt werden. Je höher die Steuerkraft ist, desto geringer fallen die Schlüsselzuweisungen aus. So soll ein gerechter Finanzausgleich zwischen den Gemeinden erreicht werden. Hieraus ergibt sich für die ostdeutschen Gemeinden eine starke Abhängigkeit von den Bundesländern.

Zum Abschluss dieser Betrachtungen zeigt Grafik 42 einen Überblick über die grundlegend verschiedenen Raumtypen Stadt und Land, die für die Ausstattung mit Infrastruktur sowie für Klima, Natur und Sotzialverhalten vorstrukturierende Bedeutung haben. Es zeigt sich, dass der gesamte ostdeutsche Raum als ländlicher Raum klassifiziert ist. Ausnahmen bilden die städtischen Räume Berlin, Potsdam, Magdeburg, Halle, Leipzig, Dresden, Erfurt und Chemnitz sowie eine städtisch geprägte Raumfolge vom Erzgebirgskreis bis zum Weimarer Land. Hier wird nochmals deutlich, dass die Strukturen der ehemaligen DDR mit der Einbindung des Staates in den Einflussbereich der ehemaligen Sowjetunion zu einer geringeren Verstädterung des Raumes geführt haben und bis heute bewusst und / oder ungewollt – d. h. faktisch – bis in die Gegenwart weitgehend weiter bestehen.

Über Fidelio

Ich bin 1949 geboren und war in meiner berufstätigen Zeit als Stadtplaner in einer mittelgroßen kommune tätig. Seit meiner Studienzeit habe ich mich für die Entwicklung eines erweiterten geistigen Horizonts interessiert und einige Anstrengungen unternommen, mich persönlich in diesem Sinne zu entwickeln. Aufgrund meiner katholischen Erziehung habe ich in den 1960-er Jahren begonnen, mich intensiver mit dem modernen Mystiker Teilhard de Chardin zu befassen und bin so zur Gedankenwelt von Ken Wilber gekommen, die ich in diesem Projekt nutzbar zu machen versuche.
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