China in „Schlaglichtern der Geschichte“

Angewandter Konfuzianismus

Die nächtlichen Vergnügungen des Han Xizai von Gu Hongzhong (Ausschnitt), 10. Jahrhundert. Bei dem Bild handelt es sich um ein Rollbild, einen frühen Vorläufer des Films im alten China. Es handelt sich um einen ca. 3 m langen, auf Seide gemalten Streifen, der an beiden Enden auf Stäbe aufgerollt wurde und von rechts nach links – wie auch die chinesische Schrift – betrachtet wurde.

Bei den nachfolgenden Erläuterungen zu dem Bild stütze ich mich auf das im Taschen-Verlag erschienene Buch „Bildbefragungen. 100 Meisterwerke im Detail“ von Hagen, Rose-Marie / Hagen, Rainer. Die kenntlich gemachten Zitate sind diesem Buch entnommen.

Das Bild zeigt eine Szenenfolge, die eine Abendgesellschaft im Haus eines hohen Beamten zeigt. Der Gastgeber – Han Xizai (engl.) – ist erkennbar an der dunklen Tracht und der geflügelten „Literatenkappe“ aus schwarzer gestärkter Seide, bei der es sich um die offizielle Kopfbedeckung der Tang-Beamten handelt, die nur zum Schlafen abgelegt wurde. An der Höhe seiner Kappe lässt sich sein Rang in der Regierung ablesen.

»Han gehörte zur Elite der gelehrten »Literatenbeamten«, die sich in einer Serie von landesweiten Examen qualifizieren mussten. Nach jahrelangem Studium der konfuzianischen Klassiker regierten sie als Verwalter, Richter und Minister China im Namen des Kaisers. In einer hierarchischen Gesellschaft, in der nach den Lehren Konfuzius‚ jeder zuerst dem Allgemeinwohl verpflichtet war, stellte man an diese Klasse höchste Anforderungen. Ihr Amt sollten sie nicht nur effizient, sondern auch mit der angemessenen moralischen Überlegenheit ausüben, durch würdiges Auftreten und tugendhafte Lebensführung für alle ein Beispiel geben. Gegen diese strengen Regeln verstieß der auf den ersten Blick so würdige Han Xizai.«

Han Xizai war vom Kaiser für den Posten des ersten Ministers vorgesehen und sollte im Auftrag des Kaisers durch den Maler bezüglich seines Lebenswandels ausspioniert werden. Dem Kaiser war zugetragen worden, im Haus des Beamten fänden allabendlich wüste Orgien statt, und der Maler sollte diese bildlich dokumentieren.

Die Reportage führt immer weiter in das Haus des Beamten hinein, wo die Sitten mit fortschreitender Nacht weniger streng werden, sich aber in den Augen der modernen Menschen recht harmlos auf aufgelockerte Kleidung und diskrete Körperkontakte beschränken. In China muss man das anders, strenger gesehen haben. In der ersten Szene ganz rechts auf dem Rollbild geht es noch sehr förmlich zu. Sie spielt am frühen Abend im Empfangsraum des Hauses, und nur am rechten Bildrand gewähren zurückgezogene Vorhänge einen Blick auf ein rot bedecktes Bett in dem sich unter der Bettdecke vielleicht jemand verborgen hält. Auf dem Tisch ist für ein reichliches Essen angerichtet. Ein Dichter beschreibt, welche Speisen bei solch einem Essen üblich waren:

»Purpurn ragt das Kamelhöckerfleisch / aus Pfannen, grün glasiert, / auf Platten von Bergkristall werden die zarten weißen Fische serviert. / Die Stäbchen von Rhinozeroshorn, / vor Sattheit kaum jemand bewegt, / mit Glöckchen behangene Messer haben / umsonst all die Speisen zerlegt

»Hier regieren Luxus und Überfluss. Die satten Teilnehmer der nächtlichen Vergnügungen genießen die Musik, im übrigen China herrschen Elend und Hungersnot. Lokale Kriegsherren kämpfen dort um die Macht. Nur ein kleines Reich in der fruchtbaren Gegend südlich des Yangzi-Flusses hat den Zusammenbruch der alten Ordnung überlebt. Hierher sind viele Angehörige der Oberschicht geflohen. Hier zelebrieren sie noch für kurze Zeit den Lebensstil der Tang-Hochkultur.«

Was auf dem Bild im linken Teil nur angedeutet ist, beschreibt der Eintrag im Sammlungskatalog eines Song-Kaisers ca. 150 Jahre nach der Entstehung des Bildes: »Der Sekretär für Inneres, Han Xizai, war besessen von schönen Sängerinnen und veranstaltete nachts endlose Trinkgelage. Er legte seinen Gästen keinerlei Zurückhaltung auf, erregt und mit wildem Geschrei mischten sie sich unter die Damen

Eine Anekdotensammlung aus derselben Zeit liefert weitere Details: Bis zu 100 (!) Dienerinnen und Konkubinen, Sängerinnen und Schauspielerinnen habe Han Xizai in seinem Haus gehalten und für sie sein Familienvermögen durchgebracht. Weil sein Beamtengehalt, »wie der Klang eines Glöckleins verflog« und für den Haushalt nicht reichte, erbettelte Herr Han Xizai Geld fürs Essen von seinen Damen, verkleidet als blinder Spielmann. Der Maler zeigt ihn im Laufe der Nacht beim Schlagen einer großen Trommel, die in der ersten Szene rechts neben dem Podest steht.

Eine Erklärung für die seltsamen Vorgänge in seinem Haus zeugen von der Weitsicht des Beamten: »lch will in der Geschichte nicht als Narr dastehen!«, soll Han Xizai einem Freund, dem Daoistischen Mönch Deming, anvertraut haben. Da er fürchtete, Premierminister werden zu müssen, handelte er »so, um meiner Ernennung zu entgehen«. »Sobald ein wahrer Sohn des Himmels in der großen Ebene auftaucht wird dieses kleine südliche Reich in einer Sekunde besiegt sein.« Er blieb am Hofe, entzog sich aber der politischen Verantwortung, indem er seinen Ruf bewusst durch Orgien zerstörte.

Die Kaiser der Tang-Dynastie hatten fast 300 Jahre lang für äußeren und inneren Frieden und Prosperität in ganz China gesorgt. Sie haben daraus nicht nur das am besten regierte, sondern auch das wahrscheinlich zivilisierteste Land der Welt gemacht. Über die Seidenstraße betrieben sie Fernhandel – in einer der heutigen nicht unähnlichen Epoche der Öffnung und Internationalität. Doch unter unfähigen Kaisern brach die Tang-Dynastie 907 endgültig zusammen, Bürgerkriege verwüsteten das Land, bis es einem General aus dem Norden endlich gelang, alle Rivalen zu besiegen und eine neue, die Song Dynastie zu begründen, die dann fast 300 Jahre lang China regierte.

Der durch einen Militärputsch an die Macht gekommene Chao Khuang-Yin (Kaiser Song Taizu) vereinigte die Staaten erneut und unternahm alle Anstrengungen, sein Regime zu festigen. Dabei ging die größte Gefahr von den früheren Verbündeten um die Erringung der Macht aus. Es wird von einem klugen Schachzug berichtet, in dem er die Generäle, die ihm auf dem Weg zur Macht als Werkzeuge gedient hatten, zu einem üppigen Festmahl einlud, und jedem von ihnen ein großes Landgut und die Geldmittel, es zu bewirtschaften, versprach – sofern sie ihren militärischen Posten aufgäben. Dieses Angebot war so überzeugend, dass am nächsten Morgen alle ihren Abschied nahmen.

Dennoch gelang es nicht, den Frieden mit den Resten des alten Regimes und benachbarten Völkern aufrecht zu erhalten und es kam zur Teilung des Landes und der Abspaltung eines südlichen Teilreiches. Trotz der kriegerischen Wirren gelang es, den kulturellen und technischen Fortschritt aufrecht zu erhalten und zu neuen Höhen zu führen. Die Dichtkunst machte gelehrter Prosa Platz und an die Stelle von Religion trat spekulative Philosophie. Die Wasserbautechnik wurde durch die Entwicklung von Schleusentoren, Vermessungsgeräten und wasserdichte Senkkästen verbessert. Das Wissen über Architektur wurde in einem umfassenden Buch zusammengefasst. In der Seefahrt wurde die Navigation durch die Anwendung des Magnetkompass erleichtert. Das Wissen auf dem Gebiet der Chemie wurde in einem Buch gedruckt. In der Waffentechnik wurde das Schießpulver bei Katapultgeschossen eingesetzt und es gab erste Versuche zur Entwicklung von Raketen. In Botanik, Pharmazie und Medizin wurden ebenfalls große Fortschritte erzielt. Das Fortschrittsklima der Song-Dynastie brachte ebenfalls große Gelehrte wie Shen Kuo hervor. Vor allem auf dem Gebiet der Algebra brachte es große Gelehrte wie Chhin Chiu-Shao, Yi-Leh und Yang Hui hervor.

Auf dem Gebiet des Finazwesesens und in der Lebensmittelversorgung gab es ebenfalls große Fortschritte. Needham berichtet von Budgeteinsparungen von etwa 40%, die dadurch möglich wurden, dass die Verwaltung des Staatsschatzes besser kontrolliert wurde und bei der Vergabe von Aufträgen große Einsparungen erzielt wurden. Das zur Versorgung der Bevölkerung erforderliche Getreide wurde nicht mehr in der Hauptstadt gelagert sondern in allen großen Städten zum Verkauf vorgehalten. Neben dem Kreditsystem privater Geldverleiher wurde ein staatliches Kreditsystem für Bauern eingeführt. Von der Zwangsarbeit konnte man sich seit dieser Zeit freikaufen.

Die öffentliche Moral wurde durch eine Art Sozialkontrolle reguliert, bei der 10 Familien zu einem Haftungsverband zusammengefasst wurden und kollektiv für Verfehlungen eines Mitglieds verantwortlich gemacht wurden. Die Pflicht zum Wehrdienst basierte ebenfalls auf diesen Einheiten. Diese Gesellschaftsreformen stießen auf großen Widerstand in der Bevölkerung und konnten sich nur teilweise und zögerlich durchsetzen.

Der letzte Song-Prinz wurde 1279 in einer Seeschlacht von den Mongolen getötet. Die siegreichen Mongolen, die in dem Zusammenprall der nomadischen Kultur der Steppe und der sesshaften Kultur der Bauern im 13. Jahrhundert Sieger blieben, konnten sich nun als Herren über ganz China betrachten. Die von den Mongolen gegründete Yuan-Dynastie dauerte von 1279 bis 1368. Der ursprüngliche Plan der Mongolen, die chinesiche Kultur zu zerstören und das Land versteppen zu lassen konnte von der chinesischen Führungsschicht durch Überzeugungsarbeit vereitelt werden und eröffnete ihr die Möglichkeit, durch Kooperation einen Genozid zu verhindern. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass die Kenntnis von China in Europa zu keiner vormodernen Zeit größer war, als zur Zeit der Mongolenherrschaft, die vom Himalaya, dem Gebiet östlich von Peking und im Süden von Kanton bis nach Budapest reichte. In diesem Herrschaftsbereich wurde das Reisen sicherer und das Staßensystem verbessert. Daraus resultierten ebenfalls Verbesserungen der geografischen Kenntnisse.

Die nächste bedeutende Station in der Zeitleiste ist die Ming-Dynastie, die von 1368 bis 1644 bestand, die mongolische Herrschaft der Yuan-Dynastie in China ablöste und im 17. Jahrhundert durch die Qing-Dynastie abgelöst wurde.

»Die Ming machten Nanking im östlichen zentralen Wirtschaftsgebiet zu ihrer Hauptstadt. Sie schufen neue Gesetze, führten neue Bewässerungsprojekte durch und kämpften gegen die Mongolen, wobei sie deren Hauptstadt Karakorum einnahmen und die Flüchtlinge nach Norden bis zum Jablonowygebirge verfolgten, weiter, als eine chinesische Armee je gekommen war. Die Mandschurei wurde annektiert. Einige Zeit nach dem Tod von Hung Wu. dem ersten Ming-Kaiser, hatte China selbst unter einem Bürgerkrieg zu leiden, als die Nachfolger des Kaisers um die Macht stritten. Als schließlich 1403, der Friede wieder einkehrte, wurde die Hauptstadt nach Peking verlegt, und unter Chu Ti, dem dritten Ming-Kaiser, trat das Land in die Yung-Lo-Periode ein.

Wenn auch die zentralasiatischen Besitzungen zusammengeschrumpft sein mochten, unternahmen die Chinesen doch gerade in dieser Phase weite Seefahrten, und es begann die große Zeit der maritimen Entdeckungen.« Im Jahre 1405 begann die Erkundung der Südsee und des Indischen Ozeans mit einer Flotte aus 63 hochseetüchtigen Dschunken. In den nächsten 30 Jahre wurden sieben weitere ähnliche Expeditionen unternommen, und alle kehrten mit geographischen Informationen und Waren zurück. Diese Expeditionen brachten China viele geografische Erkenntnisse, eine direkte Auswirkung auf Politik und Wirtschaft hatten sie jedoch nicht. Den Einfluss im Indischen Ozean überließ China den Arabern und Portugiesen. Ab 1514, kamen zunehmend Europäer an die chinesische Küste; die Engländer das erste Mal 1637. Ab 1565 spielten die Spanier, die in diesem Jahr die Philippinen erobert hatten, eine zunehmende Rolle in China.

In wirtschaftlicher Hinsicht wurden von der Ming-Dynastie folgenschwere Weichenstellungen vorgenommen. Ab 1423 ist der allgemeine Gebrauch von Silber als Zahlungsmittel für das Jangtse-Delta belegt. Ab 1465 bezahlten die Provinzen ihre Tribute an die Zentralregierung in Silber, ab 1485 Bauern und Handwerker ihren Loskauf von öffentlichen Arbeiten.

Die Entwicklung verstärkte sich, als die nunmehr erstmals mit China in Handelsbeziehungen tretenden Spanier und Portugiesen das Metall in größeren Mengen aus Südamerika importierten. Allerdings wurde es nicht zu Münzen geschlagen, sondern war vielmehr in Form von Barren zu einem Liang (36 Gramm) in Umlauf, wenngleich das tatsächliche Gewicht wie auch die Reinheit des Metalls regional differieren konnte. Damit hatte sich China weitgehend abhängig vom Silber gemacht und – da es selbst keine erschlossenen Silbervorkommen hatte – damit auch von Spanien, das reichlich davon in seinen amerikanischen Kolonien besaß.

»Während der Ming-Zeit erneuerte China seine einheimische Kultur. Verteidigungsanlagen, gepflasterte Landstraßen, Steingärten, Brücken, Tempel und Schreine, Gräber und Gedenkbögen im Überfluß gebaut, und die Mauern von 500 Städten wurden von Grund auf erneuert. Die Bürokratie erstand wieder, und im Jahre 1469 gab es um die 80.000 Militärbeamte und über 100.000 Bedienstete in der zivilen Verwaltung. Jedoch wurde die Bürokratie bald durch einen internen Machtkampf zwischen Eunuchen und konfuzianischen Gelehrten zerrissen, wobei die Eunuchen schließlich die Oberhand gewannen. Von der Bürokratie ausgeschlossen, schlossen sich die Gelehrten in Organisationen zusammen, die teils den Charakter von Akademien, teils von politischen Parteien hatten.« In dieser Zeit entstand das Yongle Dadian, das als die umfangreichste Enzyklopädie des chinesischen Altertums gilt. Sie wurde von über 3.000 Gelehrten erstellt und im Jahre 1408 abgeschlossen. Von diesem Werk ist nur ein geringer Teil erhalten geblieben. In der Philosophie wurde das Zeitalter von Wang Shouren beherrscht, der sich von einem wissenschaftlichen Humanismus zu einem recht antiwissenschaftlich eingestellten Idealismus hinbewegte.

Zu Beginn des 17. Jahrhunderts verschlechterte sich die Stellung der Ming-Regierung. Die Steuern waren hoch und viele Mißstände traten auf. 1616 ging die Mandschurei verloren, acht Jahre später gelang es einem Rebellenführer durch Verrat, in die Hauptstadt zu gelangen, woraufhin der letzte Ming-Kaiser Selbstmord beging. Um die Ordnung wiederherzustellen, wurden die Mandschu zu Hilfe gerufen, aber einmal herbeigeholt, wollten sie nicht mehr gehen, und von 1644 bis zum Ende des Kaiserreichs regierte die Qing-Dynastie in ganz China. Unter ihrer Macht vollzog sich die Erniedrigung Chinas durch die Europäischen Mächte und es schließt sich der Kreis zur Europäisierung Chinas, wie sie im ersten Teil dieses Beitrags dargestellt ist.

Über Fidelio

Ich bin 1949 geboren und war in meiner berufstätigen Zeit als Stadtplaner in einer mittelgroßen kommune tätig. Seit meiner Studienzeit habe ich mich für die Entwicklung eines erweiterten geistigen Horizonts interessiert und einige Anstrengungen unternommen, mich persönlich in diesem Sinne zu entwickeln. Aufgrund meiner katholischen Erziehung habe ich in den 1960-er Jahren begonnen, mich intensiver mit dem modernen Mystiker Teilhard de Chardin zu befassen und bin so zur Gedankenwelt von Ken Wilber gekommen, die ich in diesem Projekt nutzbar zu machen versuche.
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