Ein Papst aus Peru eint die Welt?

Er nennt sich Leo XIV. und ist ein poliglotter Fürsprecher der Armen, stammt aus dem reichsten Land der Welt und will zusammenführen, was sich schon lange auseinander entwickelt hat. In der aktuellen Weltlage könnte Mensch sich die Augen reiben und prüfen, ob er ganz wach ist. Allerdings – nach Franziskus als Papst hat sich die Welt nicht nur an Kriege gewöhnt, neben queeren Menschen gilt es auch, unkonventionelle Päpste zu akzeptieren. Eine Welle aus religiöser Ergriffenheit, aufpoliertem Traditionsbewusstsein, Staunen übers Fremdgewordene und Spaß am Kuriosen ist übers Land geschwappt und hat ein Zeichen gegen die Hoffnungslosigkeit gesetzt. Das große Schauspiel der katholischen Kirche hat wieder einmal funktioniert, das Ritual, das eher an das Mittelalter erinnert als im Raketenzeitalter angesiedelt zu sein, hat wieder funktioniert. Ein Gremium von 133 alten Männern hat sich von der Welt abschließen lassen und im Geheimen einen Nachfolger für Papst Franziskus gewählt, solange, bis einer von ihnen eine Zweidrittel-Mehrheit erhalten hat. Freie Wahlen sehen anders aus!

Immerhin hatte man sich in 12 Gesprächsterminen vor dem Showdown über ein wünschenswertes Profil des Neuen unterhalten. Es sollte einer sein, der die Linie des Alten fortsetzt, auf der Seite der Armen, Ausgegrenzten, Kriegsopfer und Geflüchteten steht und den Menschen die Wege aus der Finsternis der Welt zeigt und stark macht, diese Wege zu beschreiten. Doch es sollte keine Franziskus-Kopie sein, d. h. sprunghafte Entscheidungen und Eingriffe in Lehramtsentscheidungen sollten vermieden werden. Zwar sollte der von Papst Franziskus begonnene Reformkurs behutsam fortgesetzt werden, jedoch bleibt beispielsweise für die Priesterweihe von Frauen oder die Lockerung der Sexualmoral wenig Hoffnung.

Als der gewählte Papst dann – am Jahrestag der deutschen Kapitulation im 2. Weltkrieg – auf der Loggia des Petersdoms steht, hat er die rote Mozzetta an und die Brokat-Stola, auf die Papst Franziskus bei seinem Auftritt nach der Wahl demonstrativ verzichtet hatte. Er beginnt seine Ansprache an die große Menschenmenge auf dem Petersplatz mit den Worten: »Der Friede sei mit Euch allen!… Das ist der Friede des auferstandenen Christus – ohne Waffen, demütig, waffenlos, er kommt direkt von Gott, der uns alle liebt.« Damit setzt er ein deutliches Statement – nicht für einen „Frieden“ der waffenstarrenden Abschreckung, sondern für Frieden ohne Waffen. Auch mit dem von ihm gewählten Namen Leo setzt er – wie es die Tradition der Päpste will – ein deutliches Zeichen, indem er sich in die Nachfolge des Vorgängers mit diesem Namen – Leo XIII. – stellt.

Leo XIII. lebte von 1810 bis 1903 und war mit 25 Amtsjahren nach Benedikt XVI. der Papst mit der längsten Amtszeit. Er ist als politischer Papst in die Geschichte eingegangen. Dieser Hinweis, wie auch seine öffentliche Verurteilung der Haltung des amerikanischen Vizepräsidenten JD Vance bezüglich der geteilten Zuwendung von Liebe – »erst (an) seine Familie, dann seine Gemeinschaft, dann seine Mitbürger und danach den Rest der Welt«-, die er noch als Kardinal geäußert hat, wird als Bestätigung für die Ernsthaftigkeit der Namenswahl gelesen.

Nachfolgend versuche ich, einen tieferen Einblick in die persönlichen Beziehungen des neuen Papstes zur Welt mit den Mitteln dieses Projektes zu erhalten. Dazu werde ich zunächst die Wertewelten nach dem System der Spiral Dynamics in drei der vom Papst benutzten Sprachen darstellen, gefolgt von den Quadranten der Integralen Theorie Ken Wilbers, die von den traditionellen Weisheitslehren inspiriert ist. Damit werden die wesentlichen Anforderungen des AQAL-Ansatzes (alle Quadranten, alle Level) erfüllt. In einem weiteren Schritt werde ich eine Matrix programmatisch aufgeladener Papstnamen und des als Neuerer für eine neue Zukunft des Christentums zu verstehenden Jesuiten Pierre Teilhard de Chardin erstellen, die Papst Leo in virtuelle Verbindungen mit diesen Personen bringt.

Grafik 1: Wertewelten von Papst Leo 14 in 3 Sprachen

In Grafik 1 sind die Wertewelten von Papst Leo 14. für die drei Sprachen dargestellt, die für seinen Werdegang als bedeutsamste erscheinen. Hierin kommen seine Muttersprachen Spanisch (Mutter) und Italienisch (Vater) wie auch die Sprachen seines schulischen und beruflichen Umfeldes (Englisch u. Italienisch) zum Ausdruck. Daneben spricht er auch Französisch (Vater) und Portugiesisch sowie etwas Deutsch und Latein.

Die Grafiken spiegeln nicht das Selbstbild des neuen Papstes wider, sondern die Resonanzen, die sein Wirken und sein persönliches Auftreten in den jeweiligen Sprachräumen hervorrufen. Deshalb habe ich hier nicht den nach der Theorie der Spiral Dynamics üblichen Begriff „Wertemem“ (WMem) verwendet, sondern den von mir gewählten Begriff „Wertewelt„. Dieser unterscheidet sich vom Wertemem dadurch, dass er auf kollektiver Ebene erscheint und mehrere – auch gleichstarke – Wertememe umfasst und in einem virtuellen Raum existiert.

Die Ergebnisse lassen eine strukturelle Unterscheidung zwischen den beiden Sprachen Englisch und Spanisch einerseits und Italienisch andererseits zu. Dabei sind sich die beiden erstgenannten Wertewelten strukturell ähnlich. Sie zeichnen sich durch ein überragend starkes WMem Grün aus und schwache Anteile von Blau und Orange, wobei Blau sich deutlich von Orange abhebt. In diesen Bildern kommt die vom Papst als vorrangig erkannte Aufgabe zum Ausdruck, Brücken zwischen verschiedenen Menschen und Kulturen, Progressiven und Konservativen zu schlagen und das soziale Moment in das Bewusstsein zurückzuholen und zu stärken. Dass er ein Brückenbauer sein will in einem Zeitalter der Spaltungen, Fragmentierung und Vereinzelung hat er mehrfach in den seltenen Äußerungen und Interviews, die es von ihm gibt, zu erkennen gegeben. Ihn treibt die Frage um, was hält die Welt und speziell auch die Kirche unter diesen Umständen zusammen? In diesem Sinne ist er ein Förderer des unter dem Druck der Missbrauchsskandale  begonnenen synodalen Wegs der Kirche, der eine Abschwächung der Hierarchien in der Kirche bedeutet. Dabei kann unter dem Einfluss des WMems Grün keine homogene Volkskirche entstehen, sondern eine Einheit im Geiste, die aus vielen harmonisch ausgewogenen Wertewelten auf allen Hierarchiestufen entsteht.

Die Struktur der beiden angesprochenen Sprachräume erscheint noch an einer Euphorie des Aufbruchs zu kranken, der ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Grün, Blau und Orange fehlt. Das als Speerspitze der Evolution anzusehende Grün benötigt kollektiv organisiertes know-how aus dem traditionellen Erfahrungsschatz des Blau und die individuelle Unterstützung aus dem erfolgsorientierten Orange. Die Justierung dieser Verhältnisse erfolgt durch transzendentale Kräfte, die aus Gelb und Türkis bereit gestellt werden, und auf dem Weg der Transzendenz erschlossen werden können. Dazu braucht es charismatische Führer, an denen es der Kirche in den Sprachräumen Englisch und Spanisch offensichtlich mangelt.

Ein etwas anderes Bild ergibt sich für den Sprachraum Italienisch. Hier dominiert Orange vor Grün neben einem relativ starken Blau, gefolgt von deutlich erkennbarem Rot. In dieser Struktur kommt der Einfluss des Arbeitsfeldes des ehemaligen Kurienkardinals Robert Francis Prevost zur Geltung. Als solcher hatte er in Rom als Präfekt des Bischofsdikasteriums – quasi als oberster Personalchef der Bischöfe – einen guten Überblick über die Weltkirche. Davor hatte er bereits hier seinen Sitz als Generalprior des Augustinerordens und überwiegend auf Reisen durch die Ordensprovinzen. Diese Funktionen und die darin gesammelten Erfahrungen haben Papst Leo 14. vermutlich wesentlich mitgeprägt – obwohl die seine Resonanz innerhalb des italienischen Sprachraums am geringsten ist. Die Gründe hierfür liegen sicher in der geringeren Größe des Sprachraums gegenüber dem Englischen und Spanischen, aber auch an den Aufgabenbereichen, die nur wenig Möglichkeiten für öffentliche Auftritte lassen. 

Grafik 2: Resonanzen der WMeme

Die  vom „Personalchef“ Prevost verwalteten Bischöfe können als die leitenden Personen in der Kirchenhierarchie angesehen und verfügen über das Selbstbewusstsein von Führungskräften, die auf der Erfolgsleiter ganz oben und erfüllen damit das Hauptkriterium von der Wertewelt in Orange. Resonanzen auf Prevost sind am ehesten aus dieser Wertewelt zu erwarten, undzwar in einer Differenzierung, die das oben aufgezeigte Spektrum enthalten und somit einen tieferen Einblick in die Strukturen der Kirche gewähren. Dabei kommt auch das zum Tragen, was nicht von Prevost selbst in die Öffentlichkeit getragen werden konnte. Hier steht somit Prevost als stummer Zeuge im Hintergrund der Diskussionen, die andere – vor allem die Bischöfe – über ihn führen.

Bemerkenswert ist hier das starke Blau, das den starken Einfluss konservativer Kräfte in dem innerkirchlichen Diskussionsprozess erkennen lässt. Das starke Rot ist ein Hinweis auf die dabei eingesetzten Mittel, die auch vor Gewalt nicht zurückschrecken. Dabei wird vieles im Dunkel bleiben, wie die Geschichte der Kirche lehrt.

Grafik 2: Resonanzen der WMeme

In Grafik 2 sind die Resonanzen in den vier Quadranten als Kodifizier-ungen dargestellt. Die angegebenen Zahlenwerte geben die Abweichungen von einem theoretischen Mittelwert an, der sich bei gleicher Stärke aller Quadranten ergibt, d. h. jeder Quadrant wird mit 25% Anteil angesetzt. Die Kodewerte geben darauf bezogen an, wieviel 5-Pro-zentschritte der ermittelte Wert hiervon abweicht. Aus methodischen Gründen sind hierbei die beiden rechten Quadranten zusammengefasst.

Die Grafik zeigt auf, dass in allen drei Sprachräumen erhebliche Unterschiede bestehen. Die auffallendste Abweichung von dem theoretischen Normalbild ist im italienischen Sprachraum – also im unmittelbaren Einflussbereich des Vatikan zu sehen. Dort kommt es zu einer nahezu totalen Verlagerung der beiden rechten Quadranten – die für die objektive, wissenschaftliche Weltsicht stehen – zur kulturellen Sicht des unteren linken Quadranten. Es scheint so, als habe sich die katholische Kirche von barocker Schönheit gefangen nehmen lassen und die geistigen Ressourcen an die Betrachtung großer Kunst und die Hervorbringung weniger überragender Persönlichkeiten gebunden. Darin liegt auch für den neuen Papst eine große Versuchung, der Franziskus nur mit verstörendem Aktionismus ausweichen konnte.

Eine ganz andere – wenn auch unterschiedliche – Beurteilung ergibt sich für die beiden anderen Sprachräume. Im englischen Sprachraum ist eine Verlagerung der geistigen Potentiale aus den rechten Quadranten hin zum oberen linken Quadranten zu sehen, der für die psychischen Aktivitäten des Ich steht. Hierzu ist anzumerken, dass eine Schwäche – etwa von der Stärke des Grades 2 – für westliche Industriegesellschaften als obligatorisch anzusehen ist. Der für kulturelle Prägung stehende linke untere Quadrant liegt hier im Mittelwert.

Innerhalb des spanischen Sprachraums evoziert der Name des Kardinals Prevost einen höheren Wert als jenen, der nach dem vorher Gesagten zu erwarten wäre. Dagegen besteht hier eine deutliche Verlagerung vom oberen linken (Ich-)Quadranten zum unteren linken (Wir-)Quadranten, der die kulturelle Bedeutung hervorhebt und auch hier die italienische Tendenz erkennbar werden lässt.

Insgesamt kann nach den Quadrantenbildern ein verbreitetes Defizit objektiver Erkenntnis in der katholischen Kirche abgelesen werden, das vor allem von der römischen Kurie verantwortet wird und sich insbesondere auf den Alltag der Menschen in der Kirche in moralischer Bevormundung bemerkbar macht und innerhalb der Kirchenhierarchie selbst und in der Weltkirche zunehmend auf Widerstand stößt.In der vorstehenden Tabelle sind Bezüge zwischen dem neuen Papst und bedeutsamen Päpsten der Kirchengeschichte und dem verfemten jesuitischen Neuerer des Glaubens –Teilhard de Chardin – dargestellt. Darüber hinaus können daraus auch virtuelle Beziehungen zwischen verstorbenen Personen hergestellt werden, die gemeinsam im Internet und in Printmedien zu ausgewählten Themen erwähnt werden.

In dem hier interessierenden Zusammenhang sind die Beziehungen von Kardinal Prevost zu seinem päpstlichen Namensgeber Leo XIII., seinem unmittelbaren Vorgänger Papst Franziskus und dem von der Kirche verfemten Teilhard von Interesse. Letzterer steht für den Versuch, die mit Descartes im 17. Jh. beginnende Trennung zwischen Glauben und Wissenschaft in einer neuen Spiritualität aufgehen zu lassen. Damit wollte Teilhard die zunehmenden Widersprüche zwischen wissenschaftsgestütztem Leben im Alltag der Gläubigen und Moralgesetzen der Kirchen in der unmittelbaren Transzendenz der Individuen aufheben und den notwendigen Fortschritt zu einem angstfreieren Leben ermöglichen.

Die in den letzten Jahren unternommenen Anläufe zu einer Rehabilitierung Teilhards sind ein komplexes und andauerndes Thema, das sowohl Unterstützung als auch Kritik hervorruft.

Die Kongregation für die Glaubenslehre (damals Heiliges Offizium) erließ 1962 ein Monitum (Warnung) gegen Teilhards Schriften, da sie „Zweideutigkeiten und sogar schwerwiegende Irrtümer“ enthalte, die der katholischen Lehre widersprächen.

Teilhard durfte zu Lebzeiten keine theologischen Werke veröffentlichen, und seine Hauptwerke wie Das Göttliche Milieu und Der Mensch im Kosmos erschienen erst posthum. Paul VI. und Johannes Paul II. erwähnten Teilhard positiv, ohne das Monitum aufzuheben. Benedikt XVI. zitierte ihn 2009 in einer Predigt über die „kosmische Liturgie“ und deutete an, dass Teilhard nicht mehr als heterodox gelte. Papst Franziskus bezog sich mehrfach auf ihn, u. a. in Laudato si’ (2015) und in einer Ansprache in der Mongolei (2023), wo er Teilhards „Messe über die Welt“ lobte.

2017 stimmte das Päpstliche Kulturamt mehrheitlich für eine Aufhebung des Monitums. Eine weitere Petition von Sr. Kathleen Duffy (SSJ) fordert sogar, Teilhard zum Kirchenlehrer zu ernennen.

Im März 2025 widmete L’Osservatore Romano ihm eine zweiseitige Würdigung, was als Zeichen wachsender Akzeptanz gedeutet wird. Kritiker (wie traditionelle Kreise und das FSSPX) halten Teilhard für pantheistisch, evolutionistisch oder gar häretisch. Einige Forscher (z. B. John P. Slattery) werfen ihm rassistische und eugenische Tendenzen vor. Seine Konzepte wie der „kosmische Christus“ und die „Noosphäre“ gelten manchen als zu spekulativ.

Das Monitum von 1962 wurde bisher nicht offiziell widerrufen, aber die jüngsten Äußerungen von Papst Franziskus und die Diskussionen im Vatikan deuten auf eine de-facto-Rehabilitation hin. Eine formelle Erhebung zum Kirchenlehrer erscheint dagegen unwahrscheinlich, solange die Kontroversen andauern.

Teilhard bleibt somit eine polarisierende Figur – verehrt von Befürwortern einer Dialogtheologie zwischen Wissenschaft und Glauben, aber weiterhin skeptisch betrachtet von Traditionalisten. Sein Schicksal könnte zu einem Testfall für den neuen Papst als Brückenbauer werden.

In der obigen Tabelle ist abzulesen, dass die Namenswahl von Leo XIV. eine konsequente Weiterentwicklung der Bezugnahme auf seinen Vorgänger im Namen ist und darüber hinaus eine starke Beziehung zu dem charismatischen Papst Johannes Paul II. besteht. Darüber hinaus ist die anhaltende Aktualität des Wirkens von Teilhard de Chardin – der auch zu den geistigen Vätern der Integralen Theorie von Ken Wilber gehört – in der Tabelle abzulesen.

Über Fidelio

Ich bin 1949 geboren und war in meiner berufstätigen Zeit als Stadtplaner in einer mittelgroßen kommune tätig. Seit meiner Studienzeit habe ich mich für die Entwicklung eines erweiterten geistigen Horizonts interessiert und einige Anstrengungen unternommen, mich persönlich in diesem Sinne zu entwickeln. Aufgrund meiner katholischen Erziehung habe ich in den 1960-er Jahren begonnen, mich intensiver mit dem modernen Mystiker Teilhard de Chardin zu befassen und bin so zur Gedankenwelt von Ken Wilber gekommen, die ich in diesem Projekt nutzbar zu machen versuche.
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