Biden oder Trump – Ein integraler Chancenvergleich (I)

Künstliche Intelligenz oder Der ganz normale Wahnsinn

Es ist nach der Beschreibung einiger Grundlagen von KI nicht sehr verwunderlich, dass hier Ähnlichkeiten mit dem Verhalten von Kleinkindern erkennbar sind. In einem Artikel der Zeitschrift „Spektrum der Wissenschaft“ geht der Bewusstseinsforscher Anil K. Seth (engl.) darüber hinaus und verallgemeinert auf die Erfahrungs- und Verständnisebene der „gewöhnlichen“ Menschen: „Unsere Wahrnehmungswelt besteht aus kontrollierten Halluzinationen, mit denen das Gehirn Vermutungen über die letztlich unergründlichen Ursachen der sensorischen Signale aufstellt. Und die meisten von uns erleben solche kontrollierten Halluzinationen als real – allerdings nicht immer. Manche Menschen mit dissoziativen Störungen empfinden ihre wahrgenommene Welt oder sogar ihr eigenes Ich als irreal. Durch psychedelische Substanzen ausgelöste Wahnvorstellungen verbinden ein Gefühl der Unwirklichkeit mit lebhafter Wahrnehmung; das Gleiche gilt für so genannte Klarträume.

Mit der Entwicklung der Naturwissenschaften hat sich die Kenntnis über die Welt, die wir sehen, grundlegend verändert. Die Abhhängigkeit der menschlichen Wahrnehmung vom Ort und Zustand des Menschen kam bereits in dem berühmten Höhlengleichnis des Philosophen Platon als Vater der abendländischen Philosophie zum Ausdruck und erhielt ab dem 18. Jh. mit der Aufklärung sehr schnell nachweisbare Konturen, die zu einem neuen Weltbild führten, das gerade jetzt neue Impulse erhält, die abermals – und nun wohl unverbrüchlich – zu einer neuen wissenschaftlichen Revolution führen werden. Die mit der Rückkehr des Krieges nach Europa propagierte Zeitenwende hat höchstwahrscheinlich erst ihren Schatten auf das Feld geworfen, auf dem eine neue Saat aufgehen wird.

Wer sich in hoch beschleunigter Zeit den Blick für Veränderungen bewahrt hat, wird das Vertrauen in die Regenerationsfähigkeit der Natur nicht übersehen haben. Ein imposantes Beispiel ist die Regeneration der durch den Ausbruch des Vulkans Mount St. Helens 1980 zerstörten Natur. Diese unvermutete Wiederkehr des Lebens sollte Mut zur Hoffnung geben, dass aus der Neubelebung verloren geglaubter Ideen neue Fortschritte zum Wohle der Menschheit und ihres Heimatplaneten entstehen. In dem hier interessierenden Zusammenhang sind es die geistig-psychischen Grundlagen des Menschen und seiner Gesellschaften, die gleichzeitig am Anfang einer Rekreation des Lebensraumes stehen müssen.

Zu den grundstürzenden Ideen gehört das sich wandelnde Bild vom Gehirn, das nun als eine Art Vorhersagemaschine gesehen wird, die den individuellen Aspekten der Wahrnehmung gerecht wird. Demnach beruht die Wahrnehmung der Welt – und des Ichs in ihr – auf einem Prozess der neurobiologischen Vorhersage über die Ursachen sensorischer Signale, wobei die von den Sinnesorganen eingehenden Signale (Bottom-up) lediglich zur Korrektur des Top-down erzeugten Bildes dienen. Zurückgeführt werden solche Theorien in der Regel auf den deutschen Physiker und Physiologen Hermann von Helmholtz (1821–1894), der Wahrnehmung als einen Prozess der unbewussten Rückschlüsse betrachtete. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts griffen Kognitionsforscher sowie Experten für künstliche Intelligenz Helmholtz’ Gedanken wieder auf und prägten Begriffe wie prädiktive Codierung (predictive coding) und prädiktive Verarbeitung (predictive processing). Nach solchen Vorstellungen versucht das Gehirn festzustellen, was in der Welt draußen oder im Körperinneren vorgeht, indem es ständig möglichst plausible Hypothesen über die Ursachen seiner sensorischen Eindrücke aufstellt und aktualisiert.
Hierfür kombiniert es frühere Erwartungen oder »Überzeugungen« über die Welt mit den neu hinzukommenden sensorischen Daten und berücksichtigt dabei auch die Zuverlässigkeit der Signale. Mit Hilfe der bereits oben beschriebenen bayesschen Statistik lassen sich diese Hirnprozesse nachbilden. Durch die Informationen, die von den Sinnesorganen an das Gehirn gemeldet werden, können die intuitiv angestellten Vermutungen mit neuen Daten optimiert werden. Das wesentliche an dieser neuen Sichtweise ist die aktive Beteiligung des Gehirns, die nach vorläufiger Einschätzung von Wissenschaftlern 50% oder mehr Anteil an der Konstruktion der Wahrnehmung hat und als „kontrollierte Halluzination“ bezeichnet werden kann.

Um zu verstehen, wie dramatisch eine solche Sichtweise unsere intuitiven Vorstellungen von den neurobiologischen Grundlagen der Wahrnehmung auf den Kopf stellt, muss
man sich die Richtung der Signalströme im Gehirn vergegenwärtigen: Wenn wir die Wahrnehmung für ein direktes Fenster zu einer äußeren Realität halten, erscheint es
logisch, dass Informationen von den Sinnesorganen zum Gehirn fließen, also von unten nach oben (»bottom up«). Bei dem von oben nach unten (Top-down) gerichteten Ausgang des Informationsstroms mit der kontrollierten Halluzination spielt die an den Sinneseindrücken orientierte Vernunft eine nachrangige Rolle. Diese Schlussfolgerung hat den Arzt und Neurowissenschaftler Philipp Sterzer zu einem Buch mit dem Titel „Die Illusion der Vernunft“ angeregt, in dem er darlegt, dass dass der Mensch als rein rationales Wesen längst ausgestorben sei.

Es zeigt sich, dass der Volksmund auch hier auf Zusammenhänge hinweist, die aus der Alltagserfahrung gewonnen wurden und mit den Biographien großer Künstler und Wissenschaftler belegt werden können (siehe Bilder 1 bis 3). Als Beispiele nenne ich nur Vincent van Gogh, Robert Schumann und Friedrich Hölderlin. Diesem Zusammenhang wurde in den Jahren 2005/2006 unter dem Titel „MelancholieGenie und Wahnsinn in der Kunst“ in einer Ausstellung nachgegangen, die in Paris und Berlin stattfand.  In seinem einleitenden Text schrieb der französische Intellektuelle Yves Bonnefoy: „Melancholie, Genie, Wahnsinn – tatsächlich sind die Seinsweisen, die sie bezeichnen, einfach nur drei verschiedene Aspekte ein und derselben Begebenheit, die sich im Innersten der Beziehung des sprechenden Wesens zur Welt ereignet hat. Sie sind jeweils das Ergebnis der Entscheidung, die wir am Anfang der Sprache getroffen haben: die Wahrheit in die Bekundungen der begrifflichen Analyse zu legen, was uns, sei es in Gedanken, sei es im Handeln – bisweilen sogar im Gefühl – vergessen lässt, wie viel Unendlichkeit jedem noch so geringen zu seiner Zeit und an einem Ort existierenden Ding innewohnt; und als weitere Folge in unserem Leben, in unserem Schicksal, das Verkennen des Werts dieses oder jenes Wesens, obwohl dieser Wert absolut ist.“ Bonnefoy sieht den Menschen in seiner Beschränkung auf die Sprache – das begriffliche Denken – um die Möglichkeit ganzheitlicher Wahrnehmung gebracht und von der unmittelbaren Teilhabe an der Realität des Daseins abgeschnitten. Die Einheit mit dieser Realität sei daher nur durch „die Endlichkeit gewährleistet, wenn sie in ihrer Fülle gelebt wird; und daraus folgt, dass alles – und zuerst der Tod – zum Rätsel wird„. In dem Spannungsfeld aus unvollkommener Wahrnehmung und endgültigem Erleben ergibt sich die Hoffnung des Künstlers und die Bedrohung durch sein Scheitern in seinen Werken. Künstler und ihre Werke sind eingespannt zwischen die Ideale platonischer Schönheit und der Verheißung christlicher Transzendenz, d. h. Vollendung in der realen Welt oder im göttlichen Geist. Beide Wege haben ihre Berechtigung und sind sich in der Geschichte der europäischen Kultur – wie auch in anderen Hochkulturen – oft begegnet und haben sich gegenseitig gefördert.

Die kulturellen Bedingungen der Gegenwart haben sich seit der Moderne gegen Ende des 19. Jh. entscheidend verändert, so dass auch das Bildungssystem auf wirtschaftliche Effizienz ausgerichtet ist. Damit kommt die Förderung ästhetischer und ethischer Grundlagen bei den heranwachsenden Generationen der Gesellschaft zu kurz – obwohl der Bedarf hierfür gerade in Deutschland noch nie so groß war, wie seit dem Zustrom vieler Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und durch den Zerfall der gesellschaftlich wichtigen Grundstrukturen in den Familien.

Eine Auflösung dieses Dilemmas ist mit vertretbaren Aufwendungen am ehesten durch die Entwicklung integraler Ansätze möglich. Wesentliche Voraussetzung hierfür sind neue Methoden der Bildung und die Befähigung zur Kooperation über berufliche Einhegungen hinweg.

Die in den USA seit der Präsidentschaft Donald Trumps offenbar gewordene Spaltung der Gesellschaft hat deutlich gemacht, dass die neuen Erkenntnisse der Neurowissenschaften und die Möglichkeiten der Bewusstseinsmanipulation durch künstliche Intelligenz der Menschheit keine Wahl und auch keine Zeit lassen, den hieraus entstehenden Problemen Konzepte zur Seite zu stellen, die eine gesellschaftsfördernde Richtung erkennen lassen. Ein solcher – in Teilen bereits erprobter – Ansatz ist die von Ken Wilber publizierte Integrale Theorie, die Querbezüge zu vielen weiteren fortschrittlichen Konzepten, wie z. B. der von dem Biologen Rupert Sheldrake publizierten Theorie der morphischen Resonanz, ermöglicht. Zur Erläuterung des Zusammenhangs zwischen Integraler Theorie und morphischer Resonanz zitiere ich  Wilber:

Mit morphischer Resonanz ist ein Archetyp gemeint, der eine schon lange bestehende Form beschreibt, die durch ständige Wiederholung so verstärkt wurde, daß sie den Formbildungsprozeß bei allen späteren Holons derselben Art zu lenken vermag – also eine Gewohnheit der Natur bildet. Je öfter ein Holon wiederholt wird, desto »archetypischer« und durchsetzungsstärker ist es. So muß z. B. die prägende Kraft des Mutterarchetyps sehr groß sein, weil jeder Mensch die Muttererfahrung gemacht hat und daher eine starke Gesamtresonanz bestehen muß (ähnliches gilt für den Vater-Archetypus, den Schatten-Archetypus und andere). Demgegenüber ist jedoch die morphische Resonanz bezüglich des transzendierten Geistes wesentlich schwächer, denn an der Zahl der Mutter- oder Vaterbegegnungcn gemessen, ist die Anzahl der echten mystischen Erfahrungen wohl immer sehr, sehr klein gewesen. Gewiß haben die Mystiker der Vergangenheit eine holonische Resonanz in die Welt gesetzt, der wir alle weiterhin folgen können, aber das müßte, wenn wir allein diese Theorie (oder ähnliche) zugrunde legen, eine besonders schwache Resonanz sein, weil die Erfahrung so überaus selten ist. Tatsächlich jedoch macht der transzendierte Geist, wenn er denn über den Menschen hereinbricht, alle Archetypen vollkommen bedeutungslos, und seien sie noch so sehr Gemeingut: Er ist eben nichts Endliches, keine aus der Vergangenheit stammende Gewohnheit der Evolution, sondern er kommt mit der ganzen Wucht der Unendlichkeit aus der anderen Richtung.

Je mehr jemand sich an die höheren Archetypen »anschließt« – an die eigentlichen Archetypen, die Strukturpotentiale darstellen -, desto leichter können auch spätere Menschen sich in dieser Weise »anschließen«. Die großen Mystiker der Vergangenheit haben nicht zu bereits etablierten oder gar gängigen Mustern Zugang gesucht, sondern zu höheren Möglichkeiten, die erst noch zu verwirklichen waren, ihr Erbe war und ist nicht die Vergangenheit, sondern die Zukunft. Dem stimmt Sheldrake offenbar zu, wenn er sagt, daß morphische Resonanz nicht dazu taugt und nicht dazu da ist, schöpferische Emergenz zu erklären, und Geist ist von der Art der schöpf’erischen Emergenz, des strukturellen Potentials zum künftigen Höheren. Morphische Resonanz stanmt aus der Vergangenheit und kommt erst nach einer schöpferischen Emergenz ins Spiel. Hat sich ein morphisches Feld einmal gebildet, so kann es für spätere Holons von ähnlicher Tiefe ein Omega-Punkt werden. ( kursiver Text nach Ken Wilber: „Eros Kosmos Logos“, Anmerkung zu Sheldrake)

Unter der Annahme der Möglichkeit morphischer Resonanz ergibt sich in der politischen Situation der USA für die rivalisierenden Lager Trump und Biden das folgende Bild:

Hinweise zur Grafik: In dieser Grafik bildet sich das Gesamtbild für die beiden Spitzenkandidaten zur Präsidentschaftswahl global, im englischen Sprachraum und im deutschen Sprachraum ab. Das in der Beschriftung der Grafik angegebene Jahr 2009 bezieht sich nur auf das Ngram-Ergebnis, die Ergebnisse von Google und Bing stammen von April 2024.

Für den deutschen Sprachraum gibt es die gefühlte Präsenz von Donald Trump in den öffentlichen Diskussionen wieder. Hierbei scheint sich ein Zitat des römisch-katholischen Bischofs der Diözese Rochester im US Staat New York zu bewahrheiten, der als erster Teleevangelist gilt: „Eine Nation erhält stets die Art Politiker, die sie verdient.Unabhängig vom Ausgang der Wahl im Herbst 2024 entfaltet die von Trump ausgelöste Spaltung der USA schon jetzt politische Wirkungen in der internationalen Politik. So haben sich die europäischen Staaten wegen der von Trump angekündigten und von Biden nachvollzogenen „America first„-Politik auf enorm steigende Verteidigungslasten eingestellt und in der Wirtschaftspolitik Schutzmassnahmen für die europäische Wirtschaft nach amerikanischem Vorbild ergriffen.Vor allem das 1,75 Billionen Dollar (1,54 Billionen Euro) schwere Sozial- und Klimapaket hat zu grundsätzlichen Überlegungen zur Wirtschaftspolitik in Deutschland geführt.  Es ist also letztlich nicht der Name entscheidend, unter dem eine der Nation dienende Politik „verkauft“ wird, sondern die Zustimmung, die sie in der Bevölkerung findet – auch darum ist Bildung die erste und wichtigste Voraussetzung für die Demokratie!

Über Fidelio

Ich bin 1949 geboren und war in meiner berufstätigen Zeit als Stadtplaner in einer mittelgroßen kommune tätig. Seit meiner Studienzeit habe ich mich für die Entwicklung eines erweiterten geistigen Horizonts interessiert und einige Anstrengungen unternommen, mich persönlich in diesem Sinne zu entwickeln. Aufgrund meiner katholischen Erziehung habe ich in den 1960-er Jahren begonnen, mich intensiver mit dem modernen Mystiker Teilhard de Chardin zu befassen und bin so zur Gedankenwelt von Ken Wilber gekommen, die ich in diesem Projekt nutzbar zu machen versuche.
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Eine Antwort zu Biden oder Trump – Ein integraler Chancenvergleich (I)

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