Die biblischen Patrone des Typs FÜNF in der Kunst
Die beiden biblischen Patrone der FÜNF sind Maria, die Mutter Jesu, und der Apostel Thomas. Maria verkörpert die Passivität und Empfänglichkeit, die mystisch-kontemplative Seite der FÜNF. Sie ist fähig, zu empfangen bevor sie gibt. Am Ende der Weihnachtsgeschichte wird berichtet, dass ihr die Hirten alles erzählen, was sie erlebt haben. Von Maria heißt es im Anschluss daran: ,,Sie behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen“ (Lukas 2, 19). FÜNFer sind fähig, Dinge für sich zu behalten; Vertrauliches ruht in ihrem Herzen; sie können schweigen. Maria wurde im Verlauf der Kirchengeschichte oftmals zum idealisierten Symbol einer vergeistigten, unberührten und unberührbahren, aseptischen Jungfräulichkeit. „ohne Fleisch und Blut“. Gegen dieses Bild wendet sich unter anderem die erdgebundene lateinamerikanische Befreiungstheologie, die gerade vom Magnificat her (Lukas 1, 46-55) eine kämpferische Maria entdeckt, die nicht „ungefährlich“ ist (der Text des Magnifikats war in Argentinien zeitweilig verboten, jedenfalls in der Öffentlichkeit). In der Sprache des Enneagramms könnte man sagen: Die Befreiungstheologie hat die ACHTer-Seite Marias entdeckt (ACHT – die Energie der „Tat“ – ist der Integrationspunkt der FÜNF).
Das Bild der Frau in der Moderne ist von der Rolle als Mutter und Untergebener des Mannes geprägt. Ihr sozialer Aktionsbereich ist weitgehend auf die eigene Wohnung und die Nachbarschaft beschränkt. Am öffentlichen Leben nimmt sie nur als Begleiterin ihres Mannes teil. Hieraus hat sich das bereits in der Kulturentwicklung des Menschen angelegte Spannungsverhältnis der sexuellen Beziehungen zwichen Männern und Frauen zu einer zentralen kulturellen Frage entwickelt, die in dem von Edvard Munch geschaffenen Madonnenbild thematisiert wird. Die verhängnisvolle Anziehung der Geschlechter, die Bedrohung durch die eigene Sexualität und die Themen Liebe und Tod wurden 1902 in einer von Munch gemalten Bildserie mit dem Titel „Lebensfries“ in den Räumen der Berliner Sezession zusammengestellt und öffentlich zugänglich gemacht. Ein Jahr später wurde die Ausstellung in Leipzig wiederholt. In der Munchmonografie von Ulrich Bischoff aus dem Verlag Taschen heißt es zu dem Bild: Auf der durch Photographie dokumentierten Hängung der »Lebensfries«-Ausstellung in Leipzig aus dem Jahre 1903 beginnt die Reihe der Bilder, die vom »Wachsen und Sterben der Liebe“ handeln, mit der abgebildeten Madonna (Bild 15).
Das Gemälde war 1893 bei seiner ersten öffentlichen Präsentation mit einem Rahmen versehen, der gemalte oder geschnitzte Darstellungen von Spermien und Embryonen aufwies. Der später entfernte und offensichtlich verlorengegangene Rahmen gab dem Frauenakt eine Bedeutung, die auf Empfängnis (Spermien) und Tod (die Embryonen waren mit totenkopfähnlichen Gesichtern gezeichnet) hinweist. Kompositorisch aufälligstes Merkmal ist der eigentümlich schwebende Zustand, in dem sich der bis zur Scham gezeigte nackte Körper befindet. Hierfür ist nicht nur die Rahmung mit strömungsartigen, mit breitem Pinsel aufgetragenen Farbbahnen verantwortlich. Durch die Armhaltung – der rechte, fast in den Farbströmen versinkende Arm ist hinter den Kopf gelegt, während der linke wie festgebunden hinter der Taille verschwindet – werden Brust- und Bauchpartie etwas nach vorne gebogen.
Mythologisch oder literarisch gesprochen pendelt sich Munchs Madonna oder Liebende Frau, wie sie auch betitelt wurde, ein zwischen Ophelia und Salome. Gerade dieser Schwebezustand zwischen Auftauchen und Versinken, zwischen Zeigen und Verbergen macht bis heute den Zauber dieser – neben dem Bild „Der Schrei“ – berühmtesten Bilderfindung von Munch aus. Während die Zwickel, die oberen Bildecken, aus dem Gegensatz von Braun-Rot und Blau-Schwarz ihre Spannung beziehen, ist der fast zu einer schmalen Kappe geschrumpfte, leuchtendrote Heiligenschein über dem pechschwarzen schulterlangen Haar der bildbestimmende, signalhafte Farbkontrast. Mit dem gleichen Signalrot sind Brustwarzen und Nabel hervorgehoben. Mit der Monumentalisierung des dem Betrachter entgegendrängenden nackten Körpers korrespondiert eine geometrisierende Vereinfachung bestimmter Körperpartien, so z.B. die aus verschatteten Augenhöhlen und Augenbrauen gebildeten Ellipsen, vielleicht in Anlehnung an die Sichel des Heiligenscheins. Arne Eggum hat in diesem Heiligenschein sogar die Mondsichel der Göttin Astarte gesehen.
Munch hat in zwei Textentwürfen seine Sichtweise vom unmittelbaren Zrsammenhang von Tod und Leben bei dieser Bilderfindung formuliert. Vor allem der Hinweis auf das Mondlicht könnte dafür sprechen, daß der Künstler an die Fassung der Osloer Nationalgalerie dachte, bei der auf der Stirn, der Nase, im Joch– und Kinnbereich Glanzspuren des »Mondlichtes deutlich zu erkennen sind: »Dein Angesicht enthält alle Zärtlichkeit der Welt – Es gleitet Mondschein über dein Gesicht, das voll von der Schönheit und dem Schmerz der Welt ist, weil (. . . ) der Tod dem Leben die Hand reicht und eine Kette zwischen den tausend Geschlechtern der Toten und den tausend Geschlechtern die kommen werden, geknüpft wird.« An anderer Stelle:
Die Pause, in der die Welt ihren Lauf anhält
Dein Angesicht enthält die ganze Schönheit des Erdreiches
Deine Lippen karmesinrot wie die kommende Frucht gleiten voneinander wie im Schmerz
Das Lächeln einer Leiche Jetzt reicht das Leben dem Tod die Hand
Die Kette wird geknüpft, die tausend Geschlechter der Toten verbindet mit den tausend Geschlechtern, die kommen.«
Hier zeigt sich, dass die Beziehung der Geschlechter – wie bereits im christlichen Magnificat – weit über die sexuelle Bedeutung in der Beziehung von Mann und Frau hinaus geht und im Kunstverständnis der Moderne an das Urbild der Magna Mater (große Mutter) anknüpft. Damit reicht es als Urbild der Evolution auch in die Postmoderne hinein, wie es sich in den letzten Jahren im Zuge der Diversifikation der Geschlechter und der damit einhergehenden Auflösung des patriarchalischen Menschen- und Gottesverständnisses abzeichnet.
Der andere Patron des Typs FÜNF ist der Apostel Thomas, der treffend von dem Maler Caravaggio dargestellt wurde. Die Geschichte des ungläubigen Thomas wird im Evangelium des Johannes erzählt. Die folgenden Textauszüge sind nach der Caravaggio-Monografie aus dem Verlag Taschen und der Beschreibung von Rohr und Ebert zusammengestellt:
Nachdem der Auferstandene bereits Maria Magdalena erschienen war und sie den Jüngern davon berichtet hatte, erschien Jesus am Abend desselben Tages auch ihnen und wies seine Wundmale vor. „Thomas, genannt Didymus (Zwilling) einer der Zwölf, war nicht bei ihnen, als Jesus kam. Die anderen Jünger sagten zu ihm: Wir haben den Herrn geschen. Er entgegnete ihnen: Wenn ich nicht die Male der Nägel in seinen Händen sehe und wenn ich meinen Finger nicht in die Male der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht. Acht Tage darauf waren seine Jünger wieder versammelt und Thomas war dabei. Die Türen waren verschlossen. Da kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte: Friede sei mit euch! Dann sagte er zu Thomas: Streck deinen Finger aus — hier sind meine Hände! Streck deine Hand aus und leg sie in meineSeite und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! Thomas antwortete ihm: Mein Herr und mein Gott! Jesus sagte zu ihm: Weil du mich geschen hast, glaubst du. Selig sind, die nicht schen und doch glauben“. (Johannes 20,24-30)
Caravaggio hat den detaillierten Bericht des Evangeliums in seiner dreiviertelfigurigen
Darstellung mit naturalistischer Direktheit umgesetzt. Links steht die hell erleuchtete Gestalt Christi. Mit der rechten Hand hat er seine antikische Tunika beiseitegezogen, während er mit der Linken die Hand des zweifelnden Thomas ergriffen hat. Der in bedrängender physischer Nähe stehende Jünger hat sich vorgebeugt, blickt mit weit aufgerissenen Augen und gerunzelter Stirn ungläubig auf die Seitenwunde, in die er, von Christus geleitet, den Zeigefinger der rechten Hand gelegt hat. Unmittelbar hinter Thomas stehen zwei weitere Jünger und werden Zeugen des Geschehens. Sie sind dicht an die beiden Protagonisten herangedrängt und blicken gleichfalls mit aufgerissenen Augen auf den Finger in der Seitenwunde. Antithetisch stehen einander die hell erleuchtete, in eine weiße Tunika gehüllte Gestalt Christi und die in eher zeitgenössische dunkle Gewandungen gekleideten Jünger gegenüber – sie verkörpern Licht und Schatten, göttliche Erkenntnis und menschlichen Zweifel.
Caravaggios Komposition ist von eindrucksvollcr Monumentalität. Die vicr mäch-
tigen Gestalten sind, in einem Halbrund, zu einem monolithischcn Block gefügt, ihre Köpfe auf engstem Raurn zusammengedrängt. Indcm allc Blicke strahlenförmig im
Motiv von Händen uncl Seitenwunde konvergieren, ist das Thcma des Sehens zu enormer Intensität gcsteigert, die Notwendigkeit, sich der Wahrheit mit eigcnen Augen zu vergewisscrn, auf radikalc Weisc im Rild veranschaulicht. Nur indem er die Wundmale Christi sieht, ja seinen Finger in die Seitenwunde legt, gelangt Thomas zur Glaubensgewissheit. Am Endc des Evangelienberichts fasst Christus selbst dic Moral seiner Offenbarungstat zusammen: ,,Weil du mich gesehcn hast, glaubst du. Selig sind, die nicht nicht sehen und doch glauben.“Eigentlich sollten seine Anhängcr Gewissheit durch reinen Glauben erlangcn. Für diejenigen jedoch, die im Glaubcn schwach sind, ist Christus bereit, die Wahrheit offenzulegen und sie so in ihrer Glaubensgewissheit zu stärken. Caravaggios Darstellung macht die privilegierte Erfahrung des heiligen Thomas dem zeitgenössischen Betrachter unmittelbar zugänglich und nachvollziehbar.
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