4. Rom und der Aufstieg des Christentums. Ein weiterer Eckpfeiler der europäischen Entwicklung findet sich im römischen Imperium. Das Gesellschaftssystem und die weltanschaulichen Grundlagen Roms wurden weitgehend von den Griechen übernommen und vor allem um technische Entwicklungen ergänzt. Hierbei hat der Einfluss der auf dem Gebiet des heutigen Italien seit langer Zeit bestehenden griechischen Kolonien bedeutenden Anteil. Ein wesentlicher Unterschied zu dem System griechischer Stadtstaaten, die eine Größenbegrenzung hatten und hierdurch zur Koloniebildung gezwungen waren, bestand in der baulichen und kulturellen Ausrichtung auf große Menschenmassen. Das schlug sich vor allem in der mehrgeschossigen Bauweise der Behausungen (Insula) für das gemeine Volk, die öffentlichen Einrichtungen (Bäder, Stadien und Versammlungsplätze) nieder. Weitere Vorlagen – vor allem hinsichtlich der Stadtgestaltung – lieferten die hellenistischen Städte in Kleinasien, die einen beträchtlichen Anteil an der Zahl der Städte im römischen Imperium ausmachten.
Das abgebildete Mosaik gehört zur Sammlung des Britischen Museums und ist in dem bereits mehrmals zitierten Buch des ehemaligen Direktors dieses Museums enthalten. Es zeigt eine der ersten Christusdarstellungen und wurde etwa 350 Jahre n. Chr. für den Fußboden einer Villa im englischen Dorset angefertigt. Seine Verwendung ist für die Bodengestaltung in repräsentativen römischen Privathäusern jener Zeit untypisch. Statt – wie um diese Zeit üblich – im Eingangsbereich einen mythologischen Helden darzustellen, wurde hier ein Motiv des noch spärlich verbreiteten Christentums verwendet. Im 3. und 4. Jh. n. Chr. hatte sich die reiche Gesellschaft genauso gut im Christentum wie im Heidentum eingerichtet. Das bezeugen neben Mosaiken viele weitere künstlerisch durchgearbeitete Objekte aus der Zeit, wie beispielsweise Silberteller, Silbergefäße, Silberlöffel und Pfefferstreuer, die ebenfalls von MacGregor aufgeführt werden.
Nach MacGregor war es aus mehreren Gründen verwunderlich, diese Christusdarstellung in jener Zeit an jenem Ort zu finden. Die Vorstellung eines Gottes in Menschengestalt lag völlig außerhalb der kulturellen Gewohnheiten und es fehlte jede Art von Information über die Gestalt Christi, an der sich der Künstler hätte orientieren können. Ausschlaggebender Grund für die Zurückhaltung in der Verwendung von christlichen Gottesbildnissen war jedoch der theologische Streit über das biblische Bilderverbot, das seit dem Auszug der Juden aus Ägypten durch Moses zur Durchsetzung des Monotheismus verhängt wurde. Dieses Verbot betraf das Judenchristentum und das Heidenchristentum – die Mehrheit der damaligen Christen – und wird bis in die Gegenwart problematisiert. Zur Zeit der Entstehung des Mosaiks galt diesbezüglich die theologische Ansicht, die sich auf dem Konzil von Nizäa im Jahr 325 durchsetzte. Jörg Lauster schreibt hierzu in seiner Kulturgeschichte des Christentums: „Der zentrale theologische Gedanke des Konzils war die trinitätstheologische Entfaltung der Inkarnation. Gott war in Christus Mensch geworden und zwar so, dass Christus mit Gott wesensgleich war. Diese dogmatische Festlegung bedeutete eine fundamentale Aufwertung sinnlicher Darstellungsformen des Göttlichen, denn ein Bild des Menschen Christus war auf der Grundlage des Inkarnationsgedankens zugleich ein legitimes Abbild Gottes. Das Christusbild begann von da an seinen Siegeszug. Zusammen mit der Gottesmutter Maria ist das Christusmotiv das häufigste Bild in der Kulturgeschichte des Christentums. (Lauster, Jörg. Die Verzauberung der Welt. Verlag C.H.Beck.)
Das Mosaik deutet darüber hinaus auf eine epochale Veränderung hin, die als „Konstantinische Wende“ in die Geschichte eingegangen ist. Sie bedeutet eine Hinwendung des von 306 bis 337 n. Chr.regierenden Kaisers Konstantin I. zum Christentum. „Als Alleinherrscher des Westteils des Römischen Reiches leitete Konstantin umgehend eine Religionspolitik ein, die den Christen nicht nur auf der Grundlage des Edikts von Galerius aus dem Jahr 311 Religionsfreiheit zusicherte, sondern das Christentum gegenüber der heidnischen Religion sogar begünstigte. Damit setzte er eine Dynamik in Gang, die sowohl das Römische Reich als auch das Christentum grundlegend veränderte. Zwei Generationen später war das Christentum Staatsreligion des Weltreichs. Es war der Sieg in einer Schlacht (Anm: Schlacht an der Milvischen Brücke 312 n. Chr., deren ruhmreiches Ende unter christlichen Vorzeichen Konstantin im Traum vorhergesagt wurde), durch den sich für die Religion der Liebe das Tor zur Weltgeschichte öffnete.“ (Lauster, s.o.)
MacGregor bewertet das Auftauchen des Mosaiks als „entscheidenden Wendepunkt in der visuellen Kultur Europas“, der möglicherweise darauf zurückzuführen ist, „dass die Römer es einfach gewohnt waren, ihre Götter als Statuen, als Malereien und in Mosaiken vor Augen zu haben…“. Doch damit nicht genug. Von heidnischen Kritikern wurde den Christen häufig vorgehalten, eine Religion, die keine Tempel habe, sei gar keine richtige Religion. Dem stand die christliche Lehrmeinung entgegen, allein der Leib des Menschen sei der Tempel Gottes. Mit der konstantinischen Wende leitete der Kaiser nun den Kirchenbau ein, der in der Bautradition der römischen Basilika stand. Der Kirchenbau eröffnete der bildlichen Darstellung Gottes und religiöser Themen ein weites Feld und führte damit vor allem zum Aufblühen der Buchkunst und der Freskomalerei.

Hagia Sophia 1852; Quelle: Getönte Lithographie mit Handkolorierung; Urheber: Druck von Louis Haghe; Lizenz: CC BY-SA 4.0
Über die zwei Jahrtausende haben sich so viele Kunstwerte im Besitz der christlichen Kirchen neben großen Immobilienvermögen angesammelt, dass sich aus dem christlichen Anspruch, den Menschen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, eine anhaltende Glaubwürdigkeitskrise ergibt und das Bilderverbot der Bibel immer wieder aktuell werden lässt.
Einen Höhepunkt erreichte der kaiserliche Kirchenbau mit der Hagia Sophia in Konstantinopel – dem heutige Istanbul und früheren Byzanz. Die in der Grundkonzeption einer Basilika von 532 bis 537 im Auftrag des Kaisers Justinian errichtete Kirche scheint Teilen der Fachwelt in ihrer ursprünglichen Erscheinungsform durch Inkorporierung (Einfügung) von Motiven des biblischen Salomonischen Tempels eine theologische Entsprechung dieses Tempels zu sein. Als Belege hierfür werden die Verwendung der Maßverhältnisse von Gesamtbreite zu Gesamtlänge zu Höhe und die verwendeten Reliquien sowie die ungewöhnliche Ausstattung genannt. Der Archäologe Georg Scheja beschrieb 1962 in einem Zeitschriftenartikel die Bedeutung dieser Kirche: „Alle theologischen und politischen Bedeutungsaspekte der Hagia Sophia erhalten einen besonderen Akzent durch ihre Rangstellung als byzantinische Staatskirche.“ Diese Rangstellung kommt allein schon durch ihre Größe zum Ausdruck. Die Hagia Sophia ist die Kathedrale Konstantinopels, Hauptkirche des Byzantinischen Reiches sowie religiöser Mittelpunkt der Orthodoxie und ist heute ein Wahrzeichen Istanbuls.
Die Bedeutung der Kirche leitet sich nach Scheja aus der Verwendung biblischer Symbole ab: „Da Christus, der neue Hohe Priester, sich dieses Haus gewählt hatte, hatte er damit nicht nur den Kaiser oder das Kaisertum bestätigt, sondern auch die Kirche in den Rang des alttestamentlichen Tempels erhoben, ja, sie über ihn gestellt. Die inkorporierten Motive, die heiligen Maße und die alttestamentlichen Reliquien bildeten also die Insignien des Ranges der Kirche. Sie ergänzten ihre repräsentative Rolle in einem sehr wichtigen theologischen Zusammenhang.“ („Die Präsenz des Salomonischen Tempels im mittelalterlichen Kult und Kirchenbau„, Download bei ACADEMIA kostenlos möglich)
Durch bauliche Veränderungen, die durch Teileinstürze der Kuppel in den Jahren 553 und 558 notwendig geworden waren, haben sich die Maßverhältnisse geändert, vor allem wurden die Lichtwirkungen im Kirchenraum stark betont, so dass die Kuppel manchen Betrachtern „als eine an einem goldenen Seil aufgehängte Krone erscheinen, die wie die Krone des Perserkönigs über dem Thronsitz des Herrschers der himmlischen Lichtherrlichkeit schwebte“.(Prokopios von Caesarea, zitiert von Scheja)
Die Hagia Sophia steht für den Endpunkt einer Entwicklung, die mit Kaiser Konstantin I. begann und mit ihrem Bau ein ihren Höhepunkt erreichte. Unter Kaiser Justinian wurden die letzten Reste der alten römischen Volkssouveränität beseitigt und durch ein konsequentes Gottesgnadentum ersetzt. Allerdings blieb die schweigende Zustimmung (das silentium) der Vertreter von Volk und Heer auch unter Justinian unverzichtbare Legitimation der kaiserlichen Herrschaft. Diese Herrschaftsform hat sich in einigen Ländern nominell bis in die Gegenwart erhalten und ist auch noch im Parlamentarismus zu finden..
5. Bauen mit dem Licht Nach etwa 1300 Jahren erscheint mit der Gotik ein neues Leitbild für das öffentliche Bauen, das die Orientierung am Stil der Basilika aufgibt. An die Stelle des – aus der Basilika entwickelten aktuellen Stils der Romanik mit ihren Rundbögen – wurde ab der Mitte des 12. Jh. die zunächst als Spitzbogenstil bezeichnete Gotik gesetzt. Ihre markantesten Kennzeichen sind die Spitzbögen, die im Zusammenspiel mit den großen Fensterflächen viel mehr Licht in die Innenräume lassen und die an der Außenseite zu sehenden Strebebögen. Letztere waren gerade zu dieser Zeit in Paris erfunden worden und gaben den Architekten nun für die Gestaltung der Innenräume große Freiheit.
Hinter dieser Entwicklung stand eine theologische Begründung, die von dem in St. Denis wirkenden Abt Suger vertreten wurde. Suger war zwar Mitglied im Benediktinerorden und war als solches der Armut verpflichtet, er verkehrte jedoch in den Kreisen der Herrschenden und vertrat sogar zeitweise den König in dessen Rolle als Regent des Reiches. In seiner Rolle als Bauherr der Abteikirche vertrat er jedoch die Auffassung, es sei das Gerechteste „wenn man das Kostbarste in den Dienst der heiligen Eucharistiefeier stellt. Wenn nach dem Wort Gottes und der Weisung des Propheten schon für das Auffangen des Blutes von Böcken, Kälbern und einer roten Färse güldene Gefäße, güldene Phiolen und kleine Goldmörser [im Tempel von Jerusalem] verwendet wurden, um wie vieles eifriger müssen dann erst wir güldene Kelche, Edelsteine und all das bereithalten, was uns von der Schöpfung am teuersten ist, um das Blut Christi zu bewahren.“ (zitiert nach Peter Watson: „IDEEN Eine Kulturgeschichte von der Entdeckung des Feuers bis zur Moderne“, Goldmann-Verlag)
Hier scheint die bereits in der Hagia

Kathedrale von Sankt Denis (Fensterrose) – Paris; Quelle: WIKIMEDIA Commons, Urheber: André ALLIOT, Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international“
Sophia begründete Tradition auf, die nun um Akzente des Lichts – die bereits nach dem Umbau der Kuppel gesetzt worden waren – erweitert. Er bezog sich damit auf die Theologie des Namensgebers seiner Abtei, dem mystisch inspirierten Dionysios Pseudo-Areopagita dessen Schriften der Abtei vom Papst geschenkt worden war. Dieser Kirchenvater des frühen 6. Jh. vertrat die Lehre, jedes Geschöpf empfange die göttliche Erleuchtung, die sich nach einem hierarchischen Himmelsprinzip auf alles irdische ergießt und die Welt durchflutet, um sie dann seinerseits auf andere auszustrahlen. Gott sei das vollkommene Licht, und seine Geschöpfe reflektieren es je nach der Kraft ihres eigenen inneren Strahlens.
Die von einflussreichen Interpreten der Gotik propagierte Idee einer „Theologie der Kathedrale“, die in dem neuen Stil „eine allegorische Umsetzung der neuplatonischen und und vor allem der scholastischen Philosophie sah“ (Zitat Lauster), wird von Lauster jedoch als zu weitgehend empfunden, wenngleich die bautechnische Entwicklung in fast allen Bereichen des Bauens immens gewesen sei. Ohne die Mathematisierung der Baupläne (Maßstabsgerechtigkeit und Bemaßung, standardisierte Herstellung des Baumaterials und Perfektionierung) habe es keinen Kathedralbau geben können. Darüber hinaus sei die religiöse Raumgestaltung beflügelt und ermöglicht worden, und in diesem Sinne könne von einer Theologie der Kathedrale gesprochen werden.
Nach dem Vorbild – jedoch nicht nach der Vorlage – von St. Denis wurden in den darauf folgenden Jahrhunderten in Frankreich, England und Deutschland viele Kirchen gebaut, die bis heute nichts an Pracht und Herrlichkeit eingebüßt haben. Der Einfluss des neuen Baustils blieb nicht auf die Kirchenbauten begrenzt. Die Bischöfe gestatteten es, Gilden und Laienorganisationen der Städte, ihre Versammlungen in den Kathedralen abzuhalten. Der aufwendige Bau der Kathedralen zog viele Spezialisten in die Städte, die ihr Wissen weitergaben, so dass sich schließlich hieraus Bischofs- oder Domschulen entwickelten, die den bis dahin führenden Klosterschulen Konkurrenz machten – nicht zuletzt auch dadurch, dass sie offener und weltlicher orientiert waren.
Durch die neu entstehende Baukunst änderte sich auch das Verhältnis der Kunstdisziplinen zueinander. Das Berufsbild der Architekten wandelte sich zum technisch ausgebildeten Handwerker, zum Künstler, der neben Handwerker nun auch Entwerfer, Bildhauer und manchmal noch Entwerfer für Glasgemälde und Dekorationen ist. Er entsprach damit dem Bild Gottes als Baumeister der Welt und seine soziale Stellung als Leiter der Bauhütte wurde in einigen Fällen sogar mit dem Ritterschlag dokumentiert.