Gerechtigkeit als Gradmesser der Demokratie
Nachfolgend gebe ich einen Überblick auf die Entwicklung des Schlüsselbegriffs „Gerechtigkeit“ und der Verwendung als Phrase in positiver und negativer Richtung, sowie der Phrase „dass alles so bleibt“ als Hinweis auf die christliche Acedia – einer Haltung, die sich gegen Sorge, Mühe oder Anstrengung wendet und aus der Selbstüberwindung als Umkehr dieser Haltung entstehen kann. Eine Abnahme dieser Phrase kann daher ein Hinweis auf abnehmende Acedia und zunehmenden Gemeinschaftsgeist und Wandlungsbereitschaft des Ich bedeuten.
Aus den Grafiken 1 und 2 sind die Ergebnisse einer Internet-Recherche mit den Phrasen „dass alles so bleibt“ – kurz als Beharrlichkeit bezeichnet – für Acedia und „mehr Gerechtigkeit“ für Gerechtigkeit zu entnehmen. Dabei wurden drei Quellen definiert, deren Ergebnisse für die Suchmaschine Bing und die Einschränkung auf Leserbriefe mittels Bing in Grafik 1 dargestellt sind. In Grafik 2 sind die Ergebnisse für die Presse- und Wirtschaftsdatenbank Genios dargestellt. Als aussagekräftiges Ergebnis ist zunächst festzuhalten, dass sich die Verhältnisse von Gerechtigkeit zu Beharrlichkeit in der Quelle „Leserbriefe“ umgekehrt zu den Quellen Bing und Genios verhalten, so dass die Aussage gerechtfertigt erscheint, dass in Leserbriefen eher konservative Standpunkte zum Ausdruck kommen als in anderen Texten. Dabei ist nicht auszuschließen, dass eine Auswahl – und somit eine Verfälschung des Bildes – durch die Zeitungsredaktionen erfolgt, da für Leserbriefe keine Veröffentlichungspflicht besteht.
Als weiteres Ergebnis sind die Korrelationen zwischen den Kurven der Quellen von Interesse. In Grafik 1 stehen die Kurven Gelb und Grün sowie Blau und Rot jeweils für dieselbe Quelle. Es können sowohl innerhalb der Quellen wie auch zwischen den Quellen Korrelationen gefunden werden. Korrelationen können gleichsinnig oder gegensinnig sein und bestimmen damit den Interpretationsspielraum. Von besonderem Interesse sind jedoch die Kipp-Punkte – Zeitpunkte an denen eine Richtungsänderung der Entwicklungslinie erfolgt bzw. eine Abschnittbildung zwischen zwei solchen Punkten ablesbar ist. Daneben gibt es einen Einzelpunkt am Anfang des Untersuchungszeitraums für das Jahr 2000, der alle Linien der Grafik 1 beeinflusst. Hierin kommt die starke Symbolkraft des Jahrtausendwechsels zum Ausdruck und sich in den Verläufen der roten, grünen und blauen Kurven gleichsinnig in einem sprungartigen Anstieg und in der gelben Kurve durch einen gegensinnigen sprunghaften Abfall zeigt. Aus diesem Ergebnis lässt sich bei den Leserbriefschreibern eine deutliche Fortschrittshoffnung herauslesen, die von den Internetnutzern nicht geteilt wurde und sich bei den Leserbriefschreibern mit einer Erwartung zunehmender Gerechtigkeit verband. Bei den Internetnutzern bestand zwar auch die Hoffnung auf mehr Gerechtigkeit, sie stellte sich jedoch nur annähernd gleich stark dar, wie der Fortschrittsglaube.
Als erster Kipp-Punkt ist nach dem Milleniumsereignis in der grünen Kurve der Beginn der Ära Merkel mit deutlichen Abschnittbildungen erkennbar. Sie beginnt mit einem starken Anstieg der Kurve Gerechtigkeit bei den Leserbriefen ab dem Jahr 2005 und endet zunächst 2010 – dem ersten Jahr der Koalition von CDU und FDP. Ab diesem Zeitpunkt stagniert die Kurve bis zum Ende dieser Koalition im Jahr 2013 und setzt sich in der darauf folgenden großen Koalition von CDU und SPD bis zu ihrem Ende im Jahr 2021 auf sehr niedrigem Niveau fort. Für die Zeit der Pandemie von 2020 bis 2022 ist eine leichte Steigung zu sehen, die jedoch keine Änderung der Grundströmung bedeutet. Ab diesem Jahr deutet sich ein neuer Kipp-Punkt an, der jedoch noch durch die Ergebnisse für 2024 bestätigt werden muss.
In der roten Kurve ist die Abschnittbildung der grünen Kurve nicht nachvollziehbar. Hier zeigt sich ein Kipp-Punkt, der sich in allen vier Linien zeigt und eindeutig auf die Ereignisse des Jahres 2010 bezogen werden kann. Dieses Jahr ist u. a. durch folgende Ereignisse gekennzeichnet:
- Das Bundesverfassungsgericht verkündet sein Urteil über die Hartz-4-Gesetze und erklärt das Zustandekommen der Regelsätze für verfassungswidrig.
- Das Bundesverfassungsgericht erklärt die Vorratsdatenspeicherung in der bisherigen Form für verfassungswidrig. Es fordert strengere Vorkehrungen zur Datensicherheit, zur Transparenz und für den Datenabruf durch Sicherheitsbehörden.
- Griechenland, welches durch die Finanzkrise ab 2007 kurz vor dem Staatsbankrott steht, bittet die Europäische Union und den Internationalen Währungsfonds um insgesamt 45 Milliarden Euro Finanzhilfe.
- Der Europäische Rat beschließt die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus („Euro-Rettungsschirm“) mit einem Umfang von 750 Milliarden Euro. Die griechische Finanzkrise zieht eine Eurokrise nach sich.
- Horst Köhler erklärt überraschend den sofortigen Rücktritt vom Amt des deutschen Bundespräsidenten.
- Christian Wulff (CDU) wird von der Bundesversammlung zum zehnten Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland gewählt.
- ‚Schwarzer Donnerstag‚ in Stuttgart während der Proteste gegen Stuttgart 21: Polizeieinheiten räumen den Mittleren Schlossgarten. Mehrere Schwerverletzte.
- Bei dem Unglück bei der Loveparade 2010 in Duisburg kommen 21 Menschen ums Leben, mindestens 652 Teilnehmer werden zum Teil schwer verletzt.
- Nach einem neuerlichen Ausbruch des Vulkans Eyjafjallajökull auf Island musste aufgrund von Aschewolken der Luftraum weiträumig gesperrt werden, was schwere wirtschaftliche Schäden für die vom Flugverbot betroffenen Länder – auch Deutschland – zur Folge hatte.
Die Übersicht macht deutlich, dass es sich um ein ereignisreiches Jahr handelt, in dem die Eurokrise als nachhaltiges Ereignis hervorzuheben ist. Sie wurde zum Auslöser für die Gründung der europakritischen Partei Alternative für Deutschland (AfD) und hat die politische Landschaft in Deutschland grundlegend beeinflusst und verändert.
Ab diesem Kipp-Punkt zeigt sich in der gelben Kurve eine kurzfristig schwankende Entwicklung, die ab 2018 in einen stabileren Anstieg übergeht, der bis in die Zeit der Pandemie hineinreicht und zum Jahr 2013 abrupt abbricht. In wesentlich schwächerem Maß kann diese Reaktion auch in der blauen Kurve gefunden werden, jedoch mit dem Unterschied, dass hier im Jahr 2021 ein Kipp-Punkt angedeutet ist. Möglicherweise zeigen diese unterschiedlichen Reaktionen unterschiedliche Grade der Betroffenheit durch die Restriktionen der Pandemie an. Dabei würde dann die Ausgangssituation, auf die sich die Aussage bezieht, als dysfunktional beurteilt werden und die Reaktion auf eine Beendigung dieses Zustands zielen, wogegen in der blauen Kurve von einer Anpassung an die Verhältnisse in der Pandemie ausgegangen würde, die als vorteilhaft angesehen wird – z. B. Einführung von Home-Office, Berufswechsel mit weniger Streß u. a.. In der roten Kurve zeigt sich ab dem Kipp-Punkt im Jahr 2010 eine lange Phase des Wachstums , die am Beginn der Pandemie noch einen positiven Impuls zeigt, dann aber abrupt abbricht. Diese Reaktion ergibt durchaus Sinn, wenn das dargestellte Szenario der blauen Kurve zutrifft. Es könnte sich dann um anfänglich ungerecht empfundene Eingriffe in Persönlichkeitsrechte handeln, die dann durch Anpassungsreaktionen auf der individuellen Seite kompensiert wurden.
In Grafik 2 sind die Ergebnisse zu den beiden Abfrage-Phrasen für die Wirtschafts– und Pressedatenbank Genios dargestellt. Sie unterscheiden sich grundlegend von den Ergebnissen in Grafik 1. Ein Millenium-Ereignis ist hier nicht nachweisbar. Ein erster Kipp-Punkt zeigt sich 2013. Die Situation in Deutschland und Europa ist in diesem Jahr durch die noch immer schwelende Eurokrise bestimmt und im Herbst des Jahres fanden Bundestagswahlen statt, bei denen die bis dahin mitregierende FDP die 5%-Hürde nicht überspringen konnte. Daneben bestimmen die NSA-Affäre und die Nachwirkungen des „Arabischen Frühlings“ auch die Situation in Deutschland mit.
Ein weiterer Kipp-Punkt ist bereits zwei Jahre später zu sehen, als die Ereignisse der gewaltsamen Folgen des „Arabischen Frühlings“ Deutschland in Form einer großen Flüchtlingswelle erreichten. In diesem Jahr wurde das neue politische Leitmotiv für Deutschland geprägt: „Wir schaffen das„! Es unterscheidet sich von vielen anderen politischen Phrasen durch großen Wirklichkeitsgehalt und Nachhaltigkeit bis in die Zeit der Pandemie hinein. Nach weiteren zwei Jahren – im Jahr 2017 – überwiegen bereits Rufe nach mehr Gerechtigkeit, ausgelöst durch weitreichende politische Entwicklungen:
- In den USA tritt Donald Trump das Amt als 45. Präsident der USA an,
- auf europäischer Ebene führte der anlaufende Austrittsprozess zum EU-Austritt des Vereinigten Königreichs zu zäh verlaufenden Verhandlungen.
- in Deutschland trat 2017 Frank-Walter Steinmeier als neuer Bundespräsident sein Amt an,
- der Bundestag beschließt die Einführung der „Ehe für alle“,
- in Hamburg fand der G20-Gipfel unter gewaltsamen Protesten statt und
- der Versuch einer Regierungsbildung nach der Bundestagswahl im September scheiterte.
Ein Vergleich des Kipp-Punktes 2017 mit dem des Jahres 2018 in Grafik 1 zeigt, dass sich die Ereignisse in Genios bereits im Anfangsstadium zeigen, das gilt jedoch nicht generell. Insgesamt verlaufen die Ereigniskurven in Grafik 2 ruhiger und konzentrieren sich auf wenige Kipp-Punkte, nämlich 2013, 2015, 2017, 2018 und 2022. Der Verlauf der roten Linie in Grafik 2 lässt im Vergleich dazu nur zwei angedeutete Kipp-Punkte in den Jahren 2013 und 2022 erkennen. Vielmehr zeigt sich hier eine konstante konservative Grundströmung mit leichter Wachstumstendenz, die ihren Höhepunkt 2019 – den ersten Anzeichen der Pandemie – erreicht hatte und bis zum Ende der Pandemie auf ihren Stand von 2012 zurückkehrt.
In Grafik 3 sind die Häufigkeiten der gegensätzlichen Begriffe „Gerechtigkeit“ (blaue Kurve) und „Ungerechtigkeit“ (rote Kurve) grafisch dargestellt. Aus ihnen wird ein Index ermittelt (Ungerechtigkeit/Gerechtigkeit), der in Grafik 4 dargestellt ist. In Grafik 3 zeigt sich für den Begriff „Gerechtigkeit“ das Muster einer Pendelbewegung aus dichter Aufeinanderfolge von Spitzen und Tälern, wobei die Intervalle zwischen einem Jahr und drei Jahren schwanken. Im Untersuchungszeitraum fanden sechs Bundestagswahlen statt. In den Jahren 2002, 2005, 2009, 2017 und 2021 fallen die Spitzenwerte des Abfragebegriffs „Gerechtigkeit“ mit Bundestagswahlen zusammen. Lediglich im Jahr 2002 hielt die hohe Aktualität des Begriffs über zwei Jahre an, in allen anderen Fällen folgte ein abrupter Abfall seiner Aktualität. Demgegenüber zeigt sich im Verlauf der Kurve für „Ungerechtigkeit“ ein deutliches Millennium-Ereignis und eine stetige Wachstumstendenz, die bis 2015 anhält und dann zum Wahljahr 2017 stark abfällt, um 2019 wieder einen Höchststand zu erreichen. Ab diesem Zeitpunkt zeigt sich pandemiebedingt eine Sondersituation, die 2023 zu einem außerordentlich starken Anstieg der roten Kurve führt. Es zeigt sich hier der andauernde Einfluss des weitgehenden Stillstands in Wirtschaft und Gesellschaft mit strukturellen Veränderungen, der mit zahlreichen Herausforderungen des Jahres 2023 kumuliert.
Für die beiden Zeitschnitte wurde eine Vereinfachung und mathematische Beschreibung gesucht, die aus der Gesamtheit der Werte gebildet wird. Es zeigt sich, dass dieses in befriedigender Weise gelingt und zur Verdeutlichung der Prozesse dienen kann. Danach öffnet sich die Schere zwischen Ungerechtigkeit und Gerechtigkeit in einem Maße, dass der innere Friede Deutschlands als gefährdet angesehen werden muss.
Dieses Ergebnis wird durch die Darstellung des oben beschriebenen Index in Grafik 4 bestätigt und verdeutlicht. Es zeigt sich hier eine bis zum Jahr 2023 nur schwach ansteigende Linie, die 2023 sprunghaft ansteigt und damit die Ursachen für die öffentlichen Proteste auf die Ereignisse dieses Jahres konzentriert. Diese Ergebnisse erinnern stark an das Bild des Schmetterlingseffekts in der Chaostheorie.
Für das Jahr 2023 ist der Grafik 4 zu entnehmen, dass der entscheidende Impuls für die bundesweiten Demonstrationen in diesem Jahr zu finden ist. Im Hinblick auf Gerechtigkeit sind die nachfolgend aufgeführten Ereignisse in jenem Jahr mögliche Treiber eines Willens zum Widerstand:
- anhaltende Angriff Russlands auf die Ukraine,
- der durch den Terroranschlag der palästinensischen Hamas auf Israel verursachte Krieg in Gaza,
- die Offenbarung bisher unsichtbar gebliebener Bestrebungen einer Remigration durch rechtsgerichtete Aktivisten in Potsdam, die bis in bürgerliche Parteien hineinreichen,
- die Wahlerfolge der AfD bei Landtagswahlen und
- der öffentlich diskutierte Entwurf eines neuen Gebäudeenergiegesetzes aus dem Wirtschaftsministerium und die damit im Zusammenhang stehende Entlassung eines Staatssekretärs.
Die vorgestellten Ergebnisse lassen deutlich erkennen, dass die staatliche und gesellschaftliche Ordnung aus den Fugen geraten ist. Es stellt sich die Frage, an welchen Stellschrauben gedreht werden sollte, um schlimmeres zu vermeiden und stabile Verhältnisse wieder herzustellen oder einen Umbau des Systems vorzunehmen. Dazu ist neben der Analyse zunächst die Frage zu stellen, welche Werte in der Tiefe des Menschlichen die Grundlage von Vertrauen zwischen den gesellschaftlichen Gruppen und zwischen Staat und Gesellschaft bilden. Der britische Ökonom Ernst Friedrich „Fritz“ Schumacher schrieb dazu folgendes: „Die Gcgensatzpaare, von dencn Freiheit und Ordnung sowie Wachstum und Vcrfall die grundlcgendsten sind, bringcn Spannung in die Welt, eine Spannung, die die Empfindsamkeit des Menschen vcrfeincrt und seinc Selbstreflexivität steigcrt. ohnc ein Bcwußtscin von diesen Gcgensatzpaaren, die sich sozusagcn durch allcs hindurchziehen, was der Mensch tut, ist wirkliches Verständnis nicht möglich.
Im Leben von Gesellschaftcn besteht die Notwendigkeit, gerecht, aber auch barmhcrzig zu sein. «Gcrechtigkeit ohne Barmherzigkcit», sagte Thomas von Aquin, «ist grausam», Barmhcrzigkcit ohne Gerechtigkeit ist dic Muttcr der Vcrderbnis – cine überaus klare Kennzcichnung eines divergicrenden Problems. Gerechtigkeit ist die Weigerung, barmherzig zu scin, und Barmhcrzigkcit ist dic Weigcrung, gcrecht zu sein. Erst eine höhere Kraft – dic Weisheit – kann dicse Gegensätze miteinander vcrsöhncn. Das Problem ist nicht Iösbar, abcr Weisheit kann darüber hinausgreifen. In ähnlicher Wcise brauchen Gescllschaften Stabilität und Wechsel, Tradition und Erneuerung, öffentliches und privates Intercsse, Planung und Laisser-faire, Ordnung und Freiheit, Wachstum und Verfall: überall hängt die Gesundheit der Gesellschaft vom gleichzeitigcn Streben nach einander cntgegengesetzten Tätigkciten odcr Ziclen ab. Die übernahme ciner endgültigen Lösung bedcutet cine Art Todesurteil für dic Menschlichkeit des Menschen und führt entweder zu Grausamkeit odcr zu Verderbnis. Im allgemeinen zu beidem.“
in der gelebten Gerechtigkeit die Tiefe des Menschlichen bestimmen und die Grundlage eines Vertrauens zwischen Regierten und Regierenden bilden können.
Auch hier kann auf universell geltende Regeln verwiesen werden, wie sie in den humanistischen Grundsätzen der Menschenrechte verbindlich vorliegen und damit zu gerechtem Handeln verpflichten. Das drückt sich u. a. auch in der Verleihung des „Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung“ an den deutsch-israelischen Philosophen und Hochschullehrer Omri Boehm am 20. März 2024 aus. Er bekommt die Auszeichnung im Rahmen der Leipziger Buchmesse für sein Buch „Radikaler Universalismus. Jenseits der Identität.“ In der Begründung der Jury für ihre Wahl heißt es u. a.:
„Boehm zufolge sind auch in modernen Gesellschaften letztgültige Wahrheiten unverzichtbar, um die Gleichheit und die Würde der Menschen unantastbar zu machen. Er scheut sich nicht, für den Universalismus metaphysische Begründungen zu fordern und findet sie im Brückenschlag zwischen der Philosophie Kants und dem Erbe der biblischen Propheten. In einer originellen Lektüre der hebräischen Bibel entdeckt er in Abraham, der den Widder statt seines Sohnes opfert, eine Figur des Ungehorsams. Indem Abraham gegen Gott auf der Idee der Gerechtigkeit beharrt, wird er zum Urbild des ethischen Monotheismus, den Kant in die Begriffe moderner Philosophie übersetzt. Omri Boehms Grundlegung des humanistischen Universalismus ist politisch relevant. Seine Bücher, darunter auch der Band Israel – eine Utopie (2021), sind zugleich Verteidigungsschriften und Herausforderungen liberaler Demokratien, indem sie die Verbindlichkeit des Universalismus einklagen.“