Durchbrüche und Fortschritte – Gesichter Europa’s I

Garten der Villa d’Este, 1560-1575; Stich von Étienne Dupérac; Quelle: WIKIMEDIA Commons, gemeinfrei

6 . Ein neues Menschenbild Der abgebildete Garten gehört zur Villa d’Este, die seit 2001 in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes eingetragen ist. Zur Begründung wird u. a. angeführt, dass

  • sie eines der herausragendsten Beispiele der Renaissancekultur ist,

  • ihre Gärten einen massiven Einfluss auf die Entwicklung der Gartenarchitektur in Europa hatten,

  • die Prinzipien der Gestaltung und die Ästhetik der Renaissance in außerordentlicher Weise durch die Gärten der Villa d’Este illustriert werden.

Gärten repräsentieren in vielen Kulturen und Religionen einen geheiligten Bereich, eine Vereinigung des bewussten Ichs mit dessen unbewusstem Urgrund. Sie sind deshalb oft so angelegt, dass sie eine ganzheitliche Gestaltung widerspiegeln. Ihre Geschichte reicht daher bis in vorgeschichtliche Zeit zurück und ist eng mit der Entstehung des Ackerbaus verbunden.

Die Idee des Gartens fordert vielfältige Leistungen des Menschen heraus: Gärten unterliegen bestimmten Vorstellungen ihres Nutzens für die Menschen und müssen deshalb bepflanzt, gehegt und gedüngt werden. Pflanzen werden gepflückt und gestutzt und fordern zur Auseinandersetzung mit den Ansprüchen der Naturmächte heraus.

In spiritueller Hinsicht bieten Gärten die Möglichkeit zum Vergnügen und zur Kontemplation abseits der Zwänge des Alltagslebens. Das Wort für Garten bedeutet in vielen Sprachen auch Umfriedung und erinnert damit an von Mauern umgebene oder an verborgene oder mythische Gärten – an versteckte, übernatürliche Welten, die Zeit und Chaos transzendieren. Ihre Verbindung mit Klöstern hat daher nicht allein materielle Bedeutung. Seit dem Hochmittelalter gab es in Klöstern zunehmend auch Zier- oder Lustgarten, die der Ruhe und dem Gebet dienten. Diese Gärten entspricht in der christlichen Vorstellung der Paradiesgarten, der auf unterschiedliche Weise Fantasien des inneren Raums eines möglichen ganzheitlichen und verborgenen Plans oder eines vorbewussten Zustands von Unschuld und Harmonie anregt. Im Mittelalter projizierten Christen die Seele des paradiesischen kosmischen Gartens – unberührt, sich selbst zeugend und geborgen – auf die Jungfrau Maria.

Die vielfältigen Anknüpfungsmöglichkeiten an das raum-zeitliche Phänomen Garten haben zu einem großen Fundus an Metaphern geführt, die es ermöglichen, die gesellschaftliche Situation in geschichtlicher Perspektive darzustellen. Damit tritt neben die bildliche Darstellung in Malerei, Plastik und begehbarer Kunst in Form von Architektur ein weiteres begehbares Medium – die Gartenarchitektur.

Im Gegensatz zur Antike zeigt sich im Renaissance-Garten mit seiner strengen Geometrie eine Verfeinerung sowie die Gewalt der modernen Kultur, „denn um den gärtnerischen Vorstellungen zu entsprechen, wurden die Pflanzen zurechtgestutzt und beschnitten genauso wie in der bürgerlichen Gesellschaft von den Individuen ein hohes Maß an Anpassung an die Standards der Zivilisation erwartet wurde und wird (vgl. auch Elias: Über den Prozess der Zivilisation). Die Gewalt ist im Garten der Renaissance – wie im Fall des höfischen Rituals, das die angestrebte Herrschaft über die widerstrebenden Affekte subtil in elegante »Umgangsformen« (ver)kleidete und der bürgerlichen Kultur zum Vorbild diente – freilich in Ästhetik »aufgehoben«: eine »konforme« Schönheit. Gerade diese zurechtgestutzte Wohlgestalt des Gartens war freilich häufig die Kulisse für weniger zwanghafte, »artifizielle« Praktiken: Der Renaissance-Garten symbolisierte und inszenierte eine dionysische Kraft und Sinneslust, er diente als Kulisse romantischer Eskapaden und sexueller Hingabe allerdings nur für eine elitäre Adels- und Patrizier-Schicht.“ (Anil K. Jain: Medien der Anschauung – Theorie und Praxis der Metapher, Edition fatal)

Die römische Gartenkultur im Umland von Rom mit vielen „Gärten Eden“, in denen die gehobene römische Gesellschaft lustwandelte, stellte eine Quelle der Inspiration für die „Italienischen Gärten“ zur Verfügung. Für den Garten der Villa d’Este lag ein solcher Garten – die Villa Adriana oder Hadriansvilla – ganz in der Nähe. Die Sommerresidenz des im 2. Jh. zur Blütezeit Roms regierenden Kaisers Hadrian liegt in einer idyllischen Landschaft und ist eine Reminiszenz an das antike Griechenland. Der Reichtum Roms und der Anspruch des Kaisers, selbst Philosoph zu sein gingen hier eine Symbiose ein, die dem Wahlspruch römischer Lebensart folgte – Mens sana in corpore sano (ein gesunder Geist in einem gesunden Körper).

Kardinal d’Este hatte die Funktion des Statthalters von Tibur (heute Tivoli) inne und ließ ließ die verschüttete Hadriansvilla ausgraben um sie als Inspirationsquelle für die eigene Villa zu benutzen. Bei der Anlage seines eigenen Gartens sparte er nicht an Material und Luxus. Mit dem neu entstehenden Lustgarten wollte er seiner Macht Ausdruck verleihen und sich hiermit als möglicher Nachfolger des amtierenden Papstes legitimieren. Obwohl seine gesellschaftlichen Verbindungen sehr gut waren scheiterte er mit diesen Ambitionen und widmete sich nun verstärkt der Ausgestaltung seines Gartens. Er führte dem Kreis seiner Anhänger vor, wie eine Beherrschung der Natur durch den Menschen auf verblüffende Weise gelingt. Wesentliches Prinzip hierbei war die Kontrolle des Raums durch Symmetrien.

Der Garten der Villa d’Este wurde zum Vorbild für andere einflussreiche Römer und prägte auf diese Weise den Stil des Renaissancegartens wesentlich mit. Er forderte jedoch auch zum Widerspruch heraus, der sich in einer Gartenanlage in der Grafschaft Bomarzo zeigte. Im Jahr 1557 war der adlige Offizier im Dienst des Papstes, Vicino Orsino, Zeuge einer Schlacht zwischen päpstlichen Truppen und der Stadt Montefortino geworden, die in einem Massaker an der Zivilbevölkerung endete. Seine Empörung hierüber führte dazu, dass er seinen Dienst quittierte und sich auf seinen Landsitz in Bomarzo zurückzog. Er hatte ebenfalls philosophische Ambitionen und drückte diese durch die Gestaltung des Parco dei Mostri aus. Er ist das Gegenteil des auftrumpfenden Tivoli – ein Ort der Desillusion mit phantastischen Bauwerken und skulpturalen Ungeheuern. Dieser Garten soll ein Signal für Gleichgesinnte und ein Ort für Toleranz sein. Unter anderem ist in diesem Park ein schiefes Haus zu sehen, das den Betrachter dazu auffordert selbst in schwierigen Momenten die Ruhe zu bewahren – das Haus neigt sich, fällt aber nicht um. Orsinis Botschaft ist: Leben ohne Dogmen und Machtausübung!

Hieronymus Bosch: Der Garten der Lüste, Triptychon

Der Idee der totalen Beherrschung der Natur steht ein anderes Extrem gegenüber: Die Rückeroberung der Architektur durch die Natur. Nur die tolerante Reaktion des Menschen im Rückeroberungsprozess lässt dem Menschen eine Überlebenschance.

Das etwa um das Jahr 1500 gemalte Triptychon von Hieronymus Bosch wird heute allgemein als „Der Garten der Lüste“ bezeichnet. Als man es 1593 in das Kloster Escorial brachte, wurde es „Bild der Welt als Varieté“ genannt. Es gilt als schwer interpretierbar, obwohl – oder gerade weil – es das wichtigste Werk des Malers ist, der von 1450 bis 1516 lebte. Es bietet sich hier eine Interpretation an, die sich zwanglos an die beiden vorgestellten zeitgenössischen Gärten anschließt.

Das Thema wird auf der Außenseite der Tafeln durch einen Schriftzug angegeben. Demnach handelt es sich um den dritten Schöpfungstag, an dem Gott das bisher Geschaffene betrachtet. Die drei Innenseiten der Tafeln sind von links nach rechts zu lesen. Der linke Flügel zeigt die vertraute Welt christlicher Darstellungen mit Gott in der Gestalt Jesu mit Adam und Eva zu seiner Rechten bzw. zu seiner Linken. Im Vordergrund führt Gott Adam und Eva einander zu, um in Harmonie mit der Natur und allen ihren Geschöpfen leben zu können. Die Szene spielt in einer paradiesischen Landschaft deren Frieden lediglich durch die bizarren Umrisse eines Gebirges im Hintergrund angedeutet wird.

Die Mitteltafel zeigt die Menschheit, wie sie sich ganz den sinnlichen Begierden zuwendet, die in unerschöpflichen Variationen dargestellt werden. Bei dem dargestellten Badeteich mit dem Springbrunnen handelt es sich vielleicht um den in der Malerei des 16. Jahrhunderts sehr beliebten Jungbrunnen oder um ein Gewässer, in dem sich die Badenden von ihren Sünden freiwaschen wollen. Eine Schlüsselszene ist in der rechten unteren Ecke der mittleren Tafel zu sehen. Der aus einer Höhle auftauchende Adam zeigt auf die am Boden lagernde Eva, die noch die verbotene Frucht in der rechten Hand hält.

Die Folgen ihrer Überschreitung kann man auf der rechten Tafel sehen. Das warme Sonnenlicht ist nun der Nacht gewichen Der Mensch hat Städte gebaut und Feuer entfacht, das – außer Kontrolle geraten – durch die Landschaft wütet und eine Erde erhellt, die zur Hölle geworden ist. Bosch schildert die Höllenqualen, denen die gesamte Menschheit ausgeliefert wird. Seine Vorstellungen davon sind möglicherweise durch mittelalterliche Bestiarien beeinflusst worden. Es gibt keine Gerechten und Verdammten, wie bei Gerichtsdarstellungen, sondern ausschließlich Sünder ohne Hoffnung auf Erlösung, die zahllosen Qualen ausgesetzt sind. Hier drückt sich in einer dämonischen und bedrückenden Traumwelt ein tiefer Pessimismus aus. Wahrscheinlich hat Bosch dieses Triptychon unter dem Einfluss der Unruhen in der Kirche und in der Vorahnung des Vertrauensverlusts in die kirchliche Wahrheitsverkündung gemalt.

In der Malerei finden sich für die Zeit zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert deutliche Hinweise darauf, dass es sich von der Frührenaissance bis zum Klassizismus um eine große kulturgeschichtliche Einheit handelt. Dabei sind die Inhalte und Themen der Malerei leitende Kriterien, die über die Art und Weise der Darstellung und ästhetische Gegensätze hinaus die Zusammengehörigkeit erkennen lassen.

Über Fidelio

Ich bin 1949 geboren und war in meiner berufstätigen Zeit als Stadtplaner in einer mittelgroßen kommune tätig. Seit meiner Studienzeit habe ich mich für die Entwicklung eines erweiterten geistigen Horizonts interessiert und einige Anstrengungen unternommen, mich persönlich in diesem Sinne zu entwickeln. Aufgrund meiner katholischen Erziehung habe ich in den 1960-er Jahren begonnen, mich intensiver mit dem modernen Mystiker Teilhard de Chardin zu befassen und bin so zur Gedankenwelt von Ken Wilber gekommen, die ich in diesem Projekt nutzbar zu machen versuche.
Dieser Beitrag wurde unter Aktuelles, Allgemeines, Geschichte, Kultur, Meinung, Politik, Streifzüge abgelegt und mit , , , , , , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar