Deutschland nach der Wahl in Bayern – vor der Landtagswahl in Hessen 2018

Parteiprogramme und Wahlhilfen wie Wahl-O-Mat sind eine Sache, die der Volksweisheit gehorchen: „Papier ist geduldig„. Parteiprogramme landen spätestens am Wahlabend in den Archiven der Parteizentralen und haben als Druckerzeugnisse in Papiercontainern ihr trauriges Ende gefunden. Darüber hinaus hat sich bei der Landtagswahl in Bayern gezeigt, dass die Einflüsse aus der Bundespolitik und die entsprechenden irrationalen Kampagnen der Parteien die Landespolitik in den Schatten stellen. Daher ist es sinnvoll, das bundespolitische Werteprofil der Parteien mitzubetrachten. Es erscheint mir auch informativer zu sein, die zur Wahl stehenden Politiker danach zu beurteilen, welche Alleinstellungsmerkmale sie in den Vordergrund zu rücken versuchen, als sich auf wohlfeile Versprechungen in Wahlprogrammen zu verlassen, die in Koalitionsverhandlungen nichts mehr wert sind.

In diesem Beitrag versuche ich, die Erfahrungen der gerade stattgefundenen Landtagswahl und die Situation vor der Landtagswahl in einen Gesamtzusammenhang zu stellen und darüber hinaus die politischen Schwerpunkt-Themen der zur Wahl stehenden Spitzenkandidaten aus dem Wust an Informationen, die täglich von den Medien erzeugt werden, herauszufiltern.

WMem-Vergleich Deutschland 2012-2018

Vergleich der Wertewelten für Deutschland 2012 und 2018 (links)

In der ersten Grafik ist die Entwicklung der Wertewelt von Deutschland in den vergangenen 6 Jahren abzulesen. Kennzeichen dieser Entwicklung ist der leichte Anstieg von Grün und die daraus resultierende Ausbildung eines aufkeimenden Bewusstseins in der zweiten Ordnung der Entwicklungsspirale, das sich in einem deutlich wahrnehmbaren Gelb zeigt. Für das Gelingen dieser Entwicklung ist das ebenfalls ablesbare stabile Blau Voraussetzung. Das diese Veränderungen zu Lasten von Orange stattfinden ist folgerichtig und angemessen. Es kann sich bei dieser Entwicklung jedoch nur um den Beginn eines Prozesses handeln, der sich in der zweiten Ordnung in der Entwicklung eines deutlich ausgeprägten Türkis und eines weiter wachsenden Grün zeigen muss. Wertewelten der Parteien in Deutschland als Balkengrafik - Oktober 2018

In der oben stehenden Grafik sind die Wertewelten der im Bundestag vertretenen Parteien (mit Ausnahme der CSU) zu sehen, deren Vergleich einen Eindruck von der politischen Situation des Landes vermittelt. Zunächst fällt auf, dass die Wertewelten von Bündnis 90 / Grüne und „Die Linke“ weitgehend gleich sind und sich in der Struktur der Wertememe dem Bild von Deutschland annähern. Ihre Differenz zu Deutschland ist in einer Überbetonung von Orange zu Lasten von Blau und Grün zu sehen. In der Ähnlichkeit der beiden Parteien kann ein Argument für die von der Linken-Politikerin Wagenknecht angestrebte Sammlungsbewegung „Aufstehen“ gesehen werden, jedoch fehlt es dazu an einer dazu passenden SPD. Diese könnte allerdings als Korrektiv innerhalb einer Koalition aus drei Parteien (Grüne-SPD-Linke) fungieren. Solange eine Lagermentalität in alten Schemata wie links-rechts, konservativ-fortschrittlich oder nationalistisch-europäisch in Parteien gepflegt wird, können die sich abzeichnenden Veränderungen des Wahlverhaltens nicht in Politik umgesetzt werden. Unter diesem Aspekt gesehen zeigt die Grafik ganz deutlich die treibende Kraft der AfD mit ihrem überbetonten Blau, die zur Koalition aus CDU/CSU und SPD drängt und bei Bedarf auch die FDP einbeziehen wird. Sollte sich die SPD tatsächlich aus der Umklammerung national-konservativer Kräfte lösen wollen, so reichte dazu nicht ein nur formaler Schritt aus, wie es das Verlassen der großen Koalition wäre, sondern es müsste ein struktureller Wertewandel vor sich gehen, der zu einer Verlagerung von Macht in Richtung Grüne und Linke führen wird. Solch ein Schritt bedeutet einen Einschnitt, der eine ähnliche Tragweite hat, wie das Godesberger Programm, mit dem die SPD den Schritt zur kapitalistischen Volkspartei getan hat – das Ergebnis wäre jedoch offen.

Parteien in einer Demokratie mit kapitalistischem Überbau unterliegen Dynamiken, die sie nicht beherrschen. Darin drücken sich ihre Schicksale aus. Zu diesen Schicksalen gehört auch das Erlöschen ihrer Namen, wie das Beispiel der italienischen Democrazia Cristiana zeigt, was jedoch nicht das Erlöschen politischer Ideen bedeutet. Was die Politiker der SPD in dieser für sie schicksalhaften Zeit lernen sollten, ist Demut vor den Wählern und die Offenheit, neue politische Verbündete zu finden. Ein unumgängliches Signal zu einem solchen Neuanfang wäre das Eingeständnis jenes Kardinalfehlers, der mit dem Begriff Harz IV bezeichnet wird und die sofortige Aussetzung von Stafmaßnahmen gegen Arbeitnehmer.

In den folgenden Grafiken werden die Wertewelten der Kandidaten zur hessischen Landtagswahl nach dem System der Spiral Dynamics dargestellt. Diese Darstellungen geben einen Eindruck von dem Kräftefeld, in dem sich die jeweilige Person bewegt. In einem weiteren Schritt stelle ich die Kandidaten im Spiegel von 8 Themenkomplexen dar, die zu den wichtigsten Aufgaben der Landespolitik gehören. Es handelt sich dabei um

  • die Baupolitik, die aus Sicht der Wähler summarisch in den Wohnungsmieten zum Ausdruck kommt,
  • die Bildungspolitik, die durch das Schlagwort „Schule“ abgebildet wird,
  • die innere Sicherheit, die durch den Begriff „Kriminalität“ erfasst wird,
  • das Querschnittsthema Ausländer, das durch das Schlagwort „Flüchtlinge“ zum Ausdruck gebracht wird,
  • den Verkehr, der keiner weiteren Umschreibung bedarf,
  • die Umwelt, die ebenfalls keiner weiteren Umschreibung bedarf,
  • die Wirtschaft, die nicht zu den originären Aufgaben des Staates gehört und nur in begrenztem Umfang gemeit ist, jedoch sprachlich nur schwer einzugrenzen ist. Der hierfür am besten passende Begriff wäre „Staatsquote“, dieser Begriff ist jedoch nicht allgemein gebräuchlich;
  • die Verbraucherpolitik, die alle Menschen innerhalb der Landesgrenzen angeht, jedoch in besonderem Maße Bedeutung für Sozialschwache und bildungsferne Bevölkerungsteile große Bedeutung hat. Sie wird durch die Benennung der Adressaten eindeutig bezeichnet.

Nachfolgend werden die Ergebnisse der Untersuchungsschritte grafisch dargestellt und kommentiert. 

WMeme Parteien in Hessen

Wertewelten der Parteien in Hessen im Vergleich zum Land als Ganzes

In dem oben stehenden Vergleich der Parteien in Hessen kommt deren Wirkungsrichtung im Bezug zum Land zum Ausdruck. Ein Vergleich kann nicht als absolute Feststellung erfolgen, sondern nur im Verhältnis zu anderen Parteien. So ist festzustellen, dass sich alle Parteien bezüglich Orange deutlich unterhalb des Landesniveaus befinden, Grüne und Linke wesentlich weniger als die anderen Parteien, AfD und CDU in gleichem Maße, die SPD etwas abgeschwächt und die FDP in einer mittleren Position. In der Beziehung von Blau und Grün zu den Landeswerten unterscheiden sich AfD und CDU deutlich voneinander, hier zeigt sich dagegen große Übereinstimmung zwischen CDU und SPD. Letzteres gilt ebenfalls für Grüne und Linke.

Kandidaten Landtagswahl Hessen 2018

Wertememe der Spitzenkandidaten zur Landtagswahl in Hessen 2018

In der Betrachtung der Kandidaten zeigen sich strukturell – mit Ausnahme des AfD-Kandidaten – keine Brüche. Bei allen ist Orange das dominierende Wertesystem, jedoch mit deutlichen Unterschieden. Den Spitzenwert erreicht der CDU-Kandidat, gefolgt vom SPD-Kandidaten, deutlich davon abgesetzt auf gleichem Niveau die Kandidaten von Grünen und FDP und schließlich die Kandidatin der Linken. Besondere Akzente stellen das starke Grün bei der Grünen-Kandidatin und das starke Blau bei dem AfD-Kandidaten dar. Bei der Kandidatin der Linken ist auf das starke Rot und das im Gleichgewicht befindliche Verhältnis von Blau und Grün hinzuweisen. Das Niveau von Orange bei den Kandidaten von CDU und SPD hebt sich deutlich von dem ihrer Parteien ab. Hierin werden Zweckoptimismus und die Hervorhebung eigener Regierungsleistungen mit zum Ausdruck kommen. Im Sinne der Werthaltung stellen sie eine gefährliche Selbstüberschätzung dar, die vom Wähler eher bestraft als honoriert wird.

Kandidaten LT-Wahl Hessen 2018

Themen der Spitzenkandidaten zur Landtagswahl in Hessen 2018

Wenn es bei der Landtagswahl um die Fragen geht, die für das Leben der Menschen wichtig sind und um das Interesse der Politiker an diesen Fragen, so gibt die oben stehende Grafik Auskunft über die öffentliche Wahrnehmung der Spitzenkandidaten in dieser Hinsicht. Bei den 8 untersuchten Politikfeldern zeigen sich Spitzenwerte in den Themenbereichen Wirtschaft und Verkehr, die bei allen Kandidaten an erster Stelle liegen – mit Ausnahme der Kandidatin der Grünen, bei der die Verbraucherpolitik den Vorrang hat. Die Verbraucherpolitik nimmt jedoch auch bei den Kandidaten von CDU und SPD einen hervorgehobenen Stellenwert ein. Besondere Akzente werden darüber hinaus von der Kandidatin der Grünen im Politikfeld Umwelt, von dem Kandidaten der FDP im Politikfeld Schule und von dem Kandidaten der AfD im Politikfeld Flüchtlinge gesetzt. Auffallend ist, dass die anderen Kandidaten sich nicht von der AfD im Flüchtlingsthema fesseln lassen haben. Eine hervorgehobene Bedeutung hat auch das Thema Kriminalität bei den Kandidaten von AfD und Grünen. Eine geringe Wahrnehmung gibt es jedoch – entgegen der immer wieder von den elektronischen Medien hervorgehobenen Bedeutung – für das Thema Wohnungsmieten. Es drängt sich hierzu der Eindruck auf, dass es sich dabei um ein stellvertretendes Thema für die angespannte Einkommenssituation großer Bevölkerungsteile handelt, wobei eine räumliche Komponente (Ballungszentren) einbegriffen ist, handelt.

Themenschwerpunkte Hessen 2018 im Vergleich

Themenschwerpunkte der Spitzenkandidaten zur Landtagswahl in Hessen 2018 – Vergleich mit dem Durchschnitt aller Kandidaten

In der vorstehenden Grafik werden die Stärken und Schwächen der Kandidaten innerhalb der Themensetzung am Durchschnitt aller Kandidaten dargestellt. Hier bestätigen sich die bereits zuvor festgestellten Stärken, es werden jedoch auch die Schwächen gut sichtbar. Diese liegen beim CDU-Kandidaten in den Themen Schule und Umwelt, bei der Grünen-Kandidatin bei den Themen Wirtschaft und Verkehr, bei der Linken-Kandidatin bei den Themen Verbraucher und Umwelt, bei dem FDP-Kandidaten bei den Themen Verkehr und Verbraucher und bei dem AfD-Kandidaten ebenfalls bei den Themen Verkehr und Verbraucher. Den Durchschnitt bildet nahezu ideal der Kandidat der SPD ab, der unter diesem Aspekt gute Aussichten auf einen Wahlerfolg hat. Hiermit ist jedoch nichts über die Qualität der Sachaussagen zu den einzelnen Themenkomplexen gesagt, sondern es ist lediglich festgestellt, dass er in allen Themenkomplexen gut wahrgenommen wird – worin eine Grundbedingung für einen Wahlerfolg zu sehen ist.

 

 

 

 

Über Fidelio

Ich bin 69 Jahre alt, verheiratet und habe zwei erwachsene Kinder. Meine berufliche Tätigkeit als Stadtplaner habe ich vor fünf Jahren beendet und ich widme mich seitdem intensiver um dieses Internetprojekt, Kommentare und Beiträge, die sich auf die hier veröffentlichten Themen beziehen sind mir willkommen!
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