Integrale Kennzeichen ukrainischer Großstädte

Grafik 2: Wertememe ukrainischer Großstädte, der Ukraine und Russlands auf der Basis von Internet-Abfragen in russisch

Grafik 2 zeigt in der Abfrage unter Verwendung von russisch gravierende Unterschiede bezüglich der Gesamtsituationen in den beiden Ländern. Das trifft in verstätktem Mass für Russland zu, wo gegenüber dem auf Blau beschränkten Wertesystem nun das ganze Spektrum der Entwicklungsspirale in Erscheinung tritt – mit Ausnahme des archaischen Purpur und des holonischen Türkis. Überraschend wird das Bild für Russland massgeblich durch Orange geprägt. Dieses Ergebnis ist durch die Übergangsphasen von dem kollektiven Blau zu dem individualistischen Orange erklärbar. In dieser Phase wird die unter Blau herrschende Autorität von den orangen Individuen weiterhin respektiert, jedoch nur, wenn sie gegenwärtig ist. Diese Gegenwart wird in Russland durch eine gut organisierte Propaganda-Maschinerie gewährleistet. Jede Schwäche der Autorität führt jedoch zu Machtspielen, wie sie in Prigoschins Marsch auf Moskau sichtbar wurden. Die starke Ausprägung von Orange zeigt, dass es jederzeit in Russland zu einem Machtwechsel kommen kann. Hierbei müssen jedoch zwei wesentliche Voraussetzungen erfüllt sein: Das durch die vom Westen verhängten Sanktionen gegen Russland haben zu einem sehr starken Beige geführt, dass auf große Notlagen in Russland hindeutet. Die hohen Verluste an Menschenleben durch den Krieg und die massenhafte Flucht junger Menschen vor dem Kriegsdienst bilden sich hierin zusätzlich ab. Soweit es sich um materielle Notlagen handelt, müssen diese bei einem Machtwechsel kurzfristig behoben werden. Eine zweite Voraussetzung ist die Stärkung und Nutzung blauer Kompetenzen, um die staatliche Ordnung aufrecht zu halten, da das Land sonst im Chaos versinkt, wie die Beispiele im arabischen Frühling gezeigt haben. Das starke Gelb stellt die Fähigkeiten zur Verfügung, einen Wandel in dem skizzierten Prozess unter Nutzung aller verfügbaren Wertesysteme zu lenken.

Das Bild der Ukraine unterscheidet sich diesbezüglich durch wesentlich schwächeres Grün und Rot bei wesentlich stärkerem Blau. Es sind hierin gegenläufige Tendenzen gegenüber dem Bild von Russland erkennbar, die vermutlich der Kriegssituation in der Ukraine geschuldet sind. Die von Russland besetzten Gebiete in der Ostukraine werden unter Verwendung russischer Direktiven durch das Militär neu strukturiert und zwingen die überwiegend russisch sprechende Bevölkerung in Verhaltensmuster hinein, die dem russischen Ideal der Zeit vor dem Krieg entsprechen. Das Ergebnis ist daher ein Spiegelbild eines Russland, wie es vor dem Krieg und vor den westlichen Sanktionen war.

Auch die Städte zeigen deutliche Unterschiede, die eine eindeutige Charakteristik erkennen lassen: die durch den Krieg hervorgebrachte Gewalt wird hier nur marginal zum Ausdruck gebracht, dafür tritt gegenüber Grafik 1 Blau stark hervor und überflügelt in Simferopol, Luhansk, Sewastopol, Saporischschja, Donezk und Kiew das ansonsten dominierende Orange. Was für die Städte der Ostukraine oben ausgeführt wurde, gilt prinzipiell auch hier.

 Das für den Entwicklungsstand in der Gesamtspirale und den Übergang zu Wertesystemen zweiter Ordnung wichtige Grün tritt besonders in Lwiw und in etwas hervorgehobener Position in Kiew hervor. Für Lwiw kann damit festgehalten werden, dass diese nahe der polnischen Grenze liegende Stadt eine unumstrittene Funktion als Auffangstation für viele Binnenflüchtlinge hat, die hier für eine kulturelle Vielfalt, wie sie für Grün typisch ist, sorgen.

Ebenfalls bemerkenswert sind die starken Anteile von Beige in Sewastopol und Kiew sowie das betonte Gelb in Sewastopol und Simferopol. Die letztgenannte Stadt, die auf der Halbinsel Krim liegt, ist Hauptstadt der von Russland anektierten Autonomen Republik Krim. Hier tritt auch das Gewalt symbolisierende Rot hervor.

Grafik 3: Die vier Quadranten in ukrainischen Großstädten, der Ukraine und Russlands im Juli 2023

Als notwendige Abrundung des Bildes der Hauptkräfte integraler Entwicklung sind die Stärken und Schwächen in den vier Quadranten der geistig-psychischen, kulturellen und sozialen Erscheinungsformen des „in der Welt seins“ aufzuzeigen.

In Grafik 3 sind die Ergebnisse für die Ukraine und Russland, sowie für die 14 Städte der Ukraine in Form von Quadrantenbildern aufgelistet. Hier sind die Ergebnisse durch die unmittelbare Gegenüberstellung für die beiden Sprachen ukrainisch und russisch direkt vergleichbar.

Wie oben werden auch hier zunächst die Länderergebnisse kommentiert. Für beide Länder ist eine starke Polarisierung der Sprachen erkennbar, aber auch innerhalb der Sprachen zwischen den Ländern. In der Ukraine gibt es Übereinstimmung in den UL-Quadranten, die starke Defizite im kulturellen Bereich aufweisen (siehe meinen letzten Beitrag). Diese Defizite führen zu unterschiedlichen Ergebnissen in  den OL-Quadranten und in den rechten Quadranten. In ukrainisch ergibt sich in den R-Quadranten ein Defizit, wie es auch in westlichen Ländern  häufig auftritt und seine Ursachen in der Organisation der Wissenschaften hat. Es ist daher bemerkenswert, wenn in diesen Quadranten ausgeglichene oder sogar positive Werte erscheinen.

In russisch bestehen jedoch andere Verhältnisse, bezüglich der Ukraine gibt es einen Überschuss, bezüglich Russland ausgeglichene Verhältnisse. In allen Fällen führen die Defizite zu Überschüssen in den OL-Quadranten mit dem stärksten Überschuß in dem in ukrainisch ermittelten Quadranten der Ukraine. Dieses extreme Ergebnis ist ein deutlicher Hinweis auf die starke Belastung durch den Krieg. In schwächerem Maß ist diese Feststellung auch für Russland gerechtfertigt, wo die entsprechenden Ergebnisse in der russisch formulierten Abfrage ermittelt wurden. Gleichzeitig ist festzustellen, dass dieser Anstieg zu Lasten der Aktivitäten im UL-Quadranten geht, der damit eine entsprechende Schwächung der kulturellen Aktivitäten bedeutet.

Grundsätzlich steht die Aktivität im OL-Quadranten in funktionalem Zusammenhang mit dem WMem Orange. Sowohl Orange wie auch das in der europäischen Aufklärung erwachte Ich des OL-Quadranten sind Hinweise auf die westliche Lebensart und erklären weitgehend die Unterschiede zwischen den Ergebnissen für die Ukraine und Russlands. Während in der Ukraine für 11 Städte positive Tendenzen und lediglich für Lwiw als einziger Stadt eine negative Tendenz zu sehen sind, finden sich unter den russisch ermittelten Ergebnissen lediglich vier Städte (Charkiw, Dnipro, Lwiw und Sewastopol) mit russischen und vier Städte (Kiew, Krywyj Rih, Saporischschja und Luhansk) mit negativen Tendenzen. Unter den genannten Städten sind Saporischschja, Mykolajiw, Winnyzja und Sewastopol besonders zu erwähnen, da hier die stärksten Reaktionen im OL-Quadranten der linken Grafikreihe gemessen wurden.

Besonders hinzuweisen ist auf Lwiw, dass ein eigenes Muster der Quadranten mit sehr starker Aktivität in den R-Quadranten und Defiziten im OL– und vor allem im UL-Quadranten zeigt. Eine Erklärung hierfür kann – wie bereits bezüglich der WMeme erwähnt – in seiner geografische Lage nahe der polnischen Grenze und die daraus resultierende Funktion als Transferstation für Materialien aus dem Westen sowie als Aufnahmeort für Binnenflüchtlinge zu finden sein.

Von den Städten zeigen die rechtsseitigen Grafiken (russisch abgefragt) auffallend viele Quadrantenmuster, die ausgeglichen sind, oder mit geringen Abweichungen als ausgeglichen angesehen werden können. Die Ursachen hierfür können in der Einstellung der verbliebenen städtischen Bevölkerung, die mit den russischen Truppen sympathisiert, zu suchen sein oder in der Unterdrückung öffentlich geäußerter Meinungen und Berichte durch die Besatzer. Denkbar ist auch die Angst von russischen Minderheiten vor Repressalien durch ukrainische Muttersprachler oder offizielle zivile und militärische Kräfte.

Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass eine bessere Auswertung der Ergebnisse nur durch Kenntnisse der örtlichen Situationen möglich ist. Das gilt auch für die Ableitung möglicher Optionen die auf der Grundlage der Ergebnisse an einigen Stellen angedeutet sind, jedoch nur als Möglichkeiten anzusehen sind, die sich unter Kriegsbedingungen täglich ändern können.

 

 

 

 

 

 

 

Über Fidelio

Ich bin 1949 geboren und war in meiner berufstätigen Zeit als Stadtplaner in einer mittelgroßen kommune tätig. Seit meiner Studienzeit habe ich mich für die Entwicklung eines erweiterten geistigen Horizonts interessiert und einige Anstrengungen unternommen, mich persönlich in diesem Sinne zu entwickeln. Aufgrund meiner katholischen Erziehung habe ich in den 1960-er Jahren begonnen, mich intensiver mit dem modernen Mystiker Teilhard de Chardin zu befassen und bin so zur Gedankenwelt von Ken Wilber gekommen, die ich in diesem Projekt nutzbar zu machen versuche.
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