Eine kurze Geschichte von den Anfängen der Kultur
In der Evolution der menschlichen Kulturen hat sich Blau seit dem Ende der Eiszeit entwickelt und ist eng mit dem Übergang von dörflichem Leben zu städtischem Kulturen verbunden. Nach derzeitigem Stand der Forschung ist es etwa im 4. Jahrtausend v. Chr. im Zweistromland zur Herausbildung der ersten Städte gekommen. Hierbei haben die Entstehung der Religion und des damit verbundenen Königtums eine entscheidende Rolle gespielt. Typisch für die in dieser Zeit entstandenen Städte im Zweistromland von Euphrat und Tigris sind die arbeitsteilig organisierten Strukturen, die sich um einen Kern aus Königspalast und als Zikkurat bezeichneten Stufentempeln angesiedelt haben. In diesen Städten zeigt sich in Europa zum ersten Mal die Verteilung von Macht innerhalb der Gesellschaft.

Die in den Städten Mesopotamiens und Anatoliens geschaffenen Strukturen wurden zum Muster für die Gestaltung der europäischen Kultur und sind bis in die Gegenwart nachweisbar. In seiner vielbeachteten Kulturgeschichte in 100 Objekten (Titel: A History of the World in 100 Objects) hat der Kunsthistoriker und ehemalige Direktor des Britischen Museums, Neil MacGregor, diese Zusammenhänge durch den abgebildeten Silberteller symbolisiert.
Dieser Teller entstand im 4. Jh. und zeigt einen König auf der Jagd. Derartige Silberteller wurden von den Sassanidenkönigen in riesigen Mengen verwendet und als diplomatische Geschenke überall in Asien verteilt. Sein symbolischer Gehalt ergibt sich aus Ort und Zeit seiner Entstehung und dieser Zweckbestimmung. Der auf dem Teller dargestellte König ist Schapur II., der von 309 bis 379 sehr erfolgreich das iranische Großreich regierte, das vom Euphrat bis zum Indus reichte und in Konkurrenz zum römischen Reich stand. In Rom war das Christentum gerade zur Staatsreligion geworden, die iranische Herrscherdynastie der Sassaniden gehörte jedoch der iranischen Religion des Zarathustra an – sie gehörte ihr nicht nur an, sie repräsentierte sie auch. MacGregor beschreibt ihre Rolle so: „Sassanidenkönige waren nicht nur weltliche Herrscher, sie waren Herrscher von Gottes Gnaden, und Schapurs vollständiger Titel betont seine religiöse Rolle: «der gute Verehrer Gottes, Schapur, König von Iran und Nichtiran, dessen Geschlecht von Gott ist, der König der Könige».“
MacGregor zitiert den Historiker und Autor Tom Holland, der die Bedeutung Zarathustras für die abrahamitischen Religionen betont: „«Zoroaster ist der allererste Prophet in dem Sinne, in dem man Moses oder Mohammed als Propheten beschreiben würde. Niemand kann ganz genau sagen, wann und ob er überhaupt lebte, aber wenn es ihn wirklich gab, dann lebte er vermutlich um das Jahr 1000 v. Chr. in der zentralasiatischen Steppe. …Die Lehre des Zoroaster dürfte für jeden vertraut klingen, der als Jude, Christ oder Muslim aufwuchs. Zoroaster lehrte als erster Prophet, dass das Universum Schauplatz des Kampfes zwischen den Mächten des Guten und des Bösen sei. Er verkündete als Erster, dass die Zeit kein endloser Kreislauf ist, sondern ein Ende haben wird: Es wird zu einer Endzeit kommen, zu einem Jüngsten Gericht. All diese Vorstellungen haben Eingang gefunden in den abrahamitischen ‹Main-stream› von Judentum, Christentum und Islam.»
MacGregor deutet den auf einem Hirsch reitenden König Schapur II., der sein Reittier während des Reitens mit dem Schwert tötet, als Metapher für den schützenden Herrscher, der ganz bestimmte Arten von Tieren, die seine Untertanen bedrohten – Raubkatzen, die Vieh und Geflügel rissen, Wildschweine und Hirsche, die Getreidefelder und Weiden verwüsteten. Nach zoroastrischer Vorstellung ist es Aufgabe des Königs, seine Macht zur Bekämpfung des dämonischen Chaos, wie es durch diese Tiere symbolisiert wird, einzusetzen. Er erfüllt damit den Auftrag zur Vernichtung des Ur-Bösen – zum Erhalt der göttlichen Ordnung – und sichert damit gleichzeitig seine Macht als König gegen seine Widersacher.
Guitty Azarpay, als Spezialistin für asiatische Kunst an der Universität Berkeley, fasst den Ausdrucksgehalt des Motivs nach MacGregor zusammen: «Es handelt sich sowohl um ein säkulares Bild – weil natürlich die meisten Menschen in den meisten Ländern, insbesondere in Iran, Freude am Jagen hatten – als auch um den Ausdruck der damaligen zoroastrischen Ideologie. Der Mensch ist Gottes Waffe gegen die Finsternis und das Böse, und er dient dem endgültigen Sieg des Schöpfers, indem er sich an das Prinzip des rechten Maßes hält und ein Leben führt, das von gutem Reden, guten Worten und guten Taten bestimmt ist. Damit kann der fromme Zoroastrier auf die bestmögliche Existenz in diesem Leben und spirituell auf das beste Paradies im Jenseits hoffen. Der beste König ist derjenige, der als Staatsoberhaupt und Glaubenswächter für Gerechtigkeit und Ordnung sorgt und der sich als oberster Krieger und heldenhafter Jäger erweist.»
Zu den unabweisbaren anthropologischen und geschichtlichen Tatsachen gehört die Gewalt, die meistens in Verbindung mit Gerechtigkeit auftritt. Die Geschichte des Christentums durchzieht eine breite Spur blutiger und grausamer Übergriffe auf das Leben. Angefangen von der erlittenen Gewalt in der Christenverfolgung über die Kreuzzüge, die Katharerkriege, die Hexenverbrennungen und die Inquisition bis hin zu innerkirchlichen Auseinandersetzungen und sexualisierter Gewalt in der Gegenwart ist sie nahezu überall als verdeckte oder offen ausgeübte Form der Machtausübung zu belegen. Das Christentum unterscheidet sich darin nicht von anderen Religionen und Christen unterliegen den gleichen Charakteranlagen wie andere Menschen. Immerhin kann es darauf verweisen, dass es schon früh diese Befangenheit erkannt hat und versucht hat, diese Antriebe zu kultivieren. So entstand die Idee des gerechten Krieges, die laut Kirchenvater Augustinus den gezielten Einsatz von Gewalt an drei unerlässliche Bedingungen knüpft. Der gerechte Krieg bedarf der Autorisierung einer legitimierten Herrschaft, es muss einen gerechten, nachvollziehbaren Anlass geben, und er muss in rechter Absicht geführt werden.
Darüber hinaus kennt auch das Christentum den heiligen Krieg, der zwar Elemente des gerechten Krieges aufnimmt, jedoch die Gewaltausübung selbst als eine religiöse Dimension ansieht.
Prinzipiell gelten die Voraussetzungen für die Anwendung staatlicher Gewalt auch im Verhältnis zwischen Staat und Bürgern. Hier sind sie in hohem Grad formalisiert und ihre Anwendung ist mit vielen Unsicherheiten behaftet, die eine ständige Auseinandersetzung mit ihrer Anwendung zur Folge hat und immer häufiger Zweifel an ihrer gerechten Anwendung aufkommen lässt. Die zur Überprüfung solcher Zweifel autorisierten Gerichte sind überlastet oder die Anrufung dieser Gerichte wird erschwert.
Ein weiterer Pfad der Gerechtigkeit ist die Verteilung gesellschaftlichen Reichtums an die Mitglieder der Gesellschaft. In den letzten Jahrzehnten hat sich der Abstand zwischen den Reichen und Armen bedeutend vergrößert und zu dem Eindruck geführt, dass die Rechtsordnung – global wie auch in einzelnen Staaten – nicht mehr gerecht ist, wobei diese Feststellung relativ ist.