Neue Wege in den USA – Mit Vielfalt gegen rechten Populismus II

Was ist die Stadt und was kann sie sein?

Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Städte im öffentlichen Widerstand gegen Trumps Politik und darüber hinaus auch gegen neoliberale Bestrebungen der etablierten Parteien eine wichtige Rolle als Bühnen und Akteure spielen, gleichzeitig aber auch als komplexe Ganzheiten (Holons) agieren, die in Wechselwirkung mit den übergeordneten Holons stehen. In Ausdrücken von Wilbers Integraler Theorie: Städte sind grundlegende Holons, ohne die keine Entwicklung zu höheren Ebenen möglich ist. Eine nationale Politik, die dieses verkennt, entzieht sich also die Grundlage für die eigene Existenz. Die seit den 1980er Jahren weltweit eingeleitete Liberalisierung der Geldflüsse und die arbeitsteilige Verlagerungen der Güterproduktion sowie der Dienstleistungen hat die über Jahrtausende gewachsene Rolle der Städte weitgehend ignoriert und sich auf relativ wenige Global Cities und Metropolen konzentriert und führen dort zur Gentrifizierung und zum Trading down. Die in diesen Städten stattfindenden Prozesse spiegeln daher die gesellschaftlichen Folgen der neoliberalen Globalisierung wider.

Urban sprawl in Los Angeles (USA); Quelle: Flickr

Die seit der Besiedlung Amerikas durch die Europäer neu entstandenen Stadt-Typologien und die Entstehung der Nationalstaaten in der Barockzeit bedeuteten einen grundlegenden Wandel vom Idealbild der europäischen Stadt, die nach dem Vorbild der griechischen Polis das Mittelalter überdauert hatte, zur Stadt in der Moderne, die zunächst durch Industrialisierung und Massenelend bestimmt war. Lewis Mumford beschrieb diesen Prozess treffend:“Zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert machte sich in Europa ein neuer Komplex kultureller Erscheinungen geltend. Daher änderte sich das städtische Leben nach Form und Inhalt grundlegend. Die neue Daseinsform entsprang einer neuen Wirtschaftsordnung, dem merkantilistischen Kapitalismus; einer neuen politischen Ordnung, vornehmlich einer zentralistischen Despotie oder Oligarchie, die gewöhnlich über einen Nationalstaat herrschte; und einer neuen Weltanschauung, die sich aus der praktischen Physik ergab, deren grundlegende Postulate bereits lange vorher in

Ölbild Oxford Road in Manchester, 1910

Oxford Road in Manchester im Jahr 1910, Ölbild von Pierre Adolphe Valette. Quelle: WikiMedia Commons, Public Domain

Heer und Kloster aufgestellt worden waren.“ Wer gegenwärtig von der Stadt spricht läuft Gefahr, nicht verstanden zu werden. Ohne differenzierendes Attribut können die mit der gemeinten Stadt verknüpften Sprachinhalte nicht mehr in einen verständlichen Zusammenhang gebracht werden. Deshalb setzen sich immer mehr Charakterisierungen der Städte im sprachlichen Umgang mit ihnen durch, die spezielle Ausrichtungen ihrer Funktionen oder Hierarchien zum Ausdruck bringen sollen. So wird von Global Cities, Mega Cities, Smart Cities, Shadow Cities und Lost Cities (untergegangene Stadt Ciudad Perdida als Beispiel) gesprochen. Als Global City werden Städte bezeichnet, die im Zentrum eines neuartigen, transnationalen Städtesystems stehen. In ihnen sind die wichtigsten Finanzmärkte, Zentralen von Banken und transnationalen Konzernen sowie unternehmensnahe Dienstleistungen wie Rechts-, Finanz- und Unternehmensberater, Werbeagenturen, Buchführungs- und Prüfungsfirmen konzentriert; als Megacity werden Städte bezeichnet, die zehn Millionen oder mehr Einwohner haben; Smart City ist eine Stadt der Zukunft die effizienter, technologisch fortschrittlicher, grüner und sozial inklusiver zu gestalten ist; Shadow City ist eine neue Bezeichnung für Slums, die den vielfältigen positiven Entwicklungschancen dieser Wohngebiete Rechnung tragen will. Die großen globalen Fluchtbewegungen haben zum Entstehen von Zeltstädten geführt, die entgegen ihrem ursprünglichen Zweck als vorübergehende Behausungen immer mehr zu festen Einrichtungen werden. Vor 1991 war z. B. Dadaab, in der nordöstlichen Provinz Kenias nahe der somalischen Grenze gelegen, eine kleine und unbedeutende Stadt mit ungefähr 5000 Einwohnern. Heute ist Dadaab mit knapp 340.000 Menschen in fünf Flüchtlingscamps der größte Flüchtlingskomplex der Welt. Tatsächlich wird mit dem Namen Dadaab nicht mehr nur die ursprüngliche Stadt betitelt, sondern ein Cluster dieser fünf Flüchtlingscamps, die um die Stadt errichtet wurden. Hinter dem Begriff der Lost City verbergen sich jene Überreste von untergegangenen Städten, die Archäologen noch für lange Zeit Rätsel aufgeben werden. Dieser Begriff weist auf eine Funktion der Stadt hin, die sie zur Bewahrung der Erinnerung unentbehrlich macht. Voraussetzung hierfür ist neben der Solidität der Materialien auch der kontinuierliche und allmähliche Wandel der gebauten Stadt.

Schloss Versailles mit Barockgarten

Schloß Versailles; Copyright: Wikimedia Commons, Von ToucanWings – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0,

Ein wesentlicher Aspekt der historischen vorderasiatischen und griechischen Stadt und deren europäischen Adaptionen ist der Sicherheitsaspekt, der bis zum Beginn des Barock seine Wirkung auf die Entwicklung der europäischen Städte behielt. Mit der aufstrebenden Macht der staatlichen Gewalt stand das Bürgertum immer häufiger auch im Konflikt mit den Landesherren und der Feind stand in der Stadt. Städte wie Paris wurden nach militärischen Gesichtspunkten umgebaut, so dass die Volksmassen in Aufständen leicht unter Beschuß genommen werden konnten. Die Ausübung zentraler Gewalt über Städte hat sich bis in die Gegenwart mit zunehmender Tendenz fortgesetzt. Nicht mehr staatliche Territorien sind Angriffsziele von Angreifern, die Zivilbevölkerung in den großen Städten wird zur Geisel genommen oder es reicht sogar, die Symbole der Macht in den Städten zu zerstören, wie im Falle des World Trade Centers. Neue Militärstrategien und Sicherheitskonzepte der vernetzten Finanzwirtschaft nutzen die Anonymität der Großstädte zur Unterbringung von War Rooms. Ein prägnantes Beispiel ist Control Risk in London. Im so genannten Control Risk Information Center in London sitzen mehrere Dutzend Mitarbeiter, die täglich Daten einspeisen, Notstandsmeldungen prüfen, Warnungen aufarbeiten und Kriseneinschätzungen aktuell halten. Das Unternehmen hat etwa 3.000 Mitarbeiter, die von 36 Niederlassungen aus tätig sind und in mehr als 100 Ländern und Städten vertreten sind. Hierunter sind so bedeutende Städte zu finden wie Abu Dhabi, Amsterdam, Bagdad, Peking, Berlin, Bogotá, Kopenhagen, Delhi, Dubai, Hongkong, Houston, Islamabad, Jakarta, Johannesburg, Kabul, Lagos, London, Los Angeles, Mexico City, Moskau, Mumbai, New York, Nairobi , Paris, São Paulo, Shanghai, Seoul, Singapur, Sydney, Tokio und Washington, DC. Andererseits wird die Planung von Städten und Siedlungen immer stärker an militärischen Belangen orientiert, wie es im israelisch-palästinensischen Konflikt zu beobachten ist. Der israelische Architekt und Schriftsteller Eyal Weizman beschreibt diese Zusammenhänge als Planungsstrategien. Jüdische Siedlungen wurden nach fortifikatorischen Gesichtspunkten geplant und als militärisches Mittel gegen das unkontrollierte Wachstum palästinensischer Stadtagglomerationen eingesetzt. Die Errichtung vieler israelischer Suburbs beruht auf juristischen Tricks, die als provisorisch ausgeben, was ewig halten soll. Dem «Antiterrorzaun» liegt eine ähnliche Argumentation zugrunde: «Die Behauptung der ‹Vorläufigkeit› der Barriere versucht […], diese als ein zufälliges Instrument in einer vorübergehenden Notstandsituation auszugeben», schreibt Weizman. In einem Artikel für die Zeitschrift Stadtbauwelt schrieb Weizman 2006: „Wenn die israelische Armee in palästinensische Städte oder Flüchtlingslager eindringt, meidet sie Straßen und Plätze und kommt nie über die Schwelle ins Haus. Im klassischen Ordnungsmuster von Stadt muss sie Fallen des Feindes vermuten und geht deshalb durch Wände, durch Wohnzimmer, schlägt Schneisen quer durch den Lebensraum der Bewohner. Die Muster der Zerstörung wurden in einigen Fällen zum Muster des Wiederaufbaus.“ Weiter berichtet Weizman von der „Operation Defensive Shield“ während der zweiten Intifada im Jahr 2002, diese sei für englische und amerikanische Militärbeobachter besonders interessant gewesen, weil diese Länder sich gerade auf die Irak-Invasion vorbereiteten. Hunderte Marineoffiziere trainierten in den Folgejahren in Israel die innerstädtische Kriegführung und die gezielte Tötung von Menschen.

Satellit Aura

Satellit Aura der NASA zur Erdbeobachtung, Quelle: WikiMedia Commons

Die Beschreibung der Rolle, die Städte in der postmodernen Welt spielen, ließe sich bis zur Buchstärke fortsetzen. Das Ergebnis wäre das Gleiche, wie die an dieser Stelle aus meiner Sicht zu treffende Feststellung, dass es eine Tendenz zu immer größeren Menschenballungen (Anm.: Die Dichteangaben entfalten ihre Aussagekraft erst im Zeitvergleich für festumschriebene Flächen) und komplexeren Strukturen in ihnen gibt, die nur noch von höheren Betrachtungsebenen zu überblicken sind. In den beschreibenden Quadranten der Integralen Theorie (oben rechts und unten rechts) haben sich Methoden der Fernbeobachtung durch Satelliten und Flugzeuge etabliert, die sich noch in einer raschen Entwicklungsphase befinden.

Über Fidelio

Ich bin 1949 geboren und war in meiner berufstätigen Zeit als Stadtplaner in einer mittelgroßen kommune tätig. Seit meiner Studienzeit habe ich mich für die Entwicklung eines erweiterten geistigen Horizonts interessiert und einige Anstrengungen unternommen, mich persönlich in diesem Sinne zu entwickeln. Aufgrund meiner katholischen Erziehung habe ich in den 1960-er Jahren begonnen, mich intensiver mit dem modernen Mystiker Teilhard de Chardin zu befassen und bin so zur Gedankenwelt von Ken Wilber gekommen, die ich in diesem Projekt nutzbar zu machen versuche.
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Eine Antwort zu Neue Wege in den USA – Mit Vielfalt gegen rechten Populismus II

  1. RobertKab sagt:

    Smart Communications

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